In der politologischen Parteienforschung gibt es weder eine Definition noch eine Typologie der Parteien, die von allen geteilt wird. Stellt man die verschiedenen Vorschläge gegenüber, schält sich dennoch ein breiter Konsens darüber heraus, was die zentralen Merkmale oder Eigenschaften von Parteien sind.
Cleavage-Konzept
Der engste Zusammenhang besteht zwischen der ideologisch-programmatischen Ausrichtung der Parteien und der Struktur ihrer Anhängerschaften. Erstere blickt auf die Angebots-, Letztere auf die Nachfrageseite der Parteien und Parteiensysteme. Theoretisch reflektiert wird der Zusammenhang im Cleavage-Konzept, das Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan Ende der 1960er Jahre entwickelt haben und die Parteienforschung bis heute prägt.
Unterstellt wird dabei eine Wechselbeziehung zwischen den Angehörigen der durch gemeinsame soziale und Lebensstilmerkmale charakterisierten Milieugruppen und den sie vertretenden Parteien. "Erstere wählen Parteien, um ihre gruppenspezifischen Interessen, Normen und Werte politisch durchzusetzen, Letztere gestalten politische Konflikte aktiv mit, um dadurch bei Wahlen ihre typischen Wählergruppen zu mobilisieren und ihren Stimmenanteil zu maximieren."
Lipset und Rokkan nehmen an, dass die Konfliktlinien nicht von sich aus zur Partei- und Lagerbildung führen, sondern erst, wenn sie durch Eliten politisch mobilisiert werden. Zum Entstehungszeitpunkt der Parteiensysteme standen für diese dabei verschiedene Koalitionsmöglichkeiten offen. So gingen die Katholiken in den USA eine Koalition mit den Demokraten ein, während sie in Europa dem konservativen oder christdemokratischen Lager zuneigten. In Großbritannien und Deutschland waren die Konservativen in der Lage, die Interessen von Landbesitzern und Industriellen in einer gemeinsamen Front zusammenzuführen. Die städtisch geprägte skandinavische Rechte brachte dagegen keine dauerhafte Allianz mit den Agrariern zustande; diese orientierten sich stattdessen in Richtung Sozialdemokratie (so in Schweden) oder in Richtung eigener Bauernparteien, aus denen später die liberalen Parteien hervorgingen (so in Norwegen und Dänemark). Die unterschiedlichen Festlegungen erklären, weshalb die nationalen Parteiensysteme in Europa trotz vergleichbarer Konfliktlagen bis heute erhebliche Unterschiede aufweisen.
Die berühmteste und zugleich umstrittenste Annahme des Cleavage-Konzepts lautet, dass die am Anfang eingegangenen Koalitionen auf Dauer Bestand haben: Hat sich eine Elite oder Partei der Unterstützung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe erst einmal versichert, kann sie auf deren langfristige Loyalität zählen. Davon ausgehend halten Lipset und Rokkan die Entwicklung der Parteiensysteme bereits in den 1920er Jahren für vollendet. Der Mobilisierungsprozess kommt zum Abschluss, nachdem mit der Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts auch der letzte unter den großen gesellschaftlichen Konflikten – der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit – parteiförmig umgesetzt ist. Dies führt die Autoren zu ihrer vielzitierten These von den "eingefrorenen" Konfliktlinien: "Die Parteiensysteme der 1960er Jahre reflektieren – mit wenigen, aber bedeutsamen Ausnahmen – die Cleavage-Strukturen der 1920er Jahre."
Doch wie steht es mit der Anwendbarkeit der Theorie auf die Zeit danach? Es ist nicht ohne Ironie, dass sich just 1967, als Lipset und Rokkan ihren Aufsatz verfassten, in den demokratischen Industriegesellschaften Entwicklungen ankündigten, die nachfolgend auch in eine Veränderung der Parteiensysteme mündeten. Auf der einen Seite verloren die großen Parteien des rechten und linken "Mainstreams" an Wählerunterstützung, auf der anderen Seite betraten neue – ökologische, rechtspopulistische und regionalistische – Parteien die Bühne, von denen sich viele in den politischen Systemen dauerhaft etablierten. Der Bedeutungsverlust der einstmals parteienbildenden Konfliktlinien spiegelt sich vor allem in der nachlassenden Bindungskraft der beiden großen – christdemokratisch-konservativen und sozialdemokratischen – Parteienfamilien.
Tertiarisierung und Ausbau des Wohlfahrtsstaates: Während mit dem Übergang zur nachindustriellen Dienstleistungsökonomie die Grundlagen der alten Klassengesellschaft erodieren, sorgt der moderne Wohlfahrtsstaat dafür, dass gesellschaftliche Aufgaben wie Erziehung und Bildung und die Bewältigung individueller Lebensrisiken (Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit) von gemeinschaftlichen Institutionen in staatliche Hände verlagert werden. Die Schutzfunktion der Milieus, auf denen die Massenintegrations- und späteren Volksparteien gründeten, wird dadurch entbehrlich.
Individualisierung und Wertewandel: Der Wandel der Arbeitswelt und Erwerbsformen, die steigenden Möglichkeiten und Bedürfnisse des Konsums sowie die Pluralität sozialer Normen und Werteinstellungen führen dazu, dass sich die individuellen Lebensverläufe und -stile immer stärker unterscheiden. Religiöse Werte verlieren im Zuge der Säkularisierung an Bedeutung, während auf der anderen Seite materielle durch immaterielle Wertvorstellungen abgelöst beziehungsweise ergänzt werden. Anstelle der gleichförmigen Mittelstandsgesellschaft tritt eine heterogene "Gesellschaft der Singularitäten".
Bildungsexpansion und Medienangebot: Verbesserte Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten sowie die technisch bedingte Vervielfachung des Medienangebots vom kommerziellen Fernsehen bis zu den internetgestützten Medien vervollständigen die Individualisierung der Lebensführung auf der Informationsseite. Sie wecken das Bedürfnis nach mehr Partizipation, setzen Parteien sowie Politikerinnen und Politiker unter erhöhten Rechtfertigungsdruck und steigern die Bedeutung kurzfristiger Faktoren wie der Kandidaten- und Themenorientierung für die Wahlentscheidung. Gleichzeitig führen sie dazu, dass die Öffentlichkeit immer stärker fragmentiert.
Der gesellschaftliche Wandel kann im Begriff der "Pluralisierung" zusammengefasst werden. Diese findet ihren Niederschlag darin, dass "die großen Effekte der politisierten Sozialstruktur allmählich durch kleinere Effekte bestimmter sozialstruktureller Lagen abgelöst werden, die sich nicht mehr zu einem großen Gesamteffekt der ‚Sozialstruktur‘ oder zumindest der ‚Klassenstruktur‘ aufaddieren".
"Neues" Konfliktlinienschema
Wenn sich die Interessenlagen und Wertvorstellungen in der nachindustriellen Gesellschaft von den harten Merkmalen der Sozialstruktur lösen, dann erscheint es sinnvoll, bei der Betrachtung der gegenwärtig relevanten Konfliktlinien weniger auf die Beziehungen der Parteien zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen abzustellen als auf die von ihnen vertretenen ideologisch-programmatischen Grundpositionen. Diese werden auf der Wählerebene in erster Linie durch Einstellungsmerkmale reflektiert und nicht mehr durch die Zugehörigkeit zu einer sozialstrukturell abgrenzbaren Gruppe.
Das Konfliktlinienmodell der heutigen Parteiensysteme knüpft an die horizontale Achse des Schemas von Rokkan an, die in der funktionalen Dimension zwischen ökonomischen, also verteilungsbezogenen, und kulturellen, also wertebezogenen Konflikten unterscheidet. Im Rahmen des sozioökonomischen Verteilungskonflikts stehen sich die Grundpositionen der Marktfreiheit und der sozialen Gerechtigkeit als Pole gegenüber. Die eine Position sieht die Verteilungsergebnisse des Marktes im Prinzip als gerecht an, sofern sie nach bestimmten, staatlich gewährleisteten Grundregeln zustande kommen. Die andere Position betrachtet die Marktergebnisse als ungerecht und möchte sie durch wohlfahrtsstaatliche Umverteilungspolitik im Sinne einer größeren sozialen Gleichheit korrigieren. Die zweite Achse repräsentiert den soziokulturellen Wertekonflikt.
Abbildung 2: Zweidimensionales Konfliktlinienmodell des heutigen deutschen Parteiensystems (© bpb, Eigene Darstellung.)
Abbildung 2: Zweidimensionales Konfliktlinienmodell des heutigen deutschen Parteiensystems (© bpb, Eigene Darstellung.)
Hier stehen auf der einen Seite liberale/libertäre Haltungen wie Toleranz, nonkonformistisches Denken, Kosmopolitismus und Multikulturalität, auf der anderen Seite konservative/autoritäre Haltungen wie Ordnungsdenken, Festhalten an konventionellen Lebensformen, übertriebener Nationalstolz beziehungsweise Chauvinismus und Minderheitenfeindlichkeit (Abbildung 2).
Die zweidimensionale Aufteilung des politischen Raums steht nicht im Widerspruch zur klassischen Links-Rechts-Unterscheidung, wie gelegentlich behauptet wird.
Zumindest im Hinblick auf den Gegensatz zwischen Freiheit und Autoritarismus bedarf dieses Argument allerdings der Korrektur. Bobbio übersieht, dass das Hierarchieprinzip nur eine Form der Ungleichheit ist, die von anderen, zum Beispiel liberalen Formen unterschieden werden muss. Die Differenz liegt in der Begründung: Während der Autoritarismus zu seiner Rechtfertigung auf natürliche Ungleichheiten etwa des Geschlechts oder der ethnischen Zugehörigkeit abstellt, orientiert sich der Liberalismus am Gedanken der Marktfreiheit und damit verbundenen Leistungs- oder Verdienstkriterien.
Das zweidimensionale Konfliktlinienmodell schließt hier an. Es geht davon aus, dass in beiden Sphären rechte und linke Positionen unterschieden werden können. Auf der soziokulturellen Achse stehen sich links die liberal-libertäre Position und rechts die konservativ-autoritäre Position gegenüber, während auf der sozioökonomischen Achse die Marktposition den rechten und die Gerechtigkeitsposition den linken Pol markiert (Abbildung 2). Dass die Links-Rechts-Zuordnung in beiden Sphären nicht übereinstimmen muss, macht gerade den Nutzen des zweiteiligen Schemas aus. Die Konfliktlinien können sich also überkreuzen. So ist es beispielsweise ein Charakteristikum vieler liberaler Parteien, dass sie auf der kulturellen Achse eher links und auf der ökonomischen Achse eher rechts anzutreffen sind. Damit unterscheiden sie sich von den christdemokratisch-konservativen Vertretern, die auf beiden Achsen rechts einzuordnen sind, wobei sie auf der ökonomischen Achse meistens nicht ganz so weit rechts stehen wie die Liberalen. Dasselbe gilt für die am äußeren rechten Pol der kulturellen Konfliktachse platzierten Rechtspopulisten, deren sozial- und wirtschaftspolitische Position zwischen Marktliberalismus und Wohlfahrtsstaatlichkeit changieren.
Auch die linken Parteien lassen sich in das Schema intuitiv gut einordnen, wie das deutsche Beispiel zeigt (Abbildung 2). Die Grünen stehen danach auf der kulturellen Achse am weitesten links, also in der Nähe des libertären Pols, während SPD und Linkspartei etwa gleichlautend eine Position knapp links von der Mitte einnehmen. Auf der ökonomischen Achse wiederum befinden sich die Grünen gleichlautend mit der SPD ein gutes Stück jenseits der Mitte, während die Linkspartei ganz in der Nähe des Gerechtigkeitspols steht.
Das Konfliktlinienschema ist auch deshalb hilfreich, weil es eine Differenzierung zwischen den offiziellen Positionen der Partei und den Einstellungen ihrer Wählerinnen und Wähler ermöglicht. Beide müssen nicht unbedingt übereinstimmen. Gerade bei den traditionellen (sozialdemokratischen oder sozialistischen) Vertretern der Linken, die ihre Entstehung der sozialökonomischen Konfliktlinie verdanken, ist es ein altbekanntes Phänomen, dass die Wählerschaft in den kulturellen Fragen häufig weiter rechts steht als die Partei. Umgekehrt hat der unerwartet hohe Zulauf, den die neuen Rechtspopulisten unter Arbeiterinnen und Arbeitern sowie Arbeitslosen erzielen konnten, zu einer Linksverschiebung in deren Programmatik geführt: Nachdem diese zunächst noch sehr stark neoliberal akzentuiert war, treten die neuen Rechtsparteien heute in vielen Ländern als vehemente Verteidiger des Wohlfahrtsstaates auf.
Die Vereinbarkeit des Konfliktlinienmodells mit dem Links-Rechts-Schema lässt sich grafisch umsetzen, wenn man die Werteachse nicht – wie in der Literatur normalerweise üblich – senkrecht anordnet, sondern in die Diagonale kippt (Abbildung 2).
Anpassungsfähiges Schema
Das Missverständnis, wonach die Wertepolitik aus dem Links-Rechts-Schema herausfällt, geht auf den amerikanischen Sozialwissenschaftler Ronald Inglehart zurück. Dessen Anfang der 1970er Jahre entwickelte Theorie des "postmaterialistischen" Wertewandels operationalisierte die materiellen und immateriellen Werte so, dass erstere ausschließlich mit linken und letztere mit rechten Positionen zusammenfallen.
Trifft diese Interpretation zu, dann basiert die Entstehung der grünen Parteien ebenso wenig auf einer neuen Konfliktlinie wie das Aufkommen des Rechtspopulismus. Beide Erscheinungen sind vielmehr die Folge eines veränderten politischen Themenhaushalts, der die Prioritäten sowohl innerhalb der verteilungs- und wertebezogenen Sphäre als auch zwischen diesen verschoben hat.
Ähnliche Einwände wie gegen die Postmaterialismustheorie lassen sich gegen eine weitere im Zuge des erstarkenden Rechtspopulismus populär gewordene Neufassung des Konfliktlinienschemas vorbringen: die Gegenüberstellung von sogenannten Kosmopoliten und Kommunitaristen.
Gleichzeitig ist der Bedeutungswandel des Links-Rechts-Schemas darauf zurückzuführen, dass sich die Kontexte, in denen Gleich- oder Ungleichverteilungen ein Thema darstellen, räumlich und zeitlich ausgeweitet haben: Blieb die Auseinandersetzung bis in die 1960er Jahre hinein noch weitgehend auf die klassische Frage der sozialen Ungleichheit im nationalstaatlichen Rahmen beschränkt (in Abhängigkeit von der Position im Erwerbsprozess), erstreckte sie sich nachfolgend zugleich auf die ökonomische Benachteiligung der "Dritten Welt" und auf die Benachteiligung künftiger Generationen im Zuge der ökologischen Krise. Dies stellte vor allem die sozialdemokratische Mainstream-Linke vor ein Problem, die nun gezwungen war, die aus den verschiedenen Gleichheitskontexten resultierenden Interessenkonflikte – zwischen nationalen und internationalen Verpflichtungen, in- und ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie der gegenwärtigen und künftigen Generation – programmatisch und in ihrem Regierungshandeln zum Ausgleich zu bringen.
Die vergangenen und aktuellen innenpolitischen Debatten in der Bundesrepublik – um die Vertiefung der europäischen Integration, die Zukunftssicherung des Sozialstaates, die Erreichung der Klimaziele und nicht zuletzt die Migrations- und Flüchtlingspolitik – verdeutlichen, dass sich diese Konflikte weiter verschärft haben. Wie unübersichtlich die Frontverläufe dabei geworden sind, lässt sich etwa an der heftigen Auseinandersetzung in der Partei Die Linke ablesen, wo eine Minderheit unter Führung von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine die flüchtlingsfreundliche Linie der Parteispitze offen infrage stellt. Ihre Forderung nach einer Begrenzung der Zuwanderung erscheint auf den ersten Blick wie eine Anleihe beim Rechtspopulismus. Tatsächlich lässt sie sich aber durchaus als linke Position begründen, wenn sie mit der Übernahme internationaler Verpflichtungen etwa bei der Fluchtursachenbekämpfung und der heimatnahen Unterbringung der Flüchtlinge einhergeht
Das Beispiel zeigt, dass die Begriffe "rechts" und "links" durch die "neue Unübersichtlichkeit" (Jürgen Habermas) nicht obsolet werden, sondern ihre Bedeutung als Orientierungshilfe sogar noch zunimmt. Indem sie die vielfältigen Konfliktkonstellationen der sich ausdifferenzierenden Parteienlandschaft auf einen einfachen Dualismus verkürzen, erleichtern sie es den Wählerinnen und Wählern, die Positionen der politischen Anbieter und ihre eigene Position einzuschätzen und abzugleichen. Allen Abgesängen zum Trotz hat das Links-Rechts-Schema seine inhaltliche Anpassungsfähigkeit über 200 Jahre hinweg bewiesen. Die ursprünglichen ideologischen Bezüge brauchte es dabei nicht abzustreifen – wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zwischen den politischen Richtungen bleibt das jeweilige Gleichheitsverständnis. Daran dürfte sich auch in Zukunft wenig ändern.