Rassismus hat viele Gesichter und ist in seinem jeweiligen zeitlichen und räumlichen Kontext zu betrachten. In demokratischen und pluralistischen Gesellschaften, in denen das Konzept "Rasse" mehrheitlich abgelehnt oder tabuisiert wird, zeigt sich Rassismus als Gewalt radikaler Gruppen oder in der Rhetorik von Populist*innen. Ebenso relevant ist jedoch der Rassismus der Mitte. Damit ist die gesellschaftliche Wirkung rassistischen Wissens gemeint, das in Denktraditionen, Institutionen, Strukturen sowie Diskursen und Alltagspraktiken der jeweiligen Gesellschaft eingebettet ist. Es wird ganz selbstverständlich, oftmals unbewusst, angewendet und "gewusst". Dadurch strukturiert rassistisches Wissen weiterhin moderne Gesellschaften.
In der Geschichte der Bundesrepublik ist das Konzept "Ausländer" ein guter Startpunkt, um die Wirkung rassistischen Wissens zu untersuchen. "Ausländer" impliziert dabei nicht (nur) einen formaljuristischen Status, sondern ist der "Andere" des Deutschen. Das zeigt sich etwa daran, dass deutsche Staatsbürger*innen mit "Migrationshintergrund" heute noch "Grenzgänger" sind, denen ihr "Deutsch-Sein" jederzeit abgesprochen werden kann.
Im Folgenden werde ich an zwei Ausschnitten der neueren deutschen Migrationsgeschichte die Wirkungen rassistischen Wissens aufzeigen: in der Einbürgerungspraxis und am politischen Umgang mit "Ausländerfeindlichkeit". Bezugspunkt bleibt dabei das Konzept "Ausländer" und dessen Bedeutungsdimensionen. Dabei werde ich zum einen zeigen, dass das Konzept "Ausländer" rassialisiert ist, und zum anderen damit untermauern, dass race und das damit einhergehende Phänomen des Rassismus als analytische Kategorien in der zeithistorischen Forschung stärker zu verankern sind, um den Umgang mit auf Herkunft basierender Differenz in Deutschland seit 1945 adäquat untersuchen zu können.
Die Binarität "Ausländer" und "Deutscher"
In den 1970er Jahren entstand eine neue Bevölkerungsgruppe in Deutschland: die "Ausländer". Diese Bezeichnung setzte sich durch, als keine*r mehr die Augen davor verschließen konnte, dass sich ein Teil der "Gastarbeiter" sesshaft gemacht hatte. Unter "Ausländer" wurden zunehmend auch Asylbewerber*innen verstanden, die seit Mitte der 1970er Jahre in größerer Zahl aus außereuropäischen Ländern kamen – wobei diese auch mit dem sich zu einem abwertenden Begriff wandelnden "Asylant" diskursiv separiert wurden.
Wie sehr man in den "Ausländern" eine neue soziale Kategorie, eine eigene Bevölkerungsgruppe sah, wird etwa an der 1977 vom Landesarbeitsministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung "Aspekte der langfristigen Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg" sichtbar. Aus ihrer Anzahl, "heutigen Fruchtbarkeit und Lebenserwartung" wurde ihr Bevölkerungsanteil im Jahr 2050 errechnet. Dieser werde sich von 9 auf 22 Prozent der Landesbevölkerung mehr als verdoppeln. Kontrastiert wurde diese Entwicklung mit der sinkenden deutschen Bevölkerungszahl, die sich um die Hälfte reduzieren würde.
Angesichts der politischen und gesellschaftlichen Weichen, die Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre gelegt wurden, wundert das nicht. Denn das sich durchsetzende Konzept der "Integration auf Zeit"
Doch worauf gründete die Überzeugung, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland? Deutschland hatte in der direkten Nachkriegszeit enorme Migrationsbewegungen und massenhafte Einwanderung erlebt. Diese wurde allerdings sehr lange, auch retrospektiv, nicht als solche verstanden. Das Postulat vom "Nicht-Einwanderungsland" (Klaus Bade) bezog sich auf "nicht-volksdeutsche" Einwander*innen. Bereits seit dem Kaiserreich sollten Arbeitsmigrant*innen aus dem Osten und Süden Europas, die als "völkisch-kulturell Minderwertige" die bei den Deutschen unbeliebt gewordene Arbeiten übernahmen, neben anderen Gruppen möglichst nicht Teil des "deutschen Volkes" werden.
Der "Volksdeutsche" als Kontrastfolie
Als wichtigstes Bollwerk zur Aufrechterhaltung der Überzeugung, Deutschland sei kein Einwanderungsland, kann das auf dem ius sanguinis (Blutsrecht) basierende Reichs- und Staatsbürgerschaftsrecht (RuStaG) angesehen werden, das zwischen 1913 und 1999 durchgängig ohne substanzielle Veränderung gültig war. Der Apparat, in dem das Staatsbürgerschaftsrecht gedeutet und umgesetzt wurde, war zudem der Ort, an dem sich das binäre Andere zu "Ausländer" im Konzept des "Volksdeutschen" als Norm für den deutschen Staatsbürger am längsten am Leben hielt.
Die Einschätzung des Historikers Dieter Gosewinkel, das RuStaG spiegelte eine ethnisch-kulturelle Auffassung von Nation und sei ob seiner großen Ermessensspielräume auch für ein demokratisches Staatsgebilde wie die Bundesrepublik angemessen gewesen,
Der Bericht eines Oberrechtsrats aus der Einbürgerungsbehörde des Ordnungsamtes Mannheim von 1960 liefert dafür einige Hinweise: "Schon die richtige Beachtung der Einbürgerungsgrundsätze vor der Einbürgerung kann dafür sorgen, daß dem deutschen Volkskörper nur nützliche und wertvolle Glieder durch Einbürgerung zugeführt werden. Dadurch bleibt auch die Gefahr einer für den Volksbestand nachteiligen Entwicklung gering."
Wie dieses Ermessen jeweils auf unterschiedliche Gruppen anzuwenden war, war Inhalt regelmäßiger Treffen der Staatsbürgerschaftsreferenten des Bundes- und der Landesinnenministerien seit Anfang der 1950er Jahre. Aus einem Protokoll von 1955 stammt etwa die folgende Einschätzung und Leitlinie zu "Antragstellern aus dem Kreise der DPs" – also den displaced persons, in ihrer Mehrzahl ehemalige Zwangsarbeiter*innen und sogenannte ausländische Zivilarbeiter*innen –, die inzwischen den Status der heimatlosen Ausländer hatten. Ihre etwaigen Einbürgerungswünsche wurden pauschal infrage gestellt, denn sie seien "durch die Kriegsereignisse und ihr eigenes Verhalten nach dem Kriege gegenüber der deutschen Bevölkerung so stark mit Ressentiments belastet", dass man nicht davon ausgehen könne, "dass sie innerlich mit dem deutschen Volkstum verwachsen werden".
Die behördlichen Praktiken vor Ort konnten noch restriktiver sein: So besprach sich beispielsweise im Juli 1969 der Oberinspektor für Einbürgerungen im Ordnungsamt Mannheim mit einem Kollegen dahingehend, dass "den Ermessenseinbürgerungen vielfach ein Riegel vorgeschoben werden sollte". Man könne die Wartezeit von 10 auf 15 Jahre und die bereits hohe Einbürgerungsgebühr noch weiter anheben. Sie erörterten konkret den Fall eines Bewerbers aus Jugoslawien: "Nach Ablauf der vorgeschriebenen Minimalfrist erhalten wir also einen neuen Bundesbürger, den man doch wohl kaum als Deutschen bezeichnen kann".
Eine Gruppe, die aus Sicht der Entscheidungsträger ebenso kaum als künftige Deutsche betrachtet wurden, waren lange Zeit die "Bewerber aus Entwicklungsländern". Außereuropäer*innen aus den so definierten Ländern – fast alle außer den kommunistischen und den angloamerikanischen –, intern oft "Afro-Asiaten" genannt, was eine Chiffre für dunkelhäutige Menschen war –, waren Anfang der 1960er Jahre bereits aktiv als Arbeitsmigrant*innen ausgeschlossen worden.
Ein weiterer Fokus lag bei den "Gastarbeitern". "Bei Gastarbeitern wird im allgemeinen davon auszugehen sein, dass sie nur zu einem vorübergehenden Aufenthalt nach Deutschland kommen", was gemäß der Einbürgerungsrichtlinie von 1971 bereits als Grund angesehen wurde, die Antragstellung als aussichtlos zu bewerten.
Die geringe Einbürgerungszahl der Arbeitsmigrant*innen wurde auch in der Forschung immer wieder als Nachweis angeführt, dass sie die Einbürgerung gar nicht gewünscht hätten. Tatsächlich belief sich die Einbürgerungsquote in den 1970er und 1980er Jahren zwischen 0,25 und 0,38 Prozent, davon nur ein Drittel "Gastarbeiter", ein extrem niedriger Wert.
Paradigmatisch sei als Indiz gegen das Narrativ, dass Arbeitsmigrant*innen kaum Interesse an der deutschen Staatsbürgerschaft gehabt hätten, folgende Statistik angeführt: Bei einer Sondererhebung im Rahmen des Mikrozensus des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg gaben im April 1978 46 Prozent aller befragten Haushaltsvorstände aus den Anwerbeländern an, keine Rückkehr in ihre Heimat zu planen; von diesen 46 Prozent strebten wiederum 32 Prozent die deutsche Staatsangehörigkeit an. Selbst von jenen 29 Prozent, die noch nicht sicher waren, ob sie zurückkehren würden, erwogen immerhin zwölf Prozent, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Auf alle Befragten entfiel somit ein Anteil von 17 Prozent, die die deutsche Staatsbürgerschaft anstrebten.
Zahlreiche weitere Quellenbelege lassen die Schlussfolgerung zu, dass die Entscheidungsträger zum einen aus eigenen Überzeugungen heraus und zum anderen proaktiv mit Rücksicht auf große Teile der deutschen Bevölkerung lange nicht an der Binarität "Ausländer" und "Deutscher" rütteln wollten.
"Ausländerfeindlichkeit" und andere Deckbegriffe für Rassismus
Doch "Ausländer" umfasst weitere Bedeutungsdimensionen. Eine davon lässt sich aus dem Konzept "Ausländerfeindlichkeit" herleiten. Es kam Mitte der 1970er Jahre auf und bezeichnete ein gesellschaftliches Phänomen, das sich, so wurde es von Zeitgenoss*innen und retrospektiv interpretiert, in der "Krise" – am Endes des wirtschaftlichen Booms und bei steigender Arbeitslosigkeit – entwickelte. Diese Lesart verkennt jedoch, dass es auch zuvor rassistische Haltungen und Praktiken gegenüber Migrant*innen gegeben hatte, die sich immer wieder lokal in Form von Bürger*innen-Protesten, Diskriminierungen auf dem Wohnungs- und dem Arbeitsmarkt und den Bildungseinrichtungen sowie in zahllosen Mikroaggressionen entluden.
Von "Ausländerfeindlichkeit" waren keine "weißen" Schweden, Schweizer oder Briten betroffen, woraus ersichtlich wird, dass "Ausländer" nicht formaljuristisch verstanden wird, sondern eine biologistische, Herkunft wertende und hierarchisierende und damit an Rassekonzepte anschließende Bedeutungsdimension hat.
In einem Interview für das "Zeit"-Magazin 2010 bekannte etwa der langjährige Mitherausgeber der "Zeit" und Altkanzler Helmut Schmidt, dass er "schon in den frühen 1970er Jahren eine Bremsung der Einwanderung aus allzu fremden Kulturen als notwendig erkannt und später gefördert habe". Das Interview fand im Gefolge der Debatte um Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" statt. Schmidt sprach sich darin gegen den Ausschluss des Autors aus der SPD aus: Immerhin habe er in seinem Buch einen Nerv getroffen, da vor allem "Leute aus asiatischen Ländern" – hier eine Chiffre für "Türken" – kulturell und nicht aus genetischen Gründen, wie es Sarrazin behauptete, tatsächlich kaum zu integrieren seien. Sarrazin gebe ja Sachverhalte wieder, die "von vielen Leuten in Deutschland ähnlich gesehen" würden.
Dabei war es Bundeskanzler Schmidt, der im Juni 1982 Spitzenvertreter*innen aus Politik, Verbänden und Kirchen zu einem Austausch geladen hatte, da ihn "die zunehmend ablehnende Haltung bei nicht wenigen Bürgern in unserem Land gegenüber den bei uns lebenden Ausländern […] mit großer Sorge" erfüllte.
Während des Treffens herrschte jedoch nicht einmal Konsens darüber, ob überhaupt "Ausländerfeindlichkeit" vorlag: So wies der baden-württembergische Vertreter Gerhard Weiser darauf hin, dass es sich bei diesem Phänomen vielmehr um "Existenzangst der Deutschen" handele.
Als Bundeskanzler wiederholte Kohl diese Ansichten einige Monate später sogar auf internationalem Parkett: In einem seiner ersten Treffen mit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher am 28. Oktober 1982 erklärte er vertraulich: "It would be necessary to reduce the number of Turks in Germany by 50%", da sie nicht assimilierbar seien. Seine Schritte, um die Zahl der Einwanderer zu reduzieren und weitere Einwanderung zu verhindern, deutete Kohl Thatcher bereits an: das 1983 in Kraft getretene Rückkehrhilfegesetz sowie die Aussetzung der Freizügigkeit für Türk*innen, die gemäß Assoziationsabkommen zwischen der Türkei und der EG 1986 anstand. Die Frage Thatchers, ob Türken in Deutschland Staatsbürger werden konnten oder wählen dürften, negierte Kohl und führte aus, dass Deutschland anders als Großbritannien mit seiner langen Kolonialgeschichte, nicht viel Wissen darüber habe, "how to deal with foreigners".
Weit bedenklichere Erklärungen bot der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt an: Die Angst vor Fremden und der aggressive Schutz der (biologischen) Homogenität der Gruppe seien natürliche Impulse. Ebenso berechtigt sei die Angst vor kultureller Verdrängung. Die Regierung des "Wirtsvolkes" hätte somit die Pflicht, dessen Interesse vor das der "Ausländer" zu stellen.
Race, Rassismus und Zeitgeschichte
Die deutsche Zeitgeschichte thematisiert bislang zu wenig, dass Hemmnisse in der Transformation Deutschlands zur Einwanderungsgesellschaft maßgeblich auf den Einfluss rassistischen Wissens zurückzuführen sind. Bisher wurde etwa die Entwicklung von Einbürgerungsrecht und -praxis, Ausländerpolitik und Demokratiegeschichte zu wenig zusammengedacht. Denn die Tatsache, dass die restriktiven Praktiken des Staatsangehörigkeitsapparats dazu beitrugen, einer großen Bevölkerungsgruppe über Jahrzehnte grundlegende Rechte wie das Wahlrecht vorzuenthalten, stellt das Narrativ der "geglückten Demokratie" infrage. Ebenso sollte eine Ausländerpolitik, deren Protagonist*innen rassistische Haltungen von Bürger*innen legitimierten, indem sie ihre "Überfremdungsangst" – die die Deutschen ebenso seit dem Kaiserreich immer wieder überkam – anerkannten und die "Fremdheit" als das eigentliche gesellschaftliche Problem behandelten, als das bewertet werden, was sie war: rassistisch.
Eine rassismuskritische Analyse bis in die Gegenwart kann aufzeigen, dass das Rassekonzept – hier mit race als methodologischem Terminus operationalisiert – sich auch nach der "Stunde Null" im Konzept "Ausländer" weiter entfaltet hat und Bestandteil von Differenzkriterien wie Herkunft, Kultur oder Religion wurde, sofern damit gesellschaftliche Ungleichheit legitimiert, die Wertigkeit von Gruppen innerhalb einer Machtasymmetrie definiert oder ihr pures Anwesenheitsrecht als "Andere" in Abrede gestellt wird. Eine Geschichtswissenschaft, die nicht untersucht, ob und wie rassistisches Wissen in der postkolonialen und postnationalsozialistischen Gesellschaft Wirkung zeigte, läuft Gefahr, selbst Teil des Ignoranzsystems zu sein, das dieses Wissen erhält. Deutschland sei nicht rassistischer als andere Länder, hatte Kohl während des Treffens im Bundeskanzleramt im Juni 1982 gesagt.