I. Was heißt Politikverdrossenheit?
Von Politikverdrossenheit zu reden ist angesichts der politischen Zustände leicht. Der Begriff hat als Zusammenfassung verschiedenster negativer Haltungen gegenüber "der Politik" Konjunktur, sei es für Uninteressiertheit, für Distanz oder für Ablehnung. So unbestimmt gehandhabt, kann "Politikverdrossenheit" in der Tat wie ein "medialer Mülleimer" (Wolfgang Thierse) erscheinen. In Bezug auf Jugendliche wird dabei noch gerne die pädagogische Betroffenheit und eine Besorgnis um die Zukunft der Demokratie bemüht. Angesichts dessen ist es sinnvoll, zunächst einige Aspekte des Phänomens der Politikverdrossenheit genauer zu betrachten. Anschließend wird dann mit empirischen Daten über Einstellungen und Urteile von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus den alten und neuen Bundesländern der Frage der Politikverdrossenheit nachgegangen. Unser Ziel ist dabei die Analyse von Grundtendenzen, die wir auf Basis zweier repräsentativer Stichproben aus den Jahren 1992 und 1997 ermitteln konnten
Die Art und Weise des Verhältnisses zur Politik, in der sich Verdrossenheit artikuliert, kann sehr unterschiedlich sein: Sie kommt zum Ausdruck zum einen in einer Distanz zum Politischen, die sich in einer geringen individuellen Zuwendung und Beschäftigung mit Politik äußert; zum anderen - auf der Einstellungsebene gegenüber politischen "Objekten" - in Unzufriedenheit mit politischen Vorgängen, mit Ergebnissen politischer Entscheidungen oder mit Politikern bzw. Politikergruppen insgesamt. Und schließlich lassen sich solche Phänomene ausmachen, die als gewissermaßen generalisierte Unzufriedenheit, geringes oder fehlendes Vertrauen in den Politikprozess oder gegenüber Institutionen der Politik als kumulierte Enttäuschung von Output-Erwartungen verstanden werden können
Politische Unzufriedenheit kann sich damit auf sehr Verschiedenes beziehen, ganz allgemein zunächst auf die Grundideen und Grundprinzipien der politischen Ordnung. Eine hierauf gerichtete Unzufriedenheit tangiert die politischen Verhältnisse grundsätzlicher und fundamentaler als eine Unzufriedenheit, die sich auf die nächste Ebene, nämlich die der Institutionalisierung dieser Grundidee, bezieht. Bei ihr geht es um eher generelle Urteile, die das Funktionieren der Demokratie in der Bundesrepublik betreffen oder das ihrer Institutionen, denen gegenüber ein Vertrauen als generalisierte Zufriedenheit fehlen kann. Und schließlich kann sich Unzufriedenheit auf die Ergebnisse politischer Prozesse beziehen, also den Output des Systems, oder auf die Personen, die sich als Repräsentanten von politischen Grundpositionen in den Parteien der bundesrepublikanischen Demokratie organisieren. Mit der Bewertung der Parteien wie mit dem Grad des Vertrauens in die Akteure des politischen Systems kommt ein Zufriedenheitsaspekt ins Spiel, bei dem es darum geht, ob sich die Bürger im Prozess des repräsentativen Systems der Bundesrepublik ausreichend vertreten und mit ihren Interessen berücksichtigt finden. Auf der konkreten Ebene der "Alltagspolitik" geht es schließlich um die Bewertung von einzelnen Politikern oder Entscheidungen. Auf diese Ebene aktueller Output-Bewertung, die immer wieder punktuell oder auch in regelmäßigen Abständen Gegenstand von Meinungsumfragen ist, wird im Folgenden nicht eingegangen. Weiter greifen wir Politikverdrossenheit als einen Einstellungskomplex auf. Damit sind Handlungen nicht in unsere Analysen einbezogen. Handlungen, wie Wahlenthaltung oder auch Protestwahl etwa, sind in dieser Perspektive als (mögliche) Folgen von Politikverdrossenheit anzusehen
Im Folgenden wird ein differenzierteres Bild des Verhältnisses von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Politik gezeichnet, das es ermöglicht, Phänomene der Verdrossenheit oder Distanz gegenüber Politik zu identifizieren. Außerdem werden wir Hinweise auf Veränderungen seit den ersten Jahren der Vereinigung verfolgen, ohne allerdings damit den Anspruch auf "starke" Trendaussagen zu erheben, die in diesem Kontext immer wieder auch mit unzureichenden Zahlenbelegen gemacht werden. Denn Aussagen dieser Art würden eine Datenbasis verlangen, die auf wesentlich mehr Erhebungszeitpunkten beruht. Als eine weitere vergleichende Perspektive werden wir - soweit geeignete Daten vorliegen - auf die Erwachsenenbevölkerung Bezug nehmen. Diese Vergleichsperspektive ist wegen eines fehlenden Maßstabs, der eine klare Definition von "Nicht-Verdrossenheit" oder "Vertrauen" zulassen würde, erforderlich und soll insbesondere die immer wieder behauptete Jugendspezifik dieser Haltungen überprüfbar machen
II. Aspekte von Politikverdrossenheit
1. Die subjektive Bedeutung von Politik
Politik rangiert in der Konkurrenz mit anderen Bereichen des Lebens bei den meisten Bürgerinnen und Bürgern, aber ganz besonders bei den jüngeren in der Wichtigkeitsskala weit hinter der privaten Lebensführung - Freunde, Partnerschaft, Familie - sowie Qualifikation und produktiver Tätigkeit - Schule, Ausbildung, Arbeit und Beruf -
Das politische Interesse junger Menschen, das als eine zentrale Voraussetzung für politisches Engagement angesehen werden kann
Wie häufig nutzen nun Jugendliche und junge Erwachsene verschiedene Medien, um sich über Politik zu informieren
2. Politische Ordnungsvorstellungen
Bei den grundsätzlichen Vorstellungen zur politischen Ordnung geht es um Einstellungen gegenüber der demokratischen Verfassung einer Gesellschaft, die als elementar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das politische Geschehen angesehen werden. Im Jugendsurvey wurde hierzu auf der allgemeinsten Ebene nach der Zustimmung zur Idee der Demokratie gefragt. Die Frage nach der Idee des Sozialismus zielte ebenfalls auf grundlegende Einstellungen ab. Empirisch lassen sich Hinweise darauf finden, ob es sich im Bewusstsein der Befragten dabei um ein alternatives Ordnungskonzept zur Demokratie im Sinne ideologischer Gegensätze handelt oder um ein Demokratiemodell mit ausgeprägteren wohlfahrtsstaatlichen Momenten. Weiter wurden Einstellungen zu zentralen Merkmalen einer liberal-pluralistischen Demokratie (Meinungsfreiheit, Notwendigkeit politischer Opposition, Idee der Kompromissbereitschaft etc.) erfasst.
Bei der Frage nach der Idee der Demokratie geht es um eine generelle, diffuse Haltung gegenüber der politischen Ordnung. Für die Befragten des Jugendsurveys im Westen dürfte die Demokratie als der unbefragte politische Rahmen ihres Aufwachsens gelten. Die breite Zustimmung durch gut 80 Prozent der Befragten in den alten Bundesländern ist insofern wenig überraschend, aber auch rund 70 Prozent in den neuen Bundesländern äußern sich positiv zu diesem Ordnungsmodell (vgl. Tabelle 3). Somit steht die Mehrheit der jungen Erwachsenen in Deutschland der Idee der Demokratie positiv gegenüber: "Gegen" diese Idee sind in den alten Bundesländern wie den neuen weniger als sechs Prozent der Befragten
Inwieweit findet die Idee des Sozialismus heute noch Unterstützung und in welchem Maße wird dabei an ein Gegenmodell zur Demokratie gedacht? Zwei Grundpositionen sind denkbar: Konvergenz oder Antagonismus
Die Frage nach der Vereinbarkeit von beiden Ordnungsmodellen in den Vorstellungen der Befragten lässt im Westen so gut wie keinen Zusammenhang erkennen, im Osten dagegen eher einen positiven, und damit weder im Westen noch im Osten einen negativen. Das heißt also, dass Befragte, die für die Idee des Sozialismus votieren, nicht weniger auch für die Idee der Demokratie sind - im Osten in noch höherem Ausmaß als im Westen: Für die Befragten folgt aus einer Befürwortung der Idee des Sozialismus nicht notwendig eine Abwendung von der Idee der Demokratie.
Betrachtet man die Veränderungen der Zustimmung zur Idee des Sozialismus vom Jahre 1992 bis 1997, so zeigt sich ein überraschendes Bild: Die Zustimmung zur Idee des Sozialismus hat im Westen zugenommen (von 16 auf 24 Prozent), im Osten hingegen leicht abgenommen, ohne allerdings das klar höhere Niveau zu verlassen (von 39 auf 36 Prozent). Es hat also keine Angleichung derart stattgefunden, dass sich die vergleichsweise große Zustimmung zur Idee des Sozialismus im Osten im Zuge des Transformationsprozesses nachhaltig reduziert hätte. Sie ist eher durch eine Verstärkung der Zustimmung im Westen vonstatten gegangen. Wenn man in der wachsenden Zustimmung zur Idee des Sozialismus den Wunsch nach einer stärkeren Berücksichtigung wohlfahrtsstaatlicher und gerechtigkeitsorientierter Elemente sieht, kann dieses Ergebnis als implizite Kritik an den gesellschaftlichen Entwicklungen in Richtung Globalisierung, Liberalisierung, Marktwirtschaft und Konkurrenz gedeutet werden.
Während oben die generelleren Einstellungen zur unspezifischen ("diffusen") Idee der Demokratie und des Sozialismus dargestellt wurden, geht es im Folgenden um eine genauere Erfassung demokratischer Einstellungen. Hierfür kam im DJI-Jugendsurvey ein Instrumentarium zur Anwendung, welches auf Grundprinzipien westlicher Demokratien abhebt
Zusammenfassend kann von einer klaren Zustimmung zur Grundidee der Demokratie und deren zentralen Grundprinzipien gesprochen werden, auch wenn von 1992 auf 1997 eine geringe Abnahme bei der uneingeschränkten Zustimmung, insbesondere in den neuen Bundesländern, festzustellen ist. Die Idee des Sozialismus findet vergleichsweise stärkeren Zuspruch in den neuen Bundesländern, im Westen hat sich allerdings eine Erhöhung der Akzeptanz von 1992 auf 1997 ergeben. Dies kann jedoch nicht als eine Abwendung von demokratischen Haltungen interpretiert werden, sondern eher als Wunsch, die Demokratie in der Bundesrepublik um wohlfahrtsstaatliche Elemente zu ergänzen.
3. Demokratiezufriedenheit, Institutionenvertrauen und Vertrauen in Politiker
Von den weiteren Objekten, auf die Politikverdrossenheit sich beziehen kann, lassen sich auf der Grundlage des DJI-Jugendsurveys folgende darstellen: die Parteien und die Politiker, die gesellschaftlichen und politischen Institutionen sowie das politische System generell. Beziehen wir uns mit der Frage nach der Demokratiezufriedenheit
Das Vertrauen in politische und gesellschaftliche Institutionen wurde im DJI-Jugendsurvey anhand einer Liste von insgesamt siebzehn Institutionen bzw. Organisationen beurteilt. Aus dieser Liste, die das institutionelle System in der Bundesrepublik als Gesamtgefüge repräsentieren sollte, lassen sich spezifische Gruppen zusammenfassen, die im Alltagsgeschäft des politischen und gesellschaftlichen Prozesses als Handlungseinheiten begriffen werden können und so auch von den Befragten wahrgenommen werden. Eine solche Gruppierung berücksichtigt damit eher Aspekte des Outputs oder auch des unterschiedlichen Grads von Involviertheit in das vom Parteienwettbewerb bestimmte aktuelle Politikgeschehen als theoretische Unterscheidungen einzelner Elemente des politischen Systems
Ein weiterer Aspekt des Vertrauens bezieht sich auf die Reaktionsbereitschaft des politischen Systems und seiner Akteure gegenüber Bedürfnissen und Interessen der Bürger. Das Konzept des vorhandenen oder mangelnden Vertrauens in die Reaktionsbereitschaft des politischen Systems geht von der Vorstellung aus, dass "Politik von den Bürgern vor allem als Handeln politischer Akteure wahrgenommen wird"
Die den vier Einzelaspekten zugrunde liegende Dimension des Vertrauens in die Reaktionsbereitschaft des politischen Systems und seiner Akteure hängt erwartungsgemäß positiv mit der Demokratiezufriedenheit zusammen. Je mehr Vertrauen bekundet wird, desto größer ist auch die Zufriedenheit mit der demokratischen Wirklichkeit, so wie die Befragten sie wahrnehmen - und umgekehrt. Dies gilt für die befragten 16- bis 29-Jährigen in West und Ost gleichermaßen. Auch beim Institutionenvertrauen finden sich bei den einzelnen nach Funktionen bzw. Handlungseinheiten zusammengefassten Gruppierungen Zusammenhänge in erwartbarer Weise. Der etablierten Politik sowie den exekutiven und judikativen Institutionen wird umso weniger Vertrauen entgegengebracht, je geringer das Vertrauen in die Reaktionsbereitschaft des politischen Systems und seiner Akteure ist - sowohl im Osten wie im Westen. Kein Zusammenhang besteht dagegen zwischen dem politischen Vertrauen und dem Vertrauen in Institutionen nicht etablierter Politik. Hierin bestätigt sich, dass das Vertrauen in Institutionen "alternativer" Politik eine eher übergreifende Einstellung ist: Unabhängig davon, ob das politische System und seine Akteure als vertrauenswürdig eingeschätzt werden oder nicht, wird solchen Institutionen alternativer Politik Vertrauen entgegengebracht
4. Parteien
Politikverdrossenheit kristallisiert sich oft an politischen Parteien oder an Repräsentanten von Parteien. Parteien sind vom Grundgesetz mit besonderer Bedeutung ausgestattet in ihrer Funktion der Bündelung politischer Standpunkte und der Repräsentation durch Kandidatenrekrutierung in den parlamentarischen Prozess. Dass Parteien jedoch in der Bundesrepublik die dominierende Rolle bei der Repräsentation von Politik spielen zuungunsten anderer demokratischer Formen, hat zu der Rede vom "Parteienstaat" geführt
Nimmt man die mittlere positive Bewertung der seit langem etablierten Parteien (CDU, CSU, SPD, FDP) als Hinweis auf eine generelle Einschätzung der politischen Parteien, so zeigt sich (vgl. Tabelle 7), dass in den neuen Bundesländern 1997 diesen Parteien insgesamt eine geringere Sympathie entgegengebracht wird. Dort hat seit 1992 eine starke Abnahme stattgefunden - anders als im Westen. Die seit der Vereinigung neue "Ost-Partei" PDS hingegen hat 1997 im Osten eine Bewertung, die jener der "West-Parteien" gleichkommt - durch eine deutliche Verbesserung seit 1992. Auch im Westen hatte sich zwar eine Verbesserung der Bewertung der PDS ergeben, die jedoch klar unter der der anderen Parteien liegt. Die klar stärkste Sympathie liegt 1997 allerdings in beiden Landesteilen nach wie vor bei den Grünen. Insgesamt muss man von einer Verringerung der Sympathien für die etablierten Parteien in den neuen Bundesländern sprechen: Außer bei der PDS haben alle lang etablierten Parteien geringere Sympathiewerte bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen als im Westen. Hier wird deutlich, dass sich die unterschiedlichen Parteienlandschaften zwischen den Landesteilen, insbesondere die Stellung der PDS, konsolidiert haben. Auffällig ist, dass im Westen anders als im Osten keine stärkere Sympathiedistanz zu den etablierten Parteien erkennbar ist, auch wenn in Bevölkerungsumfragen für die ersten fünf Jahre der Vereinigung von einem gesamtdeutschen "beachtlichen Absturz" der Parteien in der Gunst der Bevölkerung gesprochen wurde
Ein Konzept wie die Parteibindung unterstellt die stärkere Nähe einer Person zu nur einer Partei und damit gleichzeitig eine geringere oder keine Sympathie für andere. In einer solchen Perspektive könnte eine überhaupt nicht vorhandene Parteibindung als Ausdruck dafür angesehen werden, dass das Verhältnis zu Parteien generell von Distanz oder Verdrossenheit gekennzeichnet ist. Mit den Parteisympathien kann man sich dem Konzept der Parteibindung annähern, wenn man die Sympathiebewertungen zu allen Parteien vergleicht und bei nur einer Partei eine höchste Bewertung findet. Tabelle 7 enthält die Anteile der Befragten, die hierbei keiner Partei ausschließlich einen höchsten Wert gegeben haben. Es sind im Westen immerhin 29 Prozent, im Osten 37 Prozent der Befragten. Ebenso fällt die Erhöhung ses Anteils in den neuen Bundesländern zwischen 1992 und 1997 auf, was die oben berichteten Ergebnisse bestätigt. Solche Einstellungen können aber nicht umstandslos als parteiverdrossen angesehen werden, da in der Regel für mehrere Parteien gleiche Sympathieränge vergeben wurden. Jedoch haben von dieser Gruppe im Westen zwei Fünftel, im Osten fast die Hälfte eine ablehnende Haltung gegenüber den Parteien. Diese Jugendlichen oder jungen Erwachsenen haben nämlich alle Parteien ausschließlich negativ bewertet oder, gewissermaßen als "weiche" Form der Parteienablehnung, allen Parteien ausschließlich den mittleren Wert (den Wert "0") gegeben. Bezogen auf alle Befragten macht diese Gruppe 12 Prozent im Westen und 18 Prozent im Osten aus.
Festgehalten werden kann, dass es also einen nicht unerheblichen Teil bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt, der eine generelle Distanz zu den einzelnen Parteien zum Ausdruck bringt, zusätzlich zu dem - im Vergleich zu anderen politisch relevanten Institutionen - ohnehin geringen Vertrauen in die Parteien. Und stets ist diese Distanz bzw. diese eher negative Sicht in den neuen Bundesländern größer. Sie hat sich innerhalb der Jahre seit der Wende verstärkt
III. Zunehmende Politikverdrossenheit 1992-1997?
Vergleicht man die Ergebnisse der beiden Erhebungswellen des DJI-Jugendsurveys (vgl. Tabellen 1, 3 und 7), so zeichnen sich im Bereich der subjektiven Wichtigkeit von Politik ganz unterschiedliche Entwicklungen in den alten und neuen Bundesländern ab.
Die westdeutschen Befragten zeigen im Jahre 1997 ein höheres politisches Interesse und halten in Bezug auf die subjektive politische Kompetenz ihr relativ hohes Niveau von 1992. Demgegenüber ist bei den ostdeutschen Befragten ein Rückgang festzustellen, so dass sich die Distanzen zwischen beiden Landesteilen noch vergrößern. Die Befürwortung der Idee der Demokratie ist in beiden Landesteilen etwas gesunken, sie hat aber nach wie vor ein hohes Niveau. Die Zufriedenheit mit der Demokratie ist seit 1992 in den neuen Bundesländern deutlich zurückgegangen, und auch das Vertrauen in die Reaktionsbereitschaft des politischen Systems hat leicht abgenommen, während im Westen beides stabil geblieben ist. Das Vertrauen in die Institutionen hat sich zwischen 1992 und 1997 kaum verändert. Die Beurteilung politischer Parteien bleibt nach wie vor sehr unterschiedlich in West und Ost: Die Verteilung der Präferenzen ist aufgrund der starken Sympathie für die PDS im Osten anders als im Westen; die Zustimmung zu den Parteien hat im Osten seit 1992 abgenommen, außer für die PDS. Fast in allen der dargestellten Aspekte gibt es klare Ost-West-Unterschiede, außer bei der Bewertung der inhaltlichen Prinzipien der Demokratie.
Berücksichtigt man, dass die 1997 ermittelten Ost-West-Unterschiede häufig aus einem Anwachsen der Differenzen seit 1992 resultieren, kann in dieser Entwicklung ein Auseinanderdriften gesehen werden. Insgesamt fügen sich die Untersuchungsergebnisse beider Landesteile nicht zu einem Bild zusammen, bei dem die Übereinstimmung dominiert.
IV. Politikverdrossenheit - nicht nur ein Jugendphänomen?
Politikverdrossenheit wird oft pauschal der Jugend als Manko zugeschrieben, so dass wir auch hier die Jugendspezifik mit der Fragestellung prüfen, inwieweit sich die 16- bis 29-Jährigen in Ost und West von der älteren Bevölkerung unterscheiden, was ihre Einstellungen zur Politik sowie ihr politisches und soziales Engagement angeht; und auch, inwieweit die Jüngsten innerhalb der Jugendsurvey-Stichprobe sich hierin möglicherweise noch einmal von den Ältesten abheben. Ein deutlicher Alterseffekt zeigt sich insbesondere beim politischen Interesse und der subjektiven politischen Kompetenz: Mit wachsendem Alter unserer Befragten ist eine Zunahme zu beobachten
Mit dem allmählichen Hinüberwechseln in die Erwachsenenrolle kann somit auch der Bereich der Politik zunehmende Relevanz für ihr persönliches Leben gewinnen. Im Bereich politischer Grundorientierungen werden aber auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Generationen sichtbar: Die Einstellungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur politischen Ordnung ähneln denen der über 29-Jährigen sehr stark, und der Lebensbereich Politik hat für Erwachsene ab 30 Jahren im Vergleich zu anderen Lebensbereichen gleichfalls eine nur sehr geringe Bedeutung. Auch die Zufriedenheit mit der Demokratie und das Vertrauen in Institutionen sind bei den Befragten unserer Stichprobe und den Älteren ähnlich niedrig. Und insbesondere ist beim Vertrauen in die Reaktionsbereitschaft des politischen Systems und der Bereitschaft der Politiker, auf Interessen und Wünsche der Bevölkerung einzugehen, die kritische Sicht bei den Jüngeren nicht sehr viel anders als bei den über 29-Jährigen - die eigentliche Differenz liegt vielmehr zwischen den alten und neuen Bundesländern
V. Fazit
Insgesamt zeigt sich, dass von Politikverdrossenheit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht undifferenziert gesprochen werden kann - so wenig wie bei Erwachsenen auch. Auf den verschiedenen Ebenen, wie sie in den vorangegangenen Abschnitten beschrieben wurden, sind jeweils unterschiedliche Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Kern steht dabei die Unzufriedenheit mit sowie ein Misstrauen gegenüber den Repräsentanten der Politik, und dies insbesondere in den neuen Bundesländern. Im Vergleich zu Erwachsenen ergibt sich, dass neben lebenszyklisch bedingten Differenzen (die mit dem Zugang zur Politik im Verlauf des "Erwachsenwerdens" zu tun haben) in vielen Bereichen keine drastischen Unterschiede festzustellen sind, die von einer umfassenden Politikverdrossenheit ausschließlich der Jugend zeugen würden. Auch deuten die Veränderungen von 1992 auf 1997 auf keine fundamentale Erosion des Verhältnisses der jungen Bürgerinnen und Bürger zu Demokratie und Staat hin, wenngleich der Rückgang des politischen Interesses und der Demokratiezufriedenheit in den neuen Bundesländern sowie das hier nach wie vor deutlich geringere Vertrauen in die Reaktionsbereitschaft des politischen Systems die Hoffnung auf eine rasche Angleichung politischer Einstellungen in Ost und West dämpfen dürfte. Dies alles beleuchtet die Einstellungsebene. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich bei bestimmten politischen Aktivitäten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Ost und West nicht doch ähnliche Profile zeigen können. Ihr gleichermaßen großes Engagement in Handlungskontexten außerhalb traditioneller Organisationen - wie es sich beispielsweise in den neuen sozialen Bewegungen zeigt
Internetverweise der Redaktion:
www.dji.de
www.jugendforschung.de