Einleitung
Das Bundesverfassungsgericht betonte in seinem vierten Rundfunkurteil von 1986 den inhaltlichen Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Demnach werden von ihnen die ungekürzte Darstellung der Meinungsvielfalt und ein inhaltlich umfassendes Programmangebot verlangt.
Dennoch ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer wieder umstritten: Es werden ihm zu hohe Kosten, politische Beeinflussbarkeit bis hin zur Abhängigkeit vom politischen System, mangelnde gesellschaftliche Rückbindung, Programmkonvergenz mit den privaten Anbietern und unklare Aufgabendefinition vorgeworfen.
Öffentlichkeit als Prinzip der Aufklärung
Um die eingangs gestellten Fragen beantworten zu können, müssen wir uns zunächst dem Begriff "Öffentlichkeit" zuwenden, denn fast alle Funktionen, die heute den Massenmedien in normativer und demokratietheoretischer Hinsicht zugerechnet werden, entstammen letztlich dem Öffentlichkeitsideal der Aufklärung.
Diesem demokratischen Idealbild nach hat "Öffentlichkeit" noch eine weitere Funktion: Hier treffen sich die Bürger, aber auch Regierende, zum Austausch von Meinungen und um über politisch relevante Themen und Fragen zu diskutieren und Entscheidungen zu fällen. Hier wird die "öffentliche Meinung" gebildet, nach der dann im Folgenden politisch gehandelt wird, bzw. die politisches Handeln und Machtausübung kontrollieren und korrigieren soll.
Das aufklärungsliberale Öffentlichkeitsverständnis wirkt bis heute fort und bestimmt wesentliche Grundentscheidungen des demokratischen Rechtsstaates. Nur dadurch, dass Verfahren und Akte der staatlichen Gewalt öffentlich verhandelt und diskutiert werden, kann politische Legitimität und Legitimation erzeugt und verbindliche Geltung für politisches Handeln geschaffen werden. Hierbei spielen die Massenmedien mit ihrer umfassenden Reichweite eine entscheidende Rolle: Die massenmedial hergestellte Öffentlichkeit ist der dominante Kommunikationsraum moderner Gesellschaften. Die modernen Medien verstetigen die öffentlichen Auseinandersetzungen und Diskurse und machen sie den Bürgern zugänglich.
"Neuer" Strukturwandel der Öffentlichkeit
Als Reaktion auf die wirtschaftlichen Rezessionsphasen der ausgehenden 1960er und vor allem der 1970er Jahre setzten sich Anfang der 1980er Jahre neoliberale, aus dem angelsächsischen und US-amerikanischen Bereich stammende (wirtschafts)politische Steuerungsmodelle auch in Deutschland immer mehr durch. Die Zauberwörter, die den wirtschaftlichen Aufschwung bringen sollten, lauteten Deregulierung, Autonomie, Eigenverantwortlichkeit und insbesondere Privatisierung.
Diese Vorstellungen wurden auch auf das Rundfunkwesen übertragen: Die am 1. Januar 1984 eingeläutete Dualisierung des Rundfunksystems, also die Zulassung privatrechtlichen Rundfunks, beschleunigte eine Entwicklung, die in Anlehnung an Jürgen Habermas häufig mit dem Begriff "zweiter" oder "neuer" Strukturwandel der Öffentlichkeit umschrieben wird. Selbiger führte zu tief greifenden Änderungen in der gesellschaftlichen und politischen Kommunikation und veränderte somit auch "die demokratische Entscheidungsfindung, die Steuerung und Legitimation moderner Gesellschaften grundlegend".
Die verstärkte Orientierung an Werbemarkt- und Publikumsinteressen gegenüber "kulturellen Faktoren und den Vermittlungsinteressen gesellschaftlicher Organisationen und politischer Akteure" wirkt sich zwangsläufig auf das inhaltliche Angebot der Medien aus.
Leistungsfunktionen von Massenmedien
Gerade vor dem Hintergrund dieser Veränderungen im Mediensektor ist es für eine funktionierende politische Öffentlichkeit in einer Demokratie entscheidend, sich erneut vor Augen zu führen, welche Leistungsanforderungen Medien im Allgemeinen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Besonderen zu erfüllen haben. Nur vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, Medien unter den allgemeinen Schutzbereich des Art. 5 GG zu stellen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine privilegierte Stellung zu sichern. Aus den geschilderten Prinzipien der Öffentlichkeit in der Moderne ergeben sich für die Massenmedien folgende Leistungsfunktionen: - Forumsfunktion: Medienvermittelte öffentliche Kommunikation muss eine Plattform für den offenen Meinungsaustausch verschiedener gesellschaftlicher und politischer Akteure sein. Medien vermitteln so den Entdeckungszusammenhang und Problemhorizont einer Gesellschaft. Sie stellen Informationen zur Verfügung und machen politische und gesellschaftliche Prozesse transparent, um so die Meinungs- und Willensbildung der Bevölkerung zu ermöglichen. Medienvermittelte öffentliche Kommunikation sorgt damit, abgestützt auf die elementaren Grundrechte der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, für eine begründete Rationalitätserwartung gegenüber Problemauswahl und -bearbeitungsprozessen. - Legitimations- und Kontrollfunktion: Die massenmediale öffentliche Kommunikation sichert die Kontrolle und die Legitimation politischer Macht. Massenmedien sind sowohl Kontrolleur von Machtausübung, in dem sie politisches Handeln transparent und damit öffentlich machen. Sie sind aber auch Forum für die politischen Akteure, die hier ihr Handeln begründen und damit legitimieren müssen. - Integrationsfunktion: Massenmediale öffentliche Kommunikation ist der Hauptzugang zur Gesellschaft für ihre Mitglieder. Ganz überwiegend hier können sich die Bürger als Mitglied eines gemeinsamen Kollektivs selbst wahrnehmen. Durch die Bereitstellung einer entsprechenden Informationsbasis können die Bürger an der Gesellschaft als aktive Mitglieder partizipieren.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist durch seine herausgehobene Stellung im besonderen Maße zur Erfüllung dieser Aufgaben verpflichtet. Nur solange diese Aufgaben durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirksam gesichert sind, ist es gerechtfertigt, am Gebührenprivileg festzuhalten und an den Privatfunk weniger hohe Anforderungen zu stellen.
TV-Angebot
Udo Michael Krüger und Thomas Zapf-Schramm haben für die Jahre 2004 und 2006 die Vollprogramme von ARD und ZDF, sowie RTL, Sat.1 und Pro Sieben untersucht.
Dieses Bild ist noch eindeutiger, wenn man das Gesamtprogramm der öffentlichen-rechtlichen Anbieter einschließlich der Regionalprogramme (Dritte Programme) und der politischen und kulturellen Spartensender (Phoenix, 3sat, ARTE) mit dem privaten Gesamtangebot vergleicht.
Fernsehnutzung
Generell werden die angebotenen Informationssendungen weiterhin viel gesehen. Es konnte hier sogar - bei stagnierender Fernsehnutzung insgesamt - eine leichte Steigerung festgestellt werden. Die durchschnittliche Nutzung öffentlich-rechtlicher Informationsangebote stieg von 2002 zu 2005 um zwei Minuten auf 43 Minuten täglich. Auch die Nutzung privater Angebote stieg an, von 18 auf 23 Minuten täglich.
Der Frage, welche politischen Informationssendungen von den Rezipienten bevorzugt werden, bin ich mit Linards Udris in einer gemeinsamen Studie nachgegangen.
Im Ergebnis zeigt sich, dass im "Hard News"-Bereich ausschließlich Sendungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu finden waren (z.B. "Tagesschau" oder "Plusminus"). Erst im Bereich "Vermischtes" tauchen Informationssendungen der privaten Veranstalter auf (z.B. "RTL-Nachtjournal" oder "Spiegel-TV"), wobei dieser Bereich noch von den Öffentlich-Rechtlichen dominiert wird. Im "Soft-News"-Bereich sind nur Sendungen privater Veranstalter zu finden (z.B. "Akte 04").
Erfüllt das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine Funktionen?
Hinsichtlich der Forumsfunktion ist das Gesamtangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, insbesondere unter Berücksichtigung der Programminhalte der Dritten Programme und Spartensender, durch die selbst auferlegte Verpflichtung zur Binnenpluralität eine Plattform für verschiedene politische und gesellschaftliche Akteure, die im Fernsehbereich sonst kaum Berücksichtigung finden (z.B. Landes- und Kommunalpolitik, Auslandsberichterstattung). Allerdings ist in diesem Zusammenhang die relativ starke Konzentration auf politisch prominente Akteure, Regierungsmitglieder sowie Institutionen in den öffentlich-rechtlichen Vollprogrammen zu beachten. In diesem Bereich geben die privaten Sender nicht-etablierten und nicht-staatlichen Akteuren mehr Raum und leisten hier einen Beitrag, um die von der Forumsfunktion geforderte Plattform für Meinungsäußerungen und damit Meinungsvielfalt sicherzustellen.
Legitimation politischer Macht ist nur möglich, wenn politische Macht thematisiert und gesellschaftlich diskutiert wird. Diese Legitimationsfunktion sichern überwiegend die öffentlich-rechtlichen Anbieter. Sie berichten über politische, institutionelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse und Vorgänge. Auch hier haben die Privaten eine ergänzende Funktion, da sie in verstärktem Maße in Form von Skandalisierungen das politische und wirtschaftliche System überwachen. Diese Art von Kontrolle zeitigt aber durchaus auch dysfunktionale Effekte, da diese Skandalisierungen sehr häufig Verkaufskalkülen unterliegen und stark moralisierender und emotionalisierender Art sind.
Was die Integrationsfunktion angeht, hat der Blick auf die Angebotsstruktur der öffentlich-rechtlichen und der privaten Anbieter im TV-Bereich gezeigt, dass die öffentlich-rechtlichen Programme im Hinblick auf die Information über Politik, Wirtschaft, aber auch Wissenschaft und Kultur führend sind. Sie sind es, die in diesen Bereichen ganz überwiegend die anschlussfähigen Kommunikationsangebote zur Verfügung stellen. Im Sinne der Anforderungen an eine funktionierende politisch-gesellschaftliche Öffentlichkeit leistet der öffentlich-rechtliche Rundfunk somit einen wichtigen Beitrag. Er bleibt daher ein "unverzichtbarer Dienstleister an der Demokratie".
Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen über die Zukunft des Rundfunks im Online-Zeitalter ist fraglich, ob dies auch für die Zukunft gilt oder ob die privilegierte Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unnötig wird. Es soll daher abschließend ein kurzer Ausblick auf die unmittelbare Zukunft des Rundfunksektors und der sich verändernden Rahmenbedingungen gewagt werden.
Ausblick
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts heißen die Schlagwörter im Rundfunkbereich Digitalisierung und (technische) Konvergenz. In Folge der Digitalisierung wird die Zahl der Programme, Texte und Titel noch stärker steigen, das Programmangebot wird sich deutlich weiter ausdifferenzieren.
Es ist heute noch nicht abzuschätzen, wie die neuen Angebote im Einzelnen genutzt und welche Bedeutung sie haben werden. Zwei Dinge scheinen allerdings klar: Erstens werden die TV-Vollprogramme mittelfristig nicht wesentlich an Bedeutung verlieren, wie verschiedene Studien belegen
Zweitens ist zu bezweifeln, ob die Notwendigkeit der Sicherung von Meinungsvielfalt durch die erwartete Vervielfachung der Programme (sei es als Satellitenempfang oder im Internet) tatsächlich relativiert wird, wie teilweise etwas leichtfertig behauptet wird.