Wir stecken nicht nur in der Corona-Krise, sondern auch in einer veritablen Care-Krise. Genderforscher*innen, feministische Ökonom*innen und Care-Arbeiter*innen im privaten und öffentlichen Raum hätten die Pandemie wahrlich nicht gebraucht, um dies zu erkennen. Gleichwohl ist die "Systemrelevanz" der unbezahlten und (unter)-bezahlten Care-Arbeit nun auch ins Bewusstsein breiter Bevölkerungskreise gelangt: "Der pandemiebedingte Lockdown hat uns vor Augen geführt, dass vorübergehend praktisch alles geschlossen werden kann, nur nicht, was mit der unmittelbaren Sorge für das tägliche Leben zu tun hat: Die Gesundheitsversorgung, die Betreuung von Kindern und gebrechlichen Menschen, die Sorge für Tiere und Pflanzen, die Sorge für die tägliche Nahrung, für Sicherheit und Hygiene. Die dafür nötigen Arbeiten bilden die Basis für menschliche Gemeinschaften, weil wir alle auf die Fürsorge durch andere angewiesen sind."
Unter "Care-Arbeit" wird in diesem Beitrag die Gesamtheit der unbezahlten und bezahlten (re)produktiven Tätigkeiten des Sorgens und Sich-Kümmerns, Fürsorge und Selbstsorge gefasst. Sie beginnt mit der Begleitung und Versorgung Schwangerer, Neugeborener und ihrer Mütter, reicht über die Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern, die Wiederherstellung der physischen und psychischen Reproduktion des Arbeitsvermögens von berufstätigen Erwachsenen, die familiäre und professionelle Pflege und Unterstützung bei Krankheit oder Behinderung, über die Hilfe zur Selbsthilfe, unter Freund*innen, Nachbar*innen, im Bekanntenkreis, bis zur Altenpflege und Sterbebegleitung. Der Care-Begriff umfasst zudem das ganz alltägliche, immer wiederkehrende Kümmern und Versorgen aller Haushaltsmitglieder und das Wissen, die Organisation und die Verantwortung ("Mental Load"), die es dafür braucht. "Care" meint jedoch nicht nur die körpernahe Care-Arbeit, sondern schließt ebenso das Kochen, Putzen, Reparieren und alle Arbeiten im Haushalt mit ein, und beginnt in vielen Ländern des Globalen Südens bereits mit dem Besorgen von sauberem Trinkwasser oder Brennholz.
Im Folgenden lege ich den Blick auf unbezahlte und erwerbsförmig organisierte Care-Arbeit als elementare Voraussetzung allen wirtschaftlichen Handelns – eine Perspektive, die seit der Entstehung industrieller kapitalistischer Warenproduktion systematisch ausgeblendet worden ist. Zunächst werden die historischen Hintergründe skizziert und herausgearbeitet, warum dieser Umwälzungsprozess hin zur fordistischen Industrieproduktion von Beginn an untrennbar mit asymmetrischen Geschlechterverhältnissen verwoben war und sich die Ausgrenzung der unbezahlten Care-Arbeit aus den gängigen Wohlstandsmodellen als systemisches geschlechtsspezifisches Diskriminierungsinstrument erweist. Anschließend werden die theoretisch-konzeptionelle Auseinandersetzung der Geschlechterforschung seit den 1970er Jahren nachgezeichnet, die den Wandel von Ungleichheiten und Ausgrenzungen, denen die weibliche Hälfte der Gesellschaft seither ausgesetzt ist, zum Gegenstand hat. Schließlich stelle ich Perspektiven für eine care-zentrierte Ökonomie als Zukunftsmodell für das 21. Jahrhundert vor, wie sie derzeit diskutiert werden. Die zentrale These lautet, dass die Weltgesellschaft ohne einen grundlegenden Paradigmenwechsel weder die Care-Krise noch die Klima-Krise lösen kann: Das heutige Wirtschaftssystem beruht gleichermaßen auf der Externalisierung der Kosten für Care-Arbeit wie für sämtliche Naturressourcen, um Profitraten ins Unendliche zu steigern. Das muss sich ändern.
Trivialisierung und Ausgrenzung weiblicher Care-Arbeit
Es war ein folgenreicher Schachzug der Architekten der Nationalökonomie, als sie im Zuge des Übergangs von der Agrar- zur kapitalistischen Industriegesellschaft im ausgehenden 18. Jahrhunderts sämtlichen sorgenden Tätigkeiten (cooking, cleaning, caring) kurzerhand das Prädikat absprachen, produktive Arbeit zu sein. Mehr noch: sach- und personenbezogene Care-Arbeit, die bis auf den heutigen Tag weltweit einen quantitativ deutlich höheren Stundenumfang aufweist als das Gesamtvolumen an bezahlter Erwerbsarbeit, erfuhr in den ökonomischen Modellen zur Erfassung gesellschaftlicher Wohlfahrtsproduktion keine strukturelle Berücksichtigung. Damit wurden wichtige Dimensionen der unterhalts- und bedarfsorientierten oikonomia vorindustrieller Gesellschaften aufgegeben. Zeitgleich erfolgte eine naturrechtliche Begründung der Zuständigkeit von Frauen für diese vielfältigen alltäglichen Aufgaben: Die Haus- und Sorgeverantwortung wurde ihnen fortan wesensmäßig zugeschrieben, als Nicht-Arbeit definiert und in ihrer systemrelevanten und wertschöpfenden Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft systematisch ignoriert. Den ideologischen Nukleus der Ausgrenzung weiblicher Sorgearbeit aus der gesellschaftlichen Wertschöpfung formulierte ein Nationalökonom klassischer Prägung so: "Die Begründung dafür liegt in dem besonderen Charakter all dieser im Schoße der Familie unentgeltlich geleisteten häuslichen Dienste: sie haben zwar alle auch eine wirtschaftliche Seite (…), aber sie werden im Allgemeinen doch weit weniger als wirtschaftliche Handlungen denn als Akte der Lebensführung, der Lebensgestaltung und der aus Liebe geübten fürsorglichen Betreuung empfunden. Es widerstrebt dem gesunden Gefühl, hier den Maßstab wirtschaftlicher Bewertung anzulegen."
Ein Grund für die Borniertheit herkömmlicher Wirtschaftstheorien besteht darin, dass sie seit der Industriellen Revolution eindimensional auf technische Innovationen setzen, verbunden mit dem Ziel einer unvergleichlichen Steigerung der Arbeitsproduktivität. Das führte in der Konsequenz zu einer systematischen Alltags- und Reproduktionsvergessenheit. Zudem geht die Mainstream-Ökonomie im Kern vom Standpunkt der Unternehmen respektive des Kapitals aus. Demgegenüber werden Haushalte lediglich als Konsum-, aber nicht mehr als Produktionseinheiten gefasst. Mit der Entstehung der kapitalistischen Industriegesellschaft und der Nationalökonomie wurde zugleich das Strukturprinzip einer hierarchischen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern eingeführt und institutionell verankert. Man spricht auch vom fordistischen "Reproduktionspakt": Darunter wird die institutionell organisierte und politisch legitimierte gesellschaftliche Organisation von Produktionsabläufen und Reproduktionsprozessen verstanden.
Als Adam Smith, der Begründer der Nationalökonomie, seinen Marktmechanismus formulierte, ignorierte er, dass all die Männer, die er sich als Metzger und Bäcker vorstellte, nur deshalb ihrer Erwerbsarbeit nachgehen konnten, weil ihre Mütter, Ehefrauen und Schwestern für sie kochten, wuschen, die Wohnung in Schuss hielten und die Kinder großzogen. Dabei hätte Adam Smith es besser wissen müssen: Denn den Großteil seines Lebens verbrachte der Vater der Nationalökonomie bei seiner Mutter. "Sein Abendessen bekam er vor allem, weil seine Mutter es ihm servierte."
Die wirtschaftliche Dimension dieses Geschlechterdualismus hat der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler John K. Galbraith in den 1970er Jahren beschrieben, indem er die im Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung vollzogene Verwandlung der Frauen in eine heimliche Dienerklasse des Mannes sarkastisch als eine "ökonomische Leistung ersten Ranges" bezeichnete.
Aufdeckung weiblicher Diskriminierungsformen und holistisch angelegte Ökonomiekonzepte
Bereits zu Beginn der 1970er Jahre arbeiteten feministische Forscherinnen und die neue Frauenbewegung heraus, dass die kapitalistische Mehrwertakkumulation keineswegs nur auf der rechtlich abgesicherten Ausbeutung der Lohnarbeit beruht. Im Anschluss an die Arbeiten von Rosa Luxemburg, die betont hatte, dass der Kapitalismus nicht allein von der äußeren Landnahme wie Kolonien abhängig sei, sondern immer auch von nicht kapitalistischen Produktionsweisen, die ständig die Ware Arbeitskraft erneuern,
Anfang der 1980er Jahren prägten die Bielefelder Soziologinnen um Claudia von Werlhof dann den Begriff der "Hausfrauisierung der Lohnarbeit". Gemeint sind damit Formen von abhängiger Beschäftigung, die weder von der Organisation noch von der Entlohnung her existenzsichernd ist. Mit diesem Begriff wurde bereits damals eine Tendenz der Globalisierung, die nicht nur Frauen betraf, konzeptualisiert: nämlich den Übergang von Normalarbeitsverhältnissen, die eigentlich nur für die kurze Zeit des Fordismus galten, in deregulierte Lohnarbeit, die durch den digitalen Strukturwandel und die damit verknüpfte Plattformisierung von Geschäftsideen aktuell ganz neue Formen annimmt.
Die Historikerin Tove Soiland und andere haben später unter Bezugnahme auf die Bielefelder Analyse eine feministische Wendung des Theorems der Neuen Landnahme versucht, um die Verschärfung der Reproduktionskrise in der postfordistischen Gesellschaft zu erklären: Sie vertreten die These, dass die gegenwärtige Restrukturierung der globalen Ökonomie "auch oder sogar in erster Linie als massive Strukturanpassung für den Bereich der individuellen und sozialen Reproduktion verstanden werden kann".
Bereits die Bielefelder Soziologinnen gingen der Frage nach, wie Menschen unterhalb des eigentlich notwendigen Reproduktionsniveaus trotzdem überleben und verwendeten dafür den Begriff der "Subsistenzproduktion". "Sie meinten damit eine Überlebensökonomie, die gerade nicht eine antikapitalistische Insel darstellt, sondern laufend den Kapitalinteressen unterworfen wird. Arbeit im Bereich der Reproduktion ist Produktion, aber eine, die kaum als solche erscheint und daher stillschweigend an Land genommen werden kann, weil die geleistete Arbeit – da Menschen immer zu überleben versuchen – scheinbar ‚wie Luft und Wasser‘ gratis zur Verfügung steht."
So wie der ausbeuterische Zugriff auf die unbezahlte Arbeitskraft von Frauen war auch die Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen innerhalb der nationalökonomischen Theorieansätze der neuen Märkte folgerichtig. Diese basieren darauf, dass Luft, Wasser, Rohstoffe und Boden frei zur Verfügung stehen und die Umwelt gewissermaßen als Senke für Abfallstoffe genutzt werden kann. Uta von Winterfeld et al. sprechen von einer "Externalisierung als Prinzip":
Als spätestens ab den 1970er Jahren die Umweltprobleme als Folgen der vorherrschenden Produktions- und Konsumverhältnisse in westlichen Industriegesellschaften nicht mehr zu übersehen waren, wurden Privathaushalte als "Reparaturbetrieb" für die Umweltschäden in die Pflicht genommen. Das war, weil auf die Privathaushalte bezogen, gleichbedeutend mit einer zusätzlichen Mehrarbeit von Frauen, was als "Feminisierung und Privatisierung der Umweltverantwortung" kritisiert worden ist: Die Sorge für die Umwelt wurde zu einem weiteren Aufgabenfeld der hochgradig vergeschlechtlichten Care-Arbeit. Gleichzeitig überschätzten die Debatten zur Bedeutung nachhaltiger Konsummuster die Handlungsspielräume privater Konsument*innen und der Privathaushalte in industriellen Gesellschaften grundlegend, weil die Nachhaltigkeitsproblematik nicht auch als "systemische Krise"
In der systematischen Ausgrenzung der beiden reproduktiven Bereiche, der unbezahlten Arbeit und der ökologischen Natur, liegen die Ursachen der heutigen Krise. Das rief die Forderung nach nachhaltigen Wirtschaftskonzepten hervor, die sich innerhalb einer breiten öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte, ausgehend von der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, entwickelt haben. Das daraus folgende Leitbild von Nachhaltigkeit beschreibt das Ziel, die Entwicklungschancen zukünftiger Generationen nicht zu beschneiden und einen global und sozial gerechten Zugriff auf Ressourcen im Sinne einer inter- und intragenerationellen Gerechtigkeit zu ermöglichen. 1994 entstand, basierend auf den Vorarbeiten der Arbeitsgruppe "Nachhaltiges Wirtschaften aus weiblicher Perspektive", das Netzwerk "Vorsorgendes Wirtschaften". Es nahm zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit dem seinerzeit aufkommenden technokratischen Umweltmanagement vor.
Auch die Debatte um den privaten Haushalt als Wohlfahrtsproduzent, verbunden mit einer Darstellung der volkswirtschaftlichen Relevanz der maßgeblich von Frauen geleisteten unbezahlten Arbeit, wurde weiterentwickelt und ging in ein Satellitensystem "Haushaltsproduktion" ein: "Selbst bei einer vergleichsweise vorsichtigen Bewertung beträgt der Wert der unbezahlten Arbeit etwa ein Drittel der im Bruttoinlandsprodukt ausgewiesenen Bruttowertschöpfung."
Aus haushaltswissenschaftlicher Perspektive wurde Mitte der 1990er Jahre schließlich das Erklärungspotenzial des Konzepts verschiedener Kapitalsorten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu für eine holistische Theorie der Wirtschaftslehre des Privathaushalts ausgelotet.
Das Erkenntnisinteresse der Genderforschung richtete sich jedoch zunehmend auch auf andere Facetten der Care-Arbeit, insbesondere auf die unterbezahlte, erwerbsförmig organisierte Sorgearbeit im Kontext von steigenden Versorgungsnotwendigkeiten in alternden Gesellschaften.
Bemerkenswert ist schließlich, dass die Entwicklung handhabbarer Instrumente zur Neubewertung und Anerkennung von Care-Arbeit, darunter der Gender Care Gap,
Perspektiven
Weltweit übernehmen Frauen täglich mehr als zwölf Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit. Würden diese auch nur mit dem Mindestlohn bezahlt, wäre diese Summe 24 Mal größer als der Umsatz von Apple, Google und Facebook zusammen.
Das Gleichstellungsgutachten ist anschlussfähig an verschiedene wissenschaftliche Diskurse und soziale Bewegungen, wie die 2015 ins Leben gerufene Care-Revolution,
Übergänge im Lebensverlauf, wie die Geburt eines Kindes und die damit einhergehenden Entscheidungen, erweisen sich heute als Statuspassagen mit erheblichen, oft nicht vorhergesehenen Auswirkungen auf die Verwirklichungschancen von Frauen und Männern im weiteren Lebensverlauf. Sie führen derzeit zu evidenten Risiken im weiteren Lebensverlauf in Form verminderter Aufstiegschancen, reduzierter Einkommen und geringer Renten für diejenigen, die Care-Arbeit übernehmen, also ganz überwiegend für Frauen. Aber auch für Männer bringen geschlechterstereotype Arbeitsteilungsmuster durchaus Einschränkungen in ihren Verwirklichungschancen mit sich.
Lange Zeit haben sich in Deutschland staatliche Regelungen und Institutionen am Leitbild des "Familienernährers" orientiert, das auch kulturell, zumindest in Westdeutschland, tief verankert ist. Diesem Leitbild gemäß wird Sorgearbeit weitgehend privat organisiert, das heißt in Paar- und Familienbeziehungen; ein "Alleinverdiener" lebt hierfür in einer "Versorgerehe" mit einer "Hausfrau" zusammen, die die private Sorgearbeit übernimmt.
Mit dem steigenden Bildungsniveau von Frauen hat sich dieses Leitbild in den vergangenen Jahrzehnten in Richtung "Zuverdienst" verändert. Aus gleichstellungspolitischer Sicht bedeutet dies jedoch lediglich eine Variation des Familienernährer-Modells. So bleibt für den meist männlichen Familienernährer weiterhin kaum Zeit für die Familie, und die meist weibliche Zuverdienerin kann sich trotz der Last, Teilzeiterwerbsarbeit und familiale Sorgearbeit vereinbaren zu müssen, keine substanzielle Erwerbsbiografie aufbauen und fürs Alter vorsorgen.
Das Modell der "universellen Erwerbstätigkeit" (adult-worker-model) wiederum sieht für alle Personen eine Vollzeiterwerbstätigkeit vor, ohne zu berücksichtigen, dass sich Menschen in einem bestimmten Umfang eben auch den eigenen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen widmen und einen Teil der Haus- und Sorgearbeit selbst übernehmen wollen.
Deshalb hat die Sachverständigenkommission im Anschluss an die Philosophin Nancy Fraser eine neue Variante vorgeschlagen und verwendet dafür den Begriff "Erwerb-und-Sorge-Modell" (earner-carer-model).
Schluss
Mittlerweile und verstärkt durch die Pandemie sind viele Initiativen entstanden, die die Krisenhaftigkeit der Care-Arbeit thematisieren und auf die Notwendigkeit einer Neuorganisation und -bewertung der un- und unterbezahlten Care-Arbeit verweisen. Dazu gehören das Equal Care Manifest,