I. Vorbemerkung
Im August 1996 fand in Stockholm ein Kongress statt, von dem wir wohl nur Notiz genommen haben, weil wir noch unter dem Schock eines Verbrechens standen, das in unserem Nachbarland geschehen war und uns vor Augen führte, wie leicht es ist, Menschen zu verschleppen, zu misshandeln, zu ermorden, zu verscharren und verhungern zu lassen, wenn diese Menschen Kinder sind und die Täter Männer - Männer, die sich gegenseitig deckten und in Freiheit ließen. Der "Weltkongress gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern", der von der asiatischen Kampagne End Child Prostitution in Asian Tourism (ECPAT) initiiert worden war, fand auf europäischem Boden statt, dort also, wo die Flugzeuge abheben, in denen sich Männer als Prostitutionstouristen auf Reisen begeben
An dem Kongress nahmen insgesamt 1 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 130 Ländern teil. In dem von ihnen verabschiedeten Aktionsplan werden die nationalen Regierungen aufgefordert, bis zum Jahr 2000 wirksame Strategien gegen Kinderprostitution, Kinderhandel und Kinderpornografie zu entwickeln
Mit der Aufdeckung des sogenannten "Kinderporno-Ring" im niederländischen Zandvoort im Juli 1998 offenbarte sich jedoch, wie selbstverständlich - und nahezu unbehelligt - die sexuelle Ausbeutung von Kindern auch weiterhin organisiert, fortgesetzt und vermarktet wird. Es sind die Horrormeldungen, die vergewaltigten und ermordeten Kinder, die uns das monströse Ausmaß des Verbrechens vor Augen führen und zugleich verzerren. Die vielen Worte, die im Augenblick des Schreckens fallen, die Erklärungen, die gesucht werden, lenken in der Konsequenz nur davon ab, die täglich zelebrierte Gewalt in der Familie wahrzunehmen. 200 Kinder sterben hierzulande Jahr für Jahr an den Folgen der ihnen zugefügten Gewalt, 15 000 Kinder werden von Familienangehörigen - ihren Vätern, Großvätern, Onkeln oder Brüdern - "sexuell missbraucht", wobei diese Zahl lediglich die offiziell registrierten Fälle markiert. Die Dunkelziffer liegt Schätzungen zufolge bei 1:50. Demnach stünden tagtäglich 750 000 Kinder in Gefahr, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden
II. Sextourismus
Dass Männer in ferne Länder reisen, um "Sex" zu haben, ist Teil dieser Normalität
Wie die Armut weitet sich daher auch die Prostitution immer weiter aus. Russland, Polen, Ungarn, Tschechien, Israel, Marokko, Tunesien, Indien, Malaysia, Südkorea, Kambodscha, Vietnam, Costa Rica, Kuba, Westafrika und Mauritius: Schätzungen zufolge reisen jährlich wenigstens 5 000 deutsche Männer allein deswegen nach Thailand, weil sie nach Frauen verlangen, die ihnen sexuell zu Diensten stehen. Ist ein Land jedoch erst einmal in den Ruf geraten, ein Zentrum sexueller Freizügigkeit zu sein, so Ron O'Grady, der Koordinator von ECPAT, "dann muß es auch allen Trends nachgehen"
III. Kinderprostitution im Sextourismus
Der Trend geht dahin, "immer jüngere Kinder in der Prostitution auszubeuten; Kinder, die noch nicht geschlechtsreif und zwischen sechs und vierzehn Jahre alt sind"
IV. Zur begrifflichen Klärung
Im Folgenden soll von Kinderprostitution die Rede sein, wenn die prostituierten Kinder unter 18 Jahre alt sind. Auch soll nicht von Mädchen und Jungen gesprochen werden, sondern von weiblichen und männlichen Kindern - zum einen, weil auch erwachsene Frauen regelmäßig als "Mädchen" ("Thai-Mädchen") bezeichnet werden, zum anderen, weil eine präzise Bezeichnung des Verhältnisses - die Rede ist immerhin von Prostitution an Kindern - dem von Prostitutionstouristen sorgsam gepflegten Anschein entgegenwirkt, als handele es sich dabei lediglich um ein Urlaubsvergnügen mit Kinderbegleitung. Aus dem gleichen Grunde soll auch nicht mehr von "Sextourismus" die Rede sein, sondern von Prostitutionstourismus. Es geht im Kontext der sexuellen Ausbeutung von Kindern nicht um Sex, sondern um die Demonstration sexueller Macht. Als Prostitutionstouristen bezeichne ich demzufolge alle Männer, die ihren Urlaub, ihre Geschäftsreise oder ihren Wochenendtrip mit der Absicht oder dem (vielleicht auch uneingestandenen) Wunsch antreten, sexuelle Dienstleistungen von Kindern oder anderen Personen zu verlangen, die aufgrund ihrer Abhängigkeit nicht die Freiheit besitzen, diese zurückzuweisen. Und wenn ich von Männern spreche, meine ich nicht jeden einzelnen Mann, sondern Männer als soziale Kategorie. Über die einzelnen Männer zu sprechen, soll diesen selbst überlassen sein.
V. Prostitution an Kindern
Prostitution an Kindern findet in den verschiedensten Formen statt, vorzugsweise in Bordellen, Massagesalons und "Coffeeshops". Darunter finden sich auch Kinder, die von ihren Eltern verkauft wurden, um das Überleben der Familie zu sichern. In weiten Regionen Thailands wird es als normal angesehen, dass die Töchter "in den Süden" gehen, d. h. in die Prostitution. So finden sich im Norden Thailands bereits einige Dörfer und Landstriche, in denen keine weiblichen Kinder über 12 Jahre mehr leben. Angeboten werden jedoch auch weibliche Kinder aus Laos, Kambodscha oder den südlichen Provinzen Chinas, die als Kinderprostituierte versklavt wurden.
Wie in Thailand führt auch auf den Philippinen der Weg vieler Kinder geradewegs in die Prostitution. "Nach Beobachtungen von Tourismusfachleuten kommen aus Deutschland die meisten ,Kunden' der philippinischen Kinderprostituierten."
In Kenia und Brasilien sind die prostituierten Kinder wiederum fast ausschließlich weiblich, die meisten zwischen acht und fünfzehn Jahre alt. Neben den einheimischen, die sich weiblichen Kindern gegenüber als "Sugar-Daddys" (Kenia) gerieren, sind es vor allem deutsche Touristen, die Kinder nachfragen. Dabei stellte die Kampagne gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern fest, dass diese zwischenzeitlich vermehrt nach Brasilien ausweichen, nicht nur, weil Flüge billiger geworden sind, sondern auch, weil sie sich dort noch weitgehend unbehelligt an Kindern schadlos halten können. "In Recife bestreiten 44 Prozent der auf der Straße lebenden Mädchen ihren Lebensunterhalt mit Prostitution. Von diesen sind 16 Prozent unter elf Jahren. Die Lebenserwartung dieser Mädchen beträgt durchschnittlich 21 Jahre. Dies ist vor allem dem Umstand geschuldet, daß die Prostitution in der Regel mit dem Konsum von Drogen verbunden ist. Die Mädchen schnüffeln Kleister oder spritzen sich billige Medikamente - meist Hustensaft - in die Venen."
Dies alles mag verdeutlichen, dass Prostitution an Kindern keineswegs als Nebenwiderspruch anzusehen ist, sondern der Armut und Unterwerfung entspringt, gefördert durch eine von Männern dominierte Gesellschaft, konsumiert von Männern, die es sich leisten können und offensichtlich auch genießen, das hierarchische Geflecht von ökonomischer Überlegenheit und persönlicher Abhängigkeit auszunutzen und zu fördern. Als Fazit sollen daher einige Merkmale skizziert werden, die die sexuelle Ausbeutung von Kindern begünstigen. Es sind dies:
1. Die Erfahrung der Kolonisation
Mit Ausnahme Thailands, das von kolonialen Eroberungszügen unberührt blieb, weisen alle vom Prostitutionstourismus betroffenen Länder eine kolonial geprägte, auf Weltmarkt ausgerichtete Nationalökonomie aus. Da die Kolonisation im deutschen Geschichtsbewußtsein nur rudimentär vorhanden ist, scheint es den Prostitutionstouristen wahrscheinlich nicht bewusst zu sein, in wessen Tradition sie stehen. Dass nichtsdestotrotz eine geistige Kumpanei zwischen den "Herrenmenschen" von einst und den Prositutionstouristen unserer (Frei-)Zeit existiert, deutet sich in einem Zitat an, dass Martha Mamozai den deutschen Kolonialisten ins Stammbuch schrieb: "Herr zu sein heißt: obenauf zu sein und auf Unterworfene herabzublicken; Herr zu sein heißt: Damen beschützen und Weiber gebrauchen; Herr zu sein heißt: dafür sorgen, daß der eigene Nutzen zum Gemeinwohl erklärt wird."
2. Die Erfahrung von Armut
Die Erfahrung von Armut stellt eine Grundbedingung der Prostitution dar. Diese Armut ist weithin das Resultat einer Entwicklung, die als neoliberal in Erscheinung tritt. Da bezahlte Arbeit - soweit vorhanden - den Männern vorbehalten ist, bleibt den Frauen (Kindern) häufig gar keine andere Wahl. Prostitution ist der sichtbarste Ausdruck dafür, dass der (weibliche) Körper wie eine natürliche Ressource investiert bzw. ausgebeutet wird, weil er allein Einkommen und Profit sichert.
3. Die Erfahrung der Gewalt
Alle von Prostitutionstourismus betroffenen Länder weisen eine Kultur aus, die die Entwicklungschancen von Frauen und Mädchen (fast) ausschließlich auf das Wohl der Familie reduziert. Das patriarchalische Geschlechterverhältnis ist insofern nicht allein das Resultat biologischer, kultureller oder ökonomischer Faktoren, es beruht letztendlich auf der Gewalt selbst: "Gewalt ist das letzte Geheimnis des Weißen Mannes, mit dem er sowohl die Natur als auch die Frauen, als auch fremde Völker kolonisiert hat und mit der er seinen angeblichen friedlichen Weltmarkt aufrechterhält."
4. Die Erfahrung des Krieges
Ganz offensichtlich besteht zwischen Krieg und Prostitution ein enger Zusammenhang. Kriege haben in der ihnen eigenen Nachfragestruktur ganz wesentlich zur Entstehung und Förderung von Prostitution bzw. Kinderprostitution beigetragen. So stieg die Zahl der Prostituierten in Phnom Pen infolge der Anwesenheit der UN-Soldaten in nur einem Jahr von 6 000 (1991) auf über 20 000 (1992). "Kurze Zeit nachdem das deutsche Feldlazarett im Sommer 1992 in Phnom Pen installiert worden war, wurde von den dortigen Mitarbeitern bestätigt, daß sexuell übertragene Krankheiten ein sehr ernstes Problem für die Soldaten darstellten."
VI. Prostitutionstouristen
Prostitutionstouristen sind ganz normale Männer
Männer wollen Sieger sein. Prostitutionstouristen verschaffen sich Siege, indem sie in Länder reisen, in denen sie ihren sexuellen Begehrlichkeiten billig und nahezu risikolos nachgehen können. Inzestphantasien kommen dabei ebenso zum Tragen wie auch Frustrationen über Frauen, die immerzu alles hinterfragen "und dann noch nicht einmal in der Lage sind, sich im Bett hinzugeben", wie ein Prostitutionstourist genervt zu Protokoll gab
"Im Urlaub glauben sie, fernab der sozialen Kontrolle stehe dem Ausleben ihrer sexuellen Phantasien und vor allem ihrer Machtgelüste nichts im Wege."
VII. Selbstbilder der Prostitutionstouristen
Eine im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums durchgeführte Befragung von 766 deutschen Prostitutionstouristen ergab, dass 11,3 Prozent von ihnen Kinder prostituiert hatten. Dafür gaben sie folgende Beweggründe an:
- "weil ich hier Sex mit besonders jungen Frauen/Mädchen haben kann";
- "weil ich mich hier freier fühle im Ausleben meiner sexuellen Wünsche";
- "weil man hier alles bekommen kann, was man will"
Darüber hinaus ergab die Befragung, dass jene Männer, die jüngere Frauen prostituiert hatten, mehr sexuelle "Kontakte" hatten, sich seltener in das von ihnen prostituierte weibliche Kind "verliebten" und signifikant seltener ein Wiedersehen mit ihr planten. Die sich im Kinderprostitutionstourismus offenbarende Vergegenständlichung des Gegenübers verschärft sich nochmals bei denen, die Kinder unter 16 Jahren prostituiert hatten. Ihr Profil unterschied sich auch insofern von den anderen, als sie vergleichsweise älter waren, andere Sexualpraktiken bevorzugten und häufiger Analverkehr praktizierten als jede andere Untersuchungsgruppe
"Insgesamt", so die Autoren der Studie, "zeigen sich also durchaus markante Unterschiede . . . Die Suche nach einer Partnerschaft und emotionaler Nähe, die für eine beträchtliche Gruppe der Sextouristen handlungsleitend war, spielt für Männer, die Sex mit Minderjährigen und sehr jungen Frauen haben, nur eine sehr nachrangige Rolle. Bei ihnen stand das selbstbezogene Ausleben sexueller Wünsche im Vordergrund. Sie erkaufen sich im Urlaub auf Kosten der minderjährigen Mädchen die Befriedigung sexueller Vorlieben, die sie im eigenen Herkunftsland nicht oder nur sehr viel schwieriger ausleben könnten."
VIII. Pornografie an Kindern
Fast beiläufig hat sich das Phänomen Kinderprostitutionstourismus um eine Realität erweitert, die allgemein und leichthin als "Kinderpornografie" bezeichnet wird, obwohl sie - strafrechtlich - keineswegs Pornografie darstellt, sondern den tatsächlichen oder realitätsnahen sexuellen Missbrauch eines Kindes (§ 186 StGB). "Wer solche Bilder je gesehen hat", so die Internet-Spezialistin Monika Gerstendörfer, "kann mit dem Begriff ,Pornographie' nichts mehr anfangen, denn mit Pornographie hat das nichts zu tun"
"Alle hier bekannten kinderpornographischen Filme mit Opfern europäischer Staatsangehörigkeit", so eine Studie des Bundeskriminalamtes, "entstanden in einer über längere Zeit bestehenden Abhängigkeitssituation . . . Die Täter sind fast ausschließlich in einer Position, die es ihnen erlaubt, langfristig und mit Autorität auf das Kind einzuwirken."
IX. Die Macht der Bilder
Mehr als 80 Prozent des in der Bundesrepublik Deutschland als "Kinderpornografie" angebotenen Materials zeigen den sexuellen Missbrauch thailändischer und philippinischer Kinder durch (weiße) Touristen. Das tatsächliche Ausmaß der pornografischen Ausbeutung von Kindern ist gleichwohl dem Dunkelfeld zuzuordnen. Schätzungen zufolge rekrutiert sich der deutsche Markt aus zirka 30 000 bis 50 000 Konsumenten, d. h. Männern, die "Kinderpornografie" herstellen, sammeln, verkaufen oder anbieten, wobei die Grenzen zwischen Produktion und Konsum fließend sind. Paragraph 184 StGB verbietet alles: die Tat ebenso wie den Besitz, den Handel und die Herstellung. Zu erkennen geben sich weder die Täter noch ihre Gesinnungsfreude: Die Kamera agiert mit Blick auf das Kind, während die Täter ihre Gesichter durch Masken schützen. Gefilmt wird zumeist in sorgfältig arrangierten privaten Räumen, in professionell ausgestatteten Studios wie auch - so die Prostitutionstouristen - in Hotelzimmern oder Ferienbungalows der Luxusklasse
Gespenstisch wirkt die Szenerie nicht zuletzt auch deswegen, weil die Kinder keinen Laut von sich geben, während die Geräusche des oder der Täter deutlich vernehmbar sind oder noch durch Musik stimuliert werden: ". . . das ist wie gefressen werden. . ."
Waren es zu jener Zeit überwiegend Fotos und Super-8-Filme, so hat sich der Markt in den achtziger Jahren durch die Verbreitung der Video-Technik völlig neu definiert. Der Besitz eines Camcorders allein reichte fortan aus, um "Kinderpornografie" zu produzieren und zu vermarkten. Im Zusammenwirken mit dem Internet - e-mail, Chat-Rooms, CD-Roms - haben sich die damit gegebenen technischen Möglichkeiten nochmals multipliziert und erweitert. Noch dominieren jedoch professionell oder privat ("garantiert echt") hergestellte Videos, doch ist bereits abzusehen, dass der virtuelle Markt den konventionellen langfristig überflügeln wird.
Strafrechtlich zählt "Kinderpornografie" - ebenso wie Gewaltpornografie und Tierpornografie - zur sogenannten "harten Pornografie", die weder hergestellt, angeboten, verbreitet, vorgehalten, erworben noch öffentlich ausgestellt, vorgeführt oder sonstwie zugänglich gemacht werden darf. Das Verbot umfaßt alle pornografischen Schriften und Bilder (Fotos, Videos, Filme, Computergrafiken, Comics etc.), in denen Kinder sexuelle Handlungen an sich selbst oder untereinander oder von Erwachsenen an sich oder an Erwachsenen vornehmen lassen müssen. Als Kind definiert der Gesetzgeber, wer zur Tatzeit noch nicht 14 Jahre alt ist. Diese Regelung wirft in der Praxis erhebliche Probleme auf: Zum einen, weil international höhere Altersschutzgrenzen gelten, zum anderen, weil in jedem einzelnen Fall nachgewiesen werden muss, dass das Kind zum Zeitpunkt der Tat nicht älter als 13 Jahre alt war. Stellt sich im Zuge der Beweiserhebung heraus, dass das Kind zur Tatzeit 14 Jahre und zwei Monate alt war, handelt es sich damit nicht (mehr) um strafbewehrte, sondern um legale Pornografie. Die Herbeiführung eines einheitlichen Schutzalters gemäß UN-Konvention über die Rechte des Kindes - mindestens jedoch 16 Jahre - gehört daher zu den Forderungen, die von den Beratungsstellen wie auch von der Kripo mit großem Nachdruck erhoben werden.
Das Verbot zieht Strafe nach sich. Für den gewerbsmäßigen Handel mit Kinderpornografie sieht das Gesetz bis zu zehn Jahren Haft vor, ein Strafmaß, das bislang freilich in keinem einzigen Fall verhängt wurde. Und wer Kinderpornografie besitzt, tauscht, verbreitet, herstellt, bezieht, zeigt, liefert oder vorrätig hält, muss sich ebenfalls nicht fürchten. Ein Jahr sieht das Gesetz als Höchststrafe vor, womit der Besitz von Kinderpornografie - der mithin die sexuelle Misshandlung eines Kindes voraussetzt - als Bagatelldelikt rangiert. Dies wiederum ist der Grund dafür, warum auch nicht auf Verdunkelungs-, Wiederholungs- oder Fluchtgefahr rekurriert werden kann, gegen die gesicherte Erkenntnis, dass Sexualstraftäter Wiederholungstäter sind.
In einem Aufruf des Frauenbündnisses gegen Pornographie wird darauf hingewiesen, dass 1997 die Verbreitung pornografischer Schriften um 16 Prozent, die der "Kinderpornografie" gar um 146 Prozent gestiegen ist. Tatsächlich registrieren die Polizeidienststellen in den vergangenen Jahren eine steigende Zahl von Ermittlungsverfahren, und zwar von 414 (1995) auf 663 Fälle (1996)
Pornografie an Kindern ist ein lukratives und nahezu risikoloses Geschäft. Wie bei anderen (illegalen) Geschäften sind auch hier Groß-, Zwischen- und Kleinhändler (Produzenten) tätig. Sie sind international vernetzt und verständigen sich mit bestimmten Codes. Kriminalpolizeilich werden sie nach ihren je spezifischen Interessen und Motiven unterschieden, und zwar als:
- sogenannte "Neigungstäter", das sind jene im nahen Umfeld des Kindes/der Kinder angesiedelten Täter, die den "sexuellen Missbrauch" filmen oder fotografieren, um sich damit einen zusätzlichen "Kick" zu verschaffen - und zugleich das Opfer unter Druck setzen;
- "Professionelle", die kein persönliches Interesse an der sexuellen Misshandlung des Kindes/der Kinder haben, sondern ausschließlich profitorientiert handeln;
- "Pädophile" respektive Pädokrime, welche die sexuelle Ausbeutung von Kindern mit der Exzessivität des "Genießers", Sammlers und Voyeurs betreiben
Was aber geschieht den Kindern? Wie bewältigen sie die Folgen des pornografisch inszenierten Missbrauchs, die fortdauernde Dokumentation der Tat, ihre Vermarktung und Nachfrage? Ein von der Beratungsstelle Frauen gegen sexualisierte Gewalt e. V. in Bonn initiiertes Forschungsprojekt, das sich insbesondere mit den Folgen und Wirkungen von "Kinderpornografie" auf die Opfer befasst, versucht sich diesen Fragen aus wissenschaftlicher Perspektive zu nähern. Dieses vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte "Bundesprojekt Kinderpornografie"
Hoffnungsvoll stimmt, dass die über lange Zeit vorherrschenden ideologischen Barrieren, etwa zwischen Kriminalpolizei und feministischen Beratungsstellen, aufgrund einer gewachsenen Kooperations- und Vernetzungsbereitschaft teilweise überwunden werden konnten und mancherorts bereits Formen der Zusammenarbeit entstanden sind, die - im Interesse der betroffenen Kinder - zu einer weiter gehenden Qualifizierung und perspektivischen Erweiterung von (Hilfe-)Praxis Anlass geben. Es herrscht kein Mangel an Kompetenz, sondern - dies jedoch umso deutlicher - ein Mangel an Strukturen (Stellen, Ressourcen, Kapazitäten), die sowohl in fachlicher als auch in institutioneller Hinsicht gesichert sind. Kontinuität kann sich so trotz bestem Willen kaum entwickeln und bildet doch zugleich die Grundvoraussetzung für eine qualifizierte, auf vernetztes Wissen und gegenseitiges Vertrauen basierende Hilfe.
Übereinstimmung herrscht darüber, dass Männer und Frauen, die Kinder sexuell ausbeuten, ein Verbrechen begehen, für das sie selbst die Verantwortung tragen. Dieses grundlegende Verständnis von sexualisierter Gewalt gegen Kinder wird nicht zuletzt auch daran zu messen sein, inwieweit die Gesellschaft, die Politik, das Recht und die Öffentlichkeit sich dieser Verantwortung stellen: im privaten wie im öffentlichen Leben, durch Sensibilisierung wie durch Auseinandersetzung, durch Strafverfolgung wie durch Prävention. Dazu gehört die Anwendung und Initiierung von Gesetzen und Maßnahmen, die die Rechte von Frauen und Kindern stärken sowie eine breite und nachhaltige Ent-Solidarisierung von den Tätern.
Männer und Frauen, die Kinder sexuell missbrauchen, dürfen nicht länger mit unserer Solidarität rechnen, indem wir schweigen oder nicht wahrhaben wollen, Verständnis zeigen oder Desinteresse, ihnen gar glauben, wenn sie behaupten, es sei nichts gewesen. Dazu gehört, die sexuelle Ausbeutung von Kindern beim Namen zu nennen: Kinder sind keine Prostituierte, sie werden prostituiert. Kinder sind auch nicht pornografisch, sie werden pornografisiert. Und, worauf besonders hinzuweisen wäre: Männer, die Kinder (und Frauen) sexuell ausbeuten - sie missbrauchen, vergewaltigen, ermorden -, sind keine "Kinderschänder", sondern Vergewaltiger, Ausbeuter und Mörder. Worum es geht: Systeme sozialer Kontrolle zu entwickeln, die es Männern und Frauen nicht länger erlauben, Kinder sexuell auszubeuten. Die Räume der Gewalt öffnen, durch eine andere Sprache, durch Solidarität und Beistand mit den betroffenen Kindern - und durch eine verstärkte Kontrolle der Täter
Internetverweise der Redaktion:
www.lka.nrw.de/broschuer/kind.htm
www.kinderschutzbund-rlp.de/nein.htm
www.kindernothilfe.de/auto/kampagnen- sextourismus.de.html
www.regenbogen.ac-net.de/noteenieporn.htm