Die Covid-19-Pandemie trifft jeden. Das Aufrechterhalten des "normalen" Alltags ist für alle eine Herausforderung, auch aufgrund sich stetig ändernder Verhaltensregeln sowie national, regional und kommunal unterschiedlicher Strategien. "Ungewissheit", "Uneindeutigkeit" und "Nichtwissen" sind Schlagworte, die die Pandemie ständig begleiten. In den Wissenschaften, in medialen Diskursen und im sozialen Miteinander existiert eine Vielzahl verschiedener, sich teils diametral widersprechender Einschätzungen der Situation. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Wissenslücken und Ambivalenzen aufgedeckt, alte Annahmen infrage gestellt und verworfen oder neue, noch nicht geprüfte, formuliert werden. Doch trotz aller Ungewissheit scheint eines klar: Schenkt man vielen Medienberichten Glauben, dann ist die Generation der Alten die heutige Risikogruppe, die Generation der Jungen jene der Zukunft.
Die Unübersichtlichkeiten und Ungewissheiten werden auf individueller und gesamtgesellschaftlicher Ebene vielfach als Überrumplung und Überforderung erlebt. Aus risikosoziologischer Sicht sind sie keineswegs überraschend. Die Schwierigkeiten politischen Handelns auf der Basis von Nichtwissen sowie unbeabsichtigte Nebenfolgen gesellschaftlichen Wandels werden seit den 1980er Jahren intensiv erforscht.
Am Beispiel der Corona-Pandemie kann wie unter dem mittlerweile bereits sprichwörtlichen Brennglas studiert werden, was in der Soziologie schon lange als typisch spätmodern beschrieben wird. In risikosoziologischer Terminologie ausgedrückt, ist die derzeitige Situation gekennzeichnet durch eine Pluralisierung kognitiver Grenzen und Grenzziehungen, mit der Folge, dass sich ehemals stabile Orientierungs- und Handlungsrahmen auflösen.
Um bei der Bekämpfung der Pandemie auf individueller, gesellschaftlicher und institutioneller Ebene Orientierung und Handlungssicherheit zu ermöglichen, müssen gleichwohl Entscheidungen getroffen werden, insbesondere von politischen Akteur*innen. Denn "Handeln ist nur möglich, wenn sich die Welt als erwartbar stabil darstellt und nicht permanent auch anders erscheint". Das bedeutet, dass "aus dem Universum denkbarer Möglichkeiten bestimmte (…) als handlungsrelevant ausgewählt, andere hingegen als irrelevant ausgeblendet werden, wobei genau dieser Selektionsprozeß zu (sozialer) Eindeutigkeit und Sicherheit führt".
Während sich die Bundesregierung bei der Einschätzung der Pandemie beispielsweise vor allem auf wissenschaftlich fundierte Eindeutigkeitskonstruktionen des Robert Koch-Instituts (RKI) beruft und auf dieser Basis Maßnahmen beschließt, zeigen sich auf individueller Ebene auch Konstruktionen jenseits der Rationalität. Hier kann auch das Bauchgefühl Sicherheit stiften – oder einfach das Vertrauen darauf, dass schon alles gut gehen werde. Auch der Rückgriff auf Verschwörungserzählungen kann der Fiktion von Sicherheit dienen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die durch ihre Akzeptanz von Ambivalenz und Widersprüchen "auch in undurchschaubaren Situationen pragmatisch, gegenwartsorientiert, voller Selbstvertrauen und im eigenen Interesse (…) entscheiden".
Die Definition (vermeintlich) eindeutiger Risikogruppen kann in dieser Situation Sicherheit bieten, auf der aufgebaut und mit der politische Akteur*innen Handlungsfähigkeit beweisen können. Oder überspitzt formuliert: Je klarer das zu Schützende und je konkreter daraufhin die Gefährdungslage definiert werden, desto eindeutiger können Maßnahmen formuliert und eigene Erfolge belegt werden. Unbeabsichtigte und unerwünschte Nebenfolgen können dabei schnell aus dem Blick geraten. Ein Beispiel hierfür sind die Stereotypisierungen der Generationen im Rahmen der Pandemiebekämpfung.
Bilder von Alt Und Jung
Vor allem in Anlehnung an Angaben des RKI
Ein pauschalisierendes Bild wird auch von Kindern und Jugendlichen gezeichnet. Schon jetzt werden sie mitunter als "Generation Corona" bezeichnet,
Der medialen Berichterstattung kommt mit Blick auf die Stereotypisierung von "Alt" und "Jung" eine besondere Bedeutung zu. Mediale Diskurse lassen sich als argumentative Praxis charakterisieren, durch die kollektives Wissen hervorgebracht und abgesichert wird. Sie werden nicht einseitig von Individuen erzeugt, sondern produzieren und formieren auch Wahrnehmungen und "Wahrheiten" für andere. Damit erzeugen sie Regeln, die bestimmen, was und wie über Dinge gesprochen und was verschwiegen wird, was als wahr und was als falsch erscheint. Gerade in gesellschaftlichen Ausnahmezuständen wie den gegenwärtigen sind Diskurse zur Verständigung über Veränderungen, Risiken und "Normalität" wesentlich. Sie spiegeln die Einstellung der Gesellschaftsmitglieder wider, beschreiben sie und prägen das Bewusstsein in Hinblick auf Gefahren, Gefährdete sowie die Angemessenheit politischer Maßnahmen.
Im Folgenden wird am Beispiel der Online-Berichterstattung der "Süddeutschen Zeitung", der "Welt" und der "Taz" von Anfang März bis Ende September 2020 skizziert, in welcher Weise von älteren Menschen sowie Kindern und Jugendlichen mit besonderem Fokus auf intergenerationelle Beziehungen berichtet wird.
Betrachtet man die Pandemie in ihrem zeitlichen Verlauf, dann zeigt sich, wie sich Themen und Bilder verschieben, einige mehr oder weniger verschwinden, andere zur quasi unhinterfragten Selbstverständlichkeit werden und wieder andere neu auftauchen und an Relevanz gewinnen können. Zugespitzt kann zwischen vier Phasen unterschieden werden. Da sich die Themen allerdings nicht in allen Zeitungen gleichzeitig verlagern und zudem unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden, dient diese Einteilung nur einer vagen Orientierung.
Suche nach Eindeutigkeiten
Die erste Phase könnte auch als "Chaos" beschrieben werden. Weder konnten eindeutige Angaben zur Gefährlichkeit des neuartigen Corona-Virus, seinen Verbreitungswegen oder seiner Infektiosität gemacht, noch über konkrete Ideen zu Gegenmaßnahmen berichtet werden. Durch die Vielfalt unterschiedlicher (Experten-)Meinungen und Einschätzungen waren nicht nur Privatpersonen, sondern auch Politiker*innen überfordert und verunsichert. Das Entwickeln von Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie setzt ein Mindestmaß an Wissen entweder über den sogenannten Feind – das Virus und seine Verbreitungswege – voraus oder darüber, wer besonders zu schützen ist. Da konkretes Wissen zum Virus anfangs fast völlig fehlte, konnte nur die Definition der zu schützenden Gruppe(n) Anhaltspunkte für Schutzmaßnahmen liefern.
Im Februar 2020 wiesen erste Erkenntnisse des RKI darauf hin, dass das Virus für ältere Menschen besonders gefährlich ist und das Risiko tödlicher Krankheitsverläufe mit dem Alter statistisch zunimmt. Auf dieser Basis wurde in der Folge vielfach ein Bild älterer Menschen als stark gefährdet und schutzbedürftig gezeichnet. Neben Menschen mit Atemwegserkrankungen wurden sie zur Risikogruppe erklärt. Diese Stereotypisierung erschien präzise und eindeutig genug, um zumindest für ein wenig Klarheit in der ansonsten unüberschaubaren Situation zu sorgen. Und mit dieser Festlegung konnte über geeignete Strategien zur Eindämmung der Gefährdung nachgedacht werden – etwa darüber, dass die "Alten und Schwachen (…) zu schützen" seien,
So hilfreich das Bild älterer Menschen als eindeutige Risikogruppe auf der einen Seite sein mag, so unpassend ist es auf der anderen. Es wird einerseits die Heterogenität des Alters ignoriert, die sich unter anderem in der großen zeitlichen Lebensspanne ausdrückt.
Erfolgte ein fast paternalistischer Zugriff auf die Älteren, tauchten Kinder in der Berichterstattung kaum auf – und falls doch, dann vor allem zur Klärung der Frage, "inwiefern Kinder das Coronavirus übertragen (…) und Schulen und Kindergärten wie Brutstätten wirken".
Abstand im Namen der Solidarität
Vor dem Hintergrund der definierten Risikogruppe wurde in der zweiten Phase insbesondere über geeignete Strategien zu ihrem Schutz diskutiert. Zugespitzt kann zwischen zwei Positionen unterschieden werden:
Die erste Position erachtete die nun von der Politik nach und nach eingeführten Maßnahmen für sinnvoll. Hier lautete das Motto, Abstand zu halten im Namen der Solidarität.
Die zweite Position vertrat den Ansatz, dass ältere Menschen freiwillig zu Hause bleiben sollten, damit die Jungen ihr Leben weitgehend unbeschränkt fortführen können. So wurde beispielsweise ein Mediziner mit den Worten zitiert, es würde "die Zahl der schweren Infektionen verringern, wenn die Gruppe der über 75-Jährigen zu Hause bleibt, und je mehr Alte dies tun, desto früher können die Jungen wieder raus".
Die beiden Positionen inhärenten Altersbilder ähneln sich in dem Sinne, dass die Typisierung der älteren Generation als Risikogruppe nun nicht mehr infrage gestellt wurde. Unterschiede zeigten sich allerdings in der Hinsicht, dass von Vertreter*innen der ersten Position das Altersbild aus der vorherigen Phase vollständig übernommen wurde. Ein Bild von Zerbrechlichkeit und Gefährdung älterer Menschen wurde gezeichnet; diese bedürften dringend der schützenden Gemeinschaft. Die geforderte Solidarität bezog sich auf die gesamte Gesellschaft, ein Generationenkonflikt wurde nicht inszeniert. Vertreter*innen der zweiten Position hingegen sprachen den älteren Menschen Verantwortung zu und forderten sie auf, sich freiwillig zu isolieren, um den Jungen ihre Freiheiten zu erhalten. Hier wurde ein Generationenkonflikt konstruiert, der zwischen Gewinnern und Verlierern unterscheidet, wobei den Alten die Rolle der Gewinner zugeschrieben wurde.
Veralltäglichung der Krise
In der dritten Phase fand bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung eine Art Veralltäglichung der Krise statt. Das medial vermittelte Krisenszenario wurde nun mehr oder weniger als gegeben hingenommen und es wurde versucht, im Alltag möglichst konstruktiv damit umzugehen. In der medialen Berichterstattung zeigte sich diese Veralltäglichung darin, dass vormals viel diskutierte Aspekte, etwa die Konstruktion der Älteren als Risikogruppe und die Notwendigkeit eines "Lockdowns" zu ihrem Schutz, kaum noch infrage gestellt wurden. Sie waren zum quasi unhinterfragten Fundament für weitere Entscheidungen geworden.
Die Standpunkte einer kleinen Minderheit Andersdenkender – sich selbst so bezeichnende "Querdenker" – wurden zwar nicht ignoriert, erhielten aber nur am Rande Beachtung. Vielmehr standen nun die Herausforderungen im Mittelpunkt, sich mit den Folgen des "Lockdowns" zu arrangieren. Es wurde kontrovers diskutiert, wie die Maßnahmen jeweils anzupassen seien, damit sich Einschränkungen und Verluste in Grenzen hielten. Entsprechend der föderalen Staatsordnung wurde viel über national, regional und kommunal unterschiedlich zu handhabende Regeln und Verbote und deren Vor- und Nachteile berichtet. Die Risikogruppe der Älteren geriet mehr und mehr aus dem Blick, da eine neue Risikogruppe "entdeckt" wurde: die Kinder und Jugendlichen.
Corona-Generation als neue Risikogruppe
Ab Ende April 2020 wurde verstärkt über Eltern berichtet, die durch vernetzte Aktionen im Internet und Demonstrationen ihre Überforderung zum Ausdruck brachten, im Homeoffice gleichzeitig auch Homeschooling beziehungsweise Betreuung leisten zu müssen.
Insgesamt wurde die Gruppe der Kinder und Jugendlichen in Relation zu anderen Altersgruppen meist vor dem Hintergrund eines Generationenkonflikts zwischen Jung und Alt thematisiert. Die Begriffe "Solidarität" und "Gerechtigkeit" rückten in den Mittelpunkt. So wurde von der älteren Generation häufig Gerechtigkeit eingefordert: Sie sollten ihre Ansprüche reduzieren,
Nebenfolgen
Die Konstruktion von Eindeutigkeiten in unsicheren Situationen ist nicht nur nachvollziehbar, sondern notwendig, um klare Entscheidungen treffen zu können. In diesem Sinne sind auch die zugespitzten Bilder von Alt und Jung erste Schritte, um Strategien im Umgang mit der Pandemie entwickeln und damit Handlungssicherheit und Orientierung bieten zu können. Sie sind jedoch nicht dazu geeignet, komplexe Realitäten abzubilden. Es sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sie mit unbeabsichtigten Nebenfolgen einhergehen können, die reflektiert werden sollten.
So kann etwa der pauschalisierende Diskurs über Ältere dazu führen, dass Entscheidungen "im medizinischen Bereich allein aufgrund des Alters einer Person und nicht aufgrund detaillierter Informationen zu ihrem Gesundheitszustand gefällt werden" oder das defizitäre Altersbild von den Älteren selbst übernommen wird.
Ein vereinfachtes Altersbild vernachlässigt zudem die große Heterogenität der Gruppe älterer Menschen und übersieht, dass auch diese ihr Leben kompetent und verantwortungsvoll gestalten. Es leistet einer Altersdiskriminierung Vorschub, die nicht nur auf institutioneller und organisatorischer Ebene wirkt, sondern die sich ebenfalls in den Köpfen der Menschen verfestigt. Die Vielfalt des Alters zeigt sich nicht nur in sozialen und gesundheitlichen Unterschieden, sie drückt sich zum Beispiel auch in der großen zeitlichen Lebensspanne aus, die mit einem vereinfachten Altersbild nicht adäquat abgebildet wird. Was beispielsweise für Menschen sehr hohen Alters statistisch zutreffen mag – etwa eine höhere Zahl an Vorerkrankungen –, muss nicht für 60-Jährige zutreffen. In der Gerontologie wird zwischen dem sogenannten dritten und dem vierten Alter unterschieden: Menschen im dritten Alter erfreuen sich meist relativ guter Gesundheit und erbringen häufig selbst auf vielfältige Weise Unterstützung für andere, während das vierte Alter die Menschen umfasst, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Die häufig fehlende Differenzierung zwischen diesen beiden Gruppen älterer Menschen führt in der derzeitigen Krise zum Beispiel dazu, dass viele Menschen des dritten Alters "durch die bestehenden Restriktionen in ihrem Engagement ‚ausgebremst‘ werden".
Auch für Kinder und Jugendliche kann die Stereotypisierung zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Bei der starken Fokussierung auf ihre künftigen Nachteile gerät zudem ihre Solidarität als ein wichtiger Wert "an sich" aus dem Blick. Auch die Vielschichtigkeit ihrer derzeitigen Situation bleibt unterbelichtet. So wird etwa übersehen, dass es einige Kinder genießen, mehr Zeit zu Hause mit ihren Eltern zu verbringen.
Selbst die Jüngsten können zudem, wenn sie selbst befragt werden, recht genau ihr Erleben der Pandemie beschreiben und haben durchaus kreative und vielfältige Lösungsvorschläge, wie sie die neuen Sicherheitsvorkehrungen in den Kitas umsetzen können – beispielsweise, indem sie zu Hause Zähne putzen oder Matratzen für die Mittagspause mit Namen beschriften.
Um der Vielschichtigkeit der Situation und der Heterogenität beider Generationen gerecht zu werden, wäre es dringend nötig, sich durch Befragungen bei den Betroffenen selbst ein Bild über die Komplexität ihrer Situationen zu verschaffen. Damit würden auch unintendierte Nebenfolgen gegenwärtiger Maßnahmen in den Mittelpunkt rücken, sodass zugleich Anhaltspunkte für ihre Vermeidung generiert werden könnten.
Erwartung des Unerwarteten
Für spätmodern argumentierende Soziolog*innen steht der adäquate Umgang mit Unsicherheit unter dem Motto "Erwartung des Unerwarteten".
Hieraus ergeben sich mehrere Forderungen für politisches Handeln: Einerseits muss der Prozess der Entscheidungsfindung mit seinen zugrunde gelegten Annahmen transparent gemacht werden. Er muss für jede und jeden einsehbar und verständlich sein. Und es muss kommuniziert werden, dass die beschlossenen Maßnahmen immer nur an gegenwärtig existierenden, vermeintlichen Gewissheiten orientiert sein können. Ebenfalls sollte deutlich gemacht werden, dass konstruierte Eindeutigkeiten wie stereotype Bilder von Jung und Alt aufgrund ihrer impliziten Vereinfachungen mit unbeabsichtigten Nebenfolgen einhergehen, die ihr Überdenken nötig machen können.
Dies erfordert andererseits, Maßnahmen anhand neuer Datenlagen zu reflektieren und gegebenenfalls anzupassen. Es ist Flexibilität und Kontextangemessenheit gefragt, was zugleich bedeuten kann, ehemals für richtig gehaltene Aussagen öffentlich zu revidieren und eigene Fehler einzugestehen. So wurde bei der Festlegung geeigneter Maßnahmen gegen die sogenannte zweite Welle der Corona-Pandemie in Deutschland im Herbst 2020 vor dem Hintergrund sichtbar gewordener Bedürfnisse und Erfordernisse verstärkt über deren Verhältnismäßigkeit diskutiert, um Fehler aus dem Umgang mit ersten Welle nicht zu wiederholen. Und auch die in diesem Beitrag präsentierten Erkenntnisse liefern nur "Blitzlichter" auf sich ständig verändernde Gewissheiten. Entsprechend ist ein auf Dauer gestelltes Analysieren gefragt, das aktuelle Gewissheiten mit ihren unbeabsichtigten Nebenfolgen regelmäßig kritisch reflektiert.