Einleitung
Weltausstellungen haben seit London 1851 den Anspruch erhoben, die Welt komprimiert in einem Ausstellungsdorf abzubilden und dort ihren virtuellen Besuch zu ermöglichen
Als internationale Großereignisse waren die Weltausstellungen so wirkungsmächtig, weil sie den Besuchern eine außergewöhnlich intensive Erfahrung versprachen. Eine Reise in achtzig Tagen um die Welt, wie sie Jules Vernes 1873 erzählte, war für einen Arbeiter aus Manchester oder einen Farmer aus Pennsylvania ein unerreichbarer Traum. Doch nach London oder Philadelphia zur Weltausstellung zu fahren, war nicht mehr unmöglich. Die Welt im Dorf sehen zu können war eine Illusion, aber so faszinierend, dass dafür zum Beispiel 1876 ein Waisenjunge aus Tennessee 1000 Kilometer per Anhalter mit Kutschen nach Philadelphia fuhr und einen Sommer lang Teller wusch, um seinen Schlafplatz und den Eintritt zu bezahlen
Durch die Komprimierung und Inszenierung der Welt in einem Dorf ermöglichten die Weltausstellungen vor allem den internationalen Vergleich: von Traditionen, Produkten und Moden, von politischen Institutionen und sozialen Praktiken. "Internationaler Wettbewerb", so konstatierte Phillip T. Sandhurst, "hängt vor allem von zwei Bedingungen ab - Ausstellung und Vergleich."
Auf das Ausstellungsdorf als kommunikative Vermittlungsinstanz beziehen sich seit jeher alle anderen Funktionen der Weltausstellungen wie ihr Beitrag zur Steigerung der gesellschaftlichen Akzeptanz technischer Innovationen oder zur Ausweitung des internationalen Handels. Nur wenige dieser Funktionen sind jedoch seit 1851 gleichbleibend wichtig geblieben und sollen daher etwas näher beleuchtet werden. Es sind dies ihr Beitrag zur politischen Integration in dem jeweiligen Gastgeberland und zu seinem internationalen Image, zur Strukturierung und Transformation weltgesellschaftlicher Beziehungen sowie zu Zukunftsdiskursen und dem internationalen Kulturtransfer.
I. Politische Integration
Als 1851 die erste internationale Ausstellung im Crystal Palace in London eröffnet wurde, lagen die kontinentaleuropäischen Revolutionen und die letzte Petition der englischen Chartisten für das allgemeine Wahlrecht erst drei Jahre zurück. Die englische Times erinnerte süffisant an die Warnungen der Gegner des Freihandels und solcher internationaler Großereignisse: "An diesem furchtbaren Tag . . . würden wir entweder von ausländischen Sozialisten gemeuchelt oder von einheimischen Chartisten aufgespießt. . . . Es schien gesichert, dass an diesem Tag die respektablen Klassen ausgelöscht würden."
Sicherlich reflektierte der erfolgreiche Verlauf der Londoner Weltausstellung eher eine schon vorhandene relative gesellschaftliche Stabilität, als diese erst herbeizuführen. Dennoch erhofften sich die Initiatoren und Ausrichter nach 1851 von der erfolgreichen Inszenierung einer internationalen Ausstellung oft einen nachhaltigen Beitrag zur nationalen politischen Integration. So sollte die Weltausstellung in Philadelphia 1876 auch dazu beitragen, nur ein Jahrzehnt nach dem Ende des Bürgerkriegs die Unionisten und Südstaatler durch den Bezug auf die Unabhängigkeitserklärung von 1776 zu versöhnen. William Gaston, der Gouverneur von Massachusetts, formulierte diese Hoffnung Anfang 1875 so: "Diese Feier gehört dem ganzen Land. Hier stehen alle auf einem gemeinsamen Grund und können als Erben gemeinsamen Ruhmes zusammen frohlocken."
Besondere Hoffnungen setzte die Dritte Republik in Frankreich auf die integrative Kraft solcher Großereignisse wie der Weltausstellungen
Meistens bestand die primäre Motivation für die Organisation einer Weltausstellung gar nicht da-rin, zur politischen Integration im Innern beizutragen, doch unvorhergesehene Krisen verliehen ihnen dann den Charakter einer nationalen Prüfung. Das galt auch für New York 1939/40, als nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges die lange zuvor geplante Ausstellung mit dem Thema der Demokratie in der "Welt von morgen" plötzlich die inneramerikanische Debatte über das Pro und Contra eines Kriegseintritts weltanschaulich zuspitzte. Die ursprüngliche Motivation für die Expo 2000 in Hannover Ende der achtziger Jahre war, die dortige Messe zu revitalisieren und das Image der Stadt zu verbessern
II. Nationale Images
Die Weltausstellungen haben außerdem das Image der ausstellenden Nationen geprägt. Mit wenig überzeugenden Beiträgen konnten Staaten eine hohe Erwartungshaltung enttäuschen, so dass ihre symbolische Präsenz in der Welt im Dorf und ihre internationale Wahrnehmung nicht unbedingt ihrem wirtschaftlichen Potential oder ihrer politischen und militärischen Macht entsprachen. Das gilt beispielsweise für die Selbstdarstellung des Deutschen Reichs in Philadelphia 1876, die dazu beitrug, dass dessen allmählicher Aufstieg zum zweitgrößten Industrieland der Welt verzögert registriert wurde
Die Vorbereitung des deutschen Beitrags hatten Deutschamerikaner übernommen. Erst nach Beginn der Ausstellung wurde Franz Reuleaux als Generalkommissar nominiert. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass Reuleaux die vernichtende Kritik vieler Amerikaner teilte. In der Nationalzeitung veröffentlichte er seine Impressionen in Briefen, die eine heftige Debatte in Deutschland auslösten
Genauso konnten Staaten mit einem besonders prägnanten Beitrag in dem globalen Kommunikationsraum der Weltausstellungen aber auch Aufsehen erregen und Ansehen erwerben. So war es etwa im Falle Japans, das nach der Restauration der Meiji-Dynastie 1867 und dem Beginn einer raschen Modernisierung 1876 und erneut in Chicago 1893 mit viel bewunderten Sektionen brillierte. Die New York Tribune bilanzierte euphorisch, die Japaner lebten im wahrsten Sinne des Wortes "in dem Land der aufgehenden Sonne"
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es für Deutschland und Japan unter ganz anderen Vorzeichen erneut darum, auf den Weltausstellungen symbolisch "in den Westen" kooptiert zu werden. Die Bundesrepublik präsentierte sich in Brüssel 1958 mit einem unauffälligen Glaspavillon, dessen architektonische Transparenz sich gezielt von dem von Albert Speer 1937 errichteten monumentalen Massivbau absetzte
III. Weltgesellschaftliche Strukturen
Die Weltausstellungen ermöglichten jedoch keinesfalls nur die hierarchische Konstruktion nationaler Images und die Repräsentation und staatlich gelenkte Transformation vertikaler Ordnungen zwischen Staaten, Kontinenten und Kulturräumen. Eine derartige funktionale Reduktion würde den Ausstellungen als globale Kommunikationsräume nicht gerecht. Diese waren freiheitlich verfasst und erlaubten gerade auch die Artikulation alternativer Interessen und weltgesellschaftlicher Konzeptionen. Sie ermöglichten den Besuchern außerdem eine alltagsweltliche Erfahrung, durch die sie die beabsichtigten Botschaften anders "lesen" und dominante Vorstellungen korrigieren konnten, was noch mehr Menschen durch die journalistische Berichterstattung nachvollziehen konnten. Diese unkontrollierbare, "chaotische" Wirkung der Weltausstellungen wird besonders am Beispiel der Repräsentation der Frauen und von Kolonialvölkern deutlich.
Amerikanische Frauen organisierten erstmals in Philadelphia 1876 und erneut in Chicago 1893 eigene Frauen-Pavillons, die sehr viele Besucher anzogen. Die berichtenden Journalisten, darunter auch Frauen, bewerteten den Pavillon in Philadelphia, der Frauen auf die Sphäre von Haushalt und Familie reduzierte (es wurden fast nur Handarbeiten ausgestellt), fast einhellig negativ. Wie auch viele ihrer männlichen Kollegen fragte eine Journalistin die zuständigen "Lady Managers" kritisch, wo denn in dem Pavillon diejenigen Frauen vertreten wären, die in Druckereien arbeiteten, die Uhren herstellten oder selbstständig als Farmer arbeiteten. Eine Art Frauen-Quote durch eine separate Ausstellung lehnte sie entschieden ab. Der Frauen-Pavillon zeige, dass "jede Trennung auf Kosten der Frauen geht. Jede arbeitende Frau dieser Welt, die etwas erreicht hat, wird niemals einer Ausstellung ihrer Arbeiten zustimmen, mit der sie ein besonderes Lob oder unfaire Kritik aufgrund ihres Geschlechts auf sich zieht"
In Chicago fiel die Selbstdarstellung der Frauen schon viel offensiver aus. Potter Palmer, die den Frauen-Pavillon organisierte, spielte eine prominente öffentliche Rolle und verband ihre Auftritte mit politischen Forderungen, vor allem nach gleichem Zugang von Frauen zu Bildung. In ihrer Ansprache auf der Eröffnungsfeier, die wegen des Jahrestages der Entdeckung Amerikas 1492 schon im November 1892 stattfand, erinnerte sie ihre Zuhörer: "So groß wie die Hoffnungen von Christoph Columbus waren, so brauchte er doch die Hilfe von Isabella von Kastilien, damit seine Träume Realität werden konnten."
Die Weltausstellungen ermöglichten jedoch nicht nur gesellschaftlichen Gruppen, den durch sie geschaffenen globalen Kommunikationsraum mit ihren Forderungen zu besetzen; die alltagsweltliche Erfahrung der Besucher konnte gerade auch intendierte Botschaften der dominanten Ausstellerländer untergraben. Die vielfach fraglos entstellende Repräsentation von "Eingeborenen" aus Kolonien der Europäer und Amerikaner auf den Ausstellungen ist lange vereinfachend als Reflexion hierarchischer weltgesellschaftlicher Beziehungen und einer in der atlantischen Welt vorherrschenden sozialdarwinistischen Ideologie interpretiert worden
Vor allem aber erfolgte die verbale und symbolische Kommunikation nicht in einer Einbahn-straße
Auch im 20. Jahrhundert waren die Weltausstellungen immer wieder ein Forum für die Artikulation weltgesellschaftlicher Interessen, die sonst womöglich nicht in demselben Maße wahrgenommen worden wären. Während in Chicago 1893 Frauen für ihre rechtliche und soziale Gleichberechtigung kämpften, könnten etwa von den Auswirkungen weltweit steigender Wasserspiegel in ihrer Lebensgrundlage bedrohte Menschen in Hannover 2000 gegen die Verursacher von global warming demonstrieren. Die vielfältigeren medialen Transferwege haben die Reichweite solcher "alternativen" Botschaften sogar noch erhöht.
IV. Globale Agenden
Die globalen Kommunikationsräume der Weltausstellungen ermöglichten außerdem, eine internationale Agenda zu entwickeln und zu beeinflussen. Mit der ersten Weltausstellung in London 1851 verfolgte Großbritannien vor allem das Ziel, den Freihandel als internationales Organisationsprinzip zu propagieren. Wie ein Franzose schrieb, war die Weltausstellung eindeutig "eine Art Vorwort zum Freihandel"
Die langfristig wirksamste Thematisierung auf den Weltausstellungen war jedoch die Propagierung der republikanischen bzw. demokratischen Staatsform gegen das monarchische Prinzip bzw. die europäischen Diktaturen. Durch den gezielten Bezug auf die amerikanische Unabhängigkeit 1876 und auf die Französische Revolution 1889 waren diese Ausstellungen machtvolle politische Demonstrationen, die 1889 zu einem umfassenden Boykott durch die meisten europäischen Monarchien führten
Die internationale Inszenierung eines fundamentalen ideologischen Gegensatzes hielt die Französische Republik und die russische Monarchie 1914 nicht davon ab, gemeinsam in den Ersten Weltkrieg zu ziehen. Sie trug jedoch zur Legitimierung der späteren Gestaltung internationaler Beziehungen (auch) nach weltanschaulichen Maßstäben wesentlich bei. In Paris 1937 und New York 1939 waren die nationalen Beiträge noch viel stärker ideologisch aufgeladen. Sie reflektierten und verstärkten internationale ideologische Grenzziehungen. Nachdem Franzosen und Briten 1937 in Bezug auf die Kohärenz und Ausstrahlungskraft ihrer Beiträge den Diktaturen kaum etwas entgegenzusetzen hatten, betrieben die Amerikaner 1939 eine symbolische Gegenmachtbildung. Leitthema war die Entwicklung der Demokratie, die sie als moderne Mediendemokratie mit dem Versprechen wachsenden Wohlstandes und Massenkonsums inszenierten. Auf dem sowjetischen Pavillon sagte dagegen Lenin voraus, die russische Revolution müsse letztlich zum Sieg des Sozialismus führen
Die materielle Repräsentation und Visualisierung sozioökonomischer und politischer Entwicklungsoptionen auf den Weltausstellungen erleichterte auch den Kulturtransfer, also den partiellen Import fremder formeller (Gesetze etc.) und informeller (soziale Praktiken, Traditionen etc.) Institutionen. Die Ausstellung von Industrieprodukten, Kunstwerken und Informationen über institutionelle Regeln erleichterte es, die institutionellen Arrangements anderer Staaten zu werten und ihren Import zur Reform bestehender nationaler Institutionen vorzuschlagen und politisch zu legitimieren. McKinley formulierte diese Funktion 1897 so: "Jedes Volk zeigt sein Bestes, und jedes andere bewundert und lernt. Das Beste des Einen wird das Ideal und Ziel eines Anderen."
Das wohl beste Beispiel für einen solchen von der symbolischen Inszenierung auf den Weltausstellungen beschleunigten Kulturtransfer ist der Versuch Napoleons III., mit dem Ziel der wirtschaftlichen Modernisierung und politischen Stabilisierung des Zweiten Kaiserreichs selektiv einzelne Elemente des institutionellen Arrangements Großbritanniens zu importieren. Das gilt insbesondere für den Freihandel als wirtschaftspolitische Entwicklungsstrategie. Von dieser erwartete sich nicht nur Chevalier, der die Londoner Weltausstellung 1851 aufmerksam studierte und später zum engsten wirtschaftspolitschen Berater Napoleons III. avancierte, mehr Wettbewerb und effizientere Produktionsstrukturen genauso wie billigere Preise, die wiederum, wie dies in Großbritannien der Fall zu sein schien, die Zustimmung der Arbeiter zum bestehenden politischen Regime im revolutionsgeplagten Frankreich stärken würde. Die politische Kultur eines Landes schien auf das Engste mit seinen sozialen Praktiken verknüpft. Chevalier notierte 1851: "Ich bin jedes Mal fasziniert von dieser Qualität der Engländer, zusammen für das gemeinsame Interesse zu arbeiten und spontan eine kollektive Kraft zu entwickeln, die jedes Hindernis überwinden kann. . . . Das ist eine wertvolle Qualität, die ich für mein Land wünsche, weil es eine Qualität der wirklich freien Völker ist."
In diesem Sinne "frei" waren die Franzosen im Zweiten Kaiserreich gerade nicht. Die wirtschaftliche Modernisierung war mit politischer Zensur und Unterdrückung verbunden. Auch hier zeigte sich die "chaotische" Wirkung der Weltausstellungen, die nicht nur den intendierten Kulturtransfer förderten. Die französischen Arbeiterdelegationen, die 1862 die Londoner Ausstellung besuchten, diskutierten dort ausgiebig mit britischen Gewerkschaftern. Anstatt den autoritären Modernisierungskurs Napoleons III. zu unterstützen, kehrten sie mit weitreichenden Forderungen nach Paris zurück, vor allem nach Assoziationsfreiheit und dem Streikrecht, die sie bis Paris 1867 noch fortentwickelten
V. Bildung und Unterhaltung
Im 19. Jahrhundert konstituierten die Weltausstellungen nahezu exklusiv solche globalen Kommunikationsräume, in denen weltgesellschaftliche Themen öffentlich verhandelt werden konnten. Die Vermittlung dieser Diskurse über technische, wirtschaftliche und politische Eliten hinaus wurde durch ihren massenhaften Besuch und die Presseberichterstattung garantiert. Im ausgehenden 20. Jahrhundert haben die Weltausstellungen diese herausragende internationale Bedeutung längst verloren. Weltöffentlichkeit wird auch durch viele andere Großereignisse hergestellt, seien es die Olympischen Spiele oder eine WTO-Konferenz. Auch die medialen Vermittlungsinstanzen haben sich radikal verändert. Hörfunk und Kino ergänzten die Presseberichterstattung bereits in den dreißiger Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam das Fernsehen hinzu. Im Jahr 2000 erlaubt das Internet internationale Kommunikation in Echtzeit und die Konstituierung ganz neuer Formen globaler interaktiver Diskussionsforen.
Dennoch gibt es die Weltausstellungen noch immer, womöglich weil eine virtuelle Erfahrung das reale Erlebnis einer solchen Welt im Dorf für viele (noch) nicht ersetzen kann. Das Versprechen eines vergnüglichen Zeitvertreibs allein kann ihre verbliebene Attraktivität nicht ausmachen. Mit dem kulturkritischen Vorwurf, sie ersetzten Information, Lernen und Bildung durch inhaltsleere Unterhaltung und sollten deshalb nicht mehr veranstaltet werden, war schon der Architekt Gustave Eiffel 1889 konfrontiert. Eine solche scharfe Trennung zwischen Bildung und Unterhaltung ist ein bildungsbürgerliches Argument des 19. Jahrhunderts, das im Jahr 2000 in einem Land ohne Bildungsbürger merkwürdig deplaziert wirkt. Und wer weiß schon, ob nicht die Erwartung einer jungen Frau, die der Schriftsteller Adolphe Brisson in Paris 1900 traf, heute so aktuell sein könnte wie vor 100 Jahren: "Warum sollen wir uns nicht amüsieren, solange wie wir dazu noch Gelegenheit haben. Wenn uns später Katastrophen erwarten, dann können wir uns wenigstens an dieses Erlebnis erinnern."