Finnland ist dabei, als erstes Land der Welt sein Atommüll-Problem zu lösen. Das Endlager für abgebrannte Brennelemente mit der Bezeichnung "Onkalo" soll gegen Mitte der 2020er Jahre den Betrieb aufnehmen. Man rechnet in Finnland also damit, den ewigen Rivalen Schweden hinter sich zu lassen, dessen identisch konzipiertes Endlagerprojekt noch die Zulassung der Regierung benötigt, sowie die nukleare Supermacht Frankreich, die eine Endlagerung ab Anfang der 2030er Jahre plant. Regelmäßig wird das finnische Projekt als vorbildlich bezeichnet. Es gilt als Best-practice-Beispiel für ein demokratisches, konsensorientiertes und partizipatives Verfahren und für eine schlüssige Langzeitplanung.
Von Exporten und Wiederaufarbeitung zu einer "nationalen Lösung"
Das Endlagerprojekt Onkalo lässt sich bis in die späten 1970er Jahre und frühen 1980er Jahre zurückverfolgen, als die vier finnischen Atomreaktoren ans Netz gingen. In einem Balanceakt zwischen Ost und West wurden damals zwei Reaktoren aus der Sowjetunion und zwei aus Schweden bestellt. Die staatliche Gesellschaft IVO – heute "Fortum" genannt und noch zu 51 Prozent in staatlicher Hand – orderte die sowjetischen Druckwasserreaktoren für den Standort Loviisa an der Ostküste; indessen bestellte die private TVO zwei schwedische Siedewasserreaktoren für den Standort Olkiluoto, eine Insel auf dem Gebiet der Gemeinde Eurajoki.
In den 1970er Jahren priorisierte die Regierung die Wiederaufarbeitung verbrauchten Brennstoffs. Gemäß einem finnisch-sowjetischen Abkommen von 1969 brachte IVO verbrauchten Brennstoff zur Wiederaufarbeitung in die Sowjetunion. Im Jahr 1978 verpflichtete die Regierung die Betreiber, einen Plan für den künftigen Umgang mit verbrauchtem Brennstoff zu entwickeln, und formulierte 1983 schließlich in einer bahnbrechenden Grundsatzentscheidung die Strategie und den Zeitplan eines nuklearen Abfallmanagements für die kommenden Jahrzehnte. Die Ausfuhr des nuklearen Abfalls zur Wiederaufarbeitung und Lagerung im Ausland hatte weiterhin Priorität, doch die Strategie verpflichtete zugleich die Betreiber IVO und TVO, sich für den Fall, dass dies irgendwann notwendig sein sollte, auch auf eine Endlagerung in Finnland vorzubereiten.
Während IVO weiterhin ihren Atommüll in die UdSSR exportierte, begann TVO, nach einem geeigneten Standort für ein Endlager zu suchen. Von der Wiederaufarbeitung hatte das Unternehmen in der Zwischenzeit vor allem aus wirtschaftlichen Gründen Abstand genommen. Der Betreiber wollte zunächst landesweit nach dem geologisch "besten" Standort suchen. Doch schon bald wurde TVO pragmatischer: Im Jahr 1986 trat das Unternehmen an 66 möglicherweise geeignete Gemeinden heran, um ein Gefühl für die lokale Akzeptanz zu entwickeln. Ein Jahr später kam auch die Gemeinde Eurajoki auf die Kandidatenliste, ohne zuvor an dem systematischen Auswahl- und Ausschlussverfahren teilgenommen zu haben. TVO erklärte dies vor allem mit der Möglichkeit, durch die Nähe zu den zwei Reaktoren in Olkiluoto die Atommülltransporte zu minimieren. Nun begann in fünf Gemeinden die vorläufige Standortbeschreibung. Das rief vor Ort Widerstände hervor, woraufhin das Unternehmen seinen Beziehungen zu den Betroffenen mehr Aufmerksamkeit widmete.
Im Jahr 1994 beschleunigten zwei wichtige Gesetzesreformen die Planung des Endlagers für abgebrannte Brennelemente. Ein neues Gesetz verbot die Ein- und Ausfuhr nuklearer Abfälle, sodass IVO keine abgebrannten Brennelemente mehr nach Russland exportieren konnte. Ein weiteres Gesetz schrieb im Rahmen der Planung zwingend eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor. Die beiden Betreiber reagierten darauf, indem sie 1995 für die Umsetzung des Endlagerprojekts gemeinsam das Entsorgungsunternehmen Posiva gründeten.
Durch den Widerstand an den fünf potenziellen Standorten hatte TVO in den 1980er Jahren gelernt, mit lokalen Interessengruppen umzugehen. Das sollte noch von Nutzen sein, als das anstand, was in der Branche als "Umweltverträglichkeitsprüfung des Jahrhunderts" bezeichnet wurde: ein nach damaligen Maßstäben unerhört partizipativer und ehrgeiziger Konsultationsprozess, der von 1997 bis 1999 dauerte.
Der Erfolg stellte sich für Posiva und TVO im Jahr 2000 ein, als der Gemeinderat von Eurajoki mit 20 gegen sieben Stimmen die historische Entscheidung traf, ein Endlagerprojekt in Olkiluoto zu unterstützen. Nachdem auch die finnische Behörde für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit STUK ihre Zustimmung gegeben hatte, konnte das Parlament die Grundsatzentscheidung der Regierung vom Mai 2001 problemlos bestätigen – 159 Abgeordnete stimmten zu, und nur drei lehnten die Entscheidung ab. Selbst grüne Abgeordnete gaben trotz der strikten Ablehnung von neuen Atomkraftwerken ihre Zustimmung. Damit war das Projekt zwar noch nicht endgültig genehmigt, doch es hatte den Rückhalt des Parlaments und war somit demokratisch legitimiert. Nach dem finnischen Atomgesetz von 1987 soll eine solche Grundsatzentscheidung sicherstellen, dass bei nuklearen Vorhaben auch das gesamtgesellschaftliche Wohl berücksichtigt wird.
Da die Grundsatzentscheidung weithin als Lösung des Abfallproblems und somit als Beseitigung der Achillesferse der Atomindustrie interpretiert wurde, hatten die Parlamentarier damit auch ein wesentliches Hindernis für den Neubau von Kernreaktoren aus dem Weg geräumt.
Makellose nationale Lösung?
Das beinahe reibungslose Fortschreiten des Onkalo-Projekts steht in starkem Widerspruch zu dem Debakel um Olkiluoto 3. Im Jahr 2004 begann Posiva mit dem Bau einer unterirdischen Forschungsanlage, 2015 erteilte die Regierung die Genehmigung, diese zu einem Endlager auszubauen. Aktuell fehlt nur noch die Betriebsgenehmigung, für die eine Zustimmung der Atombehörde notwendig ist. Technisch ist die geplante Anlage praktisch vollständig an der KBS-3-Methode orientiert, die seit den 1970er Jahren mit der Schwester- und Partnerorganisation von Posiva entwickelt wurde, dem schwedischen Nuklear-Entsorgungsunternehmen SKB: Die abgebrannten Brennelemente sollen hinter künstlichen und geologischen Barrieren in Tunneln in 400 bis 450 Metern Tiefe gelagert werden. Kupferbehälter, Bentonitdichtungen und das Grundgestein Granit sollen verhindern, dass radioaktives Material in die Biosphäre austritt, falls eine der Barrieren versagt.
Gestört wurde der gesamte Vorgang einzig durch einen Streit zwischen den Posiva-Eignern TVO und IVO und dem neuen Konsortium Fennovoima, das beabsichtigt, einen sechsten finnischen Reaktor in Pyhäjoki im Nordwesten Finnlands zu bauen. Die Behörde für nukleare Sicherheit prüft nach wie vor die 2015 erteilte Baugenehmigung. Fennovoima hatte damit gerechnet, abgebrannte Brennelemente in Onkalo entsorgen zu können, das Anfang der 2000er Jahre von der Branche und den Behörden oft als "nationale Lösung" bezeichnet worden war. Dieses harmonische Bild geriet jedoch ins Wanken, als Posiva sich weigerte, in Onkalo Abfälle zu lagern, die nicht von den Eignern IVO und TVO stammen. Auch politischer Druck konnte Posiva nicht umstimmen, allerdings bot das Unternehmen seine Beratungsdienste an, um Fennovoima bei der Standortsuche zu unterstützen.
Wie aber lässt sich das finnische "Wunder" des scheinbar entspannten und nahezu konfliktfreien Fortschreitens des Onkalo-Projekts erklären?
Erklärungen für das "Wunder"
Nuklearbranchen-Insider unterstreichen als wesentliche Erfolgsfaktoren gerne die lange Vorbereitung, die klare Festlegung der Verantwortungsbereiche, den soliden gesetzlichen Rahmen sowie die konsequente Umsetzung von Regierungsentscheidungen.
Auch die politische Umgebung ist stabil. So haben sich verschiedene aufeinander folgende Regierungen zu der Abfallmanagement-Strategie von 1983 bekannt. Außerdem haben Regierungen und parlamentarische Mehrheiten normalerweise auch die Kernkraftprojekte der Versorger unterstützt, die sie als entscheidend für die energieintensive Exportindustrie des Landes – und damit für das nationale Interesse – betrachten. Mit Olkiluoto 3 wird der Anteil der Atomenergie an der Stromversorgung von 30 auf ungefähr 35 Prozent steigen. In Finnland unterstützt ein weitaus größerer Teil der Öffentlichkeit die Kernkraftnutzung als in den meisten anderen europäischen Ländern. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger, rund die Hälfte, sehen in der Atomkraft eine umweltfreundliche Energiequelle.
Die bedeutsamsten Faktoren für den Fortschritt des Projekts stehen im Zusammenhang mit der zentralen Rolle der Standortgemeinden bei der Atommüll-Governance. Angesichts der hoch angesehenen Gemeindeautonomie spielte die Zustimmung des Gemeinderats bei der Debatte und den Entscheidungen auf nationaler Ebene eine große Rolle. Mit ihrem gesetzlich garantierten Vetorecht verfügte die Gemeinde über einen beachtlichen Hebel in den Verhandlungen mit der Industrie vor der Bestätigung der Grundsatzentscheidung. Zugleich konnte Posiva seine Überzeugungsarbeit angesichts der lokalen Autonomie auf einige wenige Entscheidungsträgerinnen und -träger vor Ort fokussieren.
Dass Posiva sich auf die beiden Gemeinden konzentrierte, die bereits Atomstandorte waren, war ausschlaggebend. Im Laufe der Jahre hatte die lokale Gesellschaft eine fast symbiotische Beziehung zur Atomindustrie entwickelt – die Einwohnerinnen und Einwohner waren sogar stolz, dass sie auch ein Endlager bekommen sollten.
Auch die lokalen Sponsoring-Aktivitäten von TVO und Posiva halfen, vor Ort akzeptiert zu werden. Im sogenannten Vuojoki-Vertrag vermietete die Gemeinde die Villa Vuojoki, ein früheres kommunales Seniorenheim, an Posiva. Im Gegenzug zahlte Posiva nahezu sieben Millionen Euro für den Bau eines neuen Heims. Außerdem gewährten die Unternehmen einen Kredit in Höhe von einer Million Euro für ein neues Eisstadion sowie 150000 Euro für die Wirtschaftsförderung.
Die starke Gemeindeautonomie hat sich auch auf die Entsorgungspraxis von Fennovoima ausgewirkt. Jüngere Forschungen zeigen, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger von Eurajoki keinen Abfall von Fennovoima im Endlager Onkalo möchte.
Ein weiterer Faktor für den Fortschritt des Projekts war der strategische Umgang von Posiva mit Beteiligungsprozessen. Bürgerbeteiligung und Informationszugang sind in Finnland schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts gesetzlich verankert.
An dieser Stelle kommt das hohe Grundvertrauen in der finnischen Gesellschaft ins Spiel, das ebenfalls zum Fortschreiten des Onkalo-Projekts beigetragen hat. Auf nationaler Ebene und in Eurajoki vertrauen erstaunliche 82 Prozent der Bürgerinnen und Bürger den Informationen der Behörde für nukleare Sicherheit STUK.
Dunkle Seiten des Konsenses
Davon abgesehen, dass die finnischen Verhältnisse kontextbedingt sind, hat ein außerordentlich hohes Vertrauen auch eine Schattenseite: Es fehlt an gesundem Misstrauen und bürgerlicher Wachsamkeit – beides Grundpfeiler der liberalen Demokratie. Dem umfassenden Vertrauen gegenüber Fachleuten, Behörden und Industrie steht ein relativ geringes Vertrauen in die Kompetenz von NGOs gegenüber, insbesondere in der Energiepolitik. Eine Tradition der Gegenexpertise, wie es sie in Frankreich und Deutschland gibt, existiert praktisch nicht.
Anders als in Schweden erhalten finnische Gemeinden und NGOs für die Ausübung ihrer Wächterfunktion keine reguläre staatliche Unterstützung. Darüber hinaus hat es seinen Preis, dass der finnische Genehmigungsprozess so unkompliziert und geradlinig ist: Es fehlt die multiperspektivische Prüfung, wie sie etwa in Schweden dadurch zustande kommt, dass sowohl die Umweltbehörden als auch die Behörden für nukleare Sicherheit ihre Zustimmung geben müssen.
Dass es in Finnland an gesundem Misstrauen mangelt, ist auch an der Medienberichterstattung zum Thema erkennbar. Seit den 1980er Jahren verlassen finnische Medien sich immer mehr auf industrielle und staatliche Informationsquellen und zeigen die Tendenz, Debatten über Atomenergie und nukleare Abfälle zu entpolitisieren. Es werden kaum neue Blickwinkel eingenommen oder die politischen Entscheidungen beleuchtet, die den scheinbar technischen Entscheidungen zugrunde liegen. Meist beschreibt die Presse, was offiziell geplant, terminiert und auf technischer Ebene entschieden wird, als seien dies "natürliche", vorhersehbare Schritte in einem gut organisierten Prozess.
Eine vergleichende Studie zur Presseberichterstattung über Atommüll-Endlagerung zeigt, dass "Helsingin Sanomat" – die führende finnische Tageszeitung – eher dazu neigt, den Einschätzungen von Regierung und Industrie zu folgen, während in Frankreich "Le Monde" die Funktion der unabhängigen Wächterin und Kritikerin übernimmt. Die finnische Zeitung betonte das hohe Vertrauen in das Endlagerprojekt Onkalo, während "Le Monde" mit Blick auf das französische Endlagerprojekt die vielen Ungewissheiten hervorhob, die etwa durch das gestörte Vertrauen zwischen den beteiligten Interessengruppen entstanden waren.
Das hohe Grundvertrauen in Finnland kann aber allenfalls nur ein Teil einer Erklärung dafür sein, da auch ähnlich große Unterschiede zur Berichterstattung zur Endlagerfrage in Schweden festzustellen sind, wo das allgemeine Vertrauen ähnlich stark ausgeprägt ist: Führende schwedische Zeitungen zeigen sich offener gegenüber unabhängigen Fachleuten und NGOs.
Nicht zuletzt ist das Arrangement zum Umgang mit dem Atommüll in Finnland von Entpolitisierung geprägt – Entscheidungen und Kontrolle werden den hoch angesehenen staatlichen Institutionen überlassen.
Bemerkenswert ist, dass in jüngster Zeit sogar führende Vertreterinnen und Vertreter der finnischen Nuklearwirtschaft mögliche Nachteile dieses Mangels an Kritik ansprechen.