"I can’t breathe" – diese aufwühlenden Worte dokumentieren nicht nur die letzten Minuten vor dem Tod schwarzer Menschen, die überproportional häufig aufgrund von Gewaltanwendung durch die Polizei sterben.
Der Fall des asylsuchenden Sierra-Leoners Oury Jalloh zeigt dabei in eindrücklicher Weise die Relevanz dieser Debatte auch für Deutschland. Bis heute sind die genauen Umstände seines Todes am 7. Januar 2005 in Polizeigewahrsam in der Dienststelle Dessau-Roßlau nicht geklärt. Ermittlungsleitende Hypothese war über Jahre hinweg die Theorie, Jalloh habe sich mit einem Feuerzeug, das bei der standardmäßigen Durchsuchung in Gewahrsam genommener Personen übersehen worden sei, selbst angezündet, sodass vorsätzliches Verhalten der diensthabenden Polizist*innen ausgeschlossen wurde, obwohl entsprechende Anhaltspunkte durchaus vorlagen. Letztlich wurden der damalige Dienstgruppenleiter und ein weiterer Polizeibeamter wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, jedoch Letzterer freigesprochen und Ersterer erst nach knapp zehn Jahren juristischer Aufarbeitung über mehrere Instanzen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 90 Euro verurteilt.
Auch die in diversen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen deutlich gewordenen Defizite bei den Ermittlungen zum NSU-Komplex können als deutliches Indiz dafür gewertet werden, dass stereotype Denkmuster die Ermittlungen nachteilig beeinflusst und dazu geführt haben, dass die Opfer des NSU kriminalisiert wurden, was ihr Vertrauen in rechtsstaatliche Institutionen wie Polizei, Justiz und Verfassungsschutz zutiefst erschüttert hat.
Die wiederkehrenden Berichte über Rassismus und Rechtsextremismus auch innerhalb der Polizei verdeutlichen die Notwendigkeit einer forschungsbasierten, kritisch reflektierenden Diskussion über die Verbreitung von extremistischen, die Demokratie gefährdenden Einstellungen bei Polizist*innen und über Strukturen, die diskriminierende Handlungspraktiken ermöglichen.
Ihre Blütezeit hatten wissenschaftliche Untersuchungen zu diskriminierenden Einstellungsmustern und Handlungspraktiken der Polizei vor dem Hintergrund einer gesamtgesellschaftlichen Popularisierung menschenfeindlicher Einstellungen in weiten Teilen der Gesellschaft in den 1990er Jahren.
Innerpolizeiliche Einstellungsmuster
Der Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz, der sich inhaltlich mit dem Themenfeld der Inneren Sicherheit, unter anderem mit der Gefahrenabwehr und der Bekämpfung des Terrorismus beschäftigt, beauftragte Mitte der 1990er Jahre die Polizeiliche Führungsakademie (heute: Deutsche Hochschule der Polizei) mit der Umsetzung einer wissenschaftlichen Studie zum Thema "Fremdenfeindlichkeit in der Polizei". Aus ihr geht hervor, dass stereotypische Einstellungen unter Polizist*innen vornehmlich auf die Belastungen des Polizeialltags zurückgeführt wurden, die im großstädtischen Umfeld ungleich häufiger und intensiver mit als "fremd" wahrgenommenen Menschen in Verbindung gebracht werden.
Die Psychologin Marita Lindner stellte 1995 auf Grundlage einer quantitativen Befragung von Polizeianwärter*innen, die sich im zweiten Jahr ihrer Ausbildung befanden, fest, dass ein Viertel der Befragten bei im Dienst stehenden Polizist*innen ein nicht unerhebliches "fremdenfeindliches" und rechtsextremes Einstellungspotenzial vermuteten.
Eine erste Langzeitstudie wurde von 2013 bis 2017 mit 160 Kommissaranwärter*innen der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden, umgesetzt. Gegenstand der Befragung, die in regelmäßigen Abschnitten während des Studiums und zuletzt, nachdem die Befragten bereits ein halbes Jahr Berufserfahrung aufwiesen, stattfand, war der Umgang mit "Fremdheit". Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Befragten zu Beginn des Studiums eine – gemessen an Altersgruppe und Bildungsmilieu – vergleichbare Verteilung der Einstellungen und damit keine überproportional verbreiteten "fremdenfeindlichen" Einstellungsmuster aufwiesen. Zugleich war jedoch eine Veränderung über den Befragungszeitraum hinweg festzustellen: Während im Laufe des Studiums eine Abnahme "fremdenfeindlicher" Einstellungen zu verzeichnen war, kam es im halben Jahr danach zu einem Anstieg.
Nachdem in jüngster Vergangenheit hessische Polizeibeamt*innen im Zuge des sogenannten NSU 2.0 für Schlagzeilen sorgten, die die Politik unter erheblichen Handlungsdruck setzte, gab das hessische Innenministerium eine Studie in Auftrag, in der 2019 rund 17.000 Polizist*innen, Verwaltungsbeamt*innen und Tarifbeschäftigte zur politischen Selbstverortung sowie zu Einstellungen, Zufriedenheit oder besonderen Belastungssituationen befragt wurden.
Diskriminierende Handlungspraktiken
Allgemein wird davon ausgegangen, dass durch Organisationsstrukturen Verhaltensweisen oder Maßnahmen begünstigt werden können, die zu rassistischem Polizeihandeln führen. Am meisten erforscht sind diskriminierende Handlungspraktiken am Beispiel des "Racial Profiling" beziehungsweise "Ethnic Profiling". Gemeint ist in beiden Fällen meist die Ungleichbehandlung einer Person oder Personengruppe durch die Polizei, indem ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Verdacht das äußere Erscheinungsbild – etwa die Hautfarbe oder andere Merkmale, die einer bestimmten ethnischen Herkunft zugeschrieben werden – als Entscheidungsgrundlage für die Kontrolle herangezogen wird. Neben Polizeikontrollen werden unter anderem Überwachungen, Befragungen, Festnahmen, Razzien, Rasterfahndungen und die Anwendung polizeilichen Zwangs als "Ethnic Profiling" oder "Racial Profiling" bezeichnet, sofern diese Maßnahmen aufgrund rassifizierender oder ethnisierender Merkmale erfolgen.
Seit den späten 1960er Jahren versuchen Wissenschaftler*innen, ungleiche Praktiken der Polizei zu identifizieren. Zahlreiche Studien, insbesondere aus dem angloamerikanischen Raum, gehen vor diesem Hintergrund der Frage diskriminierender Kontrollmaßnahmen durch die Polizei nach und belegen, dass Angehörige ethnischer Minderheiten überproportional häufig von Polizeikontrollen betroffen sind.
Auf Basis einer Analyse von Polizeidaten in Großbritannien zeigt sich, dass es für Schwarze im Vergleich zu Weißen eine sechs Mal höhere Wahrscheinlichkeit gibt, von der Polizei kontrolliert zu werden.
Auch Studien, die das Handeln von Polizist*innen in Deutschland untersuchten, deuten auf diskriminierende Praktiken hin. In einer Studie zum Umgang der Polizei mit ethnischen Minderheiten und sogenannten sozialen Randgruppen in Duisburg-Marxloh wurde zum Beispiel festgestellt, dass diese, vor allem schwarze Männer, häufiger von der Polizei kontrolliert und geduzt wurden als andere Personengruppen.
Im Rahmen einer Beobachtung des polizeilichen Einsatzdienstes in zwei westdeutschen Großstädten konnte 2010 zudem festgestellt werden, dass die Generierung von Verdachtsmomenten in erster Linie im Kontext von ortsbezogenen Raumabstraktionen und subkultur- beziehungsweise milieuorientierten Zuschreibungsprozessen stattfindet. Es konnte zwar keine überproportionale Kontrolle von Angehörigen ethnischer Minderheiten beobachtet werden. Allerdings ließ sich eine sozialraumorientierte Polizeipraxis feststellen, die unter anderem eine Ungleichbehandlung von als Personen mit Migrationshintergrund gelesenen Menschen in von der Polizei als problematisch wahrgenommenen Stadtteilen zur Folge hatte.
Eine raumgebundene Verdachtskonstruktion wird weiterhin für sogenannte Gefahrengebiete oder "besondere Kontrollorte" vermutet, die von der Polizei aufgrund der durch sie registrierten Kriminalitätsbelastung definiert werden können, und in denen ohne konkretes Verdachtsmerkmal kontrolliert werden darf. Es wird angenommen, dass sich an den entsprechenden Orten nicht nur rassifizierte Menschen vermehrt aufhalten,
Schließlich besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass weitere Ungleichheitsdimensionen wie "Geschlecht", "Sexualität", "sozioökonomischer Status" und "Lebensalter" mit diskriminierenden Polizeipraktiken in Verbindung stehen und bei der Verdachtskonstruktion mit rassifizierten oder ethnisierten Merkmalen verschränkt sein können. Ein noch laufendes Forschungsprojekt, das sich mit der Frage beschäftigt, wie die Polizei für sie problematische städtische Räume definiert, deutet zudem auf die Verknüpfung der sozialen Strukturmerkmale "Ethnie", "Geschlecht" und "Klasse" mit der polizeilichen Konstitution von "Raum" hin.
Sichtweisen der Betroffenen
Eine Befragung Ende der 1990er Jahre kam zu dem Ergebnis, dass sich rund 34 Prozent der befragten Jugendlichen türkischer Herkunft häufig beziehungsweise sehr häufig durch Polizist*innen ungerecht behandelt fühlten.
Ausblick
Der hier aufgezeigte Forschungsstand zeigt, dass Rassismus innerhalb der Polizei existiert. Allerdings weisen die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Deutschland große Lücken hinsichtlich der Ausprägung und Verbreitung von diskriminierenden Einstellungen und Handlungspraktiken auf, was auch an den erschwerten Forschungszugängen und der mangelnden beziehungsweise nicht zugänglichen Informationsbasis liegt. Weiterhin beleuchten die verschiedenen Studien nur regionale Ausschnitte und einzelne Arbeitsbereiche des polizeilichen Alltags. Es zeigen sich immense Forschungsbedarfe, die sowohl die Perspektiven von Betroffenen als auch die polizeilichen Handlungspraktiken vor allem in weitgehend unerforschten Arbeitsbereichen der Polizei wie den Ermittlungen, Überwachungen und Vernehmungen in den Blick nehmen.
Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die weitgehende Abschottung seitens der Polizei gegenüber diesem Thema und die kategorische Weigerung der Anerkennung durch Politiker*innen, dass strukturelle Gegebenheiten diskriminierende Wirkung entfalten können. So wird bei der Frage, inwiefern extremistische Strukturen in Sicherheitsbehörden wie der Polizei vorhanden sind, wiederholt auf "Einzelfälle" verwiesen. Bei der Frage nach rassistischen Handlungspraktiken werden Forschungen zudem vom Bundesinnenministerium mit der nicht schlüssigen Argumentation, dass "Racial Profiling" ja ohnehin verboten sei und deshalb nicht vorkomme, für nicht notwendig erachtet.