Einleitung
Äußerst widersprüchlich sind die Urteile über die Entwicklung des deutschen Föderalismus seit der Wiedervereinigung im Jahre 1990. Auf der einen Seite wird eine "Reföderalisierung" der Bundesrepublik als möglich erachtet,
Unübersehbar jedenfalls verdichten sich die Aktivitäten, die nach fünfzigjähriger Ausprägung des Föderalismus gemäß dem Grundgesetz auf die Korrektur solcher Aporien drängen. Das Thema "Föderalismus" gewinnt an Bedeutung sowohl in der öffentlichen Diskussion
Zur Umsetzung der Erklärung sei ein enges "Zeitfenster" (Bertelsmann Stiftung) durch nunmehr zwei Konvente vorgegeben: durch den Europäischen "Zukunftskonvent", in Deutschland zumeist umstandslos "EU-Verfassungskonvent" genannt,
I. Konjunkturzyklen der Reform- (diskussion)
Eine Antwort ist aus den - bislang noch nicht dokumentierten - jüngsten Ereignissen abzuleiten. Im Folgenden soll ein historiographischer Abriss die augenblicklichen Bemühungen erklären und deren Erfolgsaussichten einschätzen helfen. Die rückblickende Skizze bewahrt zudem vor einer (unbegründeten) Idealisierung angeblich alternativloser Reformmodelle sowie vor Veränderungseuphorie.
Föderalismus kennt keine "Finalität". Föderalismus ist vielmehr ein dynamisches Prinzip, dazu gedacht, sich den wechselnden Gegebenheiten anzupassen. Augenblicklich soll das Prinzip der Subsidiarität
Bundespräsident Johannes Rau erinnerte in einer Grundsatzrede auf dem Lübecker Konvent daran, dass der Bund im Vergleich zu den Ländern auf der Grundlage des hierzulande besonders exekutivischen "Verbundföderalismus" und im Zuge der massiven "Unitarisierung"
Die absoluten Zahlen zum Anstieg zustimmungsbedürftiger Gesetze sind nur auf den ersten Blick weniger beeindruckend als diejenigen zum gesteigerten "Regelungsfraß" der EU. Qualitativ handelte es sich bei den zustimmungsbedürftigen Gesetzen aber von Anfang an um alle wichtigen Gesetze der Bundesrepublik. Der Zustimmung des Bundesrates bedürfen sie, weil sie im ursprünglichen Zuständigkeitsbereich (auch) der Länder angesiedelt sind und mit Geld und Verwaltung zu tun haben. Welche "wichtigeren" Gesetze sind denkbar, die nicht mit Geld und Verwaltung zu tun haben? Effekt auch hier: Entmündigung der Parlamente und der Bürger.
Gegen die Trends der Unitarisierung und Europäisierung haben sich die Bundesländer - bislang mit eher geringem Einsatz und entsprechend bescheidenem Erfolg - zur Wehr zu setzen versucht. Zunächst, in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik, wurde die massive Unitarisierung nur registriert. Zu verfassungsrechtlich erheblichen Reformen kam es erst vor dem Hintergrund der - gesetzgeberisch stets beflügelnden - leeren Kassen in den späten sechziger Jahren: Auf der Grundlage des Berichtes der "Troeger-Kommission" wurde 1969 tatsächlich eine Reform der Finanzverfassung ins Werk gesetzt.
In den siebziger Jahren setzte eine Phase der Selbsthilfe der Bundesländer in Form des "kooperativen Föderalismus" ein.
Zu Beginn der neunziger Jahre kamen weitere Verflechtungen hinzu, verdunkelte sich insoweit nochmals die "Schattenseite" (Hartmann) des deutschen Verbundföderalismus. Den Analytikern gerieten zwei weitere, die politische Willensbildung obendrein verkomplizierende Aspekte in den Blick: Die Wissenschaftler wandten sich einerseits - gleichsam nach Westen - der Vertiefung der europäischen Verflechtung (durch die Einheitliche Europäische Akte von 1986) und später den Folgen des Maastrichter Vertragswerkes von 1993 zu (1986 - 1996). Ihre Aufmerksamkeit richtete sich andererseits gleichsam nach Osten, auf die Herausforderungen durch die Erweiterung der Bundesrepublik um fünf neue Bundesländer (seit 1990).
Die Wiedervereinigung - verfassungsrechtlich auf der Grundlage von Artikel 23 GG (alter Fassung) im Wege des Beitritts von fünf östlichen Bundesländern zur westlichen Bundesrepublik vollzogen - wurde zu einem (weiteren) Triumph der "pfadabhängig"
II. Neuer Anlauf zur Jahrtausendwende
Seit Ende der neunziger Jahre sind wieder verstärkt politische Initiativen zu verzeichnen. Auf der Basis wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Mahnungen
Mit den Parlaments- und Verfassungsreformen in den siebziger und achtziger Jahren im Westen und seit 1990 im Osten der Bundesrepublik schienen die Möglichkeiten zur Stärkung der Landesparlamente gegenüber "ihren" jeweiligen Regierungen weitgehend ausgereizt;
Wie man sieht, ist das Register ihrer Reformvorschläge mittlerweile stattlich. Diese hatten jedoch einen entscheidenden Mangel: Da sie selbst den Prinzipien (und damit auch einem zentralen Makel) des deutschen Verbundföderalismus unterworfen waren, konnte sie kein Akteur (ein einzelnes Landesparlament oder die Konferenz der Landtagspräsidentinnen und -präsidenten) allein durchzusetzen. Immer deutlicher wurde, dass es zunächst mehr noch einer Strategie zur Realisierung von Reformen als weiterer Reformkataloge bedurfte.
Seit dem Jahre 2000 bestimmte vor allem diese Einsicht die Föderalismusdiskussion. Am 23. Mai 2000 präsentierte die Konferenz der Landtagspräsidentinnen und -präsidenten als Ergebnis ihrer Beratungen in Heringsdorf ein Papier zur "Weiterentwicklung und Stärkung des Föderalismus"
1. Die Entscheidung der Landesparlamente für die Konventsidee
Die Aussichtslosigkeit aller hier erarbeiteten Empfehlungen war evident, da sich die Abgeordnetenhäuser, Bürgerschaften und Landtage einzeln um die Implementierung grundlegender Reformen des Föderalismus bemühten. Sie wurde auch für die Beteiligten zunehmend frustrierend. Dies führte im Zuge der Beratungen der niedersächsischen Enquete-Kommission zur Idee eines "Konventes der Landesparlamente". Bald zeichnete sich eine neue Form und Institutionalisierung der Willensbildung zur Föderalismusreform ab. Die Analogie zu dem eingesetzten Europäischen Konvent lag nahe: Nachdem die intergouvernementale Willensbildung über die institutionelle Gestalt der EU beim Gipfel von Nizza im Dezember 2000 kläglich gescheitert und stattdessen - nicht zuletzt aufgrund der überzeugenden Erfahrungen mit dem "Grundrechte-Konvent"
Nicht nur war die exekutivische Arbeit zu diesem Problem bis dahin ergebnislos geblieben. Die Landesparlamente zeigten sich obendrein empört, überhaupt nicht in die Überlegungen auf Bundesebene einbezogen worden zu sein. In schneller Folge schlossen sie sich der interfraktionell und einigermaßen "aufmüpfig" im Schleswig-Holsteinischen Landtag
Von typisch exekutivischem Autismus zeugte eine Reaktion des Bundesratspräsidenten auf den Mitwirkungsanspruch der Landesparlamente auch auf der Bundesebene: In einem Schreiben des Vorsitzenden der in der Länderkammer versammelten Regierungen wurde die Initiative der Volksvertreter nicht etwa begrüßt oder gar unterstützt. Vielmehr wurde der (designierte) Vorsitzende der Landtagspräsidentinnen- und Landtagspräsidentenkonferenz an eben jene Bund-Länder-Kommission "Modernisierung der staatlichen Ordnung" verwiesen, gegen welche die Landesparlamente wegen ihrer Ausschließung doch gerade protestiert hatten.
Im Sommer 2002 begannen die Landesparlamente, ihre Mitwirkung auf Bundesebene strategisch zu verbessern. Der für den 3./4. Juni 2002 geplanten nächsten Konferenz der Landtagspräsidentinnen und -präsidenten unterbreitete der solchermaßen beschiedene Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Heinz-Werner Arens, folgende Empfehlung; diese war an die Vorsitzende der Konferenz, die Präsidentin des Thüringer Landtages Christine Lieberknecht, gerichtet: "Es ist ohnehin vorgesehen, dass die Präsidentenkonferenz am 3./4. Juni 2002 in Eisenach (Wartburg) unter Ihrem Vorsitz eine weitere Entschließung zur Weiterentwicklung und Stärkung des Föderalismus berät. (...) Es ist zu erwarten, dass die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente eine konsensfähige Grundposition finden werden, die den Regierungen in Bund und Ländern übermittelt wird. Die nochmalige Forderung nach Beteiligung an den Bund-Länder-Beratungen auf Regierungsebene ist diesmal - richtigerweise - nicht vorgesehen: Es macht wenig Sinn und stärkt nicht das Ansehen unserer Konferenz, bei den Regierungen zu antichambrieren und keinen Zutritt zu erhalten. Damit die Haltung der Präsidentenkonferenz in der für die Landesparlamente lebens- und auf lange Sicht vielleicht überlebenswichtigen Frage nach der Zukunft der föderalen Ordnung in Deutschland und Europa nachdrücklicher dargestellt und vernehmbar wird, möchte ich einen Vorschlag machen, mit dem parlamentarisches Neuland betreten würde: Ich rege eine gemeinsame Sitzung der Präsidentenkonferenz mit den Fraktionsvorsitzenden aller deutschen Landesparlamente mit dem Ziel an, eine gemeinsame Position des deutschen Landesparlamentarismus zu artikulieren. Die Durchsetzungskraft dieser Versammlung wäre beachtlich - insbesondere wenn eine möglichst vollzählige Beteiligung erreicht werden würde." Damit waren Idee und Gestalt eines Konventes zur Föderalismusreform von Schleswig-Holstein aus konkret auf den Weg gebracht.
2. Die Konventsmethode der Landesparlamente
Im Zuge ihrer Bestandsaufnahme zur Föderalismusreform stießen die Verfechter der Konventsidee auf die "Tholeyer-Erklärung" der CDU-Fraktion im Saarländischen Landtag vom 19. Februar 2002. Auch darin wurde bereits für die Einsetzung eines länderübergreifenden "Konventes" geworben.
Die dann am 4. Juni 2002 in Eisenach beschlossene Zusammensetzung des Konventes sollte gleichermaßen den Rang des Anliegens - repräsentiert durch die Präsidentinnen und Präsidenten der Parlamente - und den festen Willen der Landesparlamente zur Realisierung einer Föderalismusreform - repräsentiert durch die Fraktionsvorsitzenden - signalisieren. Sie garantierte zugleich die weitgehende Außerkraftsetzung der "Funktionslogik" des hierzulande 17fach - mit guten Gründen und insgesamt guten Ergebnissen - praktizierten parlamentarischen Regierungssystems. Im politischen System der Bundesrepublik ist die Position des Parlamentes auf eigenwillige Weise exekutivisch ausgeprägt: Die Kerntruppe der Parlamentsmehrheit ist die Exekutive. So gesehen wäre "parlamentarischer" Föderalismus sogar mit "exekutivischem" Föderalismus zu übersetzen. In einem Konvent in der oben dargestellten Zusammensetzung sind die Mitglieder auch der jeweiligen Regierungsmehrheit jedoch freier als unter den üblichen Bedingungen des parlamentarischen Regierungssystems, sich auch gegen die Interessen "ihrer" Landesregierung für die Rechte der Parlamente als Institution einzusetzen und damit einer exekutivischen Akzentuierung des Föderalismus entgegenzuwirken. Von der "konsensualen Verabschiedung (...) einer solchen (betont parlamentarischen!, U.T.) Manifestation" durch den empfohlenen Konvent erhofften sich dessen Urheber von Anfang an "eine bisher nicht dagewesene Legitimation" zugunsten ernsthafter Föderalismusreformen: "Ihr Gewicht wäre voraussichtlich so groß", heißt es im erwähnten Schreiben des schleswig-holsteinischen Parlamentspräsidenten weiter, "dass weder die deutschen Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler, weder die Föderalismuskommission auf Bundesebene noch der Europäische Verfassungskonvent sie unbeachtet lassen könnten." Werden sich Heinz-Werner Arens und seine Mitstreiter am Ende getäuscht haben?
Am 4. Juni 2002 beschlossen die Landtagspräsidentinnen und -präsidenten auf ihrer Eisenacher Konferenz auf der Wartburg, den Schleswig-Holsteinischen Landtag (bei dessen Präsident zu dieser Zeit turnusgemäß der Vorsitz der Konferenz lag) mit der Ausrichtung des ersten Föderalismuskonventes der deutschen Landesparlamente zu betrauen. Den Fraktionen an der Kieler Förde war damit die Funktion zugefallen, in den Landesparlamenten schnell Zustimmung für die Konventsidee zu erreichen.
Unter Anknüpfung an die Heringsdorfer Erklärung enthielt die Wartburg-Resolution bereits einige inhaltliche Vorgaben für den einzuberufenden Konvent.
III. Die Lübecker Erklärung des Föderalismuskonventes 2003
Auf den Tag genau 70 Jahre nach dem Gesetz zur Gleichschaltung der Länder durch die Nationalsozialisten am 31. März 1933 verabschiedete der Konvent eine Erklärung, in welcher die Landesparlamente öffentlich machten, dass sie die Föderalismusreform nicht mehr allein der Exekutive - dem Kanzler und den Ministerpräsidenten - überlassen wollten. Darin fordern sie alte Kompetenzen zurück, neue Zuständigkeiten hinzu sowie eigene Verfügung über (mehr) Geld.
Wohl noch nie konnte sich ein Gremium zur Reform der seit 1949 herausgebildeten spezifisch deutschen Bundesstaatspraxis auf eine so breite und zugleich prominente Zustimmung berufen wie jetzt der Föderalismuskonvent: Die Präsidenten der einschlägigen Verfassungsorgane haben zu gemeinsamen Anstrengungen zur Revitalisierung des Föderalismus aufgerufen.
In seiner Lübecker Rede unterstrich von Beust zwar nachdrücklich die sachlichen Zielsetzungen des Konventes. Dem aufmerksamen Zuhörer konnte aber schon an dieser Stelle eine Distanzierung der MPK - für welche von Beust ja sprach - vom Konvent nicht entgehen. Hatte der Vertreter der Grünen im Baden-Württembergischen Landtag während der Lübecker Beratungen noch einmal klargestellt, dass es dem Konvent auf eine Dynamik ankomme, mit welcher dieser "wirklich am Tisch und nicht am Katzentisch zu sitzen" komme,
Den in der Hansestadt versammelten beinahe 200 Vertretern der Landesparlamente lag nämlich auch ein Beschluss zur "Fortführung des Konventsprozesses" vor. Darin weist der Konvent sich selbst die Aufgabe zu, "konkrete und für die Gesetzgebung geeignete Vorschläge für eine Reform des bundesstaatlichen Systems im Sinne einer Stärkung der Landesparlamente vorzulegen"
Ein Treffen dieser Kommission mit den Vertretern des Europäischen Zukunftkonvents war mühelos zu vereinbaren. Die Konferenz fand am 15. Mai 2003 in Brüssel statt. Auf eine positive Antwort der MPK wartet der Konvent indes bislang vergeblich.
Und wenn es denn so sein sollte, wie Ole von Beust in Lübeck betonte, dass es nämlich auf die Stärkung auch der Landesparlamente ankomme, stellt sich die Frage, warum die Ministerpräsidentenkonferenz offensichtlich auf Distanz zum Konvent geht.