Am 1. Juli 2020 übernimmt Deutschland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Zuletzt hatte Deutschland diese halbjährlich zwischen den EU-Mitgliedstaaten rotierende Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2007 inne. Es handelt sich also um eine seltene Gelegenheit für die Bundesregierung, eigene Akzente für die Zukunft Europas zu setzen und die EU für die deutsche Gesellschaft erfahrbarer zu machen. Gleichzeitig übernimmt Deutschland den Vorsitz in einer Krisensituation, denn die durch das neuartige Coronavirus verursachte Covid-19-Pandemie hat Europa fest im Griff. Neben massiven gesundheitlichen und gesundheitspolitischen Auswirkungen trifft sie die europäischen Gesellschaften, Wirtschaften und Finanzsysteme in ihren Grundfesten. Sie hat damit das Potenzial, auch die Zukunft der EU zu prägen.
Der Fokus der deutschen Ratspräsidentschaft ist folglich extern vorgegeben. Eine besondere Herausforderung für eine solche "Corona-Präsidentschaft"
Eine umfassende Einschätzung und Einordnung der bevorstehenden Präsidentschaft erfordert sowohl eine Betrachtung der institutionellen Rahmenbedingungen für ihren Gestaltungsspielraum als auch ihrer Programmatik. Aus aktuellem Anlass sind dabei die Fragen leitend, welche Weichen die deutsche Ratspräsidentschaft in der Corona-Pandemie stellen muss und welche anderen Baustellen dennoch nicht außer Acht gelassen werden dürfen.
Zwischen Normalbetrieb und Krisenmodus
Beim Blick auf die institutionellen Rahmenbedingungen des Ratsvorsitzes fallen drei strukturelle Bedingungen auf, die seinen Gestaltungsspielraum einschränken. Erstens zielen die grundlegenden Funktionen einer Ratspräsidentschaft bereits eher auf vermittelnde, koordinierende, administrative und repräsentative Aufgaben: Die Präsidentschaft vertritt den Rat in Abstimmungen und Verhandlungen mit Kommission und Parlament, beispielsweise im Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Ordinary Legislative Procedure, OLP), und vermittelt zwischen divergierenden mitgliedstaatlichen Positionen mit dem Ziel der Konsensfindung. Sie führt und koordiniert die Ratsgeschäfte und leitet die Sitzungen des Rates sowie seiner vorbereitenden Gremien und Arbeitsgruppen. Gleichzeitig vertritt sie gemeinsam mit Vertretern anderer Institutionen die EU gegenüber Drittstaaten und internationalen Organisationen und nimmt eine öffentlichkeitswirksame Repräsentationsfunktion gegenüber der nationalen Bevölkerung, Medien und politischen Akteuren wahr. Neben der Erfüllung dieser Managementaufgaben kann und sollte der Ratsvorsitz die Gelegenheit nutzen, als "Kür" eigene Schwerpunktthemen und Initiativen in die Verhandlungsprozesse auf EU-Ebene einzubringen und dadurch auf die politische Agenda zu setzen.
Zweitens ist zu beachten, dass der Ratsvorsitz – neben dem ständigen Vorsitz des Europäischen Rates, der Präsidentin der Europäischen Kommission und dem Präsidenten des Europäischen Parlaments – nur eine unter mehreren Präsidentschaften ist. Der deutsche Ratsvorsitz muss seine Agenda und sein Handeln entsprechend in die langfristige strategische Programmatik der EU-Institutionen einbetten. Dabei soll der mit dem Vertrag von Lissabon 2009 eingeführte Dreiervorsitz im Rat helfen: Diese Struktur sieht vor, dass drei Mitgliedstaaten – in diesem Fall Deutschland, Portugal und Slowenien – ihre jeweiligen Präsidentschaften über einen 18-monatigen Zeitraum als gemeinsame Trio-Präsidentschaft koordinieren.
Eine frühzeitige und effiziente inter- und intrainstitutionelle Abstimmung kann den Gestaltungsspielraum des Ratsvorsitzes bei der Platzierung eigener Schwerpunktthemen erhöhen. Hierfür gibt es mehrere Ansatzpunkte. Durch frühzeitige Abstimmung mit der Europäischen Kommission – idealerweise schon mehrere Monate vor Beginn der Ratspräsidentschaft – lassen sich Legislativvorschläge forcieren, die der Ratsvorsitz dann im OLP verhandeln kann. Für den erfolgreichen Abschluss bestimmter Themenbereiche (Dossiers) ist es zudem hilfreich, diese vorab in informellen Dreiertreffen, sogenannten Trilogen, mit Parlament und Kommission zu sondieren. Dafür muss der Ratsvorsitz als Vermittler die 27 mitgliedstaatlichen Positionen in einen Präsidentschaftsvorschlag fusionieren und falls notwendig Verhandlungspakete schnüren. Letzteres ist im politischen Tagesgeschäft weniger relevant, könnte aber in den MFR-Verhandlungen eine Rolle spielen.
Der Gestaltungsspielraum der Ratspräsidentschaft wird drittens durch den krisenbedingten Einflussgewinn des Europäischen Rates (das Gremium der Staats- und Regierungschefs) gegenüber dem Rat der EU (der auf Ministerebene tagt und daher auch "Ministerrat" genannt wird) eingeschränkt. Dies erzeugt regelmäßig Spannungen, denn im Vertrag über die Europäische Union (EUV) ist die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Impulsgeber Europäischer Rat, der allgemeine politische Zielvorstellungen entwickelt, und dem Gesetzgeber und Politikkoordinator Rat der EU eigentlich klar geregelt (Art. 15 und 16 EUV). Der Europäische Rat dehnte seine Impulsgeberfunktion jedoch bereits 2010 während der Krise in der Eurozone substanziell aus und etablierte auf Basis seiner Zuständigkeit für die Festlegung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik (Art. 121 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV) zahlreiche Kriseninstrumente.
Auch in Zeiten der Corona-Pandemie zeichnet sich ab, dass der Europäische Rat in den kommenden Monaten als Krisenmanager mindestens der wirtschaftspolitischen Auswirkungen in Erscheinung treten wird. Der deutschen Ratspräsidentschaft fällt dabei als alles orchestrierende Krisenkoordinatorin eine wichtige Rolle zu. In diesem Zusammenhang spielt auch die Erweiterung der Koordinationsfunktionen der Ratspräsidentschaft durch den relativ neuen Krisenreaktionsmechanismus IPCR (Integrated Political Crisis Response) eine Rolle.
Die durch den Krisenmechanismus gestärkte Koordinatorenrolle des Ratsvorsitzes könnte Deutschland in Verbindung mit seinen langjährigen Verhandlungserfahrungen und administrativen sowie personellen Kapazitäten zu einer Art "Super-Koordinator" der Corona-Krise machen.
Die Prä-Corona Programmatik
Es gibt bestimmte Faktoren, die das Ratspräsidentschaftsprogramm strukturieren. Zunächst wird die strategische Ausrichtung der EU durch den Europäischen Rat vorgegeben. Die Staats- und Regierungschefs haben in ihrer Strategischen Agenda für die Jahre 2019 bis 2024 den Fokus auf den Schutz der Bürgerinnen und Bürger und ihrer Freiheiten, die Entwicklung einer soliden und dynamischen wirtschaftlichen Basis, die Verwirklichung eines klimaneutralen, grünen, fairen und sozialen Europas sowie die Förderung der Interessen und Werte Europas in der Welt gelegt.
Die Außenminister des Dreiervorsitzes von Deutschland, Portugal und Slowenien haben hinsichtlich ihres gemeinsamen Programms beschlossen, die Erwartungen und Sorgen der Bürger stärker in den Blick zu nehmen, um das Vertrauen in die EU zu stärken.
Die Ausdifferenzierung dieser Schwerpunktsetzung für die Trio- und die deutsche Ratspräsidentschaft richtet sich nach den offenen Baustellen im Integrationsprozess. Dies schließt blockierte legislative Dossiers aus früheren Präsidentschaften – sogenannte vererbte Agendapunkte – ein. Die Priorisierung der Themen erfolgt dabei im Lichte der Dringlichkeit der Maßnahmen. Die Liste der vererbten und dringlichen Dossiers für das Programm der deutschen Ratspräsidentschaft ist beträchtlich. Ein Verhandlungsdurchbruch in der festgefahrenen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems angesichts steigender Migrationszahlen ist genauso essenziell wie im MFR oder in den zukünftigen Beziehungen der EU mit dem Vereinigten Königreich nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase im Dezember 2020. Während ein Aufschub des MFR die Funktionsfähigkeit der EU im nächsten Jahr und darüber hinaus gefährden würde und somit hoch problematisch wäre, ist eine Verlängerung der Brexit-Übergangsphase im Vereinigten Königreich politisch nicht gewollt.
Zusätzlich darf die deutsche Ratspräsidentschaft wichtige Impulssetzungen nicht aus den Augen verlieren. Dies gilt für den Klimaschutz – wenn das durch von der Leyen ausgerufene Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 erreicht werden soll –, die digitale und technologische Souveränität sowie den Schutz der gemeinsamen Werte in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit. Letzteres ist besonders relevant, da neue Gesetze im Bereich Justiz, Meinungsfreiheit, Korruption und Rechte von Minderheiten insbesondere in Ungarn und Polen in den vergangenen Jahren verdeutlicht haben, dass ein effektiver Mechanismus zur Kontrolle der Einhaltung der Werte der EU aus Art. 2 EUV fehlt und somit eine Unterwanderung des Fundaments europäischer Integration drohen könnte. Während der deutschen Ratspräsidentschaft wird es notwendig sein, einen entsprechenden politischen Dialog aller Mitgliedstaaten zu vereinbaren. Diese Frage sollte auch in den MFR-Verhandlungen eine Rolle spielen, denn die Kommission hat in ihrem ursprünglichen Vorschlag von 2018 die Verknüpfung von EU-Haushaltsmitteln mit der Einhaltung der rechtsstaatlichen Standards vorgeschlagen.
Neben den dringlichen Dossiers in Bezug auf die internen Entwicklungen in der EU zur Wahrung des Zusammenhalts und eines solidarischen und nachhaltigen Europas liegt ein wichtiger Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft auf dem souveränen Handeln der EU auf internationaler Ebene. Da der Multilateralismus immer mehr ins Hintertreffen gerät, wird auf eine effektive Außenpolitik im Rahmen einer regelbasierten internationalen Ordnung gesetzt. Früh war deutlich, dass Deutschland einen Schwerpunkt auf den Austausch mit China legen würde, denn die EU-China Beziehungen sind gleichermaßen wichtig wie komplex, zugleich aber auch höchst kontrovers. Ein für September 2020 geplanter EU-China Gipfel soll sowohl die China-Politik der EU-Mitgliedstaaten einen, als auch konkrete Fortschritte bringen, was die Weiterentwicklung der EU-China-Partnerschaft zu einem bilateralen Investitionsabkommen angeht.
Letztlich muss die Planung eines Programms für die EU-Ratspräsidentschaft mit einigen Unwägbarkeiten und Unvorhersehbarkeiten umgehen können. Dies trifft auf Deutschland ganz besonders zu, da im zurückliegenden Jahr nur schwer absehbar war, welchen Verhandlungsstand die dringlichen Dossiers bis zum 1. Juli 2020 haben würden. Insbesondere der tatsächliche EU-Austritt des Vereinigten Königreiches zum 31. Januar 2020 hatte sich erst kurzfristig abgezeichnet. Der Abschluss der MFR-Verhandlungen noch vor der deutschen Ratspräsidentschaft wäre wünschenswert gewesen. Auch die Situation in der Asyl- und Migrationspolitik hat sich seit Anfang 2020 zugespitzt: Die humanitären Zustände in mehreren griechischen Flüchtlingslagern sind dramatisch, zudem ließ die Türkei die Vereinbarung mit der EU von 2016 fast platzen.
Die Post-Corona Programmatik
Unerwartete und scheinbar unwahrscheinliche Ereignisse, die tief greifende Konsequenzen haben und deshalb jegliche Planung und Priorisierung obsolet werden lassen, werden in den Wirtschaftswissenschaften auch "Schwarze Schwäne" genannt. Die Corona-Pandemie ist der Schwarze Schwan der deutschen Ratspräsidentschaft: Sie traf Europa mit hohen Infektionszahlen und Todesfällen vor allem in Großbritannien, Italien, Spanien und Frankreich im globalen Vergleich besonders stark. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Virusverbreitung konzentrieren sich in allen EU-Mitgliedstaaten – bis auf Schweden, das mehr auf Freiwilligkeit setzt – auf Kontakt- beziehungsweise Ausgangssperren, die das gesellschaftliche Leben und die Wirtschaft nahezu stillstehen lassen. Kurz vor der Übernahme des Ratsvorsitzes ist die deutsche Bundesregierung somit herausgefordert, das Programm für die Ratspräsidentschaft strukturell und inhaltlich "auszumisten, zu priorisieren, [und] neu zu sortieren".
Dabei ist sie in ihrer Organisationsfunktion damit konfrontiert, dass die Corona-Pandemie die politischen Prozesse in Brüssel völlig verändert hat. Die Kontakt- und Ausgangssperren gehen mit internationalen Reisehinweisen und teilweise Schließungen der EU-Binnengrenzen einher, wodurch Ratssitzungen inklusive aller Arbeitsgruppen und Sonderausschüssen bis auf Weiteres in den virtuellen Raum verlagert wurden. Dies erfordert zum einen technische Kapazitäten, über die die EU-Institutionen zurzeit noch nicht verfügen.
Gleichzeitig sind die Anforderungen an die Rolle der deutschen Ratspräsidentschaft als "ehrlicher Makler und dynamischer Antreiber"
Sowohl die Finanzminister als auch die Staats- und Regierungschefs konnten sich zwar auf umfassende Sofortmaßnahmen für Arbeitnehmer, Unternehmer und Mitgliedstaaten in Höhe von 540 Milliarden Euro einigen: Das SURE-Programm der Kommission stellt finanzielle Unterstützung für Kurzarbeit bereit, die Europäische Investitionsbank hat einen Garantiefonds aufgesetzt, und die Kreditlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus wurden substanziell ausgebaut, damit Staaten Mittel für die Pandemie-Bekämpfung abrufen können.
Auch wenn die Unterstützung der Wirtschaft ein dominierender Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft sein wird, darf es sich nicht um die einzige Priorität handeln. Die Corona-Pandemie fordert auch den bereits angeschlagenen Zusammenhalt in Europa in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit heraus. Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus greifen zum Teil stark in die Freiheitsrechte der Bürger ein. In Ungarn gehen sie jedoch eindeutig darüber hinaus: Die Ausrufung des unbegrenzten Ausnahmezustandes ermöglicht es dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, per Dekret zu regieren, was Demokratie und Rechtsstaatsprinzip unterläuft. Der politische Dialog zur Rechtsstaatlichkeit wird somit für die deutsche Ratspräsidentschaft unter den Vorzeichen der Krise nur umso wichtiger.
Die Corona-Pandemie könnte in diesem sowie in den Bereichen Digitalisierung, Klimaschutz und sozialer Zusammenhalt sogar eine Katalysatorfunktion entwickeln, weil sie die Dringlichkeit dieser Dossiers noch verstärkt. Eine besondere Herausforderung ist jedoch die Verhandlung des MFR. Vertreter der deutschen Bundesregierung waren davon ausgegangen, dass dieses Dossier so weit fortgeschritten sein würde, dass keine größeren Anstrengungen auf Ratsebene mehr erforderlich werden würden. Die Maßnahmen zum Wiederaufbau nach der Krise machen jetzt zum einen die Erhöhung des Finanzrahmens von 2021 bis 2027 notwendig, nachdem bereits der Brexit eine Debatte um die Kompensation der britischen Mittel ausgelöst hatte. Zum anderen ist eine Umstrukturierung mit verstärkten Investitionen in Forschung, Klimaschutz, technologische Souveränität und krisenfeste Gesundheits- und Sozialsysteme erforderlich. Auch die Rechtsstaatsklausel wird weiter relevant bleiben. Das Paket muss gänzlich neu geschnürt werden – und die Zeit ist knapp.
Das Krisenmanagement zur Sicherung des Zusammenhalts in Europa ist nur die eine Seite der Medaille der Corona-Pandemie; die deutsche Ratspräsidentschaft sollte die externe Dimension als deren zweite Seite nicht außer Acht lassen.
Zusammenhalt sichern
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie treffen die Union tief ins Mark. Zwar ist zu erwarten, dass die Pandemie in der zweiten Jahreshälfte 2020 ihren Höhepunkt überschritten haben wird. Mit den tief greifenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen wird Europa aber noch lange zu tun haben. Die deutsche Ratspräsidentschaft wird in ihrer sechsmonatigen Amtszeit keine abschließenden Lösungen finden können. Ihre wichtigste Aufgabe wird darin bestehen, die richtigen Weichen im Krisenmanagement zu stellen und zu verhindern, dass der Zusammenhalt in Europa der Pandemie zum Opfer fällt. Hierfür ist sowohl eine Reduzierung und Priorisierung der Themen als auch ein effektives Zusammenspiel mit den Institutionen in Brüssel notwendig. Damit die Pandemie nicht zum Spaltpilz der europäischen Integration wird, sollten drei Strategien richtungsgebend sein.
Erstens sollte der Fokus auf europäischen statt auf nationalstaatlichen Lösungen liegen. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie hat es ein wenig gedauert, bis Maßnahmen auch auf EU-Ebene koordiniert wurden. So entstand der Eindruck, dass es an Solidarität innerhalb der EU fehlen würde. Einem solchen Verständnis muss entschieden entgegengewirkt werden.
Zweitens muss das Vertrauen in europäische Lösungen gestärkt werden. Dies ist besonders wichtig, da sich die Pandemie durch gesundheitliche Bedrohung, Einschränkung der Freiheitsrechte und wirtschaftliche Verluste direkt auf die Bürgerinnen und Bürger auswirkt – und es im Vergleich zur Eurokrise nicht um die abstrakte Rettung von Banken geht. Eine besondere Herausforderung sind hier die populistischen und europaskeptischen Stimmen in den EU-Mitgliedstaaten. Entsprechende politische Parteien können eine andauernde Debatte zum Beispiel um Corona-Bonds für ihre Zwecke instrumentalisieren, indem sie entweder anklagen, dass das eigene Land für die Schwächen anderer Mitgliedstaaten aufkommen solle, oder der EU vorwerfen, das eigene Land im Stich zu lassen. An der von Kommissionspräsidentin von der Leyen öffentlichkeitswirksam angekündigten Konferenz zur Zukunft Europas sollte festgehalten werden – falls nötig in virtuellem Format, um das Ziel des gestärkten Mitspracherechts der Bürgerinnen und Bürger auf EU-Ebene weiterhin im Blick zu behalten und eine "Ratspräsidentschaft der Institutionen" zu verhindern.
Drittens darf das Krisenmanagement in der Corona-Pandemie nicht zulasten von notwendigen Reformen und Fortschritten in anderen Bereichen gehen. Die Ordnung der zukünftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich bleibt wichtig. Sollte die britische Regierung ihre Position nicht ändern, muss auch hierfür noch 2020 eine Lösung gefunden werden. Die deutsche Präsidentschaft wird also mehrere Dossiers angehen müssen, die keinen Aufschub erlauben. Hierzu gehören neben dem Brexit und dem MFR auch die Migrations- und Asylpolitik sowie der Klimaschutz.
Im Grunde ist es positiv zu bewerten, dass gerade Deutschland eine solch anspruchsvolle Präsidentschaft übernimmt. Der pragmatische Politikstil der Bundesregierung, der in den vergangenen Jahren oft als visionslos kritisiert wurde, bewährt sich in Krisenzeiten – so zuletzt in der Migrationskrise.