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Das Bild von Politik: Vom Verschwinden des entscheidenden Moments | Bilder | bpb.de

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Das Bild von Politik: Vom Verschwinden des entscheidenden Moments

Elke Grittmann

/ 14 Minuten zu lesen

Das politische Bild hat an Bedeutung gewonnen. Die Strukturen und kulturellen Vorstellungen sind in einem Wandel begriffen, der das Bild von Politik radikal verändert: Emotionalisierung, Inszenierung und Digitalisierung sind die Stichworte.

Einleitung

Wenn im Laufe des Jahres 2009 Sondersendungen und Sonderausgaben der Medien zum 60. Jahrestag der Bundesrepublik erscheinen, wird vermutlich auch eine Fotografie immer wieder auftauchen, die den Beginn der jungen Republik auf dem Weg zur Souveränität symbolisiert. Am 15. September 1949 hatte der erste Deutsche Bundestag Konrad Adenauer zum Bundeskanzler gewählt. Als am 21. September 1949 das Besatzungsstatut in Kraft trat, stattete Adenauer den Vertretern der drei Besatzungsmächte - der Alliierten Hohen Kommission - seinen Antrittsbesuch ab. Die drei Hochkommissare, Brian Robertson, André François-Poncet und John J. McCloy, empfingen ihn, seinen persönlichen Referenten und einige Minister in ihrem Dienstsitz auf dem Petersberg bei Bonn. Im Empfangsraum war ein Teppich ausgerollt, auf dem die Hochkommisaare standen. Angeblich war vorab festgelegt worden, dass Adenauer den Teppich während der geplanten Ansprache nicht betreten sollte. Er tat dies dennoch.


Aus diesem zunächst lapidar erscheinenden Schritt hat sich bis heute eine jener "symbolgeladenen Erzählungen" entwickelt, die sich in den Gründungsmythos der Bundesrepublik einflechten. Adenauers Schritt stellte nach seiner Darstellung eine Herausforderung an die Hohe Kommission dar, der Bundeskanzler brachte damit seine politischen Ziele zum Ausdruck: im engen Sinn den Anspruch auf eine Begegnung Gleichberechtigter, im weiteren der Wunsch nach Wiedererlangung der Souveränität Deutschlands. Der heute als politisch bedeutsam eingestufte Akt Adenauers fand nur vor den Augen ausgewählter Personen statt. Die Entwicklung zu einem der Gründungsmythen der Republik ist auch darauf zurückzuführen, dass noch ein weiteres Auge anwesend war: ein Fotograf, der den "entscheidenden Moment" im Bild festhielt und somit für die Nachwelt dokumentierte. Auch in Adenauers autobiografischen Erinnerungen dient die Aufnahme als Beleg für politische Initiative und einen kühnen Schritt.

Politische Begegnungen mit Repräsentanten anderer Staaten gehören heute zum diplomatischen Alltag. Seit 1955 war die Bundesrepublik ein souveräner Staat. Mit Inkrafttreten des Zwei-Plus-Vier-Vertrags im März 1991 hat das wiedervereinigte Deutschland die volle Staatssouveränität erreicht. Im Gegensatz zu Adenauers mühsamem Schritt ist die politische Darstellung heute professionell durchorganisiert. Nicht nur die politischen Inhalte werden arrangiert und geplant, sondern auch die so genannten "Photo Opportunities": Das beginnt bei der Auswahl des Ortes und des Hintergrundes inklusive Schönwetter- und Schlechtwettervariante, geht über die Akkreditierungen der Fotojournalisten, die Platzierung der Fotografierten und der Fotografierenden und reicht bis hin zur Beleuchtung.

Das politische Begegnungsbild gehört auch international zum Bildrepertoire, um die Gleichberechtigung souveräner Staaten zu symbolisieren. In modernen Demokratien wie der Bundesrepublik ist es der Journalismus, der Politik beobachtet und mit seinen politischen Bildern in der Presse, den journalistischen Online-Angeboten und in Informationssendungen des Fernsehens, öffentliche Einblicke in das politische Geschehen bietet. Die scheinbar simple und unmittelbare Abbildungsleistung des Mediums hat dazu geführt, dass die Bedeutung der Pressefotografie für die politische Öffentlichkeit lange ignoriert worden ist. Mit der Visualisierungswelle der Presse seit Beginn der 1990er Jahre und des Internets auf der einen Seite und den immer professionelleren Inszenierungsformen politischer Akteure auf der anderen hat die Frage nach der Funktion politischer Bilder und ihrer medialen Logik in der Öffentlichkeit neue Relevanz erhalten.

Die Diskussion entspann sich jedoch vor allem im Kontext der Frage, ob inzwischen Darstellungs- und Herstellungspolitik völlig auseinanderfielen und Deutschland auf dem Weg in die Mediokratie sei. Sie speist sich vor allem aus der Visualität diagnostizierter Symptome: symbolische Schein-, Image- und Eventpolitik. In der Debatte wird jedoch die weitaus grundlegendere Frage aus dem Auge verloren: warum welches politische Angebot wie überhaupt öffentlich sichtbar wird. Pressefotografie lebt vom Realitätsbezug, der sie zunächst jeglichen tieferen Gehalts unverdächtig erscheinen lässt. Journalistische Fotos sind jedoch stets auch Deutung dessen, was sie zu zeigen vorgeben. Daraus ergibt sich nicht nur die Frage nach den Bedingungen und Mechanismen dieser Konstruktion. Für eine demokratische Öffentlichkeit ist weitaus entscheidender, welches Realitätsversprechen und welche kulturelle (Be-)Deutung von Politik uns diese Konstruktion bietet.

Jetzt, da die politische Pressefotografie verstärkt in den wissenschaftlichen wie öffentlichen Blick gerät und so viele Bilder wie nie zuvor produziert werden, befindet sie sich jedoch in einem Wandel, der vor allem auf den zunehmenden ökonomischen Druck, auf die Mediatisierung von Politik und die mit der Digitalisierung verbundenen Folgen zurückzuführen ist. Mehrere Indikatoren weisen darauf hin, dass sich das politische Bild grundlegend wandelt.

Bedingungen und Mechanismen politischer Bildproduktion

Die bildgerechte Inszenierung politischen Handelns wie sie Adenauer vorgeführt hat, ist keineswegs ein Phänomen der modernen Demokratie. Seit der Antike haben die Vertreter von Staatsmächten ihre Ansprüche und politischen Ideen in visuellen Zeugnissen formuliert bzw. formulieren lassen. Das Bild der Politik ist über Jahrhunderte von Herrschenden als Auftraggeber in Porträts, Historienmalereien, Staatssymbolen etc. geprägt worden. Dem Sturz alter Systeme und der Etablierung neuer folgte stets der Wechsel der Zeichen und Symbole der Herrschaft, wobei häufig alte Motive in ein neues Gewand gekleidet wurden. Die Voraussetzungen politischer Bilder haben sich jedoch in modernen Demokratien grundlegend gewandelt:

1. Mit der Entstehung des modernen Journalismus hat sich seit dem 19. Jahrhundert eine Institution gebildet, die nach 1945 gefordert war, einen demokratisch legitimierten Diskurs innerhalb der Gesellschaft zu gewährleisten. Der Journalismus hat sich zu einem eigenständigen System entwickelt, das die Selbstbeobachtung der Gesellschaft und ihrer Umwelt ermöglicht und nach eigener Selektions- und Darstellungslogik Themen, Akteure und Ereignisse aufgreift und verarbeitet. Die Richtschnur des Journalismus ist die Aktualität: Er liefert neue, faktenbezogene und gesellschaftlich bzw. für die entsprechenden Zielgruppen relevante Informationen. Ein Blick in die Tages- und Wochenpresse, die Onlineangebote der Medien oder in TV-Nachrichtensendungen führt vor Augen, dass Öffentlichkeit nicht nur durch Sprache und Schrift hergestellt wird, sondern inzwischen insbesondere Fotografien eine ebenso entscheidende Rolle spielen. Auch wenn auf internationalen Fotowettbewerben wie den World Press Photo Jahr für Jahr aufs Neue individuelle Leistungen von Fotojournalisten prämiert werden, so sind diese Arbeiten doch gleichzeitig Zeugnis eines professionellen Berufsstandes, der ebenfalls seine eigene mediale Selektions- und Darstellungslogik ausgebildet hat: Strategien des Wirklichkeitsbezuges und der Bildästhetik ebenso wie eine eigene Bildikonografie. Der Fotojournalismus und insbesondere die nachrichtenbezogene Pressefotografie sind Teil des Systems des Journalismus und aus diesem System heraus lässt sich die geradezu entfesselte Produktion politischer Bilder verstehen. Was dabei zum politischen Bild wird, ist nicht ontologisch zu bestimmen; im medialen Kontext kann einer Fotografie auch erst politische Bedeutung zugeschrieben werden. Das wird vor allem dann relevant, wenn nicht politische Akteure, Institutionen oder politische Ereignisse zum Gegenstand der Aufnahme werden, sondern gesellschaftliche Themen, wie beispielsweise die Situation alter Menschen in Pflegeheimen. Diese Politisierung steht in der Tradition der sozialdokumentarischen Fotografie.

2. Nach sechzig Jahren Bilderpolitik in den Medien hat sich in Deutschland eine routinierte Bildberichterstattung von Politik entwickelt, die professionellen Normen und Regeln folgt. Dem Anspruch auf journalistische Objektivität folgt die professionelle politische Pressefotografie mit ihrer permanenten Einforderung der Authentizität. Authentizität ist dabei weder als inhärente Eigenschaft der Fotografie zu betrachten, noch muss der Anspruch darauf durch die neuen digitalen Manipulationsmöglichkeiten aufgegeben werden, welche die digitale Technik eröffnet. Im Gegenteil: Erst durch die Digitalisierung wurde deutlich, dass Pressefotos Konstruktionen darstellen wie andere Bilder auch. Ihr Wirklichkeitsbezug wird nicht durch das Medium, sondern durch Regeln und Konventionen bestimmt, unter welchen Bedingungen ein Bild als Bild der Realität gelten kann. Der Journalismus als gesellschaftliche Institution mit seinem Anspruch auf Glaubwürdigkeit versucht den postulierten Realitätsbezug durch professionelle Praktiken zu gewährleisten. Die vehement geführte Debatte über manipulierte Bilder (fake) in der Qualitätspresse macht den Anspruch auf Authentizität umso deutlicher.

Die Arbeitstechniken finden ihren Ausdruck in einer Bildästhetik, welche die politische Fotografie in der Presse, von den Qualitäts- bis zu den Boulevardzeitungen bis heute prägt:

  • Auf starke Auf- und Untersichten wird weitgehend verzichtet. Die Fiktion des natürlichen Blicks des Betrachters auf Augenhöhe dominiert.

  • Unabhängig vom Inszenierungsgrad der Fotografierten erscheint das Bild von Politik als "unbewachter Augenblick", als sei der Fotografierte unbemerkt beobachtet worden.

  • Unterstützt wird die "Authentizitätsfiktion" durch den weitgehenden Verzicht auf künstliche Beleuchtung.

  • Selbst Kopfporträts werden als flüchtige, spontan aufgenommene Aufnahmen präsentiert.
    3. Der Realitätsbezug der Bilder und ihr Anspruch auf Authentizität haben lange Zeit den Glauben aufrecht erhalten, der Bildgehalt bestünde allein in dem, was die Bilder zeigten. Auch Pressefotos sind jedoch "janusköpfige Phänomene". In der Tradition des Hamburger Kulturwissenschaftlers Aby Warburg unterscheidet Marion G. Müller den Abbild- und Denkbildcharakter von Bildern. Auch in Pressefotografien verdichten sich die Vorstellungen und Ideen einer Zeit, die im "Kreislauf medialer Produktion und Rezeption" zwischen politischen Akteuren, Fotojournalismus und Gesellschaft zirkulieren. Politische Bilder sind gleichermaßen Ausdruck einer eigenen visuellen politischen Kultur, welche die Entwicklungen des politischen Systems reflektiert. Das gilt nicht nur für das einzelne Werk, sondern wird gerade dann deutlich, wenn die Bildberichterstattung systematisch untersucht wird. Nur wenige Arbeiten liegen dazu vor. Zwei eigene empirische Studien zur politischen Bildberichterstattung zeigen, dass sich das Bild von Politik durch ganz spezifische Darstellungsmuster und spezifische Bildtypen auszeichnet.

    Generell lassen sich Porträts, Ereignisfotos und Sachaufnahmen unterscheiden. Politik im Bild, das ist zunächst das Bild der Exekutive, die wie keine andere Gruppe politischer Akteure in zahllosen Einzel- wie Gruppenporträts repräsentiert wird. Politik wird somit personalisiert, zur Angelegenheit einzelner Personen gemacht, die im Kontext der Berichterstattung Prominenz erlangen. Sie erscheinen gern im Habitus der Redenden, Politik wird als Diskurs visualisiert.

    Diese Ausrichtung auf den diskursiven Charakter von Politik setzt sich in den Aufnahmen fort, deren Fokus stärker auf Situationen und Handlungen als zentrales Bildmotiv liegt. Politik vollzieht sich als Rede, als informelles Gespräch, im Treffen und in der offiziellen Runde. Die viel zitierten Shakehands oder An- und Abfahrten stellen unerwarteterweise die Ausnahme unter den Bildmotiven der Tagespresse dar. Ergänzt wird der Diskurs durch Bildtypen, die eindeutig der symbolischen Politik zuzuordnen sind und sich weniger auf offizielle Staatsrepräsentationen, denn auf Legitimationsstrategien von Politikerinnen und Politikern konzentrieren. Zentral in der visuellen Kultur sind jene Aufnahmen, welche die Repräsentanten der Politik als "Mann des Volkes" oder "Frau des Volkes" zeigen, als Menschen von nebenan, die auch auf dem Markt einkaufen, im Urlaub wandern oder mit dem Fahrrad zum Reichstagsgebäude radeln.

    Ebenfalls verbreitet ist der Typus des fürsorglichen Volksvertreters bzw. der Volksvertreterin, die sich um gesellschaftliche Gruppen kümmern, indem sie sie vor Ort besuchen und sich ihnen zuwenden. Zwei spezielle Varianten davon sind der Bildtypus vom "Bad in der Menge", das gleichzeitig als Gradmesser ihre Beliebtheit veranschaulicht, und der bekannte "Glad-to-See-You"-Typus: das Bild der den Bürgerinnen und Bürgern zugewandten und zuwinkenden Politiker. Die Funktion dieser Bilder lässt sich nicht in Bezug auf die "Politikherstellung" erklären. Vielmehr werden hier von Politik wie Journalismus demokratische Vorstellungen von Repräsentanten des Volkes aktualisiert.

    Politik fängt jedoch weder beim politischen System an noch hört sie dort auf - das gilt auch für ihre visuelle Darstellung. Die Bedeutung der Interessenartikulation in Demokratien für die Herstellung allgemeinverbindlicher Entscheidungen schlägt sich vor allem in den Bildmotiven von Demonstrationen und symbolischen Protestaktionen nieder. Doch erst wenn sich gesellschaftliche Interessen öffentlich formieren, werden sie zum Bildthema. Ebenso ist die Herstellung von Ordnung, durch Polizei, Bundeswehr oder Feuerwehr, ein häufig wiederkehrender Bildtypus, der motivisch jedoch vom jeweiligen konkreten Ereignis abhängt (Katastrophen, Unfällen, Attentate). Der Darstellung der politischen Repräsentanten steht der Blick auf die Folgen von Politik gegenüber, die vor allem im Kontext von Kriegen, Konflikten oder politisch motivierten Attentaten, aber auch im Alltag erscheinen. Diese Ikonografie teilen sämtliche Zeitungen, allein in der Gewichtung unterscheiden sich die Medien deutlich voneinander. Politik im Bild ist in Deutschland keineswegs auf den Prozess der Politikformulierung und Entscheidung des engeren politischen Systems beschränkt. Gerade der Blick auf die gesellschaftlichen Interessen und Folgen verdeutlicht, dass die Bürgerinnen und Bürger hier selbst eine zentrale Rolle spielen und sich somit demokratische Vorstellungen von Politik auch im gesamten Bildrepertoire zeigen.

    Viele dieser Bildtypen haben eine lange ikonografische Tradition in der Presse. Doch die Studien haben auch deutliche Hinweise auf Tendenzen gebracht, die auf einen grundlegenden Wandel hinweisen.

    Politische Bildberichterstattung im Wandel



    Emotionalisierung: Zwar konzentriert sich die politische Pressefotografie nach wie vor auf situative Momente im Kontext von Ereignissen. Die Ausschnitte werden - von den Fotografen oder den Redaktionen - jedoch inzwischen auf ein Minimum reduziert. Personen stehen im Vordergrund, der Raumkontext ist - wie bei Porträts - stark reduziert und nur in Ausnahmefällen überhaupt erkennbar. Diese Intimisierung und Reduktion des Handlungskontextes geht mit einer starken Fokussierung auf Emotionen der Fotografierten einher. Inzwischen sind in fast in jedem zweiten Bild der politischen Bildberichterstattung der Qualitätspresse emotionale Mimik und Gebärden zu sehen. Dass heute vermehrt Emotionen anstelle von Handlungszusammenhängen gezeigt werden, hat weitreichende Konsequenzen für die Funktion von Pressefotos. Im Kontext der Berichterstattung dokumentieren diese Bilder weniger den Moment eines Ereignisses, sie repräsentieren dieses nicht mehr. Stattdessen werden Mimik und Gebärde politischer Akteure zu Symbolen für Entwicklungen, wie beispielsweise für den aktuellen Stand im Wahlkampf oder für die Beziehungen zwischen Staaten. Die politische Pressefotografie entwertet sich auf diese Weise selbst. Die Dekontextualisierung macht diese Emotionsfotos jedoch auch anfällig für eine willkürliche Rekontextualisierung im Zeitungszusammenhang. Der entscheidende Moment den die Pressefotografie in ihren Selbstbeschreibungen immer wieder preist, erzählt keine Geschichte mehr, er ist nur noch ein Gefühl.

    Inszenierung: Die Politik hat sich in Bezug auf ihre visuelle Darstellung auf die Selektionsmechanismen und Strategien der Pressefotografie eingestellt. Auch das ist kein grundsätzlich neues Phänomen. Bereits Konrad Adenauer hat sich bewusst als Boccia-Spieler und Rosenzüchter fotografieren lassen. Neu ist jedoch die Professionalität, mit der Politikerinnen und Politiker ihre photo opportunities planen und zu kontrollieren suchen. Sie setzen dabei auf den Pawlowschen Reflex der Fotojournalisten, bei geeigneten Motivhäppchen zuzuschnappen. Die ständige Weiterentwicklung einer demokratisch zu deutenden Ikonografie speist sich daraus, dass die Politik den Bedarf an Bildern kennt (Mediennachfrage) und entsprechende Angebote macht. Die Authentizitätsstrategien des Fotojournalismus laufen dabei Gefahr, zur eigenen Inszenierungsfalle zu werden. Authentisch ist nicht der aufgenommene Moment, sondern lediglich seine Inszenierung. Für die Betrachtenden ist eine Inszenierung, sofern sie im Widerspruch zu ihrem Bedeutungsgehalt steht, nur durch übersteigerte Formen oder durch die Diskrepanz zu den im Text geschilderten Ereignissen zu entlarven. Welche Funktion haben solche Aufnahmen dann noch? Und wie wirken sie sich auf die Glaubwürdigkeit des Fotojournalismus aus?

    Eventisierung statt Recherche: Als Daniel Dayan and Elihu Katz 1992 ihre inzwischen zum Klassiker avancierte Arbeit über Media Events veröffentlichten, bezogen sie sich auf herausragende Ereignisse wie die Landung auf dem Mond, die Olympischen Spiele oder die Krönung der Queen. Wie beispielsweise der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm gezeigt hat, führt der Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit zu kompletten Inszenierungen von Ereignissen durch politische Akteure. Nicht nur die Politik, auch soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen sind inzwischen hochgradig professionalisiert und besonders erfindungsreich in der Entwicklung bildträchtiger Aktionen. Für die Politik ist das als Folge des medialen Drucks beklagt worden. Aus Medienperspektive weisen solche politischen Ereignisse zunächst einen hohen Nachrichtenwert auf (z.B. durch Konflikt, Elite-Personen, Elite-Nationen), politische Bilder ermöglichen einen Einblick. Die Vorteile liegen auch für den Fotojournalismus auf der Hand: Die Planbarkeit ermöglicht den effektiven Einsatz von Mitteln, die gut gewählten Locations bieten attraktive Bildmotive. Die Konsequenzen dieser "Eventisierung" für den Fotojournalismus sind jedoch nicht ganz so offensichtlich: Eine Recherche ist angesichts der fast in Echtzeit verbreiteten Bilder kaum noch möglich und vielen Medien inzwischen im Vergleich zu teuer. Neue, ungewöhnliche Einblicke sind in der tagesaktuellen Berichterstattung über konkrete Ereignisse hinaus nicht zu erwarten.

    Digitalisierung und der Bilderhunger des Internets: Die Digitalisierung hat diese Entwicklung erst ermöglicht. Die digitale Technik durchdringt inzwischen den gesamten fotojournalistischen Arbeitsprozess: von der Aufnahme, über die schnelle Versendung in die Agenturen und Redaktionen bis hin zur direkten Verarbeitung im Ganzseitenlayout an den Bildschirmen der Redakteurinnen und Redakteure. Das hat nicht nur zu einer Beschleunigung in der politischen Pressefotografie geführt - Bilder stehen nunmehr gering zeitverzögert nach ihrer Aufnahme auch den Redaktionen zur Verfügung -, sondern auch zur Vervielfachung der Bildproduktion. Immer mehr Bilder können in immer kürzerer Zeit aufgenommen, verschickt und verarbeitet werden.

    Der Einzug von Amateurfotos in die Berichterstattung ist als neue Partizipationsform der Rezipienten auch erst durch den technischen Fortschritt möglich.

    Die rasante Entwicklung des Internets mit seinem unersättlichen Hunger nach Bildern bietet dabei eine neue Plattform. Hier können Bilder gleich in ganzen Serien abgerufen werden, um für möglichst viele page impressions der Anbieter zu sorgen. Die Aufnahme des "entscheidenden Augenblicks", die stets auch auf der Professionalität der Fotografierenden basiert, verliert an Bedeutung. Der Auswahlprozess verlagert sich zunehmend in die Redaktionen. Gleichzeitig ermöglicht die digitale Technik einen globalen Austausch der Bilder und die Entwicklung einer global vermarktbaren Bildsprache. Welche Folgen dies für die bislang gewohnten Darstellungskonventionen und Inhalte politischer Bilder und damit unsere politische Bildkultur hat, lässt sich derzeit noch nicht absehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Konrad Adenauer, Erinnerungen, 1954 - 1953, Stuttgart 1965, S. 233f., Foto S. 240.

  2. Andreas Dörner/Ludgera Vogt, Der Wahlkampf als Ritual. Zur Inszenierung der Demokratie in der Multioptionsgesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), (2002) 15 - 16, S. 15 - 22, hier: S. 18.

  3. Den Begriff hat der Fotograf Henri Cartier-Bresson geprägt. Vgl. Henri Cartier-Bresson, Der entscheidende Augenblick. 1952, in: Wolfgang Kemp (Hrsg.), Theorie der Fotografie. Bd. 3: 1945 - 1980, München 1983, S. 78 - 81.

  4. Vgl. K. Adenauer (Anm. 1).

  5. Vgl. Thomas Meyer, Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien, Frankfurt./M. 2001.

  6. Vgl. ebd.

  7. Vgl. zum Beispiel Thomas Knieper/Marion G. Müller (Hrsg.), Visuelle Wahlkampfkommunikation, Köln 2004; Benjamin Drechsel, Politik im Bild, Frankfurt/M.-New York 2005; Christina Holtz-Bacha/Thomas Koch, Das Auge wählt mit. Bildberichterstattung über Angela Merkel, in: Christina Holtz-Bacha (Hrsg.), Frauen, Politik und Medien, Wiesbaden 2008, S. 104 - 121.

  8. Allein die Nachrichtenagenturen haben ihr Bildangebot von 1998 bis 2005 versechsfacht. Vgl. Jürgen Wilke, Nachrichtenagenturen als Bildanbieter, in: Elke Grittmann/Irene Neverla/Ilona Ammann (Hrsg), Global, lokal, digital - Fotojournalismus heute, Köln 2008, S. 36 - 50, hier: S. 74f.

  9. Vgl. Bernd Blöbaum, Organisationen, Programme und Rollen. Die Struktur des Journalismus, in: Martin Löffelholz (Hrsg.), Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch, Wiesbaden 20042, S. 201 - 216.

  10. Vgl. Armin Scholl/Siegfried Weischenberg, Journalismus in der Gesellschaft. Theorie, Methodologie und Empirie, Wiesbaden 1998, S. 78.

  11. Vgl. Elke Grittmann, Das politische Bild. Fotojournalismus und Pressefotografie in Theorie und Empirie, Köln 2007.

  12. Zur ausführlichen Erörterung und Definition vgl. B. Drechsel (Anm. 7), S. 74ff.

  13. Vgl. Alfred Büllesbach, Digitale Bildmanipulation und Ethik. Aktuelle Tendenzen im Fotojournalismus, in: E. Grittmann/I. Neverla/I. Ammann (Anm. 8), S. 108 - 136.

  14. Vgl. Karin Becker, Where is Visual Culture in Contemporary Theories of Media and Communication?, in: Nordicom Review, 25 (2004) 1 - 2, S. 149 - 158.

  15. Christian Schicha, Die Inszenierung von Authentizität und Emotionen, in: Thomas Knieper/Marion Müller (Hrsg): Authentizität und Inszenierung von Bilderwelten, Köln 2003, S. 25 - 41.

  16. Zu allgemeinen Konstruktionsprinzipien der Pressefotografie vgl. Dona Schwartz, To Tell the Truth. Codes of Objectivity in Photojournalism, in: Communication, 13 (1992) 2, S. 95 - 109. Vgl. auch E. Grittmann (Anm. 11), S. 351ff.

  17. Marion G. Müller, Grundlagen der visuellen Kommunikation, Konstanz 2003, S. 20.

  18. Vgl. ebd.

  19. Margreth Lünenborg/Elisabeth Klaus, Der Wandel des Medienangebots als Herausforderung an die Journalismusforschung. Plädoyer für eine kulturorientierte Annäherung, in: Medien & Kommunikationswissenschaft, 48 (2000) 2, S. 188 - 211.

  20. Zu Ikonografie und Bildtypus vgl. Erwin Panofsky, Sinn und Deutung in der Bildenden Kunst, Köln 1978.

  21. Berücksichtigt werden hier nur Personen- und Situationsfotos. Sachaufnahmen werden zwar vereinzelt publiziert, hier lässt sich jedoch aufgrund der Vielzahl der Motive keine Ausbildung einer eigenen Ikonografie beobachten. Vgl. E. Grittmann 2007 (Anm. 11), S. 362ff.; dies., Nachrichtenfotografie zwischen Publikumsorientierung und Kostenzwang. Strategien und aktuelle Tendenzen am Beispiel von FAZ und SZ, in: dies,/I. Neverla/I. Ammann (Anm. 8), S. 221 - 237.

  22. Diese Strategie wurde auch im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf identifiziert. Vgl. Marion G. Müller, Visuelle Wahlkampfkommunikation. Eine Typologie der Bildstrategien im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, in: Publizistik, 42 (1997) 2, S. 205 - 228.

  23. Vgl. Carl Glassman/Keith Kenney, Myths & Presidential Campaign Photographs, in: Visual Communication Quarterly, 1 (1994) 1, S. 4 - 7.

  24. Vgl. E. Grittmann (Anm. 10).

  25. Vgl. Daniel Dayan/Elihu Katz, Media Events. The Live Broadcasting of History, Cambridge/MA-London 1992.

  26. Zur Professionalisierung von NGOs vgl. Sigrid Baringhorst, Zur Mediatisierung des politischen Protests. Von der Institutionen- zur "Greenpeace-Demokratie"?, in: Ulrich Sarcinelli (Hrsg.), Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Opladen-Wiesbaden 1998; Dieter Rucht, Medienstrategien sozialer Bewegungen, in: Neue soziale Bewegungen, 16 (2003) 1, S. 7 - 13.

  27. Zur Event-Politik vgl. Th. Meyer (Anm. 5).

Dr. phil., geb. 1966; wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg, Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Fachbereich Sozialwissenschaften, Allende-Platz 1, 20146 Hamburg.
E-Mail: E-Mail Link: elke.grittmann@uni-hamburg.de
Internet: Externer Link: www.wiso.uni-hamburg.de/