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Was ihr zusteht | (Anti-)Feminismus | bpb.de

(Anti-)Feminismus Editorial Was ihr zusteht. Kurze Geschichte des Feminismus Die Widersprüche verstehen. (Anti-)Feminismus, Postfeminismus, Neoliberalismus Von der Sorgearbeit bis #MeToo. Aktuelle feministische Themen und Debatten in Deutschland Frauenfeindlich, sexistisch, antifeministisch? Begriffe und Phänomene bis zum aktuellen Antigenderismus Männerpolitik und (Anti-)Feminismus Hedwig Dohms "Die Antifeministen"

Was ihr zusteht Kurze Geschichte des Feminismus

Barbara Holland-Cunz

/ 19 Minuten zu lesen

Seit fast 230 Jahren kämpfen FeministInnen für Bildung, Arbeit, politische Teilhabe, Freiheit von Gewalt und sexuelle Selbstbestimmung und setzen patriarchaler Unterdrückung einen Rechtediskurs sowie Kritiken der Entwürdigung und das Ideal der Würde entgegen.

"Freiheit und Gerechtigkeit beruhen darauf, daß dem andern abgegolten wird, was ihm zusteht", schreibt Olympe de Gouges (1748–1793) in Artikel IV der "Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin", die im September 1791 in Frankreich erscheint und einen der bedeutendsten Texte des Feminismus darstellt. De Gouges setzt der Erklärung der Menschenrechte, mit der die moderne Demokratie ihren berühmten Anfang nimmt, einen Vertragstext entgegen, der ausdrücklich darauf verweist, dass Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ohne die weibliche Hälfte der Menschheit nicht legitim proklamiert werden können. De Gouges’ Text fordert nicht nur gleiche Rechte vor dem Gesetz ein, sondern formuliert die Erwartung, dass Vernunft und Tugend, Mut und Stolz für Frauen anerkannt werden, ihnen die gebührende Wertschätzung und Würde zuerkannt werden – "daß dem andern abgegolten wird, was ihm zusteht". Scharf kritisiert de Gouges zugleich das eigene Geschlecht für Verblendung, Zwänge, Heimlichkeiten und List.

Zentrales Doppelmotiv

Es ist dieses doppelte Motiv, das die Theoriegeschichte des Feminismus seit bald 230 Jahren durchzieht: das Verlangen nach Würde und Anerkennung für Frauen sowie die Kritik an der Würdelosigkeit, die ein Leben in Unterdrückung und Ausbeutung erzeugen kann. Unwissende, auf Unterwürfigkeit und Gefallen-Wollen hin erzogene Menschen können anderen nicht als freie, würdevolle, freundschaftlich zugewandte Personen begegnen, selbst wenn sie es wollten. Unterdrückung verdirbt alle menschlichen Tugenden. De Gouges’ britische Zeitgenossin, Mary Wollstonecraft (1759–1797), argumentiert ein Jahr später ganz ähnlich; auch sie besteht darauf, dass Frauen zu Freiheit, Vernunft und Tugend begabt sind und nur die gesellschaftliche Lage Frauen zu affektierten Sklavinnen macht und ihrer Potenziale beraubt. Mädchenbildung heißt das Programm, das Wollstonecraft der patriarchalen Despotie entgegensetzt. Die scharfen Begriffe, die sie und de Gouges zur Beschreibung der Lage wählen, entsprechen der recht- und würdelosen Situation Ende des 18. Jahrhunderts.

Das Doppelmotiv – Anspruch auf Würde und Kritik der Entwürdigung – lässt sich durch alle Politikfelder, Zeiten und Kontinente hindurch nachzeichnen und soll hier, einer knappen Chronologie der Forderungen (Wissen/Bildung, Arbeit/Lohn, politische Teilhabe, Gewaltfreiheit, sexuelle (u.a.) Selbstbestimmung) folgend, vom 18. zum 21. Jahrhundert nachgezeichnet werden. Feministische Theorien verfahren dabei keineswegs so simpel, wie AntifeministInnen unterstellen, die nicht selten klischeehafte oder gänzlich uninformierte Vorstellungen von Feminismus hegen – beispielsweise dass Frauen stets ausschließlich als Opfer und Männer immer nur als Täter beschrieben werden, dass glückliche Mütter von unglücklichen kinderlosen Frauen in Beruf und Politik getrieben werden, dass "echte" Frauen mit Freiheit und Befreiung wenig anfangen können und Feministinnen ein eklatantes Problem mit biologischer Weiblichkeit haben sowie dass Feminismus sich durch die Realisierung aller Forderungen mittlerweile ohnehin erledigt hat. Tatsächlich interessieren sich Feministinnen seit der Französischen Revolution aber für das komplexe, noch keineswegs erledigte, nicht selten bedrückende Zusammenspiel von Herrschenden und Beherrschten.

Am prägnantesten hat das Doppelmotiv in mehr als 200 Jahren Simone de Beauvoir (1908–1986) analysiert. Ausgehend von der philosophischen Vorstellung des Existenzialismus, dass jedes menschliche Wesen sich selbst als autonomes, selbstbestimmtes, auf die gemeinsame Welt hin orientiertes Subjekt erleben, fühlen und denken will, beschreibt de Beauvoir 1949 die Zerrissenheit von Frauen zwischen den – allen Menschen eigenen – autonomen Strebungen und einer Existenz, die durch gesellschaftliche Zwänge, erzieherische Maßnahmen und feindselige Stereotype ein Leben in Freiheit verhindert. Während sich Jungen und Männer die Welt als gemeinsame Heimat gestaltend aneignen, werden Mädchen und Frauen auf das Gefallen-Sollen und ein von Anderen abgeleitetes, dumpfes Leben verwiesen. Den existenziellen Konflikt, den alle menschlichen Wesen in sich verspüren, das Hin-und-Her-Gerissensein zwischen Mut und Lust zur Freiheit einerseits, Angst und Flucht vor ihr und ihren anstrengenden Herausforderungen andererseits, sollen die Einen zur Seite des Muts, die Anderen zur Seite der Angst hin auflösen. Während die Einen sich in Freiheitsabenteuern und Weltgestaltung ergehen, verlieren sich die Anderen in Freiheitsflucht und Bequemlichkeit. Frauen und Männer verübeln sich dies wechselseitig. Hart gegen das eigene Geschlecht schreibt de Beauvoir: "Zweifellos ist es bequemer, blinde Sklaverei zu erdulden, als an seiner Befreiung zu arbeiten …". So werden Frauen "gemacht", sie sind keineswegs vom biologischen Anbeginn ängstliche, mutlose, sklavische Menschen. In ihrem gesellschaftlichen Gewordensein bleiben Frauen in ihren Möglichkeiten, den weltverändernden Zielen und ihrer Zugewandtheit anderen Frauen und Männern gegenüber weit zurück. Statt in Freiheit und Würde leben Frauen in Unfreiheit und Entwürdigung, wie Beauvoir in oft schwer erträglicher Schärfe beschreibt. Nur die direkte personale Gewalt nimmt de Beauvoir zu Recht von der (erzwungenen) Zustimmung aus.

In der neuesten Theoriegeschichte präsentiert Iris Marion Young (1949–2006) die überzeugendste "Ausbuchstabierung" von Herrschaft als fünf Formen von Unterdrückung: Ausbeutung, Marginalisierung (ökonomisch, sozial, kulturell), Machtlosigkeit, Kulturimperialismus und Gewalt. Nicht jede der Formen betrifft eine jede Person kohärent, Unterdrückung und Privilegierung können gleichzeitig, gar unvereinbar oder sich überschneidend vorhanden sein. Alle Formen funktionieren systemisch und strukturell, nicht als individuelle Handlungsoptionen.

Was die ersten Denkerinnen während der Französischen Revolution, de Beauvoir in der historischen Mitte zwischen älterem und neuerem Feminismus und schließlich Young für die aktuelle Theorie skizzieren, konturiert die Komplexität einer Herrschaftsform, die zwar Jungen und Männer grundsätzlich privilegiert, ohne die zumindest passive/unbewusste/ungewollte Beteiligung (jenseits personaler Gewalt) von Mädchen und Frauen aber nicht gelingen kann. Trotz historischer Transformationen – salopp gesagt: von der antiken Sklavenhaltergesellschaft bis zum neoliberalen Spätkapitalismus – wäre die fortdauernde Ultrastabilität patriarchaler Herrschaft ohne eine Mitwirkung der Beherrschten nicht plausibel zu erklären. Pierre Bourdieu (1930–2002) spricht von der oft unmerklichen, dafür umso wirksameren "sanften" symbolischen Gewalt, die die Geschlechterherrschaft orts- und zeitübergreifend durchdringt; männliche Herrschaft wirkt bis in die Körper hinein, sie wird internalisiert, inkorporiert, somatisiert.

Aus feministischer Perspektive heißt Herrschaftskritik deshalb: Das Zusammenwirken von Herrschenden und Beherrschten muss analytisch sorgfältig erfasst werden, ohne die fundamental unterschiedlichen Situationen der Beteiligten zu verwischen (das gilt insbesondere bezogen auf direkte Gewalt) oder die sehr verschiedenen Positionszuweisungen zu leugnen. Feministische Theorien haben darüber hinaus stets einbezogen, dass patriarchale Hierarchisierungen ausgesprochen vielfältig sind: Seit den ersten US-amerikanischen Feministinnen, die Mitte des 19. Jahrhunderts mehrheitlich Abolitionistinnen waren, verbindet sich der Kampf für Frauenrechte und gegen Sexismus mit dem Kampf für Menschenrechte und der Kritik weiterer Formen von Hierarchie und Herrschaft. "Patriarchat" impliziert zugleich Kapitalismus, Rassismus, Ethnozentrismus, Nationalismus, Kolonialismus, Naturbeherrschung, Heteronormativität.

In diesem Sinne arbeiten Feministinnen – nicht immer konsequent und nicht immer solidarisch und inklusiv – spätestens seit der Französischen Revolution an einer Gesellschaft, die die Ideale der Freiheit und Gleichheit weltweit nicht nur für Frauen realisieren will. Die Moderne beginnt 1789 mit großen, bis heute uneingelösten Versprechen. Feminismus ist somit ein Demokratieprojekt, das die Demokratisierung aller (un)demokratischen Gesellschaften zum (fernen) Ziel erklärt, eine wirkmächtige Politische Theorie/Praxis, die sich gegen sämtliche Formen der Entwürdigung zur Wehr setzt, wenn auch der Ausgangspunkt (und teilweise das Modell) die Machtlosigkeit von Frauen darstellt.

Dass die Analyse der Geschlechterherrschaft als Ausgangspunkt oder Modell von Herrschaft für die Glaubwürdigkeit des Feminismus prekär sein kann, haben Theoretikerinnen wie Audre Lorde (1934–1992) und bell hooks (Gloria Jean Watkins, *1952) früh verdeutlicht. Sie analysieren, wie auf solche Weise die spezifische Unterdrückung und Entwürdigung durch den Rassismus allzu leicht zum "Verschwinden" gebracht wird, Herrschaftsverhältnisse jenseits des Sexismus nach- oder zweitrangig erscheinen sowie die theoretisch und politisch herausfordernde Möglichkeit vertan wird, sowohl strukturelle Gemeinsamkeiten (Naturalisierungen von Herrschaft) als auch systemische Unterschiede (eklatante Positionsdifferenzen im gesellschaftlichen Feld) von Sexismus und Rassismus zu erarbeiten. Sowohl hooks als auch Lorde befassen sich zudem mit der Analyse der Klassenlage als drittem zentralen Herrschaftsverhältnis; "gender, race, and class" lautet dem entsprechend eine wichtige Analyseformel.

"Sortierungen" des Feminismus

Unter diesen grundlegenden Prämissen lassen sich recht differente, ja geradezu unvereinbare "Sortierungen" feministischer "Wellen" und/oder "Strömungen" verzeichnen. Tatsächlich sind die "Sortierungen" (Taxonomien) des Feminismus so zahlreich, dass hier ein knapper Blick genügen muss.

Geschichtliche Taxonomien: Neben der polaren Teilung zwischen Alter und Neuer Frauenbewegung finden sich vor allem unterschiedliche "Wellen"-Zählungen, wobei die am häufigsten verwendete eine Drei-Wellen-Vorstellung sein dürfte (erste Welle: Französische Revolution bis 1920/1930/1933; zweite Welle: Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen bis in die 1990er Jahre; dritte Welle: bis heute); Wellen-Einteilungen spiegeln sich gegenwärtig oft auch im Bild aufeinander folgender Wenden/Wendungen (turns, beispielweise cultural turn); letztere "sortieren" allerdings meist sehr viel kleinteiliger als die Wellen-Vorstellungen.

Zweipolige Taxonomien: Die klassischen dürften sowohl die von Gleichheits- versus Differenzfeminismus als auch von modernem versus postmodernem Feminismus sein; gegenwärtig sind es vor allem die Polaritäten Essentialismus versus Konstruktivismus oder Materialismus versus Idealismus, die die Debatte bestimmen. Keine andere "Sortierung" des Feminismus ist so unmittelbar "sprechend" wie jene von Differenz- versus Gleichheitsfeminismus: Differenzfeministinnen gehen von einer sozialen oder soziobiologischen Differenz zwischen Frauen und Männern aus, Gleichheitsfeministinnen betonen ihre menschenrechtliche Ununterschiedenheit trotz gesellschaftlicher Ungleichheit. Die Unterscheidung zwischen modernem und postmodernem Feminismus bezieht sich einerseits auf eine Epochenunterscheidung (die Moderne endet je nach Perspektive irgendwann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts), andererseits auf den Status von Vernunft und Subjekt, die in Bezug auf die Moderne als ihre Hauptpfeiler diskutiert, in der Postmoderne hingegen kritisch analysiert werden. Noch komplizierter ist eine knappe Unterscheidung zwischen Essentialismus (Philosophien/Erkenntnistheorien von Wesensbestimmungen, im Feminismus oft als Biologismus verworfen) und Konstruktivismus (Philosophien/Erkenntnistheorien des gedanklichen und gesellschaftlichen "Herstellens"). Materialistischer Feminismus definiert seinen theoretischen Ausgangspunkt im Stofflichen, Dinglichen und bezieht sich nicht selten auf Marxistische Theorietraditionen; sein Gegenpart orientiert sich am Konstruktivismus und den philosophischen Ausgangspunkten der Idee und der kognitiv erzeugten Realität. Sehr verkürzt ließe sich sagen, dass innerhalb des feministischen Spektrums Essentialismus und Materialismus "Natur" zum Basalen erklären, Konstruktivismus und Idealismus hingegen von der "Kultur" aus denken.

Strömungstaxonomien: Sie unterscheiden zwischen dem radikalen und dem gemäßigten Flügel der jeweiligen Frauenbewegung oder der bürgerlichen und der proletarischen Frauenbewegung oder folgen allgemeinen Kategorisierungen der Politischen Theorie wie Liberalismus, Sozialismus, Konservatismus, Marxismus etc.

In den vergangenen drei Jahrzehnten lässt sich eine Vervielfältigung "des" Feminismus beobachten; so sind heute der Postkoloniale Feminismus und der Queerfeminismus starke politische und theoretische Strömungen; im konventionellen Feld der Politik dominieren Programme wie das Gender Mainstreaming und "femokratische" Gesetze und Institutionen auf lokaler, nationaler, transnationaler (EU) und internationaler (UN) Ebene.

Die aktuelle Vervielfältigung sowohl der Strömungen als auch der Taxonomien kann kontrovers gedeutet werden. Wohlwollend betrachtet erscheint der globale Feminismus gegenwärtig so mächtig und vielfältig, dass die bisherigen "Sortierungen" nicht ausreichen, um die ganze Fülle zu erfassen. Skeptisch ließe sich jedoch fragen, ob sich allgemein geteilte Herrschaftsanalysen auflösen und Feminismus durch (oft identitätspolitisch motivierte) "Zellteilungen" krisenhaft und schwach wird. Angesichts heftiger akuter Deutungskämpfe spricht einiges für die zweite Interpretation. Eine Sehnsucht nach globaler feministischer Solidarität zeigt sich allerdings ebenso klar in den in zahlreichen Ländern veranstalteten Women’s Marches am Tag nach der Amtseinführung Donald Trumps. Schon lange ging vom Feminismus kein so starkes Zeichen mehr aus.

Der fundamentale Orientierungspunkt sämtlicher taxonomischer Versuche bleibt aber stets die Frage, ob die jeweiligen Theorien von einer essenziellen Gleichheit der Geschlechter, ihrer sozialen und/oder biologischen Differenz oder einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlecht ausgehen. Kontrovers bleibt demnach die Relation zwischen Natur und Kultur in der Bestimmung der Geschlechter und Geschlechterverhältnisse (heute unter anderem diskutiert unter dem Kategorienpaar sex/gender); jede Epoche ficht diese Relation neu aus. Gegenwärtig dominiert eine konstruktivistische Kulturperspektive in der Theorie.

Recht auf Wissen und Bildung

Dass auf dem Hintergrund des 18. Jahrhunderts, des Jahrhunderts der Aufklärung, sowie der Diagnosen de Gouges und Wollstonecrafts die feministischen Anstrengungen zunächst vorrangig dem Erwerb von Wissen, Bildung, Erziehung und Ausbildung gelten, kann nicht überraschen. Wollstonecraft versucht sich selbst in koedukativer öffentlicher Schulgründung und -bildung; prominente Aktivistinnen der Hochzeit der deutschen Frauenbewegung wie Helene Lange (1848–1930) bilden Lehrerinnen aus und weiter und demokratisieren das eigene Wissen für andere Frauen. Der Kampf ums Frauenstudium wird gleichfalls geführt.

In den politischen Bildungskämpfen des 19. und teilweise auch noch des 20. Jahrhunderts steckt die tief verwurzelte Überzeugung von einem weiblichen Menschen, der/die weder von den biologischen noch den sozialen Anlagen her anderen unterlegen ist. Der Anspruch, dass eine Erziehung zur Vernunft das Recht und die Fähigkeit jedes menschlichen Wesens sind, wird zur Grundvoraussetzung der Würde von Frauen, denen die tradierten Geschlechterbilder des 18. und 19. Jahrhunderts bekanntlich Rationalität, Wissenschaftsverständnis und öffentliches politisches Wirken absprechen. Patriarchale Herrschaft meint hier, dass Wissen und Bildung vorenthalten werden und Frauen sich damit abfinden.

Viele Denkerinnen des 19. Jahrhunderts sind keine Gleichheitstheoretikerinnen. Trotz des Bestehens auf Wissen, Bildung und Erziehung zur Vernunft unterstellen viele von ihnen, dass Frauen gleichsam anders denken und fühlen und gerade dies ihren besonderen Beitrag zum Denken und Fühlen der Menschheit darstellt. Der differenzfeministische Tugenddiskurs des 19. Jahrhunderts besteht ausdrücklich darauf, dass in der grundlegenden Andersartigkeit von Frauen gesellschaftliche Zukunftsmöglichkeiten liegen.

Es ist deshalb erkenntnistheoretisch logisch, dass das feministische Verhältnis zu Wissenschaft und bildungspolitischem Fortschrittsversprechen nicht allein von Aufklärungsemphase geprägt ist. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts warnen konservative Feministinnen wie Gertrud Bäumer (1873–1954) in fortschrittskritischer Diktion vor der Moderne und setzen ihr Mütterlichkeit, Häuslichkeit, Lebens-, Natur- und völkische Gattungsrettung entgegen.

Das Motiv der Wissenschaftskritik wird dann erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts im Zusammenspiel von Frauen- und Ökologiebewegung wieder dominant, wenn Kritikerinnen einer patriarchalen, kapitalistischen, menschen- und naturzerstörerischen (Natur-)Wissenschaft wie Carolyn Merchant (*1936), Evelyn Fox Keller (*1936), Sandra Harding (*1935) und Donna Haraway (*1944) den Konnex zwischen sozial männlicher Forschung und ihrer Gefährlichkeit für das globale Überleben analysieren. Besonders profiliert und prominent sprechen dazu Theoretikerinnen des Globalen Südens wie Vandana Shiva (*1952), Wangari Maathai (1940–2011) und Bina Agarwal (*1951), die Wissenschafts-, Kapitalismus- und Patriarchatskritik mit einer fundamentalen Analyse des Kolonialismus verbinden.

Im Rückblick auf 230 Jahre Bildungskämpfe lässt sich die These wagen, dass Feministinnen hier politisch gut vorangekommen sind. Selbst die Vereinten Nationen erkennen heute an, dass Menschheitsbedrohungen wie die Klimakrise ohne Bildung für Mädchen und Frauen nicht gelöst werden können. Und doch sind weltweit noch immer fast zwei Drittel aller AnalphabetInnen Frauen. Politiktheoretisch betrachtet ist es ein weiter Weg von der Beanspruchung der Vernunft zur Kritik der Vernunft. Auf dem wissens- und bildungspolitischen Themenfeld liegt der Startpunkt beim öffentlichen Anspruch auf die Würde der Vernunft und der aktuelle Stand bei kontroversen Debatten um postmoderne oder ökofeministische Vernunft- und Wissenschaftskritiken.

Recht auf Arbeit und (gleichen) Lohn

Es dauert nicht lange, bis die feministische Bildungsprogrammatik in die direkt anschließenden Forderungen nach sinnvoller Tätigkeit und eigenständigem Lohn weiterentwickelt wird. Nicht nur Bildung, auch sinnvolle Arbeit verleiht Würde. Noch vor Marx und Engels und dem Erstarken der Arbeiterbewegung befasst sich Flora Tristan (1803–1844) mit dem Recht auf Arbeit und ihrer Organisierung. Auch in den Kontexten des utopischen Sozialismus und der 1848er-Revolutionen arbeiten feministisch orientierte Frauen. Die Kämpfe um Arbeit sind im 19. Jahrhundert endemisch. Ausgelöst durch die katastrophalen Folgen von Industrialisierung und wissenschaftlich-technischem Fortschritt prägen Massenarmut, Ausbeutung und soziale Verelendung das Leben vieler. Zur Frauenfrage tritt die Arbeiterfrage, die Frauenbewegung streitet mit der Arbeiterbewegung. Bedeutende Kämpferinnen wie die Kommunistin Clara Zetkin (1857–1933) und die Sozialdemokratin Lily Braun (1865–1916) plädieren für Gleichheit in Löhnen und außerhäuslichen Beschäftigungsmöglichkeiten und verdeutlichen den Wert von häuslichen und außerhäuslichen Tätigkeiten für Familie und Gesellschaft. Arbeit und eigenständiger Unterhalt schaffen individuelle Würde und mehren das gesellschaftliche Wohl. Patriarchale Herrschaft meint hier, dass Arbeit und Unterhalt vorenthalten werden und Frauen sich mit häuslichen Tätigkeiten zufriedengeben.

Im Einklang mit fortschrittlichen Denkern der Arbeiterbewegung wie August Bebel (1840–1913) imaginiert vor allem der sozialistische Flügel des Feminismus die Utopie einer Vergesellschaftung der Haus-, Familien- und Erziehungsarbeit, um Frauen auf Dauer den Zugang zum Öffentlichen zu gewährleisten. Dass dies zu politischen Konflikten mit "bürgerlichen" Feministinnen führt, die die weibliche "Andersartigkeit" und "Besonderheit" politisieren, versteht sich von selbst. Die Idee einer Vergesellschaftung der Reproduktion ist bis heute uneingelöste Utopie.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erobern sich Frauen den Zugang zu immer mehr (vereinzelt auch akademischen) Berufen, doch bleiben alle berufstätigen Frauen überall auf der Welt für die privaten Versorgungsarbeiten verantwortlich. Die feministische Theorie befasst sich deshalb bis heute mit folgenden Fragen: der ungleichen Bewertung und (Nicht-)Bezahlung häuslicher Arbeit sowie der ungerechten Bewertung und (Nicht-)Anerkennung sorgender Tätigkeiten (care). Auf dem arbeits- und lohnpolitischen Themenfeld liegt der Startpunkt beim Anspruch auf die Würde einer sinnvollen, finanziell absichernden Tätigkeit und die aktuelle Forderung beim Anspruch auf Anerkennung und Gleichverteilung von Sorgearbeit als gesellschaftliche Tätigkeit, die im naturzerstörerischen, kapitalistisch-patriarchalen 21. Jahrhundert dringend gebraucht wird. Die alte Forderung nach Lohngleichheit bleibt akut, alte und neue Formen der Ausbeutung bis hin zur SklavInnenarbeit sind auf dem Vormarsch.

Recht auf politische Teilhabe

Mit dem sozialdemokratischen und kommunistischen, aber auch dem sogenannten radikalen Flügel der Alten Frauenbewegung vieler Länder wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das feministisch entscheidende Thema ganz vorn auf die Agenda platziert: das Frauenstimmrecht. Während die politischen Erfahrungen europäischer und nordamerikanischer Feministinnen sich bis dato auf unkonventionelle Partizipationsformen beschränken, legen die Kämpfe um Bildung und Arbeit nahe, für konventionelle Teilhabe zu streiten: aktives und passives Wahlrecht, nationale Repräsentation, Parteimitgliedschaft und -engagement, politische Forderungen aus dem sozial weiblichen Lebenszusammenhang. Weil die geschwisterlich gleiche Bürgerin mittlerweile gebildet und vernünftig ist sowie einer für Familie und Gemeinwohl sinnvollen Tätigkeit nachgeht, erwirbt sie sich zwingend das Recht auf politische Teilhabe. Patriarchale Herrschaft meint hier, dass das vornehmste demokratische Recht aus Machtanmaßung vorenthalten wird und Frauen lange nicht laut genug dafür streiten.

Keine andere deutschsprachige Theoretikerin des 19. Jahrhunderts hat überzeugender für das Frauenstimmrecht argumentiert als Hedwig Dohm (1831–1919). Auch sie zeigt sich als scharfe Kritikerin des verlogenen, eitlen, ausbeuterischen, sexistischen männlichen und des heuchlerischen eigenen Geschlechts und damit als eine Meisterin des komplexen doppelten Motivs patriarchaler Herrschaftsanalyse. Dohm ist überzeugt: "Wahrhaftigkeit wohnt nur in den Seelen freier Menschen", und ergänzt: "Wenn nur eine einzige Frau das Stimmrecht fordert, so ist es Gewaltthat, sie an der Ausübung ihrer bürgerlichen Pflicht zu hindern." Frauen fordern das Stimmrecht als Recht, sittliche Notwendigkeit, Mittel der Veredelung, Gerechtigkeit und Demokratie. In der Realgeschichte gebührt freilich das höchste Lob den englischen Suffragetten, diesen unerschrockenen, radikalen Kämpferinnen, die sich nicht scheuen, sich ausgesprochen ungehöriger, zugleich medial höchst wirksamer Mittel zu bedienen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Dass Frauen in Deutschland dieses Jahr 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Erringung des aktiven Wahlrechts noch immer nicht mit substanzieller Gleichheit (nicht nur) in Bezug auf das passive Wahlrecht verbunden ist. Der Deutsche Bundestag hat 2017 einen eklatanten Rückschritt von 37 auf knapp 31 Prozent Frauenanteil vollzogen; und Frauen kommen seltener über Direktmandate ins Hohe Haus. Die Hürden in parteiinternen Rekrutierungsverfahren, die benachteiligenden Grenzen von Mehrheitswahlsystemen, die Abwehr gegen Quotenmodelle (ob Gesetzesquoten, freiwillige Parteiquoten oder garantierte Sitze), die "andere" mediale Präsentation von Politikerinnen variieren zwar von Land zu Land, doch verhindern all diese Hürden fast überall eine die Bevölkerung angemessen widerspiegelnde Zusammensetzung der Legislative, wie sie Anne Phillips (*1950) für einzig demokratisch legitim hält. Während sich Feministinnen des 19. Jahrhunderts wünschen, dass Frauen ein "weibliches" Element in die politische Öffentlichkeit tragen, verabschieden sich Demokratietheoretikerinnen im 21. Jahrhundert vom Differenzfeminismus und plädieren, wie Seyla Benhabib (*1950), Nancy Fraser (*1947) oder Martha Nussbaum (*1947), für Pluralität und inklusive BürgerInnenschaft. Sie wissen, dass quantitative Gleichheit keine qualitative Gerechtigkeit erzeugt; doch selbst die numerische Gleichheit steht weltweit aus.

Auf dem Themenfeld politische Teilhabe liegt der Startpunkt beim Anspruch auf formale demokratische Inklusion und der aktuelle Stand bei der Forderung nach emphatischer Anerkennung aller differenten Personen als freie und gleiche BürgerInnen. Derzeit fordern Feministinnen Paritätsgesetze nach französischem Vorbild, weil nur noch Gesetzesquoten schnell und effektiv gleiche Teilhabe herbeiführen können.

Freiheit von Gewalt

Olympe de Gouges bezahlt ihre mutige Proklamation mit dem Leben, Judith Butler (*1956) denkt momentan über Bündnispolitiken unter dem Zeichen lebensbedrohender Prekarität nach. Bis heute erleiden und bekämpfen Frauen Gewalt in unzähligen Formen (der theoretischen Sortierung Johan Galtungs (*1930) folgend): als sexualisierte und körperliche personale Gewalt, als die strukturelle Gewalt gesellschaftlicher Ungleichheiten, als kulturelle Gewalt im Sinne subtiler Verankerungen von Abhängigkeit. Die Kritik der Ehe als Ort der Entmündigung und Körperverletzung gehört im Feminismus des 19. Jahrhunderts zu den bekannten Topoi; Frauen empören sich über ihre Situation als Eigentum von Vätern und Ehemännern. Im Feminismus der Neuen Frauenbewegung stammt eine der ersten und schärfsten Analysen von Kate Millett (1934–2017), die die Gewalt der Sexualpolitik bereits 1970 ausführlich beschreibt. Susan Brownmiller (*1935) analysiert früh das Verbrechen Vergewaltigung, Andrea Dworkin (1946–2005) die Pornografie. Weltweit bekämpfen Frauen-NGOs heute auch Genitalverstümmelung, sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Jungen, (Zwangs-)Prostitution, Frauenmorde als "Ehrverbrechen", Totalverhüllung, Sextourismus, Frauenhandel, Versklavung.

Bekanntlich wird Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland erst 1997 zum Straftatbestand; noch einmal fast 20 Jahre braucht die strafrechtliche Verankerung des Prinzips "Nein heißt nein". 2017 schließlich wird in die Geschichte des Feminismus als jenes Jahr eingehen, in dem (zunächst vor allem prominente) Frauen ihre erschütternden Erfahrungen mit Belästigung und sexualisierter Gewalt einer globalen Öffentlichkeit offenbaren und damit dokumentieren, dass die vermeintliche Gleichheit nur die interessierte Leugnung von alltäglich fortbestehender Gewalt darstellt. Wie Young verdeutlicht: Unter anderem über Gewalt(androhung) wird Herrschaft permanent (re)produziert. Im Themenfeld Gewalt ist das zentrale Doppelmotiv nicht gültig; Zustimmung ist suspendiert, Empörung leitet Theorie und Politik seit 230 Jahren an.

Während "private" Formen personaler Gewalt seit Anbeginn des modernen Feminismus regelmäßig thematisiert werden, kommen "öffentliche" Formen personaler Gewalt vor allem im Kontext pazifistischer und antinationalistischer Strömungen ab dem Ersten Weltkrieg und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezogen auf kollektive Gewaltexzesse zur Sprache: seien es die Massenvergewaltigungen in sämtlichen Kriegen, rassistische Vertreibungen ("ethnische Säuberungen") oder Genozide. Hier ist personale Gewalt bezogen (nicht nur) auf Frauen meist sexualisierte Gewalt.

Auch wenn körperliche Unversehrtheit hier erst als viertes genannt wird, bedeutet das keinesfalls, dass sie einen nachrangigen Anspruch darstellt. Im Gegenteil spannt feministische Gewaltkritik einen zentralen Bogen von den Anfängen bis heute: von de Gouges’ Proklamation bis zur aktuellen Sexismus-Debatte.

Recht auf sexuelle, reproduktive und geschlechtliche Selbstbestimmung

Für unkonventionelle Freiheiten in Liebe, Sexualität und Mutterschaft treten vor der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur wenige Feministinnen offen ein, und kaum eine engagiert sich so unbeugsam wie die Sexualreformerin, Pazifistin und Radikale Helene Stöcker (1869–1943). Für Stöcker gehört es zu den Rechten, ja gar den Pflichten von Frauen, ihre Freiheit in Liebe, Sexualität und Mutterschaft zu realisieren und sich weder an bürgerlichen noch an gemäßigt-feministischen Konventionen zu orientieren. Die biografisch-politische Aufgabe besteht vielmehr in der Realisierung aller Potenziale; Würde bedeutet für Stöcker nicht konventionelle Seriosität, sondern die Pflicht zu Autonomie und Entfaltung in der persönlichen Lebensführung. Stöcker verbindet nur ein Aspekt mit den Gemäßigten: Emphase für das angebliche Wesen der Frau, ihrer besonderen Denkart und emotionalen Konstitution.

Mit Ausnahme de Beauvoirs erscheint die radikal verstandene Freiheit zu liebender und sexueller Selbstbestimmung erst wieder im Feminismus der Neuen Frauenbewegung. Betty Friedan (1921–2006) geißelt die Mystifizierung von Weiblichkeit, Shulamith Firestone (1945–2012) ruft zu einer kulturellen Revolution auf, Gena Corea (*1946) benennt die Gefahren der Gen- und Reproduktionstechnologien, Mary Daly (1928–2010) plädiert für lesbischen Separatismus, Butler analysiert die gesellschaftlichen Konstruktionsbedingungen von Geschlecht und Begehren. In diesem Themenfeld meint patriarchale Herrschaft heute die systemische Verweigerung frei gewählter Vorstellungen über die persönliche Identität und Lebensführung sowie die "sanfte Gewalt" zugewiesener Biografien.

Im Kontext des Selbstbestimmungsdiskurses analysieren Theoretikerinnen heute weitere Herrschaftsverhältnisse und entwürdigende Beschränkungen der Autonomie: im postkolonialen Diskurs, prominent artikuliert durch Gayatri Chakravorty Spivak (*1942), im religionskritischen Diskurs, vertreten durch islamische Feministinnen wie Fatima Mernissi (1940–2015), Nawal El Saadawi (*1931) und Shirin Ebadi (*1947). Intersektionalität ist die aktuell bedeutende Kategorie, um die Komplexität von Herrschaft auch zwischen Frauen zu markieren; ihre differenten Positionen überlagern und durchkreuzen ein gemeinsames Unterworfensein.

Feminismus und Antifeminismus – nicht erst heute

Feministische Ansprüche haben sich strukturell verändert, aber noch längst nicht erledigt. So auffällig der Wandel erscheinen mag, so bedrückend sind die Kontinuitäten. Je nach Perspektive könnte frau sich am bislang Erreichten erfreuen oder verzweifelt auf den noch langen Weg zur gleichen Freiheit blicken. Auf keinem der hier skizzierten Felder ist das Ziel erreicht. Noch ernüchternder wird die Diagnose, wenn die eben genannten "Kreuzungen" verschiedener Ungleichheiten in den Blick kommen. Hier steht die feministische Theorie noch am Anfang.

Das zeitgenössische Erstarken des "Antigenderismus" im Rechtspopulismus, die eklatanten anti- und postdemokratischen Ressentiments in vielen Demokratien und die multiplen globalen Krisenlagen bezogen auf Krieg, Armut und Naturzerstörung fordern feministische Theoretikerinnen heute massiv heraus. Doch Antifeminismus und Rückschläge sind in der Geschichte der Frauenfrage nichts Neues. In regelmäßigen Abständen werden Backlashes beklagt, der Tod des Feminismus oder seine vollständige Neuerfindung ausgerufen. Susan Faludi (*1959) hat 1991 umfassend diskutiert, dass und wie Angriffe auf emanzipatorische Fortschritte den raffinierten Versuch darstellen, frauenpolitisch erkämpfte Siege in Unglück bringende Niederlagen umzudeuten. Frauen wird suggeriert, dass ihr Fortschritt eigentlich einsam und unglücklich macht. Faludi deutet diese Umdeutung so: "Es handelt sich um einen Präventivschlag, der die Frauen weit vor der Ziellinie stoppt."

Der Antifeminismus gehört zum Feminismus gleichsam als andere Seite dazu. Die Angriffe von außen provozieren allerdings nach innen nicht selten Forderungen nach einer kritiklosen Vergemeinschaftung – eine Art feministische Burgmentalität, in der politische und politiktheoretische Debatten zum Schweigen gebracht werden. An die Stelle einer radikalen oder liberalen Allianzpolitik, die im Streit die Chance für Vielfalt und Stärke sieht, tritt dann Vereinheitlichung, die nachhaltig schwächt; statt gelebter Solidarität entstehen repressive Pseudosolidarisierungen. Für eine Theorie/Politik, deren würdigstes Ziel seit über 200 Jahren Demokratisierung heißt, sind undemokratische Binnenstrukturen eine Form der Selbstentwürdigung.

Sehr viel ließe sich von Lorde oder hooks lernen, die ihre Kritik am weißen Feminismus mit dem Plädoyer für einen würdevollen, schmerzvoll-offenen Austausch verbinden. Audre Lorde schreibt: "Nicht der Ärger anderer Frauen wird uns zerstören, sondern unsere Weigerung, anzuhalten, auf seinen Rhythmus zu hören, in ihn einzutauchen, um aus ihm zu lernen …". Denn es muss auch im Feminismus gelten, dass der andern abgegolten wird, was ihr zusteht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Olympe de Gouges, Erklärung der Rechte der Frau an die Königin (1791), in: Gabriela Wachter (Hrsg.), Olympe de Gouges. Die Rechte der Frau und andere Schriften, Berlin 2006, S. 48–68, hier S. 52.

  2. Vgl. ebd., S. 55f.

  3. Vgl. Mary Wollstonecraft, Ein Plädoyer für die Rechte der Frau, Weimar 1999 (1792).

  4. Vgl. Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Reinbek 1992 (1949).

  5. Ebd., S. 329.

  6. Vgl. Iris Marion Young, Fünf Formen der Unterdrückung, in: Herta Nagl-Docekal/Herlinde Pauer-Studer (Hrsg.), Politische Theorie. Differenz und Lebensqualität, Frankfurt/M. 1996 (1990), S. 99–139.

  7. Vgl. Pierre Bourdieu, Die männliche Herrschaft, Frankfurt/M. 2005 (1998).

  8. Vgl. die Überblicksdarstellungen Barbara Holland-Cunz, Die alte neue Frauenfrage, Frankfurt/M. 2003; Ute Gerhard, Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789, München 2009; Michaela Karl, Die Geschichte der Frauenbewegung, Stuttgart 2011; Gisela Notz, Feminismus, Köln 2011; Barbara Thiessen, Feminismus: Differenzen und Kontroversen, in: Ruth Becker/Beate Kortendiek et al. (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden 20082, S. 37–44; Tanja Nusser, Feminismus (radikaler Feminismus), in: Renate Kroll (Hrsg.), Metzler Lexikon Gender Studies – Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart–Weimar 2002, S. 102ff.; Therese Frey Steffen, Gender, Stuttgart 20172.

  9. Siehe dazu auch den Beitrag von Susanne Maurer in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  10. Hedwig Dohm, Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen, Neunkirch 1986 (1876), S. 46.

  11. Ebd., S. 111.

  12. Ebd., S. 159f., S. 163, S. 168.

  13. Vgl. Karl (Anm. 8), S. 61–78.

  14. Vgl. Anne Phillips, Geschlecht und Demokratie, Hamburg 1995 (1991).

  15. Vgl. Helene Stöcker, Die Liebe und die Frauen, Minden 19082 (1893ff./1906).

  16. Vgl. Susan Faludi, Die Männer schlagen zurück. Wie die Siege des Feminismus sich in Niederlagen verwandeln und was Frauen dagegen tun können, Reinbek 1993 (1991).

  17. Ebd., S. 23.

  18. Audre Lorde, Vom Nutzen unseres Ärgers, in: Dagmar Schultz (Hrsg.), Macht und Sinnlichkeit. Ausgewählte Texte von Adrienne Rich und Audre Lorde, Berlin 1983 (1981), S. 97–108, hier S. 104.

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ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politik & Geschlecht an der Justus-Liebig-Universität Gießen. E-Mail Link: barbara.holland-cunz@sowi.uni-giessen.de