Videospiele sind eines der beliebtesten Hobbys unserer Zeit. Weltweit spielen etwa 2,3 Milliarden Menschen Spiele auf dem PC, der Konsole oder mobilen Geräten.
Obwohl Gaming auch längst ein Phänomen ist, das sich durch alle Altersgruppen zieht,
Vor diesem Hintergrund möchte ich mit diesem Artikel einen Beitrag zur Bestandsaufnahme und Differenzierung "toxischer" und diskriminierender Inhalte und Umgangsformen im Gaming-Umfeld leisten. In diesem Kontext werde ich mich nicht nur mit Videospielen an sich beschäftigen, sondern ebenso mit der Spieleindustrie, die diese Inhalte produziert und vertreibt, sowie den vielen Konsumierenden weltweit. Eine strikte Trennung dieser drei Bereiche ist aufgrund der besonderen Nähe von Gaming-Fans und Industrie nicht immer möglich oder sinnvoll. Auch ist eine strikte Unterscheidung zwischen Deutschland und dem Rest der Welt nicht angebracht: Die Welt des Gamings ist international vernetzt, sowohl innerhalb der Spiele selbst als auch auf Plattformen wie Youtube oder Twitch.
Frauen als Beiwerk: Sensibilisierung für Sexismus
Nicht zuletzt durch Bewegungen wie #metoo ist die Gesellschaft in den vergangenen Jahren für sexistische Darstellungen der Popkultur sensibilisiert worden – und somit auch für Kritik an ebensolchen Inhalten in Videospielen. Innerhalb der Spieleindustrie und großer Teile der Fangemeinschaft sorgten die Analysen der Medienkritikerin Anita Sarkeesian jedoch schon lange vor #metoo für Aufsehen. Zwischen 2013 und 2017 veröffentlichte sie eine mehrteilige Videoreihe auf Youtube beziehungsweise auf ihrer Seite "Feminist Frequency", in der sie die stereotype Darstellung von Frauen in Videospielen analysierte, offenlegte und kritisierte.
Weiterhin schlussfolgerte Sarkeesian unter anderem: Weibliche Charaktere sind häufig nur schmückendes Beiwerk, Beziehungen zu männlichen Helden werden wie Belohnungen gehandelt, Frauen erfahren in storylastigen Spielen häufiger Gewalt, um die Geschichte des Spiels voranzubringen, und Körperformen, Aussehen und Kleidung weiblicher Charaktere sind oft unrealistisch und/oder sexualisierend. Das alles sorgt für eine mangelnde Repräsentation von vielfältigen Frauen in Spielen und befördert zudem eine Objektifizierung durch männliche Spieler. Diese Erkenntnisse waren nicht zwangsläufig neu, durch Sarkeesians Youtube-Kanal gelangten sie jedoch an eine breitere Öffentlichkeit.
Doch die Drohungen gegen die Medienkritikerin waren nur ein Vorläufer einer 2014 folgenden Eskalation, die die gesamte Gaming-Branche erfasste und nachhaltig veränderte. Im Zuge der sogenannten Gamergate-Kampagne, gestartet von einem Ex-Freund der Spieleentwicklerin Zoe Quinn, wurden Frauen, People of Color und andere innerhalb der Spielebranche und des Spielejournalismus marginalisierte Gruppen öffentlich mit Hass überzogen. Sogar das FBI beschäftigte sich mit den Tiraden, Drohungen und Doxxing-Attacken.
Die meisten Spielestudios und Gaming-Medien hielten sich währenddessen auffallend zurück – eine Tatsache, die Betroffene wie Sarkeesian immer mal wieder in Erinnerung rufen.
Die Themen Sexismus und weibliche Repräsentation in Computerspielen sind nach wie vor potenzielle Aufreger: Noch heute reagieren viele männliche Gamer empfindlich auf Vorstöße der Gaming-Industrie, weiblichen Figuren in Spielen prominentere Rollen zuzuweisen. Spieleunternehmen, die etwas in dieser Richtung "wagen", müssen stets damit rechnen, dass sie im Gamergate-Stil angefeindet werden.
Beängstigende Gegner: nicht-weiße Figuren
Auch Rassismus in Videospielen ist in den vergangenen Jahren vermehrt zum Diskussionsstoff geworden. Im Fokus stehen dabei vor allem die mangelnde Diversität und stereotype Darstellung von nicht-weißen Personen in westlichen Videospielen.
Während sowohl in den Spielestudios als auch in der Spielepresse eine gewisse Sensibilisierung für sexistische Darstellungen zu beobachten ist, sieht es beim Thema Rassismus und angemessener Repräsentation nicht-weißer Menschen noch anders aus: So tauchen beispielsweise in dem 2015 veröffentlichten Fantasy-Rollenspiel "The Witcher 3" keine Menschen mit einer anderen Hautfarbe als weiß auf, was jedoch erst mit Verzögerung den Weg in die sonst so kritischen Spielemedien fand. In einem Spiel, in dem es Hexerei gibt und das Fantasy als Genre beansprucht, fällt die mangelnde Repräsentation verschiedener Ethnien besonders auf. Fans des Spiels versuchten die Abwesenheit von Personen of Color damit zu rechtfertigen, dass es historisch gesehen in der zugrunde liegenden slawischen Mythologie eben nur weiße Menschen gegeben habe – was jedoch eine banale wie sinnlose Ausrede ist, wenn es um Fantasieregionen geht. Der Spielejournalist Tauriq Moosa zeigte die Widersprüchlichkeit auf, als er darauf hinwies, dass einige Regionen der Spielereihe aus dem arabischen Raum inspiriert zu sein scheinen, inklusive arabisch klingender Namen, sich dies jedoch nicht in der Hautfarbe der Figuren niederschlage.
Auch intersektionale Repräsentation – also die Einbeziehung mehrfach diskriminierter Gruppen – bleibt schwierig: Fans des beliebten Multiplayer-Spiels "Overwatch" verlangen seit Erscheinen des Spiels 2016 nach einer schwarzen Heldin, die sie im Spiel steuern können – bislang ohne Erfolg. Und als im 2019 herausgebrachten Shooter "Far Cry: New Dawn" zwei schwarze Frauen im Zentrum der Story stehen sollten, war allein diese Tatsache berichtenswert. Im Oktober 2018 fasste es eine Autorin auf der Seite "Eurogamer" wie folgt zusammen: "Seeing a black person in a game is still a strange experience more often than not."
Bei muslimischen Personen sieht es noch schlechter aus. In der beliebten Shooter-Reihe "Call of Duty" (seit 2003) sind Gegner oft arabische Muslime, die es zu erschießen gilt. Für Spiele generell gilt: Frauen muslimischen Glaubens tragen häufig ein Kopftuch, die Männer haben entweder lange Gewänder und führen eine Ziege, oder sie sind aggressiv und gefährlich – und eine Trennung zwischen Muslimen und Arabern findet nur selten statt, die Menschen und Religionen der Region werden in vereinfachten und stereotypen Figuren vermischt. Erst in den vergangenen Jahren gibt es hier einen zaghaften Wandel hin zu mehr positiver Repräsentation. Vereinzelt gelangen muslimische Charaktere auch in großen Titeln wie "Assassin’s Creed" (2007) sehr gut.
Vereinzelte Lichtblicke gibt es auch hinsichtlich der Repräsentation von Personen of Color: Das Indie-Spiel "Never Alone" von 2014 etwa thematisiert die Kultur der Iñupiat, indigene Ureinwohner Nordamerikas, und der 2018 veröffentlichte Blockbuster "Red Dead Redemption 2" nimmt sich Zeit, um die Story der Bevölkerung eines Ureinwohnerreservats zu erzählen. Hier unternahm das Entwicklerstudio Rockstar Games sogar narrativ passende Vorsichtsmaßnahmen, um rassistische Handlungen der Spielerinnen und Spieler in der Story zu unterbinden: Im Reservat der Ureinwohner können keine Waffen benutzt werden.
Wie sehr eine unbeabsichtigte Reproduktion rassistischer Inhalte aber auch vom Ort der Veröffentlichung beziehungsweise von der verwendeten Sprache abhängt, zeigt sich an einem anderen Beispiel aus "Red Dead Redemption 2": Während in einer Szene, in der ein Nebencharakter der Hauptfigur erzählt, wie er aufgrund seiner schwarzen Hautfarbe rassistisch beleidigt wird, im englischen Original bereits abwertend von "Darkies" die Rede ist, wird im deutschen Untertitel ohne Not das offensiv rassistische N-Wort ausgeschrieben.
Hate Speech
Neben mangelnder Repräsentation und teilweise stereotyper Darstellung von Personen of Color ist auch Rassismus unter Gaming-Fans selbst ein Problem. Mit der größeren Verfügbarkeit von stabilen und schnellen Internetverbindungen sind Online-Multiplayer-Spiele auf dem Vormarsch, wodurch immer mehr Menschen, die sonst keinerlei Berührungspunkte miteinander haben, mit- und gegeneinander spielen. In diesen Situationen müssen sich Angehörige marginalisierter Gruppen regelmäßig Anfeindungen stellen – seien sie sexistisch, rassistisch, homophob oder auf andere Art und Weise herabwürdigend. Vor allem zwei Faktoren befeuern den teilweise problematischen Umgang in Mehrspieler-Settings: zum einen die mangelnde Sanktionierung von Hate Speech durch die Spieleunternehmen, zum anderen das Vorleben problematischer Inhalte durch Streamerinnen und Streamer.
In "Red Dead Redemption 2" etwa gibt es einen Online-Modus, in dem weltweit Menschen aufeinander treffen und gemeinsam die Welt des "Wilden Westens" erkunden können. Zu Beginn erschafft man sich einen Charakter, wobei man verschiedene Haut- und Haarfarben wählen kann. Der Umgang miteinander obliegt der Entscheidung der Spielerinnen und Spieler: Banden bilden, andere angreifen, zusammenarbeiten oder für sich bleiben – alles ist möglich. Das schließt leider rassistische Handlungen von Mitspielenden ein. Avatare mit schwarzer Hautfarbe werden im Spielchat mit dem englischen N-Wort beschimpft, es gibt Spielerbanden, die an den Ku-Klux-Klan angelehnt sind, und einige Spieler gehen gar im Rollenspiel eines ehemaligen Sklavenhändlers auf.
Fälle wie diese scheinen Video- und Streamingplattformen wie Youtube oder Twitch nicht zu sanktionieren, und auch bei den Spielestudios selbst setzen sich wirksame Sanktionierungen nur langsam durch. Die Reporting-Systeme innerhalb von Mehrspieler-Modi werden von Spielerinnen und Spielern häufig als unzureichend kritisiert. Stattdessen setzen verschiedene Entwickler und Publisher auf positive Bestärkung: Die Spielerinnen und Spieler können nach einer Spielrunde diejenigen unter sich auszeichnen, die besonders gut gespielt haben oder besonders freundlich waren. Studios wie Blizzard oder Riot Games verzeichneten durch diese Maßnahmen einen signifikanten Rückgang toxischer Chatnachrichten.
Schädliche Äußerungen zu reduzieren, scheint also möglich – nichtsdestotrotz sind wirksame Sanktionen ebenso wichtig. Im Spiel "Rainbow Six Siege" von 2015 implementierte das Spielestudio Ubisoft ein System, das den Spieler oder die Spielerin beim Senden von missbräuchlichen Nachrichten sperrt. Die Dauer der Sperrung steigt mit jedem Verstoß, beim dritten Mal wird eine Untersuchung eingeleitet, die zur permanenten Sperrung führen kann.
Potenziale für Veränderungen
Dass Frauen, Personen des LGBTQ-Spektrums sowie People of Color zu den häufigsten Zielen von Hate Speech im Gaming-Umfeld gehören, ist kein Zufall. Eine Umfrage der International Games Developer Association offenbart, dass diese Gruppen auch in der Gaming-Branche Minderheiten und dort teilweise stark unterrepräsentiert sind: So sind nur 21 Prozent der Befragten Cis-Frauen,
Den überwiegend mit weißen Personen besetzten Spielestudios fehlen also häufig jene wichtigen Perspektiven von Personen of Color. In diesem Kontext lassen sich die oben beschriebenen sexistischen und/oder rassistischen Inhalte in Videospielen noch einmal anders betrachten – nämlich als Projektionsfläche einer homogenen, überwiegend männlichen und weißen Gruppe, die die Spiele entwickelt. Ohne die vielfältigen Perspektiven einer diversen Mitarbeiterschaft innerhalb des Entwicklungsprozesses können Videospiele eine gute Repräsentation kaum leisten, ohne in Stereotype zu fallen. Gleiches gilt vermutlich auch für große Teile des Spielejournalismus.
Die Folgen der Gamergate-Attacken sind derweil noch Jahre später zu spüren: Von Spielestudios über -medien bis hin zu Fangemeinschaften beschäftigen die Hate-Speech-Auswüchse noch immer Fachleute wie die amerikanische Anti-Defamation League.
Auch innerhalb der Fangemeinschaften wird der Bedarf nach sicheren Orten, an denen keine Hate Speech geäußert oder reproduziert wird, lauter. Plattformen wie Twitch oder Youtube werden zunehmend vehement aufgefordert, entsprechende Inhalte zu sanktionieren und zu entfernen. Tatsächlich zeigt sich auch hier ein allmählicher Bewusstseinswandel: So sorgten die zeitweiligen Sperrungen der Streamer Joel Zimmerman ("Deadmau5") und Ashkan Hornayouni ("TF Blade") auf Twitch im Frühjahr 2019 für einiges Aufsehen. Ersterer war homophob aufgefallen, Letzterer durch Nutzung des N-Worts.
Letztendlich bleibt abzuwarten, inwiefern die verschiedenen Diversitätsinitiativen Früchte tragen werden. Rein finanziell sollte es sich zumindest für die Gaming-Branche lohnen, eine inklusive Umgebung mit vielfältigen Spielen zu bieten – schließlich sind sowohl die Bevölkerung als auch die Konsumierenden selbst divers. Seit den ersten öffentlich geführten Debatten um Sexismus und Rassismus in Videospielen hat sich einiges getan, doch der Weg zu tatsächlicher, gelebter Repräsentation ist noch weit.