In einer repräsentativen Demokratie entscheiden Parlamentsabgeordnete über öffentliche Angelegenheiten eines Staatswesens. Ihre Wahl ist der einfachste und am weitesten verbreitete Akt politischer Partizipation für Staatsbürgerinnen und -bürger. Ohne allgemeines, freies und gleiches Wahlrecht keine Demokratie: Frauenbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert forderten darum auch das Frauenwahlrecht.
Zwischen den verschiedenen Strömungen der Frauenbewegungen, insbesondere zwischen bürgerlichen und proletarischen Organisationen, war durchaus umstritten, ob das Frauenwahlrecht zu gleichen Bedingungen wie für die Männer zu fordern sei oder ob gleich das allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht für beide Geschlechter verlangt werden sollte. Die historische Forschung zu Europa zeigt, dass die Erkämpfung des Frauenwahlrechts das Ergebnis vielfältiger Strategien und Ressourcen war. Internationale Vernetzungen waren ebenso wichtig wie strategische Allianzen mit anderen Bewegungen etwa für nationale Unabhängigkeit oder Demokratisierung des Staatswesens. Große Umwälzungen wie Kriege und Revolutionen, daran anschließende Bestrebungen zur Bewältigung der Folgen und die Suche nach gesellschaftlichem Zusammenhalt waren politische Gelegenheitsfenster. In späteren Jahren sorgten internationale Abkommen wie die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) für Druck, das Frauenwahlrecht etwa in der Schweiz und in Liechtenstein einzuführen.
Das antizipierte Wahlverhalten von Frauen war bei den historischen Debatten um das Frauenwahlrecht seit jeher zentral gewesen. Es wurde vermutet und befürchtet, Frauen würden anders wählen und die jeweils eigene Partei schwächen – und darum wurde das Recht häufig abgelehnt. Instrumentelle Überlegungen konnten umgekehrt dazu führen, dass politische Kräfte das Frauenwahlrecht unterstützten, weil Frauen für politische Stabilität oder ethnonationale Mehrheiten in neuen Demokratien sorgen sollten. Dies ging einher mit Mutmaßungen über die politische Reife, intellektuelle Fähigkeiten oder die "Gefühlsbetontheit" künftiger Wählerinnen.
Wie kann man nach 100 Jahren Frauenwahlrecht in Deutschland die Frage nach der "Frauenwahl" beantworten? Welche Unterschiede im Wahlverhalten zwischen den Geschlechtern gab und gibt es? Wie lassen sich Unterschiede erklären? Und inwiefern trägt die Wahlbeteiligung von Frauen zu ihrer politischen Integration bei? Im Folgenden werden Konzepte der Wahlforschung umrissen, die die klassische Frage "Wer wählt wen warum?" beantworten sollen. Veränderungen des geschlechtsspezifischen Wahlverhaltens und mögliche Erklärungen sind Gegenstand des nächsten Abschnitts. Die Entwicklung in Deutschland wird anhand des Wahlverhaltens bei Bundestagswahlen skizziert. Differenziertere Aussagen, ob, wie und warum Frauen und Männer anders wählen, geben Studien, die sich mit verschiedenen Systemen von Präferenzstimmen beschäftigen (in Deutschland nur auf Länder- und Kommunalebene möglich), denen ein weiterer Abschnitt gewidmet ist. Untersuchungen zu Sachabstimmungen und Referenden, also direktdemokratischen Instrumenten, können schließlich Aufschluss geben über Unterschiede in den Einstellungen zu Sachfragen zwischen den Geschlechtern.
Wählen ist nur eine Form unter vielen Möglichkeiten politischer Beteiligung, die auch die Mitwirkung in Parteien, in zivilgesellschaftlichen Initiativen, an Protesten, Boykotts oder weiteren Formen öffentlicher Äußerungen umfassen. Wahlen münden in politische Repräsentation, die unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtergleichstellung umfangreiche Fragen aufwerfen: Wie viele Frauen und Männer sind in Parlament und Regierung vertreten und wovon hängt dies ab (deskriptive Repräsentation), inwiefern vertreten sie welche Art von geschlechtsspezifischen Interessen (substanzielle Repräsentation) und welche Vorstellungen, Normen und Stereotypen von Geschlecht werden in der politischen Praxis vermittelt (symbolische Repräsentation)? Wahlverhalten ist damit ein wichtiger Ausgangspunkt für die allgemeine Frage nach gleicher politischer Beteiligung und Entscheidungsmacht.
Wahlforschung: Wer wählt wen warum?
Wahlforschung beschäftigt sich mit Wahlprozessen, Wahlrecht, Wahlkämpfen und Wahlkampfkommunikation. Weitaus am stärksten ausgearbeitet ist Wahlforschung, die die Gründe für individuelle Partizipation untersucht. Auf Grundlage von Statistiken und quantitativen Befragungen geht es darum, individuelle Wahlentscheidungen und ihre Verbindung mit sozialen, kulturellen und historischen Einflüssen zu beschreiben, zu erklären und zu prognostizieren. Grundsätzlich besteht bei dieser quantitativen Forschung immer ein Spannungsverhältnis zwischen der Analyse anhand der Variable Geschlecht und der Tatsache, dass es sich bei der Geschlechterungleichheit um ein mehrdimensionales gesellschaftliches Strukturverhältnis handelt, das sich eben nicht in einer Variable abbilden lässt. Bei der Erklärung individueller politischer Partizipation wie dem Wahlverhalten werden grob drei theoretische Ansätze unterschieden.
Strukturelle Theorien des Wählens gehen davon aus, dass Wählende langfristig und relativ stabil in gesellschaftlichen Strukturen verankert sind. Entsprechend können gesellschaftliche Grundkonflikte, Werte sowie die Bindungen an Klassen und Milieus das Wahlverhalten, politische Einstellungen und Präferenzen für Kandidierende erklären. Dazu werden Hintergrundvariablen wie Einkommen, Bildungsstand, Beruf und Schichtzugehörigkeit oder Konfession herangezogen. Grundlegende Konfliktlinien (sogenannte cleavages, etwa zwischen Arbeit und Kapital oder Kirche und Staat) verändern und differenzieren sich allerdings aus.
Sozialpsychologische Theorien betonen die Wichtigkeit politischer Einstellungen für die aktive Teilnahme der Bürger*innen. Sie sehen politische Einstellungen und besonders die Parteiidentifikation als eine langfristig wirksame Determinante des Wahlverhaltens und als einen Filter, durch den neue Themen und Positionen bewertet werden. Diese Parteiidentifikation wird durch politische Sozialisation meist schon in der Jugend erworben.
Instrumentelle Theorien des Wählens gehen davon aus, dass Wahlberechtigte aufgrund eigener Präferenzen, rationaler Kosten-Nutzen-Abwägung und vollständiger Information ihre Entscheidung treffen. Dazu beurteilen sie Leistungen, inhaltliche Positionen der Parteien und Kandidaten-Alternativen, deren Lösungskompetenzen und die bisherige Arbeit von Regierung und Abgeordneten. Parteien passen sich dann an Wählerpräferenzen an.
Diese Ansätze ergänzen sich heute eher als dass sie sich ausschließen, das heißt, verschiedene Ansätze können auch verschiedene Befunde der Wahlsoziologie unterschiedlich gut erklären. So besteht Einigkeit über die gesellschaftsstrukturelle Verankerung von Wahlentscheidungen und über die in den vergangenen Jahrzehnten gestiegene Bedeutung situativer und politik-konjunktureller Faktoren.
Vergleichende Studien zur Geschlechterlücke (Gender Gap) bei Wahlen haben deren Veränderung und Dynamik analysiert. Bis etwa 1980 ließ sich in westlichen Industriegesellschaften ein traditioneller Gender Gap beobachten: Frauen wählten christdemokratischer beziehungsweise konservativer und partizipierten weniger an Politik als Männer. Erklärt wurde dies mit stärkeren religiösen Bindungen von Frauen und ihrer sozioökonomischen Lage, etwa einer niedrigen Erwerbsquote. In den 1980er Jahren gingen die Geschlechterunterschiede zurück und je nach Land wählten Frauen nun linker oder rechter, während gleichzeitig traditionelle Parteibindungen lockerer wurden und klassische Konfliktlinien aufweichten. Seitdem ist tendenziell eine moderne Geschlechterlücke zu konstatieren: Nun wählen Frauen eher links beziehungsweise "wohlfahrtstaatlicher". So unterstützen in den USA Frauen eher die Demokraten als die Republikaner. Auch in Europa hat sich die traditionelle Geschlechterlücke aufgelöst, und für viele Staaten ist die Entwicklung eines modernen Gender Gaps zu beobachten. Sowohl sozialstrukturelle Veränderungen wie steigende Erwerbsquoten und Bildungsniveaus bei Frauen als auch ein tief greifender Wandel von Werten und Rollenorientierungen spielen dabei eine Rolle. Für die moderne Geschlechterlücke sind dabei die Unterschiede in den Wertorientierungen wichtiger, insbesondere zu postmaterialistischen Einstellungen und Forderungen der Frauenbewegungen.
Geschlecht und aktives Wahlrecht
Die Wahlbeteiligung der Geschlechter hat sich in den vergangenen Jahrzehnten angeglichen. Die größte Lücke gab es 1957 mit 3,3 Prozent zuungunsten der Wählerinnen. Seit 2002 schwankt der Geschlechterunterschied zwischen 0,4 und 0,8 Prozent. Die Wahlbeteiligung nach Alter weist größere Unterschiede auf: Die Beteiligungsraten steigen bis etwa 70 Jahre an und gehen dann zurück. Bei der Bundestagswahl 2017 gingen 67 Prozent der 21- bis 24-Jährigen, aber 81 Prozent der 60- bis 69-Jährigen zur Wahl.
Insgesamt sind die Unterschiede in der Wahlbeteiligung zwischen den Geschlechtern also klein, und zwar kleiner als die Unterschiede beim deklarierten politischen Interesse. Die feministische Forschung hat wiederholt vermutet, dass die Frage nach dem "politischen Interesse" nur das Interesse an institutionalisierter "offizieller", also männlich definierter Politik messe und unter anderem deswegen Frauen hierbei stets niedrigere Werte aufwiesen als Männer. Die Politikwissenschaftlerin Bettina Westle hat diese Einwände mittels Umfragedaten intensiv untersucht. Sie fand, dass deklariertes politisches Interesse mit tatsächlicher politischer Partizipation verknüpft ist, und zwar in gleich starkem Maße sowohl mit Wahlen und Parteiarbeit als auch mit zivilgesellschaftlicher Initiative oder Protestbeteiligung, also mit sogenannten konventionellen und unkonventionellen Formen. Einen Teil des niedrigeren Partizipationsniveaus von Frauen konnte sie auf deren geringere Ressourcen zurückführen. Doch zeigen Frauen auch bei gleichem soziodemografischen Hintergrund hinsichtlich ihres Partizipationsniveaus, ihres politischen Interesses, ihrer subjektiven Kompetenz und der Einschätzung ihrer Einflussmöglichkeiten geringere Werte. Wir treffen hier auf ein immer wieder zu beobachtendes Muster: Unterschiede in der politischen Partizipation sind nach Geschlecht häufig geringer als nach anderen sozialen Merkmalen ausgeprägt, doch bleiben die Geschlechtsunterschiede auch bestehen, wenn andere Eigenschaften konstant sind. Internalisierte Geschlechterrollenorientierungen können die Ursache für diesen "primär substanziellen Gender Gap" sein, und eine ausgewogenere politische Beteiligung ist daher auch Ergebnis eines veränderten gesellschaftlichen Kontextes.
Welche Parteien wählen Frauen und Männer? Für einige Reichstagswahlen in der Weimarer Republik liegen geschlechtsspezifische Statistiken für einige, nicht unbedingt repräsentativ ausgewählte, Regionen vor. Sie zeigen, dass Frauen vor allem christliche, konservative sowie völkische Parteien wählten und weitaus seltener KPD und SPD unterstützten. Auch gesichert ist die Tatsache, dass Frauen die NSDAP erst spät, das heißt ab 1931 stärker unterstützten, während die Partei vorher vor allem von Männern gewählt wurde. Frauen haben Hitler also nicht an die Macht gebracht, wie in früheren Jahren noch verschiedentlich kolportiert wurde.
Seit 1953 liegen, mit Ausnahme der Bundestagswahlen 1994 und 1998, sogenannte repräsentative Wahlstatistiken vor, die das Wahlverhalten nach Geschlecht und Alter abbilden und mit gekennzeichneten Wahlzetteln in ausgewählten Wahlkreisen erhoben werden. Die Abbildung zeigt den sogenannten Tingsten-Index für verschiedene Parteien bei den jeweiligen Bundestagswahlen. Dieser Index ist nach dem schwedischen Politikwissenschaftler Herbert Tingsten benannt und gibt an, ob eine Partei über- oder unterproportional beispielweise von Frauen und Männern gewählt wird. Die Zahlen zeigen, dass Frauen und Männer zum Teil deutlich unterschiedliche Parteien unterstützten.
Zu Beginn ist der bereits genannte traditionelle Gender Gap sichtbar, das heißt, Frauen wählen konservativer als Männer. In den 1970er Jahren wandelt sich dies langsam (gender dealignment): Nun ist die Wahlentscheidung für die CDU/CSU bei beiden Geschlechtern in etwa gleich. Linke Parteien werden seitdem stärker als bisher von Frauen unterstützt. Gleichzeitig wandeln sich die Grünen von einer Männerpartei ihrer (radikaleren) Anfangszeit zu einer in den 2000er Jahren deutlich stärker von Frauen präferierten Partei. Die FDP und die Linke werden über die Zeit hinweg seltener von Frauen gewählt. Ein gender realignment ist also auf spezifische Art zu beobachten: Frauen wählen nicht einfach linker oder "wohlfahrtsstaatlicher", sondern SPD und Grüne stärker als die Linke. Seit 2009 wird die CDU/CSU wieder deutlich überproportional von Frauen gewählt; dies könnte man als leichte Tendenz zu einem "same gender voting" interpretieren, wenn man das Geschlecht von Angela Merkel als Kanzlerin beziehungsweise als Kanzlerkandidatin ausschlaggebend für eine Wahlentscheidung setzt. Für die Bundestagswahlen 2002 und 2005 lassen sich schwache Effekte nachweisen; Frauen, eher Jüngere und links Eingestellte, haben etwas häufiger mit der Erststimme Kandidatinnen gewählt oder einer Liste mit Spitzenkandidatin die Zweitstimme gegeben.
Schließlich fällt auf, dass die Alternative für Deutschland deutlich weniger von Frauen gewählt wird: 2017 stimmten 9,2 Prozent der Frauen und 12,6 Prozent der Männer für diese Partei. Das ist insofern erstaunlich, als Frauen gleich häufig wie Männer rechtspopulistisch eingestellt sind. In der internationalen Forschung wird vermutet, dass eine weiterhin engere Kirchenbindung von Frauen die Wahl von Rechtspopulisten weniger wahrscheinlich macht und Frauen eher eine soziale Stigmatisierung bei entsprechender Wahlentscheidung fürchten als Männer. Auch könnten ein gewalttätiges und aggressives Image die Wahlbereitschaft für rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien schwächen. Frauen an der Spitze rechter Parteien könnten sie hingegen auch attraktiv für Wählerinnen machen. Dazu passt die Instrumentalisierung und Verschmelzung von feministischen Forderungen mit rassistischer Programmatik, wenn etwa Migranten für allen Sexismus im Land verantwortlich gemacht werden und dieser auf ihre Religion beziehungsweise Kultur zurückgeführt wird. Dazu wird die deutsche Mehrheitsgesellschaft als gleichberechtigt und freiheitlich kontrastiert (sogenannter Femonationalimus). Zusammengefasst: Überzeugende Erklärungen für die relative AfD-Unattraktivität bei Frauen müssten noch gefunden werden.
Eine aktuelle Studie auf Grundlage einer selbstselektiven Online-Befragung zeigt, welche politischen Einstellungen, parteipolitischen Präferenzen und Partizipationsverhalten LGBTIQ*-Personen in Deutschland und Österreich haben. In Deutschland zeigte sich eine große Präferenz für linke Parteien (29 Prozent Grüne, 23 Prozent Linke, 21 Prozent SPD); bei Trans- und Queer-Personen präferierten gar über 40 Prozent die Linke – eine Partei, die eine ausdifferenzierte Agenda in Bezug auf Trans*personen hat; spezifische, kleinere programmatische Unterschiede können also unter bestimmten Umständen zu unterschiedlichen Parteipräferenzen führen.
Aktives Wahlrecht nicht nutzen: Die Nichtwähler*innen
Machen die Deutschen auch Gebrauch von ihrem Wahlrecht? Die Wahlbeteiligung ist allgemein seit den 1970er Jahren stark rückläufig. Das betrifft Landtags- und Kommunalwahlen, bei denen zum Teil nicht einmal mehr 50 Prozent Beteiligung erreicht werden, aber auch die Bundestagswahlen, bei denen die Beteiligung von gut 90 Prozent 1972 auf einen bisherigen Tiefstand 2009 von 71,4 Prozent sank.
Seit der Rekordwahlbeteiligung 1972 ist der Anteil der Nichtwähler*innen in Deutschland stetig gestiegen. Frauen gehen seltener zur Wahl als Männer, auch in vielen anderen europäischen Ländern. Wahlenthaltung kann Systemzufriedenheit und -vertrauen ausdrücken, und sinkende Beteiligung eine nachlassende soziale Pflicht zur Wahl bedeuten. Wahlenthaltung ist aber auch ein Legitimitätsproblem für Parlamente und Regierung, vor allem, wenn sie sozial polarisiert ist. Untersuchungen zur Bundestagswahl 2013 zeigen hier Entwicklungen, die Sorge um die Demokratie bereiten: Je niedriger das Einkommen und das Bildungsniveau auf individueller Ebene und je schwieriger die sozioökonomische Lage am Wohnort, desto niedriger fiel die Wahlbeteiligung aus. Sie weist also eine "ausgeprägte soziale Determiniertheit" auf. Eine Studie von 2010, die Umfragen und Gruppendiskussionen kombinierte, bestätigte die "Randständigkeitsthese", wies aber darauf hin, dass Wahlabstinenz auch in der gesellschaftlichen Mitte verbreitet ist. Die Geschlechterlücke war in dieser Studie sehr klein. Ein Gefühl politischer Wirkungslosigkeit trat zusammen mit einer hohen "Unzufriedenheit mit Protagonisten des politischen Systems" (fehlende Glaubwürdigkeit, Abgehobenheit) auf. Die Studie empfahl eine intensivere politische Auseinandersetzung mit inhaltlichen Alternativen zwischen den Parteien, partizipativere Kommunikation mit den Wahlberechtigten – die zusammen mit einem flexibleren Wahlrecht wieder zu mehr Beteiligung führen könnten –, und tatsächlich steigt in Zeiten inhaltlicher Polarisierung die Wahlbeteiligung, wie etwa bei Landtagswahlen 2016.
Geschlecht und Wahlsysteme mit Vorzugsstimmen
Neben politischen Faktoren und gesellschaftlichen Dynamiken sowie historischen Kontexten kann auch die Ausgestaltung von Wahlsystemen Einfluss auf Einstellungen und Engagement in der Politik haben. Möglichkeiten, Personen zu wählen oder diese doppelt aufzuführen, Wahllisten zu verändern und mit Kandidierenden anderer Parteien zu mischen, können auch als Signal eines responsiven und inklusiven politischen Systems gesehen werden. In Deutschland ist dies nur auf Länder- und Kommunalebene möglich. Internationale Studien zeigen, dass solche sogenannten Präferenzstimmensysteme heutzutage häufig Kandidatinnen zum Wahlerfolg verhelfen und es nicht nur von der Parteistärke und den von den Parteien erstellten Wahllisten abhängt, wie viele Frauen es im Parlament gibt.
Eine Studie zur Tschechischen Republik zeigte etwa, dass das System von Präferenzstimmen entscheidend für den Gewinn eines Mandates war und erleichterte Bedingungen für das Aufsteigen auf der Wahlliste verantwortlich für einen Anstieg der Frauenrepräsentation im Parlament waren. 2010 stieg er von 15,5 auf 22,0 Prozent, und die Kandidatinnen konnten ihren Anteil an allen Präferenzstimmen deutlich steigern. Möglicherweise haben zu diesem Erfolg die Diskreditierung vieler Politiker durch Korruptionsskandale und die Sensibilisierungsaktivitäten von Frauenorganisationen beigetragen. Eine Studie zu den finnischen Parlamentswahlen, bei denen die Stimme für eine Person auf einer Parteiliste abgegeben werden muss, zeigte durch repräsentative Nachbefragungen zur Wahl, dass das gender-based voting bei Männern immer stärker verbreitet war als bei Frauen (Männer wählten also eher Männer), aber mittlerweile leicht rückläufig ist. Frauen wählen seit einiger Zeit hingegen immer häufiger Frauen. Dies kann auf eine veränderte, vermehrt gleichstellungsorientierte Kultur zurückgeführt werden.
In einer deutschen Studie zu Kommunalwahlen in 18 Groß- und 56 Kleinstädten fanden die Autor*innen heraus, dass Frauen als Kandidatinnen in Kleinstädten deutlich und statistisch signifikant weniger erfolgreich waren und im Vergleich zu Männern "heruntergewählt" wurden. In Großstädten hingegen gab es keine großen Abweichungen, und die Wählerschaft diskriminierte folglich Frauen nicht.
Präferenzwahlsysteme ermöglichen den Wahlberechtigten eine differenzierte Wahlentscheidung; sie kann sich positiv oder negativ auf Frauenrepräsentation auswirken. Welche Macht Präferenzstimmen haben, zeigt sich an dem historischen Anstieg des Frauenanteils in Schweizer Kantonsparlamenten: 1993 wurde dort Christiane Brunner, die von ihrer Partei nominierte Sozialdemokratin, nicht in die Landesregierung gewählt, weil sie angeblich "nicht passte" und "zu radikal" war. Es kam es zu einer breiten zivilgesellschaftlichen Mobilisierung und Empörung, in deren Zuge schließlich eine andere Sozialdemokratin, Ruth Dreifuss, als zweites weibliches Regierungsmitglied überhaupt gewählt wurde. Bei den Kantonsratswahlen, die in den Monaten nach diesem Skandal stattfanden, stieg der Frauenanteil überall stark an; zwischen 1991 und 1995 bei den Kantonsparlamenten insgesamt um 7 auf 22 Prozent.
Die Unterschiedlichkeit von Präferenzwahlsystemen hat dazu geführt, dass je nach Land unterschiedliche Maßzahlen und Quellen verwendet werden, um mit vergleichsweise hohem Aufwand solche Wahlergebnisse zu analysieren. Komparative Designs und ein Austausch über angemessene Methoden wären in Zukunft wünschenswert, um Wirkungen genauer zu erforschen.
Themenspezifisches Stimmverhalten
Seit den 1990er Jahren sind überall auf Ebene der Bundesländer direktdemokratische Verfahren – Volksbegehren und Volksentscheide – verankert. Ob Frauen und Männer in Sachfragen unterschiedlich abstimmen, ist meines Wissens für Deutschland noch nicht untersucht worden. Aus der Schweiz wissen wir, dass Frauen insgesamt sozialer und ökologischer stimmen, dass aber die Differenzen unter Frauen beträchtlich und politisch bedeutsam sind. Bei Wahlen beteiligten sich bis vor Kurzem deutlich weniger Frauen als Männer, seit etwa 2000 gibt es bei Abstimmungen keine Geschlechterlücke mehr. Allerdings zeigen zahlreiche Studien, dass sich auch bei Volksabstimmungen die Gebildeten und besser Situierten sowie eher politisch Interessierten deutlich häufiger beteiligen. Die Volksinitiative für einen Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung wurde 1981 mit 60 Prozent angenommen: 67 Prozent der Frauen, aber nur 53 Prozent der Männer hatten mit Ja gestimmt. 1985 wurde das neue gleichstellungsgerechte Eherecht von den abstimmenden Männern abgelehnt, von den Frauen aber deutlich angenommen. Der Unterschied betrug 17,5 Prozent.
Eine Studie zu gleichstellungsrelevanten Abstimmungsvorlagen aus den 1980er und 1990er Jahren kam zu dem Schluss, dass überall die Links-Rechts-Orientierung signifikant das Abstimmungsverhalten bestimmte, aber in drei von sieben Fällen auch das Geschlecht; eine parteiübergreifende Mobilisierung unter Frauen war zum Beispiel beim Verfassungsartikel wichtig. Der Autor stellte zu den Unterschieden unter Frauen fest, dass sich Geschlechterdifferenz als "diffuses Ungleichheitsproblem" für Frauen in verschiedenen Lebensbereichen sehr unterschiedlich äußert und darum auch die Unterstützungsbereitschaft in gleichstellungspolitischen Entscheidungen (beispielsweise Mutterschaftsversicherung) stark variierte.
Gleichstellungspolitische und feministische Themen können also auch mit Volksbegehren und Referenden auf die politische Agenda gesetzt werden – in Österreich löste 1997 das Frauenvolksbegehren eine Mobilisierungswelle unter Frauen aus. Es forderte unter anderem einen Verfassungsartikel, eine Verpflichtung zu aktiver staatlicher Gleichstellungspolitik und die sozialversicherungsrechtliche Absicherung von Teilzeitarbeit und Kinderbetreuung. Zurzeit (Oktober 2018) läuft ein zweites Frauenvolksbegehren mit einer erweiterten Agenda, so werden zum Beispiel umfangreiche Quotenregelungen in Wirtschaft und Politik gefordert. Bei allem Potenzial von Sachabstimmungen ist aber auch zu beachten, dass deren Erfolgschancen stark von der Ressourcenausstattung einzelner Gruppen abhängen und somit schlechte Voraussetzungen bieten, um unterprivilegierte Interessen erfolgreich zu vertreten.
Ausblick
Das Frauenwahlrecht ist nach wie vor ein Meilenstein und Bedingung für ein demokratisches Staatswesen. Aktives wie passives Wahlrecht sind Voraussetzungen für politische Integration; im Hinblick auf die Wahlbeteiligung der Geschlechter gelingt dies relativ gut. Unterschiede im Wahlverhalten sind kleiner als bei anderen Formen gesellschaftlicher und politischer Partizipation, etwa bei zivilgesellschaftlichem und parteipolitischem Engagement. Die Geschlechterunterschiede bei der Entscheidung für eine Partei sind auch ein empirisches Argument für das gleiche Wahlrecht. Politische Integration beginnt, endet aber nicht beim Wählen. Auf der Ebene von Parlamenten und Regierungen ist der Weg zum Ziel einer ausgewogenen politischen Repräsentation mit zahlreichen Hürden versehen: In Deutschland sind noch immer etwa zwei Drittel der Politiker*innen männlich. Die Unterschiede in der politischen Beteiligung nach Geschlecht, Alter, Bildung und sozialer Lage bleiben eine aktuelle demokratische Herausforderung.