Auf direkte wie indirekte Weise hat die Zäsur des Kriegsendes 1945 in der Geschichtsschreibung ihre Spuren hinterlassen, nicht zuletzt im Interpretationsmuster der "Generation der 45er". Diese Generationskohorte ist in der historischen Literatur unter verschiedenen Namen bekannt. Zunächst bezeichnete sie Helmut Schelsky als die "skeptische Generation", danach wurde sie häufig "Flakhelfer-" oder "HJ-Generation" genannt. Inzwischen wird sie meist als "45er" adressiert. Immer handelt es sich dabei um dieselbe Altersgruppe der in den 1920er Jahren Geborenen, wobei meist die seit 1918 und zuweilen die bis Anfang der 1930er Jahre Geborenen hinzugerechnet werden.
Als "politische Generation" haben die 45er in der Geschichtsschreibung zunehmend Karriere gemacht: Sie gelten in vielen neueren Standardwerken als die Kohorte, die entscheidend zur Demokratisierung, Verwestlichung und Liberalisierung der Bundesrepublik beitrug. Auch werden sie oft als Vorreiter der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen gelobt. Dabei werden die 45er oft entweder als die Gegenspieler oder aber als Bündnispartner der nach ihnen kommenden 68er (der von den Protestbewegungen der späten 1960er Jahre geformten, überwiegend zwischen 1938 und 1950 Geborenen) dargestellt. Zuweilen wird die aktive Rolle der 45er für die Wandlungsprozesse Westdeutschlands besonders betont, um "1968" in der Folge als bloßes "Nachhutgefecht" von bereits in den frühen 1960er Jahren errungenen Fortschritten darstellen zu können.
Zur Gruppe der 45er werden üblicherweise Politiker wie Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, Intellektuelle wie Ralf Dahrendorf, Jürgen Habermas und Wilhelm Hennis, Künstler wie Günter Grass, Martin Walser und Joseph Beuys, Kabarettisten wie Dieter Hildebrandt und Wolfgang Neuss gerechnet. Zu ihnen gehörten auch die bekanntesten Medienprofis der 1960er bis 1980er Jahre wie etwa Rudolf Augstein, Joachim Fest, Peter Boenisch, Conrad Ahlers, Gert von Paczensky, Peter Merseburger, Matthias Walden und Günter Gaus.
Das Kriegsende als Wendepunkt und Mission
Der Kern der Generationserzählung der 45er besteht darin, dass diese Gruppe, in Kindheit und Jugend noch vom Nationalsozialismus geprägt, das Kriegsende 1945 als Desillusionierung und tief greifenden Umbruch erlebte. Weil so jung und vergleichsweise unbelastet, rückten die 45er in der Bundesrepublik der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte rasch in verantwortliche Positionen in Politik, Medien und Universitäten auf, wo sie Ältere, die meist stärker belastet waren, ersetzen konnten. Das Kriegsende 1945 wurde mithin zum Wendepunkt ihres Lebens, sowohl was ihre Berufskarrieren als auch was ihre politischen Überzeugungen anging. Dabei schließt die Gruppe sowohl diejenigen ein, die ganz jung Frontsoldaten wurden (geboren 1921 bis 1925), als auch die Flakhelfer-Jahrgänge 1926 bis 1928, die im Endkampf noch zur Luftabwehr herangezogen wurden, oder die noch jüngeren, die das Regime vor allem als Kinder durch die Hitlerjugend erfahren hatten.
Die dieser Generation zugeschriebene politische Grundhaltung – was genau sie also aus der Erfahrung des Zusammenbruchs im Jahr 1945 lernte – und damit ihre Rolle für die Entwicklung der westdeutschen Gesellschaft variierten jedoch je nach Beschreibung. Helmut Schelsky, der 1957 den Begriff der "skeptischen Generation" prägte, betonte den Rückzug ins Unpolitische, die Anpassungsbereitschaft und Suche nach Sicherheit sowie die Ablehnung revolutionärer Ideologien.
Abweichend davon legten Historiker seit den späten 1990er Jahren den Akzent auf die Rolle dieser Kohorte als Vorreiter von gesellschaftlicher Reform, Demokratisierung und Verwestlichung. Vor allem bestimmte akademisch gebildete Berufsgruppen wurden nun genauer untersucht: etwa Philosophen und Soziologen, Historiker, Journalisten, Staatsrechtslehrer, Schriftsteller oder Kabarettisten. A. Dirk Moses, Jan-Werner Müller, Paul Nolte und andere präsentierten die 45er dabei jeweils als Reformer, die seit den späten 1950er Jahren an der Überwindung autoritärer und antiliberaler Traditionen arbeiteten. Die intellektuellen Eliten dieser Jahrgänge hätten zahlreiche traditionelle politische Denkmuster einer kritischen Überprüfung im Dialog unterzogen, meist in Abgleich mit vergleichbaren Denkfiguren "westlicher", also britischer, US-amerikanischer oder französischer Provenienz. Sie zielten auf die Stabilisierung der noch als provisorisch empfundenen westdeutschen Demokratie, fürchteten den Rückfall in ein neues "1933" und kritisierten, was sie als obrigkeitsstaatliche Relikte deutscher Tradition empfanden: die Idee der überlegenen deutschen Kulturnation, die Überhöhung des Staates und ängstliches, antikommunistisch aufgeladenes Konsensdenken.
Eine in diesem Zusammenhang viel diskutierte Frage ist die Rolle der 45er in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Belastung. Während Schelsky in dieser Hinsicht "die eskapistische Variante" wählte, also die Flucht in Entpolitisierung und Wiederaufbau als typische und begrüßenswerte Form der Aufarbeitung darstellte, sind die 45er von anderen oft als "eine wesentliche Triebkraft des im letzten Drittel der fünfziger Jahre einsetzenden Wandels im Umgang mit der Vergangenheit" ausgemacht worden.
Um solche Fragen zu klären, wurden zahlreiche Interviews mit führenden Historikern und Geschichtsdidaktikern dieser Kohorten veröffentlicht. Im Ergebnis werden die Vertreter der Generation meist als mutige Begründer von kritischen Ansätzen und Überwinder elitärer oder deutschnationaler Traditionen im Fach zwischen den späten 1950er und 1970er Jahren dargestellt. Hervorgehoben wird aber gleichzeitig, dass sie vor Angriffen auf NS-belastete Vorgänger und ältere Kollegen zurückschreckten. Weil die 45er noch selbst die Anziehungskraft der NS-Ideale als Jugendliche erlebt hatten, brachten sie weit mehr Verständnis für die schweigenden "Mitläufer" auf, als es die ihnen folgenden 68er taten.
In dieser Abgrenzung von "Mitläufern", 45ern und 68ern scheint bereits ein typisches Muster auf. Fast immer werden die 45er als ein Glied in einer Kette mehrerer politischer Generationen dargestellt. Sie werden einerseits von den ihnen nachfolgenden, revolutionären Ideologien und utopischer Gewalt nahestehenden 68er-Rebellen abgehoben. Andererseits stehen sie den Geburtsjahrgängen zwischen etwa 1900 und 1915 gegenüber, die von Historikern überwiegend als "vornehmliche Trägergruppe der NS-Diktatur" identifiziert worden sind, "und zwar vor allem auf der Ebene des Führungspersonals".
Geschichte als Duell politischer Generationen
In vielen Geschichtserzählungen wird die Auseinandersetzung zwischen den beschriebenen politischen Generationen zum Movens der historischen Entwicklung im deutschen 20. Jahrhundert. Schon Detlev Peukert baute seine Deutung der Weimarer Republik auf Radikalisierungen auf, die durch den Zusammenstoß vier politischer Generationen entstanden: von den Wilhelminern über die Gründerzeit- und die Kriegs- bis hin zur "überflüssigen" (oder auch Kriegsjugend-)Generation.
In der kürzlich erschienenen Gesamtdarstellung "Republik der Angst" von Frank Biess, die die Geschichte der Bundesrepublik mit einem emotionsgeschichtlichen Ansatz erzählt, werden die 45er und 68er zu den Trägern der Entwicklung veränderter gesamtgesellschaftlicher emotionaler Regime. "Die Verschiebung von einem emotionalen Regime zum anderen überlappte sich dabei auch mit dem Generationswechsel, vor allem seit den sechziger Jahren", heißt es da.
Wie hier wird der Clash der Generationen oft mit einer kollektivpsychologischen Dimension aufgeladen. Ein Beispiel dafür ist Thomas A. Kohuts psychohistorisch argumentierende "Erfahrungsgeschichte" der Jahrgänge der Kriegsjugendgeneration. Kohut leitete eine wesentliche historische Dynamik aus dem Konflikt zwischen pragmatischen 45ern, rebellischen 68ern und der stark nazifizierten Kriegsjugendgeneration der Jahrgänge 1900 bis 1915 ab.
Die Vorteile des Erzählmusters der politischen Generation sind deutlich. Mit dem Modell der 45er, die im geistigen Ringen mit ihrer Vorgänger- wie Nachfolgergeneration das Gemeinwesen vorantreiben, lässt sich Geschichte dramatisch erzählen. Die beschriebene generationelle Mission der 45er kann dabei vorzüglich mit dem demokratischen und antitotalitären Grundkonsens der Bundesrepublik Deutschland verkoppelt werden. Solcherart Geschichte im Generationsmodus zu erzählen, bietet Identifikationsmöglichkeiten für viele zur rechten Zeit Geborenen, die sich rückblickend als Helden der Entwicklung feiern können. Die Popularität des Deutungsmusters erklärt sich zudem daraus, dass es in jeder Familie eine Generationenabfolge gibt, über die die "großen" politischen Konflikte mit der "kleinen" privaten Welt verglichen werden können. Die Leitideen der politischen Generationen werden bruchlos mal auf die Entwicklung der gesamtgesellschaftlichen Kultur, mal auf die privaten Familienverhältnisse übertragen.
Während die Historiografie der Bundesrepublik dem Duell der politischen Generationen und gerade den 45ern einen zentralen Platz zuweist, sind ähnliche Erzählungen in der Geschichte der DDR zwar vorhanden, aber weniger prominent ausgeprägt. Alexander von Plato und Dorothee Wierling haben eine vergleichbare ostdeutsche "HJ-Generation" beschrieben, die auf Anpassung und Rekonstruktion setzte und staatstragend wurde.
Noch seltener ist das Motiv der 45er-Generation in der Geschichtsschreibung in anderen Ländern. Die britische Geschichtsschreibung etwa operiert deutlich seltener mit dem Generationskonflikt als die deutsche – zumal nicht solcher politischer Generationen, die ursächlich mit Kriegserfahrungen verbunden werden. Für die 45er gibt es streng genommen weder britische noch US-amerikanische oder französische Pendants. (Stärkere Parallelen finden sich dagegen im Hinblick auf die 68er-Kohorte in der europäischen wie globalen Geschichtsschreibung.) Die geografisch begrenzte Verbreitung des Generationen-Narrativs deutet mithin schon darauf hin, dass das Konzept neben Stärken auch erhebliche Schwächen aufweist.
Grenzen des Generationenbegriffs
Die Schwächen beginnen bereits mit der Entstehungsgeschichte des Begriffs der "politischen Generation", die zurück in die 1920er Jahre führt. Damals entwarf der Kultursoziologe Karl Mannheim eine Theorie, die bis heute nachwirkt. Ihm zufolge kann ein "Generationszusammenhang" wachsen, wenn nah beieinander liegende Jahrgänge während ihrer formativen Jugendphase eindrückliche, sie verbindende historische Erfahrungen machen. Zu einer politischen Generation kommt es jedoch nur, wenn auf das Erleben ein gemeinsamer Austausch folgt, der auf eine hegemoniale, handlungsleitende Deutung dieser Erfahrungen hinausläuft. Zudem können sich innerhalb einer politischen Generation verschiedene Deutungen des formativen Erfahrungszusammenhangs ausbilden, die dann zur Aufspaltung in mehrere, politisch verschieden orientierte "Generationseinheiten" führen.
Dieser geschlechts- und klassenspezifischen Aufladung des Denkmusters der politischen Generation ist bis heute kaum zu entkommen. Wo Historiker von politischen Generationen sprechen, meinen sie eigentlich Männer und gebildete Eliten. Ein wichtiger Grund für diese Verengung des Blicks auf männliche Bildungsbürger ist die Tatsache, dass sich Generationen wie die 45er nicht durch das gemeinsame Erlebnis, sondern erst durch einen medial vermittelten Diskurs über das Erfahrene bilden. Erst der Prozess der "Generationsrede" lässt im Nachhinein politische Generationen entstehen. Doch der Zugang zur veröffentlichten Debatte wurde bis weit in die 1980er Jahre hinein von männlichen Bildungseliten kontrolliert.
Am Beispiel der in den 1920er Jahren Geborenen hat Benjamin Möckel untersucht, wie sich für diese Alterskohorte während des ersten Nachkriegsjahrzehnts langsam ein generationelles Narrativ herausschälte. Damals fand in den Medien eine gemeinsame Arbeit am Mythos, eine kollektive Verfertigung einer Sinngebung Abertausender Biografien statt. Die 45er formierten sich nachträglich als Gruppe, indem sie öffentlich über ihre Interpretation der Niederlage und ihre eigene politische Mission in der Nachkriegszeit redeten. Im Laufe dieser "Generationsrede" wurde ein "kollektiver Sprach- und Erinnerungsmodus für die Zeit des Nationalsozialismus" gefunden, indem "die eigenen Erlebnisse in den Rahmen einer vermeintlichen Kollektiverfahrung eingeordnet" wurden.
Sich als Angehöriger einer politischen Generation darzustellen, ist deshalb auch heute noch ein typisch männliches Unterfangen. Weibliche politische Generationen zu denken, fällt vielen offenbar schwer. Erstens beteiligten sich Frauen in aller Regel weit weniger an den medialen Debatten zur generationellen Selbstverortung. Nach wie vor weist die dominierende Vorstellungswelt ihnen einen Platz in der Privatsphäre, nicht in der politischen Öffentlichkeit zu. Zweitens erhalten die weiblichen Angehörigen der entsprechenden Geburtsjahrgänge nur selten die Aufmerksamkeit der Massenmedien; sie werden kaum je als politisch wirksame Gruppierungen dargestellt. Drittens wird der generationsstiftende Zusammenhang der meisten deutschen politischen Generationen mit der Erfahrung des Krieges – des Fronterlebnisses, der ausgebliebenen Fronterfahrung oder aber der Kriegsniederlage – verbunden, ganz gleich, ob daraus eine Radikalisierung oder Desillusionierung abgeleitet wird. Dabei erfolgt fast immer ein "Herausschreiben der Frauen aus der Kriegserfahrung" unter Betonung spezifisch männlicher Klischees von willensstarken Frontkämpfern, Brüderlichkeit, männlicher Härte und Sachlichkeit.
Christina Benninghaus ließ noch 2005 die Frage offen, "ob es für historische Untersuchungen sinnvoll wäre, die Kategorie ‚Generation‘ in anderer Form zu definieren, sodass sie auch Frauen und unterbürgerliche Schichten in den Blick nehmen könnte."
Ob es 45erinnen gab, sei dahingestellt – die Forschungslage erlaubt uns (noch) kein Urteil über diese oder manch andere weibliche Generation des 20. Jahrhunderts. Immerhin öffnet der Blick auf die Frauen die Augen für die Grenzen des Deutungsmusters der 45er-Generation. Zwar lässt sich die Generationsrede dieser Alterskohorten gewinnbringend als ein "zentrales symbolpolitisches Themenfeld in den Selbstinszenierungen der jeweiligen Nachkriegsgesellschaften" analysieren.