Einleitung
Das Islambild deutscher Medien ist seit mehr als einem Jahrzehnt Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen.
Die folgende Untersuchung ist eine Analyse der Thematisierungsanlässe des Islams in einschlägigen Magazinsendungen und Talkshows sowie Dokumentationen und Reportagen von ARD (Das Erste) und ZDF. Untersucht wurde, in welchem thematischen Zusammenhang der Islam in solchen Sendungen in Erscheinung trat. Das Verfahren ist neutraler als die häufig verwendete Stereotypenanalyse, die sich nur auf vorurteilsbeladene Textbestandteile konzentriert. Um Verzerrungen zu vermeiden, die durch kurz- oder mittelfristige Großereignisse oder durch eine Konzentration auf einzelne Sendungen auftreten können, wurde eine große Anzahl von Sendungen über einen längeren Zeitraum (1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2006) untersucht.
Zwischen Islamverdrossenheit und neuer Ausgewogenheit
Insgesamt wurde der Islam in den vorstehenden Sendungen in 133 Sendungen und Einzelbeiträgen thematisiert. Im Ergebnis zeigt sich, dass 81 % aller Thematisierungen bei ARD und ZDF negativ konnotierten Themen zugerechnet werden können; lediglich 19 % repräsentieren ein neutrales oder positives Themenspektrum. Themen im Bereich Terrorismus/Extremismus sind für deutsche Magazin- und Talksendungen sowie Dokumentationen/Reportagen das attraktivste und bedeutsamste Thema in der Auseinandersetzung mit dem Islam. In den letzten anderthalb Jahren hat sich etwa ein Viertel der Islambeiträge (23%) mit diesem Themenfeld beschäftigt. Auffälliger noch als dieser Befund ist die Tatsache, dass auch die restliche Islamagenda ganz überwiegend von konfliktorientierten Themen beherrscht wird, die hier unter folgenden Themenkategorien zusammengefasst wurden: internationale Konflikte (17%), Integrationsprobleme (16%), religiöse Intoleranz (10%), Fundamentalismus/Islamisierung (7%), Frauen/Unterdrückung/Emanzipation (4%) und Menschenrechtsverletzungen/Demokratiedefizite(4%). In diesen Themenfeldern enthalten sind gewaltfreie wie auch gewaltförmige Konflikte wie der Libanonkrieg oder der Karikaturenstreit (Kategorie internationale Konflikte), die Verfolgung von Christen im Nahen Osten (Kat. religiöse Intoleranz), Ehrenmorde und Vergewaltigungen von Frauen (Kat. Frauen/Unterdrückung/Emanzipation), Widerstände gegen Moscheebauten, Asylprobleme oder Integrationswiderstände junger Türken (Kat. Integrationsprobleme). Neutrale oder auch positive Themen, in denen nicht Gewalt und Gesellschaftskonflikte, sondern reguläre Gesellschaftsabläufe (Kat. Alltag/Soziales 8%) bzw. Fragen der Kultur und der Religion (11%) im Vordergrund stehen, stellen weniger als ein Fünftel aller Thematisierungsanlässe dar.
Islamthemen werden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wellenartig und motiviert durch aktuelle Ereignisse aufgegriffen. Im Untersuchungszeitraum waren die wichtigsten Ereignisse: Juli 2005 - Anschläge in London, Januar 2006 - Integrationsdebatte (Einbürgerungstest), Februar 2006 - Karikaturenstreit, August 2006 - Kofferbomber in Deutschland, September 2006 - Absetzung der Idomeneo-Oper in Berlin, Islamkonferenz und Papstrede in Regensburg, November/Dezember 2006 - Papstbesuch in der Türkei.
Die Ereignisse lösen dabei hauptsächlich Diskurse aus, die mit dem Sicherheitsbedürfnis des Westens zusammenhängen. Themen des Bereichs Sicherheit und Gewalt werden mit Titeln wie "Gefährliche Islamisten", "Hassprediger in Deutschland", "Terroristen als Nachbarn", "Nachwuchs für die Parallelgesellschaft" vor allem in den Magazinsendungen (Frontal21, Kontraste, Monitor, Panorama, Report etc.) bedient, da diese besonderen Wert auf Enthüllungsjournalismus legen. In den Talkshows (Sabine Christiansen, Menschen bei Maischberger, Johannes B. Kerner, Beckmann, Presseclub etc.) findet das Thema Islam erst dann Einzug, wenn es im aktuellen Nachrichtenfluss bedeutsam wird. Dabei ist auffällig, dass das Thema im Gegensatz zu den Magazinen, die auf ganz spezifische Fälle fokussieren, hier durchweg breit und ohne konkrete Fragestellung aufgegriffen wird ("Brauchen wir mehr Intoleranz?", "Noch eine Chance für friedliches Miteinander?", "Weltproblem Radikalismus. Das Drama der Bevölkerungsexplosion", "Rente, Jobs und Glaubensfragen. Krisenherde vor den Landtagswahlen"). Die ad-hoc-Thematisierung und der Zwang zur schnellen Auswahl von passenden Talkgästen scheint aber auch dazu zu verleiten, eine ganze Bandbreite an national und international aufgetretenen Problemen zu diskutieren, die wenig miteinander und oftmals nur marginal etwas mit dem Islam zu tun haben ("Atombomben und Karikaturen").
Die meisten Themen mit Islambezug finden sich nach wie vor in den Auslandsmagazinen der Sender (Weltspiegel, Auslandsjournal, Europamagazin). Dort existieren zwei unterschiedliche Szenarien mit Blick auf den Islam. Der Islam wird als subtile Bedrohung in Form eines Lageberichts aus Kriegsgebieten aufbereitet ("In der Höhle des Löwen - Treffen der Terror-Fürsten", "Afghanistan - Werbefeldzug der Taliban", "Terrorschmiede oder Elite-Uni? Die Islamschule im indischen Deoband") bzw. in Berichten über die Intoleranz von Muslimen gegenüber Nichtmuslimen ("Ägypten - Moslems als Menschenfänger", "Zwischen den Stühlen - Die jüdische Minderheit im Iran", "Zwangskonvertierung und Zwangsheirat - Die Diskriminierung koptischer Christen in Ägypten"). Oder aber der Islam wird durch Reportagen über einzelne Menschen aufgegriffen und personalisiert ("Wahlkampf mit Schleier - Eine Frau kandidiert für die Hamas", "Lust-Ehe auf Zeit - Prostitution im Iran", "Imam mit Ballgefühl - Ein türkischer Geistlicher und sein Fußballteam", "Spaß am Spiel - Die weiblichen Fußballfans im Iran", "Marokko - Frauen lehren den Koran").
Vergleicht man die Anzahl der Thematisierungen des Islam mit der Zahl derjenigen Berichte, die dem negativen Themenspektrum entspringen (folgende Kategorien lassen sich dem negativen Themenspektrum zuordnen: Terrorismus/Extremismus; internationale Konflikte; religiöse Intoleranz; Fundamentalismus/Islamisierung; Frauen/Unterdrückung/Emanzipation; Integrationsprobleme; Menschenrechtsverletzungen/Demokratiedefizite), so zeigt sich, dass die ARD wegen der größeren Anzahl relevanter Sendungen den Islam zwar öfter thematisiert als das ZDF, dass bei beiden Sendern die Negativagenda des Islam aber einen ähnlich großen Anteil hat (siehe Tabelle der PDF-Version).
Bei kritischer Betrachtung der einzelnen Genres und Sendungen bestätigt sich, dass insbesondere die allgemeinen politischen Magazin- und die Talksendungen nahezu ausschließlich über Negativthemen berichten.
Der mögliche Einwand, gerade Magazinsendungen müssten sich per definitionem zwangsläufig auf Negativaspekte konzentrieren, resultiert zwar aus der gängigen journalistischen Praxis, ist aber nicht begründet. Ein Verständnis, das die politische Nachricht ausschließlich als negative Abweichung von der Realität definiert, wird in der Medienwissenschaft seit Jahrzehnten immer wieder allgemein kritisiert.
Diese Kulturalisierung politischer Themen und die Fokussierung auf Negativaspekte in der Berichterstattung über Muslime birgt ohne jeden Zweifel die Gefahr, eine sehr einseitige öffentliche Debatte und - in Analogie zur viel besprochenen "Politikverdrossenheit" - eine Art "Islamverdrossenheit" beim Publikum zu erzeugen.
Unterschiedliche Magazinformate haben zudem unterschiedliche Nachrichtenwerte, und gerade bei Kulturmagazinen kann ein "Zwang zur Negativthematisierung" sicher nicht geltend gemacht werden. Kulturmagazine hätten im Prinzip größere Berichterstattungsspielräume, da ihre Interessen sich auf langfristige kulturelle Prozesse beziehen könnten - aber die Untersuchungsergebnisse zeigen etwas anderes: Während eine kleinere Büchersendung wie Druckfrisch (ARD) eigene Wege geht und sich auf allgemeine kulturelle Werke konzentriert, reproduzieren die großen Magazinsendungen wie Kulturweltspiegel, Titel Thesen Temperamente (ARD) sowie Aspekte und das Philosophische Quartett (ZDF) im Wesentlichen die negative Agenda des politischen Journalismus. Integrationsprobleme oder der vorgebliche "Kampf der Kulturen" zwischen dem Islam und dem Westen werden hier aus der Perspektive des Kunst- und Literaturbetriebs dupliziert - eine eigenständige Themenfindung im großen Spektrum der zeitgenössischen orientalischen Kultur mit ihren zahlreichen Buchmessen, Filmfestspielen und religiös-kulturellen Ausprägungen findet im Grunde nicht statt. Eine starke Personalisierung und Konzentration auf kulturelle "Dissidenten" (z.B. Orhan Pamuk, Ayaan Hirsi Ali, Akbar Ganji) ersetzt einen kulturellen Feature-Journalismus vor Ort, für den die Redaktionen unter Umständen keine Mittel haben.
Bei den Auslandsmagazinen zeigt sich deutlich, dass die Sendungen sehr unterschiedliche Redaktionspolitiken verfolgen. Während die ARD-Sendung Weltspiegel fast ausschließlich eine Negativagenda verfolgt, bemüht sich das Auslandsjournal des ZDF sichtbar um eine interne Differenzierung der Agenda und setzte im Untersuchungszeitraum in die übliche Konfliktagenda Themen wie: weibliche Fußballfans in Iran; erster Muslim im amerikanischen Kongress oder Aufklärungsshows in Ägypten. Dies ist insofern ungewöhnlich, als eine vorherige Untersuchung der Sendung Weltspiegel in der allgemeinen Auslandsberichterstattung zwar einen stärkeren Hang zu Negativismus als dem Auslandsjournal zuwies, allerdings auch eine stärkere Tendenz zu Erfolgsberichten, insgesamt also einen stärker polarisierenden Berichterstattungsstil.
In der Frauensendung ML Mona Lisa (ZDF) treten Musliminnen dann thematisch in Erscheinung, wenn sie entweder Opfer männlicher Unterdrückung sind oder aber als radikale Islamistinnen auftreten. Im vorliegenden Sample, das auf Beiträge fokussiert, die explizit "Islam" oder "Muslime" thematisieren, sind keine Beiträge enthalten, die Musliminnen unabhängig von ihrer Religion präsentieren (Frauen ohne Kopftuch etc.). Für die hier untersuchten Beiträge aber gilt, dass weder eigenständige traditionelle Musliminnen noch moderate so genannte "neue Musliminnen" im Fokus des Interesses stehen.
Die Kirchensendung Wort zum Sonntag positioniert sich gegenüber dem Islam erst dann, wenn der Islam auf der negativen Themenagenda der Medien steht - vor allem im Karikaturenkonflikt war dies der Fall. Darüber hinaus ist der Islam kaum Gegenstand eines interreligiösen Dialogs.
Einen Lichtblick stellen die Dokumentationen und Reportagen dar (16 Beiträge inkl. ZDF Expeditionen und Weltreisen, vgl. die Tabelle). Immerhin sieben Sendungen dieser Kategorie (44%) haben kein negatives Thema als Aufhänger, sondern bringen u.a. Berichte über muslimische Beerdigungen, christlich-muslimische Hochzeiten oder moderne Stadtporträts über Istanbul und Kairo. In diesem Bereich ist eine neue Ausgewogenheit festzustellen, der man Vorbildcharakter auch für andere Sendungen attestieren könnte.
In der Gesamtschau lässt sich sagen, dass sich die Darstellung des Islam in den Magazin- und Talksendungen sowie Dokumentationen und Reportagen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu über 80% an einem Bild orientiert, in dem diese Religion als Gefahr und Problem in Politik und Gesellschaft in Erscheinung tritt. Das Islambild dieser Formate bei ARD und ZDF ist ein zugespitztes Gewalt- und Konfliktbild, das den Eindruck vermittelt, dass der Islam weniger eine Religion als vielmehr eine politische Ideologie und einen gesellschaftlichen Wertekodex darstellt, die mit den Moralvorstellungen des Westens kollidieren. Antizyklisch berichten ARD und ZDF lediglich in einigen Auslandsmagazinen und in Dokumentationen und Reportagen. Der Nachrichtenfaktor "Konflikt" dominiert ganz eindeutig, d.h. Themen werden begünstigt, die ein konflikthaftes, in weiten Teilen sogar ein offen gewaltsames Geschehen beinhalten.
Die vorliegende Analyse sagt nichts darüber aus, wie die Islam-Themen bearbeitet wurden. Es scheint durchaus Tendenzen zu geben, zunehmend muslimische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Offene Stereotype werden immer mehr vermieden. Die Untersuchung zeigt aber, dass der Islam in einem thematischen Rahmen auftritt, der ein hohes Potenzial besitzt, das Islambild des Fernsehzuschauers zu prägen. Die heute als Mainstream-Ansatz anerkannte kommunikationswissenschaftliche Theorie des Agendasetting behauptet zwar nicht, dass Massenmedien die Meinung von Rezipienten bis ins Letzte beeinflussen können. Sie geht aber davon aus, dass nicht "Ereignisse" an sich die Medienberichte prägen, sondern die Thematisierungsentscheidungen der Medien, die aus der Vielzahl der Weltereignisse nur einige wenige herausgreifen. Die von Medien "gesetzten" Themen beeinflussen, worüber Menschen nachdenken.
Die Untersuchung beansprucht ebenfalls nicht, Aussagen über das gesamte Programm von ARD und ZDF treffen zu können, denn die Magazin- und Talksendungen sowie Dokumentationen und Reportagen sind nur ein Teil des Programms. Keinesfalls wird bestritten, dass es Nischen gibt, die eine ganz andere thematische Struktur aufweisen könnten. Allerdings sind diese Sendeplätze zumeist in den reichweitenschwächeren dritten regionalen Fernsehprogrammen oder in den regionalen Radioprogrammen der ARD angelegt. In den ebenfalls nicht untersuchten Nachrichten- und Sondersendungen von ARD/ZDF ist ein noch stärkerer Akzent auf Themen wie Terrorismus und internationale Konflikte zu erwarten.
Das Islambild bei ARD und ZDF - noch kein Vorbildcharakter
Die Untersuchung der Themen, in deren Kontext der Islam in den Magazin- und Talksendungen von ARD/ZDF im Zeitraum 2005/2006 in Erscheinung trat, lässt die Schlussfolgerung zu, dass der Islam ein wesentlicher, durch viele Anlässe geprägter Bestandteil der Medienagenda ist. Der Islam ist also kein Minderheitentopos, dem durch ein advokatives Journalistenverständnis mehr Aufmerksamkeit verschafft werden müsste. Ganz im Gegenteil. Im Vergleich zu anderen Religionen erhält der Islam sehr viel Aufmerksamkeit, bis zu einem Punkt, an dem vor einer übertriebenen Islam-Fokussierung der Medienagenda gewarnt werden muss. Viele der erörterten Probleme gerade im Bereich der strukturellen Gewalt in Familien und gegenüber Frauen haben ihre Ursachen nur zu einem Teil in Doktrinen und Institutionen des Islam und sind oft in weitaus älteren, patriarchalischen und komplexeren Gesellschaftspraktiken begründet. Auch der Terrorismus im Nahen Osten ist älter als der organisierte Islamismus. Ein an Aufklärung orientierter Journalismus sollte sich bemühen, diese komplexen Hintergründe zu verstehen, statt einseitig "den Islam" mit seinen ohnehin mannigfachigen und widersprüchlichen Deutungen ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken.
Es gibt sicher keine Generalformel zur Abbildung von Realität in den Medien, und es trifft zu, dass sich die islamische Welt heute in weiten Teilen in einer politischen und gesellschaftlichen Krise befindet, die zahlreiche Gewaltphänomene aufweist. Richtig ist auch, dass gesellschaftliche Konflikte, die sich um Integrations- und Wertefragen ranken, auch in den Medien ausgetragen werden müssen, da der öffentliche Raum diejenige Sphäre ist, in der ein lösungsorientiertes Handeln vorbereitet werden muss. Im Einklang mit den großen internationalen Studien zur Berichterstattung über andere Kulturen und Länder kann aber gesagt werden, dass das Hauptproblem der Islamberichterstattung von ARD/ZDF nicht so sehr die Darstellung von Konflikten an sich ist, sondern die extrem hohe Konzentration auf dieses Themenspektrum. Nicht die Darstellung des Negativen ist das Problem, sondern die Ausblendung des Normalen, des Alltäglichen und des Positiven. Es entsteht der Eindruck, als ließen sich ARD/ZDF ungeachtet vieler offizieller Bekundungen des Gegenteils von einem simplifizierten Bild des "Kampfes der Kulturen" zwischen dem Islam und dem Westen leiten, das ungeachtet seiner großen Popularität fast keine Unterstützer in der Wissenschaft findet. Vor allem der Themenhaushalt der Magazin- und Talksendungen sowie Dokumentationen und Reportagen von ARD/ZDF benötigt im Hinblick auf den Islam dringend eine Revision. Es bedarf keiner an vorgefertigten Kulturmodellen orientierten Nachrichtenroutine, sondern eines lebendigen und dynamischen Journalismus, der nicht mehr über den Islam berichtet, sondern die vorhandenen medialen Räume so pluralistisch konzipiert, dass alle Bereiche des muslimischen Lebens eingeschlossen werden. Erforderlich sind ein neuer Pluralismus und eine neue Ausgewogenheit des Fernsehens, das neben notwendiger Berichte über Konflikte einen angemessenen politischen, sozialen und kulturellen Überblick über das Thema Islam bieten sollte. Die bereits vorhandenen etwa 20 % antizyklischer Berichterstattung über Soziales, Religion und Kultur sind ein guter Anfang, sie weisen auf ein vorhandenes journalistisches Potenzial hin und sollten gegenüber den viel zu zahlreichen Gewalt- und Konfliktsendungen ausgebaut werden.
Es ist kein Widerspruch, einerseits zu fordern, dass ARD und ZDF weniger konfliktorientiert berichten sollten, und andererseits anzumerken, dass bestimmte Gewalterscheinungen in den Magazin- und Talksendungen sowie Dokumentationen und Reportagen von ARD und ZDF fehlen und kaum thematisiert werden. Die etablierten Themen wie islamistischer Terrorismus, religiöse Intoleranz und Gewalt gegen Frauen sind Formen der Gewalt, die in Deutschland auf großes Interesse stoßen. Die vergleichende Konfliktforschung aber geht beispielsweise davon aus, dass die Hauptursache politischer Gewalt in der islamischen Welt nicht der Terrorismus ist, sondern der autoritäre Staat, gegen den unter anderem Islamisten opponieren.
ARD und ZDF definieren sich selbst als Vorbildmedien hinsichtlich der Berichterstattung über Fragen des kulturellen Zusammenlebens. Erst jüngst waren WDR und ZDF Gastgeber einer großen europäischen Konferenz zum Thema Medien und multikulturelle Gesellschaft.
Die Rezeption der Berichterstattung zu den Anschlägen des 11. September 2001 hat deutlich gemacht, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland ein erhebliches Ansehen genießt. Gerade in akuten gesellschaftlichen Krisensituationen vertrauen viele Rezipienten - auch diejenigen, die sonst privaten Sendern zuneigen - den öffentlich-rechtlichen Anstalten und insbesondere ihren bundesweiten Programmangeboten. ARD und ZDF sind innerjournalistische Meinungsführer, d.h. ihre Medienagenda beeinflusst die Arbeit anderer Sender und Medien. Auf Grund dieser hervorragenden gesellschaftlichen Wirkungspotenziale ist es umso dringlicher, dass eine Auseinandersetzung über neue Eckwerte der Islamberichterstattung von ARD und ZDF stattfindet. Von einer Revision der Islamberichterstattung bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern dürften erhebliche gesellschaftliche Impulse ausgehen.
Angesichts der Tatsache, dass die internen Aufsichtsstrukturen durch Integrationsbeiräte etc. nicht haben verhindern können, dass das Islambild der öffentlich-rechtlichen Anstalten erhebliche Schieflagen aufweist, sind jüngst geäußerte Anregungen etwa des SWR-Intendanten Peter Voß oder der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Maria Böhmer, Muslime künftig in die Aufsichtsgremien von ARD und ZDF berufen zu wollen, wichtige Diskussionsbeiträge.