Die iranische Außen- und Sicherheitspolitik beruht auf gleichermaßen ideologischen wie strategischen Grundlagen.
Die Islamische Republik Iran ging den Weg aller revolutionären Regime, indem sie in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik ideologische und strategische Ansätze kombiniert und im Kern pragmatisch und nationalistisch auf der Weltbühne agiert oder agieren will.
Iran und Irak
Das Verhältnis Teherans zum Irak nach dem Fall des Baath-Regimes unter Saddam Hussein ist von dem übergeordneten Interesse geleitet, zu verhindern, dass vom Irak je wieder ein Angriff auf Iran stattfinden könnte. Dem schließen sich drei Politikfelder an, die der iranischen Irakpolitik Form und Richtung geben.
Erstens die normalen bilateralen Beziehungen: Diese gelten als freundlich, und Iran ist einer der wichtigsten Wirtschaftspartner des Landes, sie ruhen aber nach wie vor auf einem Waffenstillstand, der den Iran-Irak-Krieg (1980–1988) beendete, und nicht auf einem Friedensvertrag. Die wichtige Frage der exakten Grenzziehung zwischen den beiden Staaten am Shatt al-Arab, die im 20. Jahrhundert zu mehreren schweren Krisen geführt hat, bleibt dadurch unberührt, wenngleich beide Seiten aus unterschiedlichen Gründen dieses Problem ausklammern.
Zweitens die Kurdenpolitik: Teheran hat die führenden irakisch-kurdischen Parteien jahrzehntelang gegen die irakische Zentralregierung unterstützt, und die Führungskader beider Parteien verbrachten lange Zeit im iranischen Exil.
Drittens die große arabische schiitische Mehrheit im Irak: Hierbei ist festzuhalten, dass Teheran die irakischen Schiiten nicht kontrolliert, wie es seit der Gründung des Irak teilweise von der angelsächsischen Forschung unreflektiert behauptet wird. Zunächst sind die Beziehungen zum hohen Klerus in Nadschaf und Karbala keinesfalls friktionsfrei. Der iranische Großayatollah Khamenei und der traditionalistische irakische Großayatollah Sistani sind Konkurrenten, wobei es bis heute Außenstehenden unmöglich ist, alle Dimensionen dieser Konkurrenz richtig einzuschätzen und die dementsprechenden politischen Schlüsse zu ziehen – das gilt übrigens auch für die Mehrzahl der schiitischen Gläubigen.
Wirklich starke Beziehungen unterhält Teheran jedoch zu wichtigen Organisationen irakischer Schiiten, die Jahrzehnte während der Gewaltherrschaft Saddam Husseins im iranischen Exil verbracht hatten. Diese Gruppen spielen eine entscheidende Rolle bei den sogenannten Volksmobilisierungseinheiten. Ihre wichtigsten Vertreter, mit denen Teheran lange vor der US-amerikanischen Besatzung des Irak in Verbindung stand, sind die Badr-Organisation und der Oberste Islamische Rat im Irak (OIRI, gegründet 1982, bis 2007 ORIRI Oberster Rat der Islamischen Revolution im Irak, oft wird auch im deutschen Kontext die englischen Abkürzungen SCIRI/SICI verwendet). Ursprünglich als überparteiliche, von Teheran gesponserte Plattform für alle Exiliraker geplant, entwickelte sich ORIRI rasch zur Partei der schiitischen Klerikerfamilie al-Hakim. Diese stand dem späteren Revolutionsführer Khamenei nahe, der mit wichtigen irakischen Klerikern enge Beziehungen unterhielt.
Badr – später auch Badr-Brigade (arabisch faylaq Badr, persisch tip-e Badr) – hat ihre Wurzeln in einer Ende der 1970er Jahre entstandenen militanten schiitischen Gruppe aus dem Umfeld der irakischen Dawa-Partei, den Mujahedin.
ORIRI und Badr arbeiteten im iranischen Exil so eng zusammen, dass angenommen wurde, Badr sei nichts weiter als die Parteimiliz ORIRIs. Beide nahmen in den 1990er Jahren am Irakischen Nationalkongress mit Sitz in London teil. Diese von der USA unterstützte Organisation hatte das Ziel, Saddam Hussein zu stürzen. Die Teilnahme von ORIRI und Badr konnte nicht ohne Einverständnis Teherans erfolgen, und ORIRI konnte in weiterer Folge gute Beziehungen zu den USA aufbauen.
Als die USA 2003 den Irak besetzten, nutzten ORIRI und Badr die Gunst der Stunde zur Rückkehr. Während ORIRI am politischen Prozess teilnahm, wurden Badr-Angehörige – also Angehörige einer Einheit, die formal Teil der iranischen Revolutionsgarde war – in das irakische Innenministerium und von der Polizei rekrutiert. Der Kommandant Badrs, Hadi al-Ameri, ein iranisch-irakischer Doppelstaatsbürger wurde Transportminister. Beide Gruppen unterhielten weiterhin ihre Beziehungen zu Iran und waren um ein korrektes (Badr) bis gutes (ORIRI) Verhältnis zu den USA bemüht. 2007 benannte sich ORIRI in OIRI um. 2012 lösten Badr und OIRI ihr Zweckbündnis auf, was OIRI veranlasste, eine eigene Miliz, die Ashura-Einheiten, aufzustellen. Bei Badr wiederum kam es zur Spaltung. Angesichts der antiamerikanischen Aufstandsbewegung des Muqtada Sadr 2004 bis 2008 griffen einige Badr-Elemente ebenfalls zu den Waffen. Die wichtigste Gruppe waren die Hizbullah Bataillone oder Kataib Hizbullah unter Abu Mahdi al-Muhandis. Abu Mahdi, ebenfalls ein irakisch-iranischer Doppelstaatsbürger, der bei den ersten freien Wahlen nach dem Sturz Saddams ins Parlament gewählt worden war, war schon bei den Mujahedin aktiv gewesen. Wegen seiner vermuteten Teilnahme an Anschlägen in der Region in den 1980er Jahren musste er auf US-amerikanischen Druck hin das Land verlassen und kehrte 2011 wieder zurück. Abu Mahdi war mit Quasem Soleimani befreundet, den er vermutlich noch vor seiner Zeit als Kommandant der Quds-Einheit kannte. Soleimanis Bedeutung in der iranischen Außenpolitik nahm aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage in der iranischen Irak- und Syrienpolitik ständig zu.
Der schiitische Widerstand im Irak stellte Teheran vor ein Dilemma, einerseits waren – und sind – die Iraner mit einem Teil des politischen Spektrums gut vernetzt und sich ihrer Interessenskonvergenz mit den USA bewußt, so wollen beide eine Rückkehr der Baathisten an die Macht oder einen unabhängigen Kurdenstaat verhindern, und beide sahen im IS eine vitale Bedrohung. Gleichzeitig stellte die Aufstandsbewegung des Muqtada al-Sadr Teheran vor eine ideologische Herausforderung, weil sie den Iranern den Rang im Antiamerikanismus ablief. Die Lösung bestand für Teheran nun darin, auf staatlicher Ebene weiterhin auf Kooperation zu setzen und zugleich, soweit als möglich, mittels Unterstützung (Waffenlieferung, Ausbildung) Einfluss auf die neuen Untergrundgruppen zu nehmen und mit ihrer Hilfe Druck auf die USA auszuüben. Als sich Muqtada al-Sadr mit den USA einigte, hatte Teheran zu den wichtigsten Abspaltungen von Muqtadas Mahdi-Armee bereits gute Kontakte hergestellt. Gemeinsam mit den Kataib Hizbullah und einer anderen Gruppe wurden sie von den USA die "Sondergruppen" genannt, weil sie sich nicht an die Abmachungen zwischen Muqtada und den USA hielten. Verantwortlich für die Abstimmung zwischen diesen Gruppen und den Iranern war Qasem Soleimani, der auch für Irans Einsatz in Syrien mitverantwortlich war.
Die Quds-Einheit und Quasem Soleimani
Iran unterhält neben der regulären Armee der Islamischen Republik Iran (artesh) auch ein Korps der Gardisten der Islamischen Revolution, die Revolutionsgarde, als reguläre Streitmacht und Polizeitruppe, bei der auch der Wehrdienst abgeleistet werden kann.
Unmittelbar nach der Revolution war ein Koordinationsbüro für Islamische Befreiungsbewegungen der Revolutionsgarde für Auslandsoperationen zuständig. Dieses Büro ging rasch eigene Wege und war 1986 in die Iran-Contra-Affäre verwickelt, die politisch den Sturz des Khomeini-Stellvertreters Montazeri zur Folge hatte.
Westliche Beobachter stimmen darin überein, dass mit der Übernahme des Kommandos der Quds-Einheit im Jahr 1998 durch Qasim Soleimani eine neue Ära begann. Soleimani stammt aus dem in der Provinz Kerman ansässigen lurischen Stamm der Soleimani, der im Krieg gegen den Irak über 500 Kämpfer stellte. In seiner Jugend ging er nach Kerman, wo er sich der revolutionären Bewegung anschloss. Zu Beginn des Irakkrieges 1980 wurde er Mitglied bei den Revolutionsgarden. Mit seiner Einheit wurde er unter anderem in der kurdischen Provinz West-Aserbaidschan eingesetzt. Seine Hauptaufgabe blieb aber in Kerman, wo er 1981 die Kermaner Division 41 Sarollah mitgründete, deren erster Kommandant er wurde. Nach dem Krieg wurde er nicht demobilisiert, sondern vom heimatlichen Kerman aus mit der Sicherung der Ostgrenze beauftragt, das umfasste vor allem den Kampf gegen Schmuggler und Drogenbanden. 1998 wurde er von Khamenei zum Kommandanten der Quds-Einheit ernannt. In dieser Funktion soll er die libanesische Hizbullah gestärkt haben. Spätestens seitdem, vermutlich aber viel früher, war er mit den wichtigsten Führern der Hizbullah persönlich bekannt, so etwa mit dem Leiter des militärischen Flügels, Imad Mughniyeh, den er 2006, während des 33-Tage-Krieges mit Israel, unterstützte. In Soleimanis Verantwortungsbereich fiel auch die Stärkung des palästinensischen Widerstandes. Unter seiner Ägide gelang es Teheran, die eigene nachrichtendienstliche und militärische Präsenz in der Region zu stärken und auszubauen. Offiziell in Anerkennung dafür wurde er 2011 vom Revolutionsführer zum Generalmajor ernannt. Der breiten Öffentlichkeit in Iran und im Ausland wurde er aber erst nach dem Beginn des arabischen Frühlings als Kämpfer gegen den IS und al-Qaida-nahe Gruppen im Irak und in Syrien bekannt. In beiden Ländern betont Teheran, dass sie auf offizieller Einladung der jeweiligen Regierung aktiv sind. Iranische Beobachter schreiben Soleimani eine zentrale Rolle im Schutz Damaskus und Bagdads vor dem IS zu, allerdings ist seine Rolle im Aufbau der irakischen Volksmobilisierungseinheiten und Pro-Assad-Milizen in Syrien etwas zu relativieren, seine Funktion bestand wohl eher darin, zu beraten. Dass er ein guter Verhandler und Diplomat war, bewies er 2008, als er unerkannt in die von den USA gesicherte irakische Green Zone kam und den schiitischen Parteien half, eine Koalitionsregierung zu bilden. Koordinations- und Verhandlungsgeschick brauchte er auch in Syrien, wo er für die Unterstützung des Assad-Regimes verantwortlich war. Einige Beobachter führen die Haltung Khameneis, Assad um jeden Preis zu unterstützen, auf seinen Einfluss zurück.
Iran in Syrien
Syrien war während des langen Krieges mit Irak der einzige strategische Partner der Islamischen Republik Iran.
Nach dem Ende des Iran-Irakkrieges formulierten die Iraner ihr Verhältnis zu Syrien neu. Als strategisches Konzept wurde die "Widerstandsachse" eingeführt. Darunter wurde die Kooperation Irans und Syriens mit der libanesischen Hizbullah und dem palästinensischen Islamischen Jihad gegen Israel als strategisches Konzept dargelegt. Trotz Irritationen in Damaskus, das sich niemals auf derselben Stufe mit den Palästinensern oder den Libanesen sah, bestand Teheran aus ideologischen Gründen auf diesem Konzept – vermutlich, um der eigenen Präsenz in der Levante durch das Engagement für Palästina in den Augen der arabischen Öffentlichkeit Legitimität zu verleihen.
Der Beginn des Bürgerkrieges in Syrien stellte Teheran vor neue Herausforderungen.
Die zweifelsohne bedeutendste von Quds in Kooperation mit der libanesischen Hizbullah und einigen irakischen Gruppen aufgebaute Einheit ist jedoch die Abu l-Fadhl al-Abbas-Brigade. Sie wurde 2012 in einem Damaszener Vorort gelegenen schiitischen Heiligtum Sayyidah Zaynab gegründet.
Vom Kampf gegen den IS zum Kampf gegen Iran
Der Aufstieg des IS hatte sich schon einige Zeit lang abgezeichnet, dennoch kam der rasche Zusammenbruch der irakischen Armee im Sommer 2014 überraschend. Die schnelle Reaktion der schiitischen Milizen und ihre Legitimierung durch den Aufruf Ayatollah Sistanis, alle jungen Männer mögen die Vaterlandsverteidigung als ihre persönliche religiöse Pflicht verstehen, sowie der entsprechende Rechtsakt durch die irakische Regierung erlaubten die Gründung eines administrativ-militärischen Rahmenverbandes namens Volksmobilisierungseinheit (al-hashd al-shaabi),
Im Irak war die genaue zukünftige Rolle der Volksmobilisierungseinheiten durchaus umstritten. Für ihre Beibehaltung und ihren Ausbau plädierte nachvollziehbarerweise ihr Generalsekretär, Abu Mahdi al-Muhandis. Andere wollten die Anzahl der Volksmobilisierungseinheiten reduzieren und möglichst geschlossen unter das Kommando der Armee stellen. Auf politischer Ebene kristallisierten sich bald zwei Extremstandpunkte heraus: einerseits die Behauptung, es würde sich bei ihnen nur um Lakaien Teherans handeln. Damit wird der Beitrag, den diese Kräfte zum Sieg über den IS geleistet haben, ignoriert. Andererseits reduzieren ihre Verteidiger sie auf diese positive Rolle und ignorierten Machtmissbrauch und die Rolle Irans. Außerdem wird von dieser Seite auch gerne die Unterstützung der USA für den Erfolg übersehen und der Konflikt mit dem IS als Teil der Konfrontation mit dem Westen verstanden. Trotz Meinungsstreit gelang es den Irakern, die Volksmobilisierungseinheiten auf eine vernünftige gesetzliche Grundlage zu stellen. Die Einteilung der verschiedenen Milizen in Regimenter, die langsam greifende einheitliche Uniformierung, die Sicherung der Finanzierung, die Trennung von Partei und Miliz sowie die Herstellung einer – weitgehend – einheitlichen Befehlskette sind wichtige Maßnahmen, mit denen begonnen wurde, das Chaos der irakischen Milizen zu ordnen. Vor allem aber spielte ein Grundsatz eine wichtige Rolle: dass Truppen der Volksmobilisierungseinheiten nur im Irak zum Einsatz kommen können. Damit sollte Befürchtungen entgegengetreten werden, sie würden eine weitere, international einsetzbare ideologische Armee werden. Das führte dazu, dass mehrere Milizen ihre Einheiten in jene, die Teil der Volksmobilisierung wurden und somit legitim sind, und illegale, die in Syrien eingesetzt werden, aufteilen mussten.
Die Stellung der Volksmobilisierungseinheiten bleibt ein wichtiger Streitpunkt zwischen den USA und ihren Verbündeten und Iran und seinen Anhängern. Denn die irakischen Sicherheitskräfte sind in vier Teile zerfallen: die irakische Armee, die erst wieder aufgebaut werden muss, in die kurdischen Kräfte, die sehr lose an Bagdad gebunden sind, einer von den USA ausgebildeten und geführten Antiterror-Division und eben den Volksmobilisierungseinheiten. Die Reformprojekte im Zuge der NATO-Operation Inherent Resolve dienten ausschließlich der Stärkung der irakischen Armee. Sie müssen daher als gegen die Volksmobilisierungseinheiten gerichtet betrachtet werden. Der Angriff auf Soleimani und Abu Mahdi al-Muhandis ist in diesen Kontext zu setzen und bestätigt diesen Eindruck. Denn es zeigt sich, dass die USA ihr Engagement im Irak vom Kampf gegen den IS zum Kampf gegen die iranische Präsenz in der Region verschieben. Teheran war sich dessen relativ früh bewusst und beurteilte US-amerikanische Projekte zur Demobilisierung und Sicherheitssektorreform in der islamischen Welt dementsprechend negativ, als gegen seine Interessen gerichtet.