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Globalgeschichte des Faschismus | (Anti-)Faschismus | bpb.de

(Anti-)Faschismus Editorial Faschisten von heute? "Neue Rechte" und ideologische Traditionen Globalgeschichte des Faschismus. Neue Forschungen und Perspektiven Verflochtene Geschichten. Stepan Bandera, der ukrainische Nationalismus und der transnationale Faschismus Dies- und jenseits des Erinnerungskonsenses. Kritik der postnationalsozialistischen Selbstvergewisserung Von Rom nach Charlottesville. Eine sehr kurze Geschichte des globalen Antifaschismus "Küsst die Faschisten". Autonomer Antifaschismus als Begriff und Programm Populismus als Postfaschismus

Globalgeschichte des Faschismus Neue Forschungen und Perspektiven

Sven Reichardt

/ 17 Minuten zu lesen

Die historische Faschismusforschung hat sich in den vergangenen Jahren für neue Ansätze geöffnet. Wichtig sind hier vor allem ein Verständnis des Faschismus als Prozess sowie globalgeschichtliche Perspektiven, die die wechselseitige Verflochtenheit der Faschismen untersuchen.

Auf dem Höhepunkt seiner Macht Ende 1941 herrschte der Nationalsozialismus über ein Gebiet, das vom Nordkap bis Nordafrika und von der Atlantikküste Frankreichs bis nahe Moskau reichte – an Ausdehnung und Bevölkerungszahl also die USA übertraf und wirtschaftlich produktiver war als jede andere Landmasse. Der US-amerikanische Historiker Mark Mazower hat aus dieser Tatsache die Notwendigkeit abgeleitet, die spezifisch imperialen Herrschafts- und Kollaborationsstrategien des NS-Regimes zu untersuchen. Seit einigen Jahren gibt es eine Richtung in der Faschismusforschung, die diesen Befund aufgreift und die imperiale Gestalt der Faschismen in Deutschland, Italien und Japan erforscht. Diese forderten als latecomer auf der politischen Bühne – im Vergleich etwa zu Großbritannien und Frankreich – nicht nur die liberale Weltordnung und den kommunistischen Internationalismus geopolitisch heraus, sondern radikalisierten auch die Logik des Imperialismus und Formen kolonialer Kriegsführung. Durch diese langfristige Perspektive auf den Imperialismus tritt der prozessuale Charakter des Faschismus deutlicher hervor. Der erste Teil dieser Darstellung zu Trends der Faschismusforschung wird daher die Entwicklungsschritte des Faschismus verdeutlichen.

Ein zweites Merkmal der jüngeren Forschung ist, dass sie über vergleichende Perspektiven hinausgeht. Mit dem Aufstieg der Globalgeschichte stehen vermehrt die Verschränkungen zwischen den Faschismen im Fokus: Kooperation und Konkurrenzverhältnisse, ihre oft prekäre Vermittlung und Abstimmung über unterschiedlichste, oft informelle und außerdiplomatische Formen werden nun untersucht. Diese Aspekte skizziert der zweite Teil dieses Aufsatzes.

Damit leistet die neue Faschismusforschung zum einen mehr als die kulturwissenschaftliche Untersuchung von Selbstbildern, symbolischen Repräsentationen und Ästhetiken, die in den 1990er Jahren in der vergleichenden Erforschung faschistischer Kultur vorherrschte. Sie wendet sich nunmehr der politischen Praxis in ihrer ganzen Breite zu und geht damit zum anderen über Ansätze hinaus, die den Faschismus als Ideologie in den Blick nehmen.

Prozessualisierung des Faschismus

Bekanntlich hat der Faschismus kaum originäre Ideen in die Welt gesetzt. Aber er hat das Konglomerat seiner nationalistischen, rassistischen, antisozialistischen, rechtsautoritären, antifeministisch-chauvinistischen und imperialistischen Vorstellungen mit einer radikalen Unbedingtheit, entschlossenen Gewaltsamkeit und einem dynamisch-revolutionären Bewegungscharakter vertreten, die man sonst nur aus dem Kommunismus kennt. Dabei ist dieses radikale Potenzial des Faschismus weder ohne den Ersten Weltkrieg – der die Welt nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich, sozial und kulturell tief erschütterte – noch ohne den weltweiten Aufstieg seines großen Gegenspielers, des Kommunismus, zu denken. Beides beförderte den Aufstieg und die gesellschaftliche Akzeptanz der gewaltsamen faschistischen Tatgemeinschaften.

Der Faschismus radikalisierte dabei vor allem die folgenden vier gesellschaftlichen Konstellationen der 1920er und 1930er Jahre: Erstens die weit verbreiteten, eugenisch geprägten Schemata sozialer Wohlfahrt; zweitens die im Ersten Weltkrieg entstandenen Phantasien einer totalen und staatlich angeleiteten Gesellschaftsgestaltung; drittens den auf Gemeinschaft und Kameraderie ausgelegten Radikalnationalismus sowie viertens eine breite Akzeptanz von Gewalt als Mittel der Innen- wie auch der expansionistischen Außenpolitik. All diese Einstellungen und Ansätze waren in den verschiedenen politischen Lagern weit verbreitet und spielten dem Faschismus in die Hände: Er erfand diese Tendenzen keineswegs, verstand aber, sie zu radikalisieren und für sich zu nutzen.

Der faschistische Kult der Beschleunigung, Ästhetisierung und Brutalisierung des Politischen verband populistischen Massenenthusiasmus mit repressiver Unterordnung, konservative Beharrung mit dynamisch-jugendlicher Mobilität und ideologischen Fanatismus mit taktischem Opportunismus. Die Ablehnung der liberalen Gesellschaft wie auch der sozialistischen Bewegungen äußerte sich in der radikalen Gewaltausübung eines autoritär strukturierten Staates, der auf die rassistische "Reinigung" und mithin auf die angebliche Existenzsicherung des "Volkskörpers" durch außenpolitische Expansion ausgerichtet war. Die Faschisten präsentierten sich als Verwalter des Lebens und Überlebens des eigenen Volkes und beschworen die Ideen von nationaler Reinheit und Volksgemeinschaft, welche für sie ohne rassistischen Ausschluss und Vernichtung nicht zu denken waren. Das Fehlen von geregelten Konfliktaustragungsmechanismen führte zu einer Radikalisierungstendenz der Faschismen – auf nationaler wie internationaler Bühne versuchten sie, sich in ihrer radikalen Unbedingtheit gegenseitig zu übertrumpfen.

Entwicklungsstadien des Faschismus

Insgesamt lassen sich sieben Kipppunkte in der Geschichte des Faschismus identifizieren. Im ersten Stadium finden sich zunächst kleinere intellektuelle Zirkel, die nahezu überall auf der Welt entstanden und sich meist am italienischen Faschismus orientierten. Die im Selbstverständnis idealistisch und revolutionär ausgerichteten Anhänger waren oft in fluide und instabile Organisationsstrukturen eingebettet sowie in untereinander zerstrittenen Netzwerken lose miteinander verbunden. Sie waren uneins über Varianten von radikalnationalistischen, völkischen und rassistischen Konzepten für eine hierarchische Regierungsform, die vage mit syndikalistischen oder korporatistischen Einschlägen versehen wurde.

Oft lösten sich diese prekären politischen Gruppen und Grüppchen schnell wieder auf und schafften es nicht, sich in das zweite Stadium einer Gewaltbewegung zu transformieren. Auch in diesem auf Attentate und militante Aktionen gegen die jeweiligen Regierungen ausgelegten Stadium entwickelte sich keine klare Programmatik. Weniger die ideologische Kombination aus Rassismus, Nationalismus und Antikommunismus denn die Strategie der Gewalt als Kampf- und Vergemeinschaftungsmodus bestimmte diese Gruppen, die in unbürokratischen Organisations- oder Parteistrukturen sowie mit der Verherrlichung draufgängerisch-jugendlicher Männlichkeit auftraten.

Im dritten Stadium entwickelten sich – und hier waren die Vorgänge in Italien und Deutschland global tonangebend – Massenbewegungen, die Gewalt und Wahlen in einer Doppelstrategie verfochten, ohne beide Elemente in ein ausgewogenes und stabiles Verhältnis zueinander zu bringen. Konfliktbeladen zwischen Bewegung und Partei changierend, durch charismatische Politikführung stabilisiert, dem Kult des Willens, nationaler Reinheit und der Gewaltgemeinschaft frönend, hatten nationalistische Paramilitärs Massenverbände aufgebaut und die Parteien mit Teilen der traditionellen Eliten verbunden, die sie zugleich durch ihre kulturrevolutionären Vorstellungen herausforderten.

Als Regime kennzeichnete den Faschismus zunächst eine tendenziell kurze Phase der Machteroberung mit einer brutalen Ausschaltung der politischen Gegner und einer diktatorialen Gleichschaltung der gesellschaftlichen Institutionen. Der Faschismus im Regimebeginn, so das vierte Stadium, war vor allem ein Polizeistaat, gepaart mit ungeregelter Repression und Terror.

Im fünften Stadium entwickelten sich faschistische "Vermittlungsdiktaturen" (Wolfgang Schieder). Sie suchten einen Ausgleich mit den konservativen Eliten wie Militär, Kirche, Industrie sowie – wo noch vorhanden – der Krone und dämmten zugleich die radikalfaschistischen Gewaltfraktionen des zweiten und dritten Stadiums ein. Erst jetzt wurde der Kult um den charismatischen Führer medial vollends aufgebaut. In politikkultureller Hinsicht ästhetisierten die faschistischen Regime neben der sakralisierten Erhabenheit ihrer Führer die furchteinflößende Unheimlichkeit ihrer Repressionsapparate und das populär-karnevaleske Spektakel ihrer volksnahen Massenorganisationen. Hinzu kamen rassistisch gebundene soziale Wohlfahrtsversprechen und die zügige Entwicklung einer imperialistischen Expansionspolitik. Im Inneren wurde das Repressionssystem auf neue Gruppierungen übertragen und rassistisch ausgerichtet, der Staatsaufbau partiell verparteilicht, und der Erfassungsgrad der Massenorganisationen auf viele Bevölkerungsgruppen erweitert. Vor allem im Umgang mit der (männlichen) Jugend und in der Inszenierung von Jugendlichkeit verdichtete sich eine Erziehungsdiktatur, die Vitalität mit nationaler Opferbereitschaft und revolutionären Geist mit der Beschwörung von Athletik, Disziplin und Tapferkeit verband.

Mit ihren ersten Kriegen in den frühen 1930er Jahren radikalisierten sich die faschistischen Regime nach innen und außen. Es kam im Zuge dieses sechsten Stadiums nicht nur zu einer tendenziellen Entmachtung konservativer Bündnispartner und einer entsprechenden Verselbstständigung faschistischer Apparate im Inneren, sondern auch zu radikalkolonialen Vernichtungskriegen nach außen. Umfassende gesellschaftliche Mobilisierung, der Ausbau und die Radikalisierung der engen Verbindung von völkischer Wohlfahrt mit Repression und rassistischer "Ausmerze" sowie die Verknüpfung von Gewaltpolitik und Subjektformierung wurden verstärkt: Populismus und Gewalt waren zwei Seiten derselben Medaille.

Vom japanischen Faschismus kann man im Grunde erst seit den kriegerischen Interventionen in der Mandschurei und in China 1931/32 beziehungsweise 1937 sprechen. Durch das Zusammenspiel von Vernichtungskrieg, moderner Raumplanung, technokratischen Industrialisierungsprogrammen und völkisch homogenisierender Siedlungspolitik entwickelte sich dort ein radikalisierter Imperialismus.

Im siebten Stadium lässt sich schließlich eine totale Entgrenzung genozidaler Politik beobachten, die im Grunde nur den nationalsozialistischen Radikalfaschismus kennzeichnete. Die Repubblica Sociale Italiana, die im September 1943 von Radikalfaschisten ausgerufen worden war und de facto von Hitlers Gnaden bestand, arbeitete zwar eng mit dem entfesselten NS-Regime zusammen, es kam jedoch nicht zum systematischen Ausbau eines eigenen Vernichtungssystems. Der kroatische Ustaša-Staat war ebenfalls mit dem nationalsozialistischen Konzentrationslagersystem und der SS verbunden. Vjekoslav Luburić, der Leiter des KZ-Systems der Ustaša, war nach dem Besuch von Sachsenhausen-Oranienburg im September 1941 derart beeindruckt, dass er das neue KZ Jasenovac geradezu wie eine Kopie aufbaute; insgesamt starben hier 83000 Menschen, davon 13000 Juden. Dennoch entwickelte die antisemitische Politik des Unabhängigen Staates Kroatien mit seinen rund 40 Konzentrationslagern nicht die eliminatorische Konsequenz des Nationalsozialismus. Dessen Vernichtungssystematik entfaltete sich im Grunde nur in den von den Deutschen besetzten Gebieten, wie etwa im März 1944 in Ungarn, als von dort schlagartig 437000 ungarische Juden deportiert wurden.

Globale Momente des Faschismus

Entwicklungsphasen der untereinander verflochtenen Faschismen lassen sich auch auf globaler Ebene identifizieren. Für diese Prozesse der Radikalisierung und deren jeweilige kritische Weggabelungen hat sich der Ausdruck global moment etabliert. So hat der Schweizer Historiker Daniel Hedinger die Eroberung der in China gelegenen Mandschurei durch die Japaner 1931/32 mitsamt ihren Auswirkungen als einen ersten globalen Moment des Faschismus untersucht. Mussolini sah den italienischen Faschismus in der Zeit von 1929 bis 1935/36 als Exportprodukt. Dies schlug sich unter anderem 1933 in den vom faschistischen Italien gegründeten Comitati d’Azione per l’Universalità di Roma (CAUR) nieder, dem kurzlebigen Versuch einer internationalen Vereinigung der faschistischen Parteien.

Italien war von Japans mutiger Aggression und seinem Austritt aus dem Völkerbund 1933 stark beeindruckt. Umgekehrt entstand in Japan um 1932 ein regelrechter Mussolini- und Faschismusboom. Nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 war man in Japan begeistert vom faschistischen Korporatismus, der die Konflikte zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessengruppen unter Zwang einhegte. In Mandschukuo versuchten die Japaner, dieses Modell mit umfassenden technologischen Planungen und einem Industrialisierungsprogramm durch den sogenannten zaibatsu umzusetzen, ein von der Regierung organisiertes Industrie- und Bankenkonglomerat.

Wechselseitige Studienreisen der faschistischen Jugendorganisationen und Parteigliederungen prägten zwischen 1935 und 1939 einen zweiten globalen Moment des Faschismus. Sowohl Polizei und Justiz als auch Siedlungsexperten und Militärbeobachter tauschten sich in dieser Zeit aus. Tagungen, Kongresse und Arbeitstreffen waren dabei ebenso bedeutend wie formlose politische Treffen. Neben dem zwischen Deutschland und Japan – bald darauf auch Italien – geschlossenen Antikominternpakt von 1936/37 entstand ein informelles Netzwerk von noch genauer zu untersuchenden Austauschbeziehungen.

Entscheidend in dieser Phase war jedoch die Entwicklung eines neuen Typus völkischer Vernichtungskriege, die sich, so der spanische Historiker Javier Rodrigo, als fascist warfare zusammenfassen lassen. Gemeint sind ultranationalistische Kriege mit eliminatorischer und genozidaler Tendenz, die sich durch eine schnelle und besonders brutale Form der Kriegsführung auszeichnen. Sie richten sich umfassend auch gegen die Zivilbevölkerung und stilisieren den Luftkrieg zu einer notwendigen und sauberen militärischen Taktik.

Den Beginn und Durchbruch dieses Typus markiert der Abessinienfeldzug von 1935/36, bei dem die italienische Armee im heutigen Äthiopien ganze Dörfer und Städte niederbrannte und mit dem umfassenden Einsatz von verbotenen Giftgasen massenhaft Zivilisten und Vieh tötete. Mussolini hatte zu dieser "Ausrottung" ausdrücklich aufgerufen. Am Ende kam ein Achtel der Bevölkerung Abessiniens ums Leben. Daran anschließend kennzeichneten radikalkoloniale Plünderungen der landwirtschaftlichen Produkte, Rohstoffe und Arbeitskräfte, "Säuberungen" und Massentötungen sowie Zwangsdeportationen und Konzentrationslagersysteme den Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939, den japanischen Krieg gegen China seit 1937 und den Ostfeldzug des NS-Regimes seit 1939 beziehungsweise Juni 1941. Letzterer, so der Freiburger Historiker Ulrich Herbert, zielte "auf die Errichtung einer deutschen Kolonialherrschaft in Osteuropa".

Der Antikommunismus trug in all diesen Kriegen nahezu rassistische Züge. So wurden im Ostfeldzug Bolschewismus und Judentum beinahe gleichgesetzt. Auch im Spanischen Bürgerkrieg befanden die Faschisten, die Nation müsse vom Kommunismus durch "Vernichtung" umfassend "gesäubert" werden. Francos Presseattaché Graf von Alba y Yeltes etwa gab zu Protokoll, für das Ziel, das "Krebsgeschwür" des Marxismus aus dem "Volkskörper" zu entfernen, dürfe ein Drittel der männlichen Bevölkerung Spaniens eliminiert werden.

Vernichtung menschlichen Lebens korrespondierte im fascist warfare mit Neuordnungsprogrammen und Umsiedlungsplänen. Schnelle Überraschungsangriffe mit großen Geländegewinnen und Kesselschlachten, systematische und umfassende Hungerpolitik, wirtschaftliche Ausplünderung und rassistischer Vernichtungsfeldzug waren die wichtigsten Merkmale dieser Kriege.

Ein dritter globaler Moment des Faschismus begann 1940/41 und endete mit der deutschen Niederlage in der Schlacht von Stalingrad Anfang 1943: Die Realisierung der angestrebten faschistischen Weltordnung erreichte spätestens mit dieser Zäsur ihren Höhepunkt. Deutschland, Italien und Japan vertieften durch den faschistischen Dreimächtepakt vom September 1940 ihre Zusammenarbeit, organisierten sich in riesigen, räumlich zusammenhängenden Kontinentalimperien und erkannten sich wechselseitig in ihren siedlungsorientierten Großraumansprüchen an. Dieser Imperialismus wurde von faschistischen Geopolitikern mit einer bevölkerungspolitisch-biologistischen Legitimationsbasis versehen und zugleich vom "plutokratischen" britischen Handelsimperialismus abgegrenzt.

Verwobene Politiken des Faschismus

Die Faschisten veränderten die geopolitischen Konstellationen – mithin die gesamte Weltordnung – in den 1930er und 1940er Jahren sowohl durch Ideentransfers zwischen faschistischen Sozialexperten als auch mit ihrer untereinander verwobenen politischen Praxis. Dieser Austausch fand durch vielfache Verschränkung der rassistischen Raum-, Infrastruktur- und Bevölkerungspolitik statt. Zu diesen transnationalen Verflechtungen technologischen Expertenwissens liegen bislang noch zu wenige Studien vor.

Anstatt nur auf propagandistische Diskursströme zu schauen, rückt mit diesem Ansatz die politische Praxis in den Fokus. Dabei ist zu bedenken, dass wir es bei der Kooperation zwischen faschistischen Politikern oft mit asymmetrischen Beziehungen und vermachteten Verhandlungen zu tun haben, in denen die jeweils schwächeren Verhandlungspartner nach Gelegenheitsfenstern suchen mussten, da sie angesichts von Befehlsverhältnissen und Repressionsdrohungen nur über sehr begrenzte Handlungsspielräume verfügten. Das galt insbesondere für faschistische Kräfte, die in den vom NS-Staat besetzten Ländern lebten.

So wurden beispielsweise mit Stepan Bandera und Horia Sima die faschistischen Führer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und der rumänischen Eisernen Garde als Ehrenhäftlinge im KZ Sachsenhausen gehalten, bevor die Nationalsozialisten sie in politische Positionen ihrer Heimatländer zurückführten, als es ihnen günstig erschien. Hitler behandelte viele der kleineren Faschismen weniger mit planender politischer Sorgfalt als mit opportunistischer und brutaler Machtpolitik. Der Umgang mit ihnen fand im Modus von Befehlen, Anordnungen und Zwangsmaßnahmen statt, wobei Hitler – wie etwa in Rumänien und Ungarn – lange Zeit rechtsautoritäre Politiker wie General Ion Antonescu oder den ungarischen Reichsverweser Miklós Horthy gegenüber den faschistischen Kräften bevorzugte.

Die Handlungsspielräume waren für Kooperationspartner außerhalb der faschistischen Besatzungsgebiete nicht notwendigerweise größer. Dennoch gab es gerade dort auch Kräfte, die die faschistischen Großmächte für ihre eigene Agenda zu nutzen verstanden. Der irakische Faschist Raschid Ali al-Gailani etwa, der durch einen Staatsstreich im April 1941 Premierminister seines Landes wurde, bat die italienischen Faschisten und die Nationalsozialisten erfolgreich um militärische Unterstützung und bestärkte letztlich auch die antisemitischen Pogrome in Bagdad. Doch selbst ein Faschist wie al-Gailani verstand die italienischen und deutschen Faschisten vor allem als Verbündete gegen den britischen Imperialismus beziehungsweise als Unterstützung für den eigenen nationalen Befreiungsversuch. Ähnlich verhielt es sich mit Amin al-Husseini, dem propagandistisch eifrigen und extrem antisemitischen Großmufti von Jerusalem.

Viele dieser Kooperationen im Nahen und Mittleren Osten entstanden vor und während des Zweiten Weltkriegs weniger aus ideologischer Überzeugung denn aus pragmatischen Gründen. Neben "freiwilligen" Kooperationen standen Zwangsrekrutierungen und Formen des Mitmachens, die das eigene Überleben sichern sollten. Das NS-Regime umwarb vor allem 1941 und 1942 mithilfe von Propagandisten wie al-Husseini aus strategischen und machtpolitischen Gründen die Muslime, denn von ihnen lebten 150 Millionen unter französischer und britischer Herrschaft, dazu kamen noch einmal 20 Millionen in der Sowjetunion. Militärische Erfolge der Deutschen brachten Muslime auf deren Gebiet und in den Fokus von Mobilisierungsversuchen. Mit antibolschewistischer, antijüdischer und vor allem gegen die Briten gerichteter antiimperialistischer Propaganda versuchten die Nationalsozialisten, diese Muslime zu agitieren und für die Waffen-SS zu gewinnen – auch wenn man diese als "rassisch minderwertig" betrachtete.

Diese pragmatische Politik war insgesamt wenig erfolgreich. Dies lag vor allem daran, dass die Nationalsozialisten den Islam als homogene Einheit ansahen, obwohl die Muslime entlang tribaler, nationaler, familiärer oder ethnischer Grenzen vielfach gespalten waren. Grundsätzlich blieben Resonanz und Sympathie für die rassistische Politik der Nationalsozialisten und der italienischen Faschisten sehr begrenzt, antifaschistische Einstellungen waren in Ägypten, Syrien, Libanon, Iran, Irak und Marokko deutlich stärker ausgeprägt als die Unterstützung oder die Kooperation mit den Faschisten.

Verwobene faschistische Politiken anderer Art lassen sich exemplarisch anhand der transnational vernetzten Siedlungspolitik des Faschismus nachweisen, die der Historiker Patrick Bernhard für Italien und Deutschland untersucht hat. Für die Nationalsozialisten eröffnete sich im Kriegsverlauf mit der Eroberung des "Lebensraumes im Osten" die Möglichkeit, die Vorstellungen von Rassereinheit und Siedlungspolitik in die Praxis umzusetzen. Dabei interessierten sie sich sowohl für die italienischen Siedlungsexperimente in Nordafrika als auch für den japanischen Siedlungskolonialismus in Mandschukuo. Zwar machten Hitler und einige führende Nationalsozialisten für ihre Ostplanung auch rhetorische Anleihen bei den britischen Herrschaftstechniken in Indien oder bei der deutschen Kolonialgeschichte, aber konkreter und praxisbezogener wurde es, wenn sie die moderne Infra- und Wirtschaftsstruktur in Mandschukuo oder die neuen kolonialen Städte in Africa Orientale Italiana studierten.

In den italienischen Kolonien fanden die faschistischen Utopien von Volksbeglückung und Massenvernichtung zusammen. Durch die Raumordnung sollte zum einen die alte räumliche Struktur der äthiopischen und libyschen Gesellschaft zerstört, zum anderen eine moderne infrastrukturelle Erschließung der Territorien und ihre Durchdringung ermöglicht werden. So hoffte man, Italiens "rassische Kohäsion" zu stärken und eine fruchtbare, vitale und kriegerische Siedlungsbevölkerung auf wirtschaftlich möglichst autarkem Gebiet zur errichten. Die Eroberung und Entwicklung verschlang zwischen 1935 und 1940 jährlich rund 20 Prozent des Staatshaushaltes – es war das ebenso gigantische wie größenwahnsinnige Laboratorium einer erträumten rassistischen Zukunftsgesellschaft.

Diese Politik wurde von führenden Nationalsozialisten für die eigenen Planungen in Osteuropa intensiv beobachtet: Hermann Görings Vierjahresplanbehörde, die Deutsche Arbeitsfront unter Robert Ley, das Reichsarbeitsministerium sowie die Planungsbehörde des Reichskommissariats für die Festigung des deutschen Volkstums unter Heinrich Himmler traten in direkten Kontakt mit den italienischen Behörden. Diese verflochtenen faschistischen Planungen für den modernen Siedlungsbau in den als "Lebensraum" (spazio vitale) ausgewiesenen Gebieten lassen sich auch für die Orientierung am Siedlungsexperiment der Japaner in Mandschukuo beobachten. Umfang, Radikalität, Modernität und Schnelligkeit dieses Siedlungsprojektes beeindruckten die Nationalsozialisten.

Fazit

Die wechselseitige Verflochtenheit der faschistischen Bewegungen und Regime sowie ihre Transferbeziehungen sind immer noch nicht hinreichend erforscht – zumal, wenn man den bisherigen Erkenntnissen die Breite und Vielzahl an Studien aus dem Bereich der vergleichenden Faschismusforschung gegenüberstellt.

Diese Vermittlungsprozesse sind allerdings keineswegs einfach zu rekonstruieren, sie waren von Machtasymmetrien, dem Aufbau von fragilen, fluiden und oft informellen Vermittlungsinstanzen sowie trickreichen Agenten und Brokern jenseits klassischer diplomatischer Kanäle geprägt. Kooperation und Konkurrenz konnten in diesem Vermittlungsprozess nie austariert werden, wechselseitige Überbietungswettbewerbe und Radikalisierungstendenzen gehörten ebenso zum Geflecht des transnationalen Faschismus wie Anverwandlungen und schlichte Übernahmen. Auch sollte man diese Verwobenheit angesichts vielfältiger Friktionen, Feindschaften und Misstrauensverhältnisse untereinander nicht überbetonen. Viele Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen den Faschismen ergeben sich erst nachträglich aus den systematischen Vergleichen von Historikern und eben nicht aus zeitgenössischen Verbindungen.

Während erste transnationale Studien zum faschistischen social engineering von der Raum- und Siedlungsplanung bis hin zur Sozialpolitik und dem Repressionssystem vorliegen, bleiben noch viele Fragen zu den Transferbeziehungen im Bereich der geopolitischen Weltordnungspolitik, des Rechtssystems und der technokratischen Formen der Wirtschaftspolitik zu klären. Der Faschismus als untereinander verflochtener und radikalisierter Großraumimperialismus, der Vernichtungskrieg mit völkischem Neuaufbau und ökonomische Plünderung mit modernisierender Raum- und Wirtschaftsplanung verband, ist jedoch aus der Agenda zur Faschismusforschung nicht mehr wegzudenken.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Mark Mazower, Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 2009, S. 16.

  2. Siehe dazu Journal of Global History 2/2017 (Axis Empires: Towards a Global History of Fascist Imperialism) sowie die neben Mazower (Anm. 1) wegweisenden Studien: Louise Young, Japan’s Total Empire. Manchuria and the Culture of Wartime Imperialism, Berkeley–Los Angeles–London 1998; Davide Rodogno, Il nuovo ordine mediterraneo. Le politiche di occupazione dell’Italia fascista in Europa (1940–1943), Turin 2003.

  3. Siehe zum Faschismus als Prozess vor allem Robert O. Paxton, The Anatomy of Fascism, New York 2004; Wolfgang Schieder, Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland, Göttingen 2008, insb. S. 7–28.

  4. Vgl. Sven Reichardt, Faschistische Tatgemeinschaften. Anmerkungen zu einer praxeologischen Analyse, in: Hans Woller/Thomas Schlemmer (Hrsg.), Faschismus in Europa. Wege der Forschung, München 2014, S. 73–88, hier insb. S. 80.

  5. Vgl. ders., Radikalisierung. Zeithistorische Anmerkungen zu einem aktuellen Begriff, in: Geschichte und Gesellschaft 1/2017, S. 68–91.

  6. Vgl. Harry Harootunian, Overcome by Modernity: History, Culture, and Community in Interwar Japan, Princeton 2000; Alan Tansman, The Aesthetics of Japanese Fascism, Berkeley 2009; Aaron Stephen Moore, Constructing East Asia: Technology, Ideology, and Empire in Japan’s Wartime Era, 1931–1945, Stanford 2013.

  7. Vgl. Ivo Goldstein/Slavko Goldstein, The Holocaust in Croatia, Pittsburgh 2016, hier S. 106f.; Götz Aly/Christian Gerlach, Das letzte Kapitel. Realpolitik, Ideologie und der Mord an den ungarischen Juden 1944/45, Stuttgart 2002.

  8. Vgl. Sebastian Conrad/Dominic Sachsenmeier (Hrsg.), Competing Visions of World Order: Global Moments and Movements, 1880s-1930s, New York 2007, insb. S. 12–16.

  9. Vgl. hierzu und zum Folgenden Daniel Hedinger, Universal Fascism and Its Global Legacy: Italy’s and Japan’s Entangled History in the Early 1930s, in: Fascism 2/2013, S. 141–160; ders., The Imperial Nexus: The Second World War and the Axis in Global Perspective, in: Journal of Global History 2/2017, S. 184–205.

  10. Vgl. Marco Cuzzi, L’internazionale delle camicie nere. I CAUR 1933–1939, Mailand 2005; Reto Hofmann, The Fascist Effect: Japan and Italy, 1915–1952, Ithaca–London 2015, S. 38–62; Janis Mimura, Planning for Empire: Reform Bureaucrats and the Japanese Wartime State, Ithaca 2011.

  11. Vgl. Niels Fehlhaber, "Der Achse entgegenarbeiten". Besuchsaustausch zwischen Nationalsozialismus und Faschismus 1933–1943, Dissertation, Universität Hannover 2016; Patrick Bernhard, Konzertierte Gegnerbekämpfung im Achsenbündnis. Die Polizei im Dritten Reich und im faschistischen Italien 1933 bis 1943, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 2/2011, S. 229–262; Daniela Liebscher, Freude und Arbeit. Zur internationalen Freizeit- und Sozialpolitik des faschistischen Italien und des NS-Regimes, Köln 2009.

  12. Javier Rodrigo hat diesen Begriff mit Bezug auf den Spanischen Bürgerkrieg in die Debatte eingeführt. Vgl. ders., A Fascist Warfare? Italian Fascism and War Experience in the Spanish Civil War (1936–39), in: War in History 2017, S. 1–17, hier S. 3, 12.9.2017 (nur online). Er verweist für die Definition auf das wichtige Buch von Alan Kramer. Vgl. ders., Dynamic of Destruction: Culture and Mass Killing in the First World War, Oxford 2007, hier insb. S. 329.

  13. Vgl. Aram Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935–1941, Zürich 2005; Giorgio Rochat, Le guerre italiane, 1935–1943. Dall’impero d’Ethiopia alla disfatta, Turin 2005.

  14. Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 429. Siehe außerdem ebd., S. 420–453; Javier Rodrigo, La guerra fascista. Italia en la Guerra Civil Española, 1936–1939, Madrid 2016; John W. Dower, War Without Mercy: Race and Power in the Pacific War, New York 1986; Sheldon H. Harris, Factories of Death: Japanese Biological Warfare, 1932–1945, and the American Cover-Up, London 1994; Paul Kratoksa, Asian Labor in the Wartime Japanese Empire: Unknown Histories, Singapore 2005; Christian Gerlach, Der Mord an den europäischen Juden. Ursachen, Ereignisse, Dimensionen, München 2017, insb. S. 75–124; Christian Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg. Front und militärisches Hinterland 1941/42, München 2010.

  15. Antony Beevor, Der Spanische Bürgerkrieg 1936–1939, München 2006, S. 505.

  16. Siehe ausführlich dazu Sven Reichardt, Faschistische Geopolitik und Weltordnungspläne, unveröffentlichtes Manuskript 2017.

  17. Vgl. dazu weiterführend die Schwerpunktausgabe Journal of Contemporary History 1/2016 (The Dark Side of Transnationalism – Social Engineering and Nazism, 1930s–40s).

  18. Vgl. Grzegorz Rossoliński-Liebe, Inter-Fascist Conflicts in East Central Europe: The Nazis, the "Austrofascists", the Iron Guard, and the Organization of Ukrainian Nationalists, in: Arnd Bauerkämper/Grzegorz Rossoliński-Liebe (Hrsg.), Fascism without Borders. Transnational Connections and Cooperation between Movements and Regimes in Europe from 1918 to 1945, Oxford 2017, S. 168–189, hier S. 183f. Siehe dazu auch den Beitrag von Grzegorz Rossoliński-Liebe in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  19. Vgl. Thomas Sakmyster, Miklos Horthy. Ungarn 1918–1944, Wien 2006; Armin Heinen/Oliver Jens Schmitt (Hrsg.), Inszenierte Gegenmacht von rechts. Die "Legion Erzengel Michael" in Rumänien 1918–1938, München 2013.

  20. Vgl. Peter Wien, Iraqi Arab Nationalism. Authoritarian, Totalitarian, and Pro-Fascist Inclinations, 1932–1941, London–New York 2006, S. 47, S. 109–112.

  21. Vgl. David Motadel, Islam and Nazi Germany’s War, Cambridge–London 2014.

  22. Vgl. dazu unter zahlreichen Studien das Themenheft Geschichte und Gesellschaft 3/2011 (Arab Encounters with Fascist Propaganda 1933–1945).

  23. Vgl. Patrick Bernhard, Hitler’s Africa in the East: Italian Colonialism as a Model for German Planning in Eastern Europe, in: Journal of Contemporary History 1/2016, S. 61–90; ders., Colonial Crossovers: Nazi Germany and Its Entanglements with Other Empires, in: Journal of Global History 2/2017, S. 206–227.

  24. Vgl. Jürgen Zimmerer, Von Windhuk nach Ausschwitz? Beiträge zum Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust, Münster 2011.

  25. Vgl. Aram Mattioli, Unterwegs zu einer imperialen Raumordnung in Italienisch-Ostafrika, in: ders./Gerald Steinacher (Hrsg.), Für den Faschismus bauen. Architektur und Städtebau im Italien Mussolinis, Zürich 2009, S. 327–352, hier S. 335, S. 337.

  26. Vgl. Louise Young, When Fascism Met Empire in Japanese-Occupied Manchuria, in: Journal of Global History 2/2017, S. 274–296, hier S. 293.

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ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Konstanz und arbeitet derzeit an einer Globalgeschichte des Faschismus. E-Mail Link: sven.reichardt@uni-konstanz.de