Seit fast zwei Jahrzehnten konzentriert sich die öffentliche wie politische Debatte über den Terrorismus in der "westlichen Welt" in erster Linie auf Vorfälle mit islamistischem Hintergrund. Geprägt durch mehrere terroristische Attacken, die jeweils auf eine maximale Zahl ziviler Opfer zielten, begreift man die Täter der Anschläge von Madrid 2004, Nizza 2016, Manchester 2017 und anderen Städten gemeinhin als durch eine Ideologie vereint, die sich aus einer extremen Interpretation des Islam ableite, die den Ruf nach einem gewalttätigen Dschihad betone. Während in jüngerer Zeit vor allem Organisationen wie al-Qaida, Boko Haram, al-Shabaab und der sogenannte Islamische Staat diesem Verständnis entsprachen, ist ein wesentlicher Teil der in Reaktion auf den islamistischen Terrorismus ergriffenen innenpolitischen Maßnahmen darauf gerichtet, eine Radikalisierung von Menschen bei uns zuhause zu verhindern. Folglich wird Terrorismus islamistischer Prägung – wichtiger noch, die Ideologien, die ihn untermauern und inspirieren – als allumfassendes transnationales Phänomen verstanden, bei dem Singularität und Eigenart, Unterschiede und Divergenz gänzlich verschwunden sind. So gesehen, werden alle Anschläge und anderen Vorfälle, ungeachtet des Ortes, der Motivation und der Art der Ausführung, eins.
Große Teile der Öffentlichkeit und Politik begreifen islamistischen Terrorismus somit zwangsläufig als etwas ganz anderes als andere ideologisch motivierte Formen des Terrorismus. Besonders augenfällig ist dies im Falle rechtsextremistisch motivierter Erscheinungsformen. Trotz offenkundiger Ähnlichkeiten der Täter, ihrer Aktivitäten, typischer Taktiken und bevorzugter Methoden, der Welt ihre Botschaft mitzuteilen, kommt es eher selten vor, dass durch rechtsextreme Ideologien motivierte Anschläge miteinander in Verbindung gebracht und als Teil eines größeren Phänomens beschrieben werden. Verstärkt durch die überwiegende Darstellung der Täter als "einsame Wölfe" (lone wolves), negiert dies nicht nur die sehr reale Gefahr durch rechtsextremistischen Terrorismus, sondern auch das Gedankengut, das ihn ideologisch untermauert und inspiriert.
Mit dem vorliegenden Artikel möchte ich die Notwendigkeit unterstreichen, unser kollektives Verständnis vom Terrorismus rechtsextremer Prägung zu überdenken und neu zu konzeptualisieren. Fernab des Reservats "einsamer Wölfe", sprich isolierter, allein und autonom handelnder Einzeltäter, braucht es ein tieferes Verständnis der hier wirkenden Ideologien sowie des Zusammenhanges zwischen scheinbar isolierten Vorfällen und neu aufkommenden Formen, in denen rechtsextreme Ideologien Gewalt und Terrorismus inspirieren und dazu motivieren. Kurzum: Ich werde im Folgenden darlegen, dass auch rechtsextremer Terrorismus ein transnationales Phänomen ist.
Ideologische Grundlagen
Rechtsextreme Ideologien sind weder statisch noch eindimensional. Dem Politikwissenschaftler Cas Mudde zufolge umfassen sie in der Regel aber eine Reihe bestimmter Schlüsselkomponenten.
Da rechtsextreme Ideologien weder homogen noch feststehend sind, versteht man sie am besten als Spektrum, in dem die genannten Komponenten auf asymmetrische Art und Weise wirken. Unterschiedliche Akteure – von den Rechtskonservativen im politischen Mainstream bis zu den rechtsextremistischen und im typischen Fall gewaltbereiten Rändern – messen diesen Komponenten dabei je nach Rahmenbedingung und Zeitpunkt jeweils unterschiedliche Bedeutung und Relevanz bei. Auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, ist schon deshalb wichtig, weil sie uns verstehen helfen, dass rechtsterroristische Täter nicht in einem Vakuum agieren. Dies ist von besonderer Bedeutung, wenn man sich den dramatischen Aufschwung des Rechtspopulismus in vielen Teilen der Welt vor Augen führt. Der Politikwissenschaftler Thomas Greven sieht genau darin eine Triebfeder für rechtsextremistischen Terrorismus:
Einzeltäter?
Am 3. August 2019 richtete Patrick Crusius aus Allen, Texas, in einer Walmart-Filiale in El Paso ein Blutbad an. Er erschoss 22 Menschen und verletzte 24 weitere. Bei der Vernehmung behauptete er, es ausschließlich auf Mexikaner abgesehen zu haben. Da Crusius erwiesenermaßen ein Anhänger von US-Präsident Donald Trump ist, der seine Bühne wiederum vielfach dafür genutzt hat, Mexikaner als "Andere" zu kennzeichnen, ließe sich die Gewalttat von El Paso als Bestätigung für Grevens Theorie deuten. Crusius so zu verstehen, legt jedoch die Idee nahe, er habe autonom gehandelt und sei somit ein "einsamer Wolf". Dies ist aber insofern außerordentlich problematisch, als es den Täter von den Ideologien und Personen isoliert, die ihn zu seiner Tat inspiriert und motiviert haben.
Crusius hat seine Inspiration ausführlich in einem "Manifest" dargelegt, das er kurz vor dem Massaker im Online-Forum "8chan", einem sogenannten Imageboard, gepostet hatte. Unter dem Titel "Die unbequeme Wahrheit" brachte er darin auch seine Bewunderung für Brenton Tarrant zum Ausdruck, jenen Attentäter, der am 15. März 2019 im neuseeländischen Christchurch in zwei Moscheen 51 Menschen erschossen und weitere 50 Menschen verwundet hatte. Zudem rechtfertigte Crusius seine Tat als Antwort auf den vermeintlichen kulturellen und ethnischen Austausch des US-amerikanischen Staates und seines Volkes durch eine "hispanische Invasion".
Tarrant hatte ein ähnliches Pamphlet hinterlegt, in dem er sich ebenso auf die Verschwörungstheorie vom "großen Austausch" des französischen Autors Renaud Camus bezog.
Obwohl Tarrant also auf die Ermordung von Muslimen zielte, war seine Rechtfertigung im Großen und Ganzen doch dieselbe wie jene von Crusius zur Ermordung von Mexikanern: Bei beiden, Muslimen und Mexikanern, handelte es sich um erkennbare "Andere". Und obwohl auch Tarrant als "einsamer Wolf" bezeichnet wurde, sind die bedeutsamen ideologischen Verbindungen zwischen ihm und Crusius nicht zu übersehen.
Ähnlich verhält es sich auch im Fall von Anders Behring Breivik, der am 22. Juli 2011 bei zwei Terroranschlägen in Norwegen 77 Menschen getötet und über 300 verletzt hatte. Nachdem er zunächst eine Bombe im Osloer Regierungsviertel zur Detonation gebracht hatte, richtete er in einem Sommerlager der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei auf der Insel Utøya ein Blutbad an. Er hatte dieses Ziel gewählt, weil es ihm als Symbol für die Verdrängung der weißen Norweger durch Multikulturalität erschien. Auch Breivik stellte seine Anschläge in einem "Manifest" in einen größeren Kontext. Unter dem Titel "2083. Eine europäische Unabhängigkeitserklärung" rechtfertigte er seine Anschläge mit der Notwendigkeit eines Weckrufs für das weiße Europa: "Es ist keine Zeit zu verlieren. Wir haben nur wenige Jahrzehnte, um genügend Widerstand aufzubauen, bevor unsere Großstädte von Muslimen demografisch überwältigt sind. Wie viele Zehnmillionen wurden vom Islam getötet, nur weil sie keine Muslime waren?" Die Ähnlichkeiten zwischen Breivik, Tarrant und Crusius sind frappant. In vergleichender Betrachtung wird es zunehmend schwerer zu behaupten, dass all diese Vorfälle isoliert voneinander geschehen und von "einsamen Wölfen" verübt worden wären.
Rechtsextreme Landschaft
Sind die klaren Ähnlichkeiten zwischen diesen drei Fällen erst einmal eingeräumt, wird das Ausmaß ihres Zusammenhanges immer deutlicher, wenn man sie in einer noch weiteren Landschaft verortet. Diese Landschaft ist Schauplatz zahlreicher gewalttätiger Zwischenfälle, auch terroristischer Art, die für gewöhnlich weder internationale Schlagzeilen machen, noch über Landesgrenzen hinaus wirken und zwischen denen man, was noch wichtiger ist, keinen Zusammenhang sieht. Nehmen wir zum Beispiel den Mord an der britischen Unterhausabgeordneten Jo Cox am 16. Juni 2016. Zweimal in den Kopf geschossen und einmal in die Brust, bevor der Täter 15 Mal auf sie einstach, starb Cox dafür, dass sie für die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreiches in der Europäischen Union und eine multikulturelle Gesellschaft einstand. Bei dem Täter handelte es sich um den 52-jährigen Thomas Mair, der Verbindungen zu einer Reihe rechtsextremer Gruppen hatte, darunter die "British National Front", die "English Defence League" und "National Vanguard" in den USA. In seinen Augen war Cox eine "Verräterin" an den Weißen. Die Polizei fand bei ihm zuhause allerhand Nazi-Devotionalien und diverse Bücher und Publikationen über White Supremacy, Nationalismus, Apartheid und andere rechtsextreme Ideologien. Obwohl er eine ganze Reihe von Veranstaltungen rechtsextremer Gruppen besucht hatte, bezeichnete die Polizei Mair als "Einzelgänger", der aus eigenem Antrieb gehandelt habe.
Es gibt starke Ähnlichkeiten zwischen dem Mord an Cox und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019. Aus nächster Nähe in den Kopf geschossen, fand man Lübcke tot auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen-Istha. Ermordet wurde der Politiker, der 2015 die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt hatte, Flüchtlinge aufzunehmen, mutmaßlich von dem 45-jährigen Stephan E. Dieser unterhielt Verbindungen zur NPD sowie dem deutschen Ableger der britischen Gruppe "Combat 18", zudem war er bereits mehrfach vorbestraft wegen Übergriffen gegen Migranten, darunter ein Anschlag mit einer Rohrbombe auf eine Asylbewerberunterkunft 1993. Bei seinem Geständnis gegenüber der Polizei gab E. an, alleine gehandelt zu haben.
Obwohl Cox wie Lübcke aufgrund ihrer politischen Ansichten zu Anschlagszielen geworden waren, offenbart sich der Zusammenhang zwischen den Anschlägen eher durch einen genaueren Blick auf die mutmaßlichen Täter: Abgesehen davon, dass sie beide weiße Männer mittleren Alters sind, handelten sie beide nach derselben Taktik; beide hatten sie – wenn auch zeitweise nur lose – Kontakte zu rechtsextremen Gruppen sowohl zuhause als auch im Ausland; beide waren von rechtsextremen Ideologien inspiriert.
Die rechtsextreme Landschaft ist jedoch noch viel weitläufiger. Nehmen wir zum Beispiel den "Nationalsozialistischen Untergrund", eine rechtsextreme Gruppe, die zwischen 2000 und 2007 in Deutschland zehn Menschen ermordete, weitere 43 zu ermorden versuchte und darüber hinaus drei Bombenanschläge und 15 bewaffnete Raubüberfälle verübte. Oder nehmen Sie den als Anhänger der White-Supremacy-Ideologie bekannten Dylann Roof, der 2015 neun Menschen in einer Kirche in Charleston, South Carolina, erschoss. Im selben Jahr versuchte in Großbritannien Zack Davies, ein Mann mit Verbindungen zur rechtsextremen Gruppierung "National Action", einen Sikh mit einer Machete zu enthaupten. Zwei Jahre später steuerte der von der "English Defence League" und der rechtsextremen Partei Britain First inspirierte Darren Osborne einen Lieferwagen in eine Gruppe Gläubiger, die aus einer Moschee in Finsbury Park im Norden Londons kam. Ein Mensch kam dabei ums Leben, neun weitere wurden verletzt. In Spanien verhaftete man 2018 Manuel Murillo Sánchez, Angehöriger einer rechtsextremistischen Whatsapp-Gruppe, weil er ein Attentat auf Premierminister Pedro Sánchez geplant hatte. Im selben Monat wurden in Frankreich sechs Leute mit Verbindungen zur extremen Rechten verhaftet, sie hatten einen Mordanschlag auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron geplant. Ebenfalls 2018 erschoss in den USA der White Supremacist und Nationalist Robert Bowers in der Pittsburgher Tree-of-Life-Synagoge elf Menschen und verletzte sieben weitere. Diese Liste ist bei Weitem nicht erschöpfend. Was jedoch auffällt: Trotz der offensichtlichen Ähnlichkeiten all dieser Vorfälle wurden sie in der Regel weder miteinander in Verbindung gebracht noch als Teil des transnationalen Phänomens Rechtsterrorismus verortet.
Erscheinungsformen
Auch wenn wir Rechtsterrorismus als solchen erkannt haben und entsprechend benennen: Das Phänomen ist alles andere als homogen. Und gerade weil es ein so breites Spektrum aus Einzelnen, Gruppen, Bewegungen sowie eine ähnlich große Bandbreite an Taktiken, Aktivitäten und Ansätzen gibt, ist es umso unerlässlicher, die unterschiedlichen Komponenten und ihr Zusammenspiel zu verstehen. Im Folgenden werde ich drei maßgebliche Erscheinungsformen heutiger rechtsterroristischer Gruppierungen und Netzwerke vorstellen.
"Traditionelle" Gruppen
Die erste Erscheinungsform sind die "traditionell" ausgerichteten Gruppen und Bewegungen. Von der Funktion her ähnlich wie ihre historischen Vorfahren, sind sie hierarchisch gegliedert und in der Regel formal strukturiert. So sind sie etwa durch klare Befehlsketten geprägt, was wesentlich dafür ist, wie sie rekrutieren, mobilisieren und letztlich auch den Einsatz von Gewalt und terroristischen Anschlägen organisieren und kontrollieren. Da diese Gruppen und Bewegungen dazu neigen, Gewalttaten und Terroranschläge im Voraus zu planen, sind die meisten dem Einblick der Öffentlichkeit verschlossen und zuweilen für die Außenwelt gar nicht zu sehen. Ein Beispiel dafür ist die britische Organisation "National Action", die 2016 als erste rechtsextreme Gruppierung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Vereinigten Königreich verboten wurde. Sie sah sich als Jugendbewegung und bekannte sich zum "traditionellen" Nazismus, verherrlichte Adolf Hitler und das "Dritte Reich", zitierte "Mein Kampf" und bediente sich auf Bannern und PR-Materialien der Nazi-Ikonografie. Mit einem unverhohlenen Bekenntnis zu Antisemitismus, Homophobie, Rassismus und Diskriminierung gegen Menschen mit Behinderungen verschrieb sich die Gruppe der "Rettung" nicht nur Großbritanniens, sondern auch der eigenen "Rasse" und Generation; ihre Absicht war erklärtermaßen der Aufbau einer "weißen Heimat".
Interessant ist, dass "National Action" sich dabei von nicht gewaltbereiten rechtsextremen Gruppen und Bewegungen durch die Betonung von Traditionalismus und Authentizität abzugrenzen versuchte. Die Berufung auf die Geschichte hielt die Gruppe jedoch keineswegs davon ab, sich Social-Media-Kanälen und anderer Online-Plattformen zu bedienen – nicht nur, um die eigenen Botschaften zu verbreiten, sondern vor allem auch, um grenzüberschreitende Verbindungen aufzubauen. So pflegte "National Action" Verbindungen mit rechtsextremen militanten Netzwerken in Deutschland, im Baltikum und in Skandinavien sowie mit paramilitärischen Gruppen wie dem ukrainischen "Regiment Asow". Besonders deutlich zeigt sich die transnationale Verflechtung jedoch daran, dass "National Action" mutmaßlich die US-amerikanische "Atomwaffen Division" inspirierte – eine Gruppe rechtsterroristischer Aktivisten, die mit einer Reihe von Morden in Verbindung gebracht wird. Diese wiederum inspirierte in ähnlicher Weise die "Sonnenkrieg Division", eine weitere britische Gruppe, von der jüngst zwei Mitglieder wegen terrorismusbezogener Straftaten verurteilt wurden.
Social-Media-Influencer
Die zweite Erscheinungsform lässt sich wohl am besten mit dem Begriff "rechtsextreme Social-Media-Influencer" bezeichnen. Nicht notwendigerweise mit bestimmten Gruppen oder Bewegungen assoziiert, nutzen Influencer die verschiedenen Online-Kanäle, um über Landesgrenzen und Gruppenzugehörigkeiten hinweg rechtsextreme Ideologien und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Auch wenn es selten vorkommt, dass diese Akteure selbst an Gewalttaten, geschweige denn an Terroranschlägen beteiligt sind, ist es nicht ungewöhnlich, dass sie durchblicken lassen, dass beides gerechtfertigt sei. Nicht nur verleihen sie rechtsextremen Ideologien ein "akzeptables" Gesicht, es ist auch eine starke Resonanz zwischen Influencern und Rechtspopulisten festzustellen.
Im Vereinigten Königreich gilt das etwa für den Aktivisten Tommy Robinson (bürgerlich Stephen Yaxley-Lennon): Als ehemaliger Chef der rechtsextremen "English Defence League" und "Pegida UK" wurde Robinson zum Berater der populistischen UK Independence Party zu den Themen Gruppenvergewaltigungen durch rape gangs und Strafvollzugsreform. Robinson bedient sich diverser Social-Media-Plattformen, über die er mit seinen Videos ein weltweites Millionenpublikum erreicht, und zählt laut dem Meinungsforschungsinstitut Yougov zu den zehn populärsten Persönlichkeiten des Vereinigten Königreiches. Dass ein Zusammenhang zwischen derartigen Influencern und rechtsextremen Gewalttätern besteht, verdeutlicht das Beispiel Darren Osbornes: Der Attentäter von Finsbury Park war nachgerade besessen von Robinson. Und auch Brenton Tarrant erwähnte Robinson in seinem "Manifest".
Eine einschlägige Plattform, die auch von Robinson genutzt wurde, ist "The Rebel Media". Das 2015 von den kanadischen Journalisten Ezra Levant und Brian Lilley eingerichtete Online-Portal zielt auf ein weltweites Publikum und bietet seinen Autoren ein reichweitenstarkes Medium zur Verbreitung rechtsextremer und islamophober Inhalte: Der dazugehörige Youtube-Kanal "Rebel News" zählt aktuell über 1,2 Millionen Abonnenten. Neben Robinson hat die Plattform eine Reihe anderer populärer Influencer angezogen, so etwa Gavin McInnes, den Gründer der rechtsextremen "Proud Boys". Diese gewaltverherrlichende, zuweilen auch gewaltbereite US-amerikanische Gruppierung hängt unter anderem der Überzeugung an, dass sich weiße Männer und die westliche Kultur insgesamt in einem Belagerungszustand befänden.
Weitere Influencer sind der Autor Jack Buckby, der früher der British National Party angehörte und jüngst der rechtsextremen Partei For Britain beigetreten ist, sowie die Journalistin und Reality-Show-Teilnehmerin Katie Hopkins, die – als eine von vielen – nach dem Anschlag auf die Manchester Arena 2017 nach einer "Endlösung" rief. Zusammen mit Influencern aus Kanada und Australien verbreiten sie auf "The Rebel Media" und anderen Plattformen nicht nur rechtsextremes Gedankengut, sondern inspirieren darüber hinaus auch zu entsprechend motivierten Gewalttaten und Terroranschlägen. So lobte etwa Matthew Raymond, nachdem er am 10. August 2018 im kanadischen Fredericton vier Menschen erschossen hatte, in einem kurz nach dem Anschlag hochgeladenen Video "The Rebel Media" nicht nur für die Inspiration, sondern auch dafür, der einzige Medienkanal zu sein, der nicht "voreingenommen" sei.
Pick-and-Mix-Netzwerke
Die dritte Erscheinungsform sind "Pick-and-Mix-Netzwerke", wie ich sie nenne. Diejenigen, die darin unterwegs sind, bedienen sich zur Ausformung, Rechtfertigung und Unterfütterung ihrer ideologischen Standpunkte unterschiedlichster Quellen – ein Ansatz, der dem pick and mix einer Süßwarenbar entspricht.
Die Aktivitäten in diesen Netzwerken geschehen im Verborgenen und sind vom Mainstream nicht einzusehen; gehostet werden sie auf Imageboards und Social-News-Aggregatoren wie "Reddit", "4chan" und "8chan" sowie auf weiteren Plattformen im Darknet. Sie werden von Leuten frequentiert und gemanagt, die sich von rechtsextremen Ideologien und Ideen angezogen fühlen, von denen die meisten aber wahrscheinlich nie in Offline-Gruppen oder Bewegungen aktiv gewesen sind. In ihrem Dasein am Rande des Internets sind diese Netzwerke nicht nur Plattformen für einige der extremsten und abscheulichsten Formen rechtsextremistischen Denkens, sie liefern allzu oft auch denen, die diesem Denken verhaftet sind, Anerkennung und Bestätigung. So überrascht es denn auch nicht weiter, dass dort über extreme Gewaltbereitschaft hinaus auch terroristische Gräuel mit rechtsextremem Hintergrund glorifiziert werden.
Durch und durch zeitgemäß, fand sich das erste Beispiel für diesen Pick-and-Mix-Ansatz in Breiviks "Manifest". Neben langen Strecken, in denen er traditionelle nationalistische und rechtsextreme Quellen wiedergab, ließ Breivik sich unter anderem auch vom sogenannten Unabomber Ted Kaczynski inspirieren, der zwischen 1978 und 1995 durch Briefbomben drei Menschen getötet und 23 Menschen verletzt hatte. Weiterhin bezog er sich auf die britische Journalistin Melanie Phillips, die 2006 mit "Londonistan" ein Buch über die vermeintliche Islamisierung der britischen Hauptstadt geschrieben hatte, auf den niederländischen Politiker Geert Wilders, der sich für ein Verbot des Korans in den Niederlanden stark gemacht hatte, den britischen Fernsehmoderator Jeremy Clarkson, der von der BBC gefeuert worden und immer wieder mit abfälligen Ausdrücken wie dem rassistischen N-Wort aufgefallen war, sowie auf den belgischen Autor Koenraad Elst, einen Verfechter des Hindu-Nationalismus mit Verbindungen zur rechtsextremen flämischen Gruppierung Vlaams Blok.
Ähnlich evident war dieser Ansatz in Tarrants Pamphlet. Er bezog sich sowohl auf Oswald Mosley, der 1932 die British Union of Fascists gegründet hatte, als auch auf die Terroristen Dylann Roof und Darren Osborne, ebenso aber auch auf die Brexit-Kampagne und Donald Trump. Tarrant bediente sich darüber hinaus des "Shit-Postings" – der bewussten Irreführung durch Ironie, um Uninformierte zu provozieren –, als er behauptete, durch das Computerspiel "Spyro the Dragon 3" habe er alles über Ethnonationalismus und durch das Spiel "Fortnite" das Töten gelernt. Dass Tarrant seine Anschläge live auf Facebook streamte, nachdem er bereits Fotos seines Waffenarsenals in seinen Netzwerken veröffentlicht hatte, verdeutlicht nicht nur die Relevanz dieser Netzwerke, sondern auch die ganz und gar neue Art, in der heute derlei terroristische Vorfälle geplant und einer größeren Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden.
Schlussfolgerungen
Wie ich dargelegt habe, ist rechtsextremistisch motivierter Terrorismus real und greifbar. Es ist irreführend, viele dieser Anschläge, die dieses transnationale Phänomen ausmachen, eher als isolierte Einzelfälle aufzufassen – es bedeutet, das Problem an sich misszuverstehen. Führen wir uns die lange Reihe von Gewalttaten und terroristischen Anschlägen vor Augen, ist der klare, durch rechtsextreme Ideologien fundierte Zusammenhang zwischen ihnen nicht zu übersehen. Präziser ausgedrückt: Die Urheber dieser Taten waren eindeutig von den geschilderten verschiedenen Komponenten rechtsextremer Ideologien inspiriert und motiviert. Sei es durch das Gedankengut der White Supremacy, des Nationalismus oder einer Kombination aus anderen Komponenten oder daraus abgeleiteter Narrative wie dem "großen Austausch" – jeder einzelne dieser Fälle ist durch rechtsextreme Ideologien motiviert. Und die wechselseitigen Zusammenhänge gehen noch darüber hinaus, da viele Täter andere zu ähnlichen Taten inspirieren. So gesehen, haben wir es hier zweifellos mit einem transnationalen, globalen Phänomen zu tun.
Wem das an Belegen noch nicht genügen sollte, der braucht sich nur den jüngsten rechtsextrem motivierten Anschlag in Halle an der Saale in Erinnerung zu rufen. Am 9. Oktober 2019 versuchte der 29-jährige Stephan B. in die örtliche Synagoge einzudringen, in der Gläubige zur Feier des jüdischen Versöhnungsfestes Jom Kippur zusammengekommen waren. Als ihm dies nicht gelang, ermordete er eine Passantin und den Gast eines Döner-Restaurants. Wie Tarrant filmte auch B. seine Tat und übertrug sie live auf der Streamingplattform Twitch. Und wie Tarrant, Crusius und Breivik stellte auch er ein "Manifest" ins Netz, das ihn als Anhänger der Verschwörungstheorie des "großen Austauschs" zeigt. Auf Englisch verfasst, hoffte er damit andere zu inspirieren, und vergrößerte damit zugleich die inoffizielle Datenbank an frei zugänglichem ideologischem Material und einschlägigen Anleitungen um eine weitere Ressource.
Damit drängt sich die Frage auf, wie dieses transnationale Phänomen so lange unter dem Radar bleiben konnte. Hierfür bieten sich zwei Erklärungen an: Zum einen richtet sich ein Großteil der öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit ausschließlich auf den islamistisch motivierten Terrorismus, was dazu führt, dass dem Auftreten von Gewalt und Terrorismus mit rechtsextremem Hintergrund nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet, geschweige denn die gebührende Bedeutung beigemessen wird. Zum anderen mag es für den einen oder anderen bequemer sein, den Rechtsterrorismus erst gar nicht zur Kenntnis zu nehmen beziehungsweise das Kind nicht beim Namen zu nennen. Immerhin besteht angesichts des möglichen Zusammenhangs zwischen Rechtspopulismus und rechtsextremem Terrorismus in einer Zeit, in der Politiker und Regierungen zunehmend auf immer populistischere Agenden setzen, durchaus die Möglichkeit, dass man sie für die Legitimierung gewisser rechtsextremer Ideologien, wenn nicht sogar für potenziell daraus resultierende Gewaltakte verantwortlich macht.
Wie auch immer unsere Erklärung ausfallen mag: Dass rechtsextremistisch motivierte Gewalt und Terrorismus in absehbarer Zeit zurückgehen oder gar verschwinden, ist kaum wahrscheinlich. Angesichts vermehrter Möglichkeiten des Zugangs zu rechtsextremen Ideologien und der Tatsache, dass diese Ideologien von Tag zu Tag facettenreicher und komplexer werden, müssen wir, um – mit welchem Erfolg auch immer – auf den Terrorismus von rechts angemessen reagieren zu können, den offensichtlichen Zusammenhang zwischen scheinbar isolierten und beziehungslosen Vorfällen sowohl einräumen als auch verstehen. Desgleichen müssen wir uns davor hüten, die Täter weiter als "einsame Wölfe" zu beschreiben. Und schließlich gilt es, das wahre Ausmaß und die Verbreitung dieser Zusammenhänge zu erkennen. Weit davon entfernt, die Lösung zu sein, wäre dies immerhin ein erster Schritt.
Übersetzung aus dem Englischen: Bernhard Schmid, Nürnberg.