Einleitung
Die Bedeutung der Europäischen Union (EU) als internationaler Akteur im Nahen Osten ist seit den neunziger Jahren kontinuierlich gewachsen. Diese Entwicklung ist zum einen auf die stetige Ausweitung der außenpolitischen Kompetenzen der EU zurückzuführen, zum anderen auf temporäre Rückzüge der USA aus den Vermittlungsbemühungen im Nahostkonflikt. Zu Beginn des Nahost-Friedensprozesses in Madrid 1991 war die EU nur in geringem Maße im Rahmen der "Multilateral Tracks" beteiligt. Gut zehn Jahre später steht die EU im 2002 gegründeten "Nahostquartett" als ein gleichwertiger diplomatischer Akteur neben den USA, Russland und der UNO.
Immer wieder wird der EU vorgeworfen, ihr politisches Gewicht entspreche nicht ihrer ökonomischen Macht. Dieses Ungleichgewicht gilt auch für den Nahostkonflikt. Die EU war zwar von Anfang an der größte Geldgeber im Friedensprozess, jedoch nicht entsprechend politisch präsent. Dies hat sich in den letzten Jahren in dem Maße geändert, in dem der EU mehr außenpolitische Kompetenzen von den Mitgliedstaaten eingeräumt wurden. Neben der Unterstützung für den Friedensprozess, die Palästinensische Autonomiebehörde und eine selbstständige Infrastruktur in den besetzten Gebieten wurde auch im Rahmen des Barcelona-Prozesses seit 1995 einiges unternommen, um das politische Klima in der Region zu verbessern. Der Vorwurf der indirekten Finanzierung terroristischer Aktivitäten der Palästinensischen Autonomiebehörde durch EU-Gelder hat diese erst in den Anfängen begriffene gemeinsame europäische Nahostpolitik sogleich wieder ins Kreuzfeuer der Kritik geraten lassen.
Angesichts der Osterweiterung, der Konzepte der "Nachbarschaftspolitik - Wider Europe", von Außenminister Joschka Fischers Vorschlägen für eine neue Nahostinitiative und der "Strategischen Partnerschaft zwischen der EU und der Mittelmeerregion und dem Nahen Osten" stellt sich die Frage nach dem Platz des Nahen Ostens in der europäischen Zukunftsplanung. Wenn bisher die internen, institutionellen Aspekte der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) eine kohärente Außenpolitik sehr erschwerten, so droht angesichts der Osterweiterung ein weiterer schwerer Rückschlag für die GASP. Andererseits könnten die im Konvent diskutierten Vorschläge zur Reform der außenpolitischen Institutionen der EU, insbesondere die Ernennung eines europäischen Außenministers, eine Stärkung der europäischen Position bewirken.
Aufbauend auf der historischen Entwicklung der europäischen Nahostpolitik, soll hier ein Überblick über die Rolle der EU im Nahostkonflikt vom Beginn der neunziger Jahre bis heute gegeben werden. Sowohl im europäischen Integrationsprozess als auch im Nahostkonflikt markiert das Jahr 1993 eine einschneidende Zäsur: den Beginn der GASP mit dem Vertrag von Maastricht und den Beginn einer neuen Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten mit den Abkommen von Oslo. Trotz interner institutioneller und politischer Schwierigkeiten der EU ist die europäische Rolle stetig gewachsen. Eine Europäisierung der Nahostpolitik findet statt.
Etappen europäischer Nahostpolitik
Europa trägt eine historische Verantwortung für den Nahostkonflikt: Der europäische Kolonialismus, die Weltkriege und ihre Folgen für die regionale Mächtekonstellation, der Holocaust, die Staatsgründung Israels und die europäische Beteiligung an der Austragung des Kalten Krieges haben den Nahen Osten nachhaltig geprägt. Europa hat gar keine andere Wahl, als sich an den Aufräumarbeiten dieses historischen Scherbenhaufens zu beteiligen. Europa hat auch eine politische Verantwortung, in dem Sinne, als es sich für die Wahrung des Völkerrechts und der Menschenrechte einsetzen muss sowie für die Integration der zehn Millionen in Europa lebenden Menschen nordafrikanischen und nahöstlichen Ursprungs. Nicht zuletzt trägt die EU, als stärkster wirtschaftlicher Akteur im Mittelmeerraum, auch eine ökonomische Verantwortung gegenüber den weniger entwickelten Ökonomien der Region. Der Nahe Osten ist für die EU strategisch und militärisch von großer Bedeutung. Die angestrebte "Sicherheit und Stabilität" in den Nachbarregionen, also auch im Nahen Osten, sollen die Sicherheit der EU gewährleisten.
Europäische Nahostpolitik steht in engem Zusammenhang zur europäischen Integration: Je weiter diese voranschritt, umso mehr außenpolitische Kompetenzen wurden an die EG/EU abgegeben. Die Entwicklungen im Nahostkonflikt haben die EG/EU immer wieder dazu gezwungen, Stellung zu beziehen, ihre gemeinsame Außenpolitik zu konkretisieren und auszubauen. Zu Beginn der Europäischen Gemeinschaft stand die ökonomische Integration im Vordergrund. Die Römischen Verträge von 1958 sahen keine außenpolitische Zusammenarbeit vor. Der erste Versuch, die außenpolitischen Aktivitäten der damals neun EG-Mitgliedstaaten zu koordinieren, war die 1969 ins Leben gerufene Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ). Diese bestand vorrangig aus einer zwischenstaatlichen, losen Zusammenarbeit und Abstimmung der nationalen Außenpolitiken. Die EPZ musste sich bereits die gleiche Kritik gefallen lassen wie die GASP heute, als deren Vorläufer sie gilt: Sie sei eine Politik der Deklarationen, nur reaktiv, tatenlos, selektiv und wirkungslos in bestimmten Krisensituationen. Aber es wurden auch positive Erfahrungen in der Zusammenarbeit gemacht, insbesondere im Bereich des KSZE-Prozesses und im Nahostkonflikt, den beiden inhaltlichen Schwerpunkten der EPZ.
Zunächst waren die Positionen sehr unterschiedlich. Frankreich stand nach dem Sechstagekrieg Israel sehr kritisch gegenüber, Deutschland und Großbritannien reagierten eher proisraelisch.
Eine weitere wichtige Etappe für die Entwicklung einer gemeinsamen Außenpolitik war 1987 das Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte, die zum ersten Mal die außenpolitische Zusammenarbeit zwischen den nun zwölf EG-Mitgliedstaaten im Rahmen der EPZ vertraglich festlegte. Dies war die institutionelle Voraussetzung für die in Maastricht beschlossene GASP. Erst mit dem Inkrafttreten dieses Vertrages über die politische Union kann man von einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik sprechen. Seit diesem Zeitpunkt sind die außenpolitischen Kompetenzen der EU durch die Verträge von Amsterdam und Nizza kontinuierlich ausgebaut worden und werden voraussichtlich in der Ernennung eines europäischen Außenministers gipfeln, wie im Verfassungsentwurf vorgesehen.
Die EU und der Nahostkonflikt seit 1993
Die Grundposition der Europäischen Union im Nahostkonflikt ist die Befürwortung einer Zwei-Staaten-Lösung. Übergeordnete Ziele sind das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates Israel sowie die Selbstbestimmung der Palästinenser: ein demokratischer palästinensischer Staat auf der Basis der Grenzen von 1967, mit der Möglichkeit leichter Grenzveränderungen, Jerusalem als einer gemeinsamen Hauptstadt und eine gerechte und akzeptable Lösung des Flüchtlingsproblems. Die EU verurteilt die terroristischen Angriffe auf israelische Zivilisten und fordert von der Palästinensischen Autonomiebehörde, alles zu unternehmen, um derartige Anschläge zu verhindern. Gleichzeitig verlangt die EU von Israel, die militärischen Kräfte abzuziehen, die gezielte Tötung von mutmaßlichen Aktivisten zu stoppen, die den Palästinensern auferlegten Restriktionen aufzuheben und die Siedlungsaktivitäten einzufrieren.
Europäische Nahostpolitik findet auf verschiedenen Ebenen statt. Die zentrale Ebene ist die GASP, eine weitere der Barcelona-Prozess. Nicht zuletzt wirkt die EU über Direkthilfen an palästinensische Flüchtlinge, über ihre Außenwirtschaftspolitik, über humanitäre Hilfe und internationale Diplomatie auf den Nahostkonflikt ein. Die GASP ist eine intensive und ausgeklügelte Form intergouvernementaler Zusammenarbeit. In ihrem Rahmen findet ein ständiger Informationsaustausch zwischen den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten über Fragen der Internationalen Politik und eine Angleichung der nationalen Standpunkte statt. Die wichtigsten Instrumente der GASP sind die "Gemeinsamen Strategien"
Als der ehemalige NATO-Generalsekretär Javier Solana im Juni 1999 zum Hohen Vertreter für die GASP ernannt wurde, war dies ein Meilenstein für die europäische Diplomatie. Diese erhielt nun endlich mehr Kontinuität und eine verstärkte Präsenz auf internationaler Ebene. So nahm Solana etwa am Gipfel von Sharm-el-Sheikh im Oktober 2000 teil und war Mitglied der Mitchell-Kommission. Solana gilt für die einen bereits als eine Art "europäischer Außenminister", für andere ist er nur ein Zuarbeiter für die jeweilige EU-Präsidentschaft. Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde neben dem Amt des Hohen Vertreters für die GASP auch mit der Einführung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen und der Entwicklung von gemeinsamen verteidigungspolitischen Strukturen versucht, der EU mehr außenpolitische Kompetenzen, effizientere Entscheidungsstrukturen und die Mittel für eine bessere Außendarstellung zu geben. Die Probleme der Außendarstellung sind Ausdruck der inneren Uneinigkeit der Europäer darüber, wie eine gemeinsame Außenpolitik auszusehen habe. Immer wieder kommt es zu außenpolitischen Alleingängen eines EU-Mitgliedstaates, ohne vorherige Konsultation der europäischen Partner. Hier findet teils eine Ergänzung statt, aber auch Konkurrenz. Aus der Perspektive der EU-Mitgliedstaaten wird je nach politischem Kontext die europäische Karte gespielt oder die nationale, etwa wenn der französische Staatspräsident eine Nahostreise unternimmt oder der deutsche Außenminister in den palästinensischen Gebieten eine Waffenruhe aushandelt. Dann geschieht dies oft in europäischem Namen, jedoch ohne vorherige Konsultation der entsprechenden europäischen Verantwortlichen und meist mit Blick auf die jeweils nationale Stimmungslage. Auch die Kritik, dass die EU-Nahostpolitik eine Politik der Deklarationen sei, ist sicherlich berechtigt. Tatsächlich besteht der Löwenanteil der europäischen Außenpolitik in Bezug auf den Nahostkonflikt aus "Gemeinsamen Erklärungen und Standpunkten". Hinzu kommt, dass die EU nicht über militärische Handlungsmöglichkeiten und nicht über das politische Gewicht verfügt, diese Erklärungen und Standpunkte durchzusetzen.
Die europäische Rolle im Nahost-Friedensprozess war jedoch insofern bedeutend, als die EU seit September 1993 den Friedensprozess und die im Aufbau befindliche Palästinensische Autonomiebehörde massiv finanziell unterstützt hat. Die EU ist bis heute der wichtigste Geldgeber bei nicht-militärischer Hilfe für den Friedensprozess. Seit 1998 hat die EU im Durchschnitt jährlich 179 Mio. Euro zur direkten Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde, der Flüchtlinge und regionaler Friedensprozess-Projekte zur Verfügung gestellt.
Eine weitere wichtige Etappe der GASP in Bezug auf den Nahostkonflikt war die Berliner Erklärung von 1999. Die EU betonte hier explizit das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung einschließlich der Option auf einen eigenen Staat und die Bereitschaft der EU diesen Staat anzuerkennen. Die EU hatte sich in dieser Zeit vielfach am diplomatischen Krisenmanagement beteiligt und zur Entschärfung des Konflikts beigetragen. Generell zeugen die in dieser Zeit verabschiedeten gemeinsamen EU-Positionen oder -Erklärungen zum Nahen Osten von einer zunehmenden Abstimmung und Europäisierung der Positionen. Man bemüht sich, die bilateralen Beziehungen zu den am Konflikt beteiligten Akteuren in den Hintergrund treten zu lassen.
Mit der auf dem Europäischen Rat von Feira im Juni 2000 verabschiedeten "Gemeinsamen Strategie für die Mittelmeerregion" sollte vorrangig ein neuer Impuls für den stagnierenden Barcelona-Prozess gegeben werden, doch das Besondere ist, dass sie erst gilt, wenn eine "umfassende Friedensregelung" erreicht ist. Damit sollte verhindert werden, dass der EU-Rat selbstständige Beschlüsse in Bezug auf den Nahostkonflikt fällt. Insbesondere Deutschland wollte es vermeiden, dass Mehrheitsbeschlüsse in Bezug auf Israel und seine Nachbarn zu weit gehen, bevor der Konflikt beigelegt ist. Damit ist der praktische Nutzen der Gemeinsamen Strategie zunächst gering, abgesehen von einer regelmäßigeren Kontrolle der Implementierung des Barcelona-Prozesses. Die Tatsache jedoch, dass seit 1999 nur drei Gemeinsame Strategien verabschiedet wurden und eine davon dem Mittelmeerraum/Nahen Osten gewidmet ist, verdeutlicht die außenpolitische Priorität, die dieser Region eingeräumt wird.
Der erfolglose Gipfel von Camp David im Juli 2000 und der Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada im September 2000 stürzten den Friedensprozess in eine tiefe Krise, von der er sich bis heute nicht erholt hat. Die israelische Armee geht immer härter gegen palästinensische Demonstranten sowie die Autonomiebehörde vor, und islamistische Aktivisten greifen zu immer gewaltsameren Mitteln. An den Gesprächen von Taba zwischen Barak und Arafat im Januar 2001 nahm Moratinos als einziger Zeuge einer dritten Partei teil und führte Protokoll über die Diskussionen. Es gab immerhin eine Annäherung der Positionen in vielen Schlüsselfragen, und ein mögliches Endstatusabkommen
Die Attentate vom 11. September 2001 haben zu einer weiteren Stufe der Gewalt und Gegengewalt geführt. So nutzte die Regierung Sharon den "Kampf gegen den Terrorismus", um ihr härteres Vorgehen in den besetzten Gebieten zu legitimieren. Im Zuge der "Operation Schutzschild" ab Januar 2002 wurden auch von der EU mitfinanzierte Projekte wie der palästinensische Flughafen und andere Infrastrukturen wie Krankenhäuser, Schulen und die Fernsehstation gezielt von der israelischen Armee zerbombt und zerstört. Die EU verurteilte dies scharf, hatte aber letztendlich wenig Möglichkeiten zu reagieren; eine Suspendierung des Assoziierungsabkommens mit Israel wurde debattiert, aber verworfen. Im Gegenzug wurde der Vorwurf laut, dass EU-Gelder von Arafat und der Palästinensischen Autonomiebehörde benutzt worden seien, um terroristische Aktivitäten gegenüber Israel zu finanzieren.
Als das "Nahostquartett" im April 2002 in Madrid gegründet wurde, war dies ein Versuch, einen neuen Ansatz der Vermittlung zu schaffen. Die wichtigsten internationalen Akteure haben sich hier institutionalisiert: USA, EU, Russland und die UNO. Ziel des Quartetts war es, eine Reform der Palästinensischen Autonomiebehörde zu bewirken, die zukünftige Rolle Arafats zu klären und eine Harmonisierung der Ansätze der vier Quartett-Mitglieder anzustreben. Für die EU nahmen an der Gründungssitzung der Hohe Vertreter für die GASP, Javier Solana, und der EU-Ratspräsident und dänische Außenminister Per Stig Moeller teil. Zu den neuen Grundsätzen der amerikanischen Nahostpolitik zählte die Gründung eines Palästinenserstaates nach demokratischen Reformen, allerdings ohne Arafat. Die EU war zunächst gegen die Ablösung Arafats, in dem sie trotz Kritik weiterhin den einzig möglichen palästinensischen Verhandlungspartner sah, akzeptierte diese dann aber und suchte nach einer diplomatischen Lösung. Der zufolge sollte Arafat eine rein repräsentative Position erhalten, etwa als Staatspräsident, während die Verhandlungen über die Staatsgründung von Ministerpräsident Abbas übernommen werden sollten. Der im Mai 2003 vorgeschlagene Dreistufenplan sah insbesondere einen israelischen Teilabzug und die Räumung einiger Siedlungen vor. Durch räumliche Trennung der Bevölkerungen wollte man mehr Schutz vor terroristischen Anschlägen erreichen. In drei Etappen sollte die Zwei-Staaten-Lösung und die demokratische Reform der palästinensischen Institutionen erzielt werden, um bereits 2005 im Endstatus zu sein. Trotz der Bemühungen des "Nahostquartetts" konnte die "Road Map" bis heute nicht einmal in Ansätzen umgesetzt werden.
Barcelona-Prozess und Nahostkonflikt
Eine der Besonderheiten des Barcelona-Prozesses ist es, dass Israel, die Palästinensische Autonomiebehörde und die am Konflikt beteiligten arabischen Staaten als gleichberechtigte Partner daran teilnehmen. Der seit 1995 existierende Barcelona-Prozess, bestehend aus drei Körben, ist ein europäisches Globalkonzept für den Mittelmeerraum und als komplementärer Prozess zum Friedensprozess konzipiert; er soll nicht den Nahostkonflikt lösen. Die unvermeidbaren Interaktionen zwischen den beiden Prozessen führen andererseits dazu, dass die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP) immer wieder durch den Nahostkonflikt gelähmt wird. Im Rahmen des politischen Korbs wird seit Jahren vergebens an der Unterzeichnung der "Charta für Frieden und Stabilität" gearbeitet, die eine Verpflichtung zu friedlicher Konfliktbeilegung und die Fortsetzung des politischen Dialogs im Konfliktfall beinhalten würde. Die arabischen Staaten, insbesondere Syrien, machen immer wieder deutlich, dass keine sicherheitspolitische Zusammenarbeit möglich sei, solange ein "strategisches Ungleichgewicht" herrsche, der Nahostkonflikt nicht gelöst sei und Israel sein Atomwaffenmonopol nicht zur Diskussion stelle.
Aus dem gleichen Grund können nur wenige der ursprünglich geplanten "partnerschaftsbildenden" Maßnahmen zum Einsatz kommen. Die wiederholten Boykotte der Euromed-Außenminister-Konferenzen durch Syrien und Libanon, um die israelische Politik anzuprangern, machen deutlich, dass sich die beiden Prozesse nicht so trennen lassen wie ursprünglich in Brüssel konzipiert. Andererseits kann die EMP zur Entspannung beitragen, etwa wenn am Rande der Euromed-Konferenzen informelle Gespräche zwischen Israel, den Palästinensern und Syrien stattfinden. Regelmäßige Treffen der so genannten "Senior Officials" zu Fragen des politisches Dialogs und zahlreiche Treffen von Fachministern und Beamten zu allen drei Körben haben dazu geführt, dass eine gewisse Kontinuität entstanden ist und multilaterales Verhalten eingeübt wurde.
Das Androhen ökonomischer Sanktionen ist jedoch problematisch, wie die Debatte um die Suspendierung des Assoziierungsabkommens mit Israel
Die EU und die US-Nahostpolitik
Die USA und die Europäer sind seit Jahrzehnten im Nahen Osten aktiv und darum bemüht, eine weitere Verschlechterung der Situation aufzuhalten. Während die USA in allen wichtigen Etappen des Friedensprozesses eine zentrale Rolle spielten, war der Part der EG/EU zwar eher bescheiden, aber dennoch wichtig, insbesondere was die Entwicklung von langfristigen Konzepten, die Unterstützung diplomatischer Initiativen und die finanzielle Unterstützung des Friedensprozesses angeht.
Eine gewisse, schrittweise Emanzipation von den USA hat stattgefunden. In Madrid 1991 war die EU mit Ausnahme der regionalen Arbeitsgruppe noch nicht vertreten. Zu den Abkommen von Oslo 1993 hatten europäische Vermittler im Vorfeld mit beigetragen. Die Konferenz von Barcelona 1995 war eine eigenständige europäische Initiative für die Region. An den Gesprächen von Taba und Camp David nahm der Sondergesandte für den Nahen Osten Moratinos teil. Mit der Berliner Erklärung von 1999 festigten die EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Position, in Abgrenzung zu den USA. Im Rahmen der "Road Map" steht die EU nun als gleichwertiger diplomatischer Partner und internationaler Akteur neben den USA, Russland und der UNO. Nicht zuletzt wird die Genfer Initiative insbesondere in Europa unterstützt. Punkte, in denen die europäischen und amerikanischen Positionen und Herangehensweisen sich unterscheiden, sind vor allem die Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde durch die EU sowie der Barcelona-Prozess als ein spezifisch europäischer, multilateraler Ansatz, der von den USA mit kritischen Augen betrachtet wird.
Lange Zeit hieß es, die Vermittlungsrolle könne ausschließlich von den USA übernommen werden und die EU solle sich darauf beschränken, die Umsetzung der ausgehandelten Abkommen zu garantieren, nach dem Motto: die EU im Dienste der US-Diplomatie. Aber der Misserfolg von Camp David II hat gezeigt, dass auch die US-Regierung nicht alles erreichen kann. Die Palästinenser hatten den Eindruck, mit einer israelisch-amerikanischen Delegation zu verhandeln. In diesem Sinne könnte es von Nutzen sein, die EU als einen neutraleren Vermittler hinzuzuziehen. Ziel sollte es jedoch nicht sein, gegeneinander zu arbeiten. Zu Anfang ihrer Regierungszeit hatte die Bush-Administration für ein "low profile" im Nahostkonflikt optiert. In dieser Zeit unternahmen die europäischen Vertreter eine rege Reisediplomatie in die Region. Seit der Gründung des "Nahostquartetts" wird nun wieder verstärkt zusammengearbeitet. Europäische Außenpolitik im Nahen Osten darf sich nicht gegen die USA definieren.
Divergierende Ansätze der EU-Mitgliedstaaten
Während in der Vergangenheit die Positionen Frankreichs, Deutschlands oder Großbritanniens in den Teilaspekten des Nahostkonflikts wie der Flüchtlingsfrage, der Frage der Grenzen und des Status von Jerusalem teilweise stark divergierten, fand im letzten Jahrzehnt ein Angleichungsprozess der Positionen statt. Inzwischen hat sich die Zwei-Staaten-Lösung als Konsens etabliert. Divergenzen existieren jedoch weiterhin über die Wege, wie man dieses Ziel erreichen könnte und wie man auf akute Krisensituationen reagieren sollte. Die unterschiedliche Akzentsetzung wird auch immer wieder während einzelner diplomatischer Initiativen deutlich, etwa wenn der französische Präsident Jacques Chirac 1996 während einer Reise in den Nahen Osten versuchte, die gaullistische "politique arabe" wiederzubeleben, und Frankreich als tonangebenden Motor innerhalb der GASP etablieren wollte. Seine proarabische Positionierung und die Forderung nach einer gleichwertigen Rolle der EU neben den USA im Friedensprozess stießen in Israel auf heftige Kritik.
Die Vermittlungsinitiativen Außenminister Fischers im Nahen Osten, der Sieben-Punkte-Plan oder der Gefangenenaustausch im Januar 2004 sind Ausdruck dieses neuen außenpolitischen Verständnisses. Gleichzeitig ist nicht immer offensichtlich, wann in deutschem und wann in europäischem Namen gesprochen und gehandelt wird. Das Gleiche gilt für die Positionierung anderer EU-Mitgliedstaaten zum Nahostkonflikt. Die traditionell proisraelische Haltung Großbritanniens, aber auch der Niederlande, Polens und Spaniens basiert teils auf den alten und neuen transatlantischen Bindungen dieser Staaten, teils auf historischen Hintergründen. Angesichts solch divergierender außenpolitischer Traditionen ist es nicht verwunderlich, dass es der EU immer wieder misslingt, mit einer gemeinsamen außenpolitischen Stimme aufzutreten. So hat sich insbesondere Deutschland bei verschiedenen Abstimmungen zur israelischen Siedlungspolitik in der UN-Generalversammlung enthalten. Eine zunehmende Fusion von nationalen und europäischen Politikstrukturen und Interessen lässt sich beobachten, während gleichzeitig Frankreich und Großbritannien eine Renationalisierung ihrer Außenpolitik betreiben. Die unterschiedlichen Vorstellungen über eine gemeinsame Nahostpolitik variieren nicht nur nach den nationalen Perspektiven, sondern auch nach dem politischen Spektrum. Ein neuer Impuls für die europäische Nahostpolitik könnte von der spanischen sozialistischen Regierung ausgehen, da der ehemalige Sonderbeauftragte Moratinos Außenminister geworden ist.
Perspektiven
Das diplomatische innereuropäische Debakel im Kontext des Irakkriegs ist einer der schwersten Rückschläge für die GASP gewesen, hat aber auch eine intensive Debatte über die Zukunft der europäischen Außenpolitik, insbesondere gegenüber der Region Nordafrika und Naher Osten, in Gang gesetzt. Seitdem kursieren Konzepte wie das Europa der zwei Geschwindigkeiten, die deutsch-französische Avantgarde oder die "Alliances à la carte" wie etwa das Dreiergespann Frankreich, Deutschland, Großbritannien als mögliche Steuerungszentren für die erweiterte EU der 25. Die kleineren, mittleren und neuen EU-Mitgliedstaaten beobachten diese Entwürfe mit großer Skepsis. Auch aus der Perspektive der Brüsseler Institutionen bedeutet dies "einen Rückfall in die Welt der Mächte und Nationalstaaten"
Die kontinuierliche Reform der Instrumente der GASP und der Aufbau der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) sollen zu mehr politischem Gewicht der EU beitragen. Trotz der beschriebenen Fortschritte ist die EU zum heutigen Zeitpunkt noch immer nicht ausgerüstet, um schnell und effizient auf politische Krisen und Konflikte in der Welt zu reagieren. Ihre Stärke liegt in ihrem multilateralistischen Ansatz. In den Nahostkonflikt sind zahlreiche Parteien, Staaten und nichtstaatliche Akteure verstrickt. Hier kann die EU ihre Vermittlungskapazitäten und ihr Potenzial im "Institution Building" noch mehr unter Beweis stellen. Auch verfügt die EU über ökonomische Mittel, die zur Entwicklung der Region beitragen können: positive Anreize, positive Konditionalisierung statt Sanktionen als Motivation für die Konfliktparteien. Aus europäischer Perspektive stehen die Probleme Terrorismus und Siedlungspolitik im Vordergrund. In beiden Fällen kann die EU mehr Druck ausüben. Der Palästinensischen Autonomiebehörde muss noch deutlicher gemacht werden, dass die taktische Anwendung von Gewalt, sei es auf direktem Wege durch die Fatah-Miliz oder auf indirekte Weise durch die Freilassung von Terroristen, nicht akzeptabel ist. Auf Israel muss im Sinne eines Stopps der Siedlungspolitik eingewirkt werden. Die EU verfügt über Möglichkeiten, politischen und ökonomischen Druck auf alle am Konflikt beteiligten Parteien auszuüben. Dies muss in Abstimmung mit den anderen Akteuren, USA, UNO und Russland, geschehen. Im Sinne der Genfer Initiative sollte die europäische Politik auch darauf setzen, bei den schwierigen Problemen anzufangen und keine Provisorien mehr zu dulden.