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Von viel Leid und wenig Freud. Reden über Steuern | Steuerpolitik | bpb.de

Steuerpolitik Editorial Von viel Leid und wenig Freud. Reden über Steuern Permanente Steuerreform. Steuerpolitische Leitbilder und Entwicklungstrends Alte Kämpfe, neue Positionen? Steuerpolitik als Wahlkampfthema Neid oder soziale Gerechtigkeit? Die gesellschaftliche Umkämpftheit der Erbschaftssteuer Das Ende der Steueroasen?

Von viel Leid und wenig Freud. Reden über Steuern

Elisabeth Wehling

/ 19 Minuten zu lesen

Die Wirkung von Sprache auf unser Denken und Handeln wird häufig unterschätzt. Der Grund dafür ist, dass Menschen oft unzutreffende Vorstellungen von ihrem eigenen Denken haben. Bis heute gehen viele davon aus, es gebe einen vom Körper unabhängigen Verstand – eine Vernunft, die getrennt sei von Emotionen, Bewegungen und Sinneswahrnehmungen. Tatsächlich aber ist unser Verstand eng mit unserem Körper verflochten. Das Gehirn verarbeitet etwa Sprache, indem es abgespeichertes Weltwissen aktiviert, also körperliche Erfahrungen mit der Welt – "verkörperlichtes Denken" nennen Kognitionswissenschaftler das Phänomen.

Wann immer wir etwa ein Wort hören, ruft unser Gehirn einen "Frame" auf, also einen Deutungsrahmen, der unsere Erfahrung zu dem Wort umfasst. Dazu gehören etwa Bewegungen, Bilder, Gerüche, Geschmäcke, Geräusche und Emotionen. Wer "greifen" und "werfen" liest, dessen Gehirn simuliert Handbewegungen. Wer "süß" oder "bitter" liest, dessen Gehirn aktiviert die Region, die für Geschmackswahrnehmungen zuständig ist. Ist ein Frame erst einmal aktiviert, bestimmt er, wie wir die Welt wahrnehmen und welche Bedeutung wir faktischen Informationen zuschreiben.

Gerade in der Politik sind Frames von höchster Relevanz. Erstens sind politische Ideen besonders abstrakt. Daher stützt sich unser Gehirn oft auf konkrete alltägliche Konzepte, um abstraktere politische Konzepte zu denken. So wird etwa die Fluchtkrise zur "Flüchtlingswelle" oder derjenige, der einen anderen in seine Dienste stellt, zum "Arbeitgeber". Zweitens ist politscher Streit immer ein ideologischer Streit – ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher und oft sogar gegensätzlicher Vorstellungen davon, was eine "gute", was eine "schlechte" Gesellschaft ausmacht. Egal, was der Gegenstand einer politischen Auseinandersetzung ist – Umwelt, Arbeitsmarkt oder eben Steuern –, es wird nicht um die Faktenlage gestritten, sondern um ihre Interpretation. Was sind Ursachen, was Lösungen? Worin liegt das moralische Mandat einer Regierung, was macht die Gesellschaft zu einer "besseren" Version ihrer selbst?

Selten ist die Frage danach, innerhalb welcher Frames man faktische Gegebenheiten denkt und spricht, so wichtig wie in der Politik. Frames führen dazu, dass man bestimmte Aspekte einer Situation hervorhebt und andere unter den Teppich kehrt. Demokratie ernst zu nehmen, bedeutet immer auch, in der politischen Auseinandersetzung solche sprachlichen Frames zu finden, die die eigene moralisch-ideologische Perspektive unmissverständlich erkennbar machen. Denn: Sprache ist keine Ergänzung zu politischer Gestaltung. Sprache ist politische Gestaltung. Das gilt auch für die Steuerdebatte.

Steuern sind eine Last oder gar existenziell bedrohlich, sie bestrafen den Bürger, er wird gemolken oder gejagt, und wenn er kein Schlupfloch findet, all dem im eigenen Land zu entkommen, so muss er fliehen, in eine Oase oder ins Asyl – so oder ähnlich denken wir über Steuern. Zumindest spiegelt das unser Sprachgebrauch wider. Der Frame von Steuern als bedrohliche Einschränkung der individuellen Freiheit wird durch eine ganze Heerschar von Metaphern erweckt. Einige muten zunächst vielleicht unverfänglich an oder so überzogen, dass sie nicht ernst gemeint sein können. Und doch spiegeln alle eine Denkweise über Steuern wider, die uns zumindest nachdenklich werden lassen sollte.

Erleichtert uns

"So steigt die Steuerlast der Deutschen", titelt die "Süddeutsche Zeitung" zum 6. Dezember 2013, und in der "Welt" liest man: "Steuerlast ist seit einem Jahrzehnt kaum gesunken". Die beiden Aussagen haben eines gemeinsam: Sie liefern dieselbe moralische Interpretation von Steuern – Steuern sind eine Last. Der Frame von Steuern als Last fährt gleich mit einer ganzen Armada von Begriffen auf – "Steuerlast", "Steuerbelastung", "Steuererleichterung", "Steuerbürde". Und wenn es um die Angleichung von Steuern geht, so geht es fast immer auch darum, wen es aus der Sicht einer Partei oder Gruppe zu "belasten" und wen hingegen es zu "entlasten" gilt.

Die Metapher von der Steuerlast bricht unsere Wahrnehmung von Steuern auf eine konkrete, körperliche Erfahrung herunter. Nicht umsonst sprechen wir davon, dass Steuern von uns "getragen" werden und Steuern auf unseren Schultern "lasten". Steuern werden in diesem Bild zu einer physischen Last, etwas Erdrückendem, das uns daran hindert, uns frei zu bewegen. Geringe Steuern zu zahlen wird in diesem Frame folgerichtig als positiv bewertet. Und jene, die den Bürger von seinen "Steuerbürden" befreien wollen – durch "Steuererleichterung" und "Steuerbefreiung" –, tun ihm per se Gutes.

Dieser Frame blendet dabei völlig aus, dass es unsere Steuerbeiträge sind, mit deren Hilfe wir es uns selbst überhaupt erst ermöglichen, relativ frei und unbelastet in diesem Land zu leben. Der britische Chemiker James Dewar hat diesen Umstand einmal so auf den Punkt gebracht: "Es gibt nur etwas, was mehr schmerzt, als Einkommenssteuer zu zahlen – keine Einkommenssteuer zu zahlen."

Der Bauer und sein Vieh

Zur Erhöhung der Kfz-Steuer ist in einer Online-Diskussion zu lesen: "Unsere Politiker (…) betrachten die eigenen Bürger nur als Melkkuh", und das "Handelsblatt" titelt am 11. Juli 2014 "Grunderwerbssteuer: Melkkuh Immobilienkäufer". In der "Nassauischen Neuen Presse" liest man am 24. Januar 2015, der Bürger sei "keine Milchkuh, die man ständig weiter melken kann". In Österreich tritt die SPÖ im September 2012 mit dem Slogan "Welche Kuh würden Sie melken?" für eine Millionärssteuer an, über die also – in dieser Metapher bleibend – besonders fette Kühe gemolken, magere aber verschont werden sollen.

Der Frame, der hier über die Metapher vom Bürger als Melkkuh aktiviert wird, ist alles andere als wertneutral: Der Staat als Bauer verfügt über die Bürger als Nutztiere. Kühe werden gemolken, bis die Euter leer sind. Milch kommt dem Bauern zugute, nicht aber den Kühen selbst. Steuern nutzen also dem Staat, nicht dem Bürger. Kühe werden ohne ihre Zustimmung und im Zweifelsfall gegen ihren Willen gemolken.

Denkt man dieses sprachliche Bild bis zum Ende, landet man bei der Schlachtbank. So zum Beispiel Georg Nüßlein von der CDU im Sommer 2011, als er gegen die Brennstoffsteuer-Erhöhung argumentiert und dem linken Flügel rät: "Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie die Kuh schlachten oder melken wollen." Nun ist zwar klar, dass der Staat dem Bürger nicht wirklich ans Leben will. Doch das Bild suggeriert eine bestimmte Attitüde dem Bürger gegenüber: Dessen Wohlergehen geht den Staat letztlich nur insofern an, als es ihm nützt. Und wie beim Melken wird so viel aus ihm "herausgequetscht" wie möglich.

Die Metapher vom Bürger als Melkkuh macht schwer vermittelbar, dass Steuern dem Bürger selbst und nicht dem Staate zugutekommen. Staat und Bürger sind eben nicht getrennte Entitäten, wie es dieser Frame vermitteln will. Der Staat existiert eben nicht als sich des Bürgers bedienender Selbstzweck. Vielmehr dient unsere staatliche Verwaltung dazu, unsere gemeinsam erbrachten finanziellen Mittel so zu verwalten, dass für die unsere Freiheit sichernden Grundstrukturen und für unseren Schutz gesorgt ist.

Jedoch – der Frame vom Bürger als Melkkuh hat noch einen anderen gedanklichen "Haken". Und zwar bietet er uns eine moralische Bewertung wohlhabender und weniger wohlhabender Mitbürger an. Der Wert einer Milchkuh hängt nämlich davon ab, wie viel Milch sie produziert. Eine Kuh, die viel Milch produziert, ist wertvoller als eine, die wenig Milch produziert. Damit werden wohlhabende Bürger, die mehr Steuern beitragen können, als für die Gemeinschaft besonders wertvoll definiert, und solche, die nur wenig Steuermilch produzieren, als für die Gemeinschaft von geringem Nutzen begreifbar gemacht.

Und das bleibt nicht die einzige Aussage. Der Frame impliziert darüber hinaus Schlussfolgerungen über die individuelle Stärke und Leistungsfähigkeit des einzelnen Bürgers. Alle Kühe eines Bauern produzieren unter den gleichen Bedingungen Milch – sie weiden auf derselben Wiese, stehen im selben Stall und fressen das gleiche Futter. Eine Kuh, die unter gleichen Bedingungen mehr Milch produziert als andere Kühe, ist also von Natur aus stark.

In der gedanklichen Übertragung auf unsere Steuerdebatte werden damit soziale Ungleichheiten und durch Gesellschaftsstrukturen mitbedingte Vorteile ausgeblendet. Gutes Einkommen und der Besitz von Vermögen werden zu einem Ausdruck von Stärke und Produktivität des Individuums. Die gute Steuer-Melkkuh ist also nicht etwa vielleicht sozial begünstigt, in einer vorteilhaften Situation oder einfach mit viel Glück und Tatkraft zur rechten Zeit am rechten Ort.

Der Frame vom Bürger als Melkkuh ist übrigens nicht die einzige Formulierung, die den Steuern beitragenden Mitbürger als Nutztier und den Staat als seinen Besitzer begreifbar macht. Das sprachliche Bild hat Geschichte. Ende des 19. Jahrhunderts verkündete Austin O’Malley, amerikanischer Schriftsteller: "Beim Steuereintreiben wie beim Schafscheren soll man aufhören, wenn die Haut kommt." Und schon im 17. Jahrhundert sagte Jean-Baptiste Colbert, Finanzminister unter Ludwig XIV: "Die Kunst der Besteuerung besteht ganz einfach darin, die Gans so zu rupfen, dass man möglichst viel Federn bei möglichst wenig Geschrei erhält."

Der Frame vom Bürger als Gans ist in der österreichischen Debatte zur Steuergerechtigkeit fest etabliert. Hier werden besonders wohlhabende Mitbürger als "Gstopfte", also gestopfte Gänse, bezeichnet. So liest sich beispielsweise am 29. April 2012 in der "Kronen Zeitung" zur "Reichensteuer": "Die Gstopften sollen blechen". Diese Bezeichnung wird in der Debatte um die sogenannte Reichensteuer quer durch das politische Spektrum genutzt. Gibt man die Begriffe "Gstopfte" und "Reichensteuer" zusammen bei Google ein, erhält man gut 1.000 Einträge.

Solche Frames, die den Bürger als Nutztier begreifbar machen – wahlweise als Kuh, Gans oder Schaf – bergen also etliche Schlussfolgerungen über das Verhältnis zwischen Bürger und Staat sowie den Sinn und Zweck von Steuern an sich. Und übrigens werden Kuh, Gans und Schaf in unserem Volksmund auch als besonders gefügige und dumme Tiere angesehen.

Auf der Jagd

Die beleuchteten Frames von Steuern als Last, dem Staat als Dienstleistungsunternehmen und dem Bürger als Nutztier sind nicht die einzigen sprachlichen und somit gedanklichen Bilder, die in der deutschsprachigen Steuerdebatte genutzt werden. Und sie erwecken vergleichsweise "harmlose" Frames, in denen wir über Steuern denken – anders der Frame von Besteuerung als Jagd.

Wir sprechen davon, dass Steuern auf bestimmte Bevölkerungsgruppen "abzielen" oder sie "treffen". Von etwas getroffen zu werden, ist immer negativ. Im Krieg wird man von Geschossen getroffen. Man kann beim Spielen von Bällen getroffen werden und man kann im Sturm von einem herabfallenden Ast getroffen werden. Man kann auch metaphorisch getroffen werden, und hier ist die negative Konnotation nicht zwangsläufig. So kann man zum Beispiel von einer Erkenntnis getroffen werden, aber eben auch von einem Schicksalsschlag oder Unglück. Wenn einem etwas besonders Schönes oder großes Glück widerfährt, so spricht man in der Regel zumindest nicht davon, metaphorisch getroffen zu werden: Ich wurde gestern von einem Lottogewinn getroffen? Die Tatsache, dass Steuern oft als gefährliche Geschosse begreifbar gemacht werden, wird in Aussagen wie dieser vom ehemaligen Präsidenten des Bundesfinanzhofes, Franz Klein, besonders deutlich: "Wen, in bestimmten Einkommensbereichen, das Steuerrecht ohne Vergünstigungen voll trifft, der kann nicht überleben."

Wenn jemand getroffen wird, gibt es immer auch ein handelndes Subjekt, jemanden, der zielt. Folgerichtig bringt es die ÖVP in Österreich auf den Punkt: "Wenn die SPÖ auf die Reichen zielt, nimmt sie stets den Mittelstand ins Visier." Wenn nun einer auf Objekte zielt, so kann das schlicht der Freude und sportlichen Ertüchtigung dienen. Wenn man aber auf Menschen zielt, will man ihnen Böses. Mit diesem Frame wird das Erheben von Steuern als schädlich für den Betroffenen und als auf böswilligen Absichten des Staates basierend definiert. Kein Wunder also, dass der kluge Bürger den Steuern oft "ausweicht": Wer will schon getroffen werden?

Die Metapher von Steuern als Geschosse allein könnte an ein Kriegsszenario denken lassen. Im Zusammenhang mit weiteren Begriffen wie "erwischen", "Falle" und "Schlupfloch" scheint jedoch der Frame von Besteuerung als Jagd zutreffend, wobei in der Jagd natürlich durchaus kriegerische Elemente enthalten sind – und umgekehrt. In Österreich wurde dieser Frame in der Debatte zur Vermögenssteuer genutzt: "Eine Vermögenssteuer soll alle erwischen, egal, ob im aktiven Fall oder ob sie erben", sagte Bundeskanzler Werner Faymann im Interview und propagierte einige Monate später zum Thema Einkommenssteuer: "Man muss (…) die obersten 80.000 erwischen". Und in Deutschland wurde ein Jagdszenario für im Ausland lebende deutsche Ruheständler 2011 so formuliert: "In einer ersten Welle war der Fiskus Pensionären auf den Fersen, die ihre Einkünfte aus eigenem Antrieb deklariert haben."

Eine Metapher, die die sprachliche Inszenierung von der Besteuerung als Jagd des bösen Staates auf den Bürger besonders veranschaulicht, ist jene von der Steuerfalle. "Die Steuerfalle für säumige Rentner schnappt zu" berichtet "Die Welt" am 13. November 2011, als steuersäumige, ins Ausland gezogene Rentner auf ihre Steuerpflichten hingewiesen werden. Die "Süddeutsche Zeitung" titelt am 7. März 2012 zum selben Thema: "Auslandsrentner in der Steuerfalle". Die Logik ist klar: Wer Steuern zahlt, der ist in die Falle gegangen.

Die Metapher von Steuern als Falle ist in der deutschsprachigen Debatte zwar derzeit noch weniger geläufig als manch andere, doch hat sie großes Potenzial, denn die Vorstellung, dass Steuern den Bürger gefangen halten, ihn einengen und seiner Bewegungsfreiheit berauben, ist sprachlich bereits allgegenwärtig. Spannend bleibt die Frage, mit welchem Köder der Bürger in die Falle gelockt wird – Gesetzestreue kann wohl nicht gemeint sein.

Auf der Flucht …

In einer Debatte, die Besteuerung als Jagd begreifbar macht, gibt es für den um sein Wohl und Überleben besorgten Bürger nur eine Handlungsoption: Wer gejagt wird, der sucht zu entkommen. Und genau dieser Schlussfolgerung bleiben wir auch in unseren Steuerdebatten treu: "Keine Privatperson, kein Gewerbetreibender oder Bauer, niemand wird den neuen Steuern entkommen", prophezeit die Direktorin des Bauernbundes in Niederösterreich im Oktober 2012 zu der von der SPÖ vorgeschlagenen Eigentumssteuer. Und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sagt in einem Interview mit der "Welt": "Es ist immer besser, ein ganzes Bündel unterschiedlicher Steuern zu haben (…). Vermögende können so vielleicht eine Steuer vermeiden, aber allen Steuern können sie nicht entkommen." Wer sich gejagt sieht, der muss also nach Wegen suchen, seinen Jägern zu entkommen. Und wer bereits eingekreist oder gefangen ist, dem bleibt nur noch zu wünschen, dass er ein Schlupfloch findet, durch das er entfliehen und damit der Bedrohung am Ende doch noch entgehen kann.

Schon seit Langem werden Gesetzeslücken, die angemessene Besteuerung umgehbar machen, als "Schlupflöcher" bezeichnet: "Obama will Schlupfloch für Reiche stopfen", schreibt der "Standard" am 18. Januar 2015, und "Spiegel Online" verkündet im Herbst 2014 den "Tod des ‚weltberühmten Steuerschlupflochs‘" Irland. Die Entrichtung von anfallenden Steuern also wird als eine Situation begriffen – oder begreifbar gemacht – in der man gefangen ist, denn warum sonst würde man ein Schlupfloch nutzen?

Kontrastierend zu der Schärfe, mit der diese Metapher ein Gefangensein des Bürgers vermittelt, wird zugleich weichgezeichnet, dass sich jemand seiner Verpflichtung der Gemeinschaft gegenüber entzieht, wenn er ein Steuerschlupfloch nutzt. Das Bild vom "Schlupfloch", die Idee aus etwas "herauszuschlüpfen", hat durchaus etwas Verniedlichendes, und zwar nicht zuletzt durch die mit dem Konzept assoziierte Körpergröße – wer es schafft, durch eine Öffnung hindurch zu "schlüpfen", der ist im Allgemeinen klein, passt gerade mal so eben durch die Öffnung hindurch. Und auch der verwandte Frame vom Schlüpfen in der Tierwelt – Vogelbabys "schlüpfen" aus Eiern – trägt zu dieser Verniedlichung bei.

Welche gedanklichen Konsequenzen aber stecken noch in diesem Frame? Nun, wenn es eine Bedrohung der Freiheit, gar eine Jagd gibt, dann ist es folgerichtig, zu flüchten. Und tatsächlich bezeichnet man es als "Steuerflucht", wenn jemand der Gemeinschaft seinen anfallenden Steuerbeitrag entzieht, indem er ins Ausland geht. Eine moralische Interpretation wird auch hier gleich mitgeliefert: Wer auf der Flucht ist, dem will ein anderer etwas Böses. Der Steuerflüchtling sieht sich einer politischen Übermacht gegenüber, die ihm in der einen oder anderen Weise "an den Kragen" will.

Aber wird dies tatsächlich als Flucht, und zwar im Sinne von politischer Flucht, gedacht und entsprechend argumentiert? Die Antwort lautet: Ja. Der Frame der politischen Flucht umfasst folgende semantische Rollen: Es gibt eine politische Übermacht, der sich der Flüchtling wehrlos gegenübersieht. Und es gibt ein Fluchtziel, einen Ort nämlich, der sicher ist und an dem der Flüchtling Asyl findet. Wenn man die Rollen in diesem Frame nun metaphorisch besetzt, so werden demokratisch beschlossene Steuergesetze zur politischen Übermacht, die einer gesellschaftlichen Minderheit – zum Beispiel den besonders vermögenden Mitbürgern oder den "oberen Zehntausend" – etwas Böses will. Derjenige, der sich diesen Gesetzen entzieht, wird zum Steuerflüchtling. Orte mit niedriger Besteuerung werden zum Steuerasyl.

Und Letzteres wird in der Debatte auch konkret so benannt: "Kritische Fragen zu Chodorkowskis 'Steuerasyl' ", schreibt die "Handelszeitung" am 7. April 2014. Die "Berliner Zeitung" berichtet: "Putin bietet Depardieu russisches Steuerasyl an", und die "Süddeutsche Zeitung" schreibt, Gérard Depardieu habe große Pläne für ein eventuelles Leben in Tschetschenien, womit "Langeweile in seinem Steuer-Asyl" schon einmal ausgeschlossen sei. Der Vorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger, verkündet am 17. August 2012 in der "Welt": "Es gibt kein Asylrecht für das große Geld." Und in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) heißt es: "Die Schweizer Banken lebten jahrzehntelang blendend von Steuerflüchtlingen. Künftig soll es angeblich keinen Schutz vor dem Fiskus mehr geben."

Der Frame vom Steuerasyl ist bemerkenswert, denn er macht Steuern nicht nur als Bedrohung begreifbar, er impliziert auch Schlussfolgerungen über die Art dieser Bedrohung. Asyl wird Flüchtlingen gewährt, die in ihrem eigenen Land vom Staat verfolgt werden, und zwar in solcher Weise, dass Verletzungen der Menschenrechte zu befürchten sind: Freiheitsentzug, Folter, Tötung. Asyl ist oft eine Frage von Leben und Tod. Niemand bekommt in einem Land Asyl, weil es ihm zu Hause nicht gefällt. Menschen bekommen auch kein Asyl, weil sie im eigenen Land nicht genügend erwirtschaften können, um angemessen zu leben, für ihre Gesundheit zu sorgen oder sich zu bilden. In dem Frame vom Steuerasyl werden also Steuern als Bedrohung grundlegender Menschenrechte begreifbar gemacht. Die Bedrohung geht vom Steuern erhebenden Staat aus. Und das Gewähren von Steuerasyl wird zur menschlichen Pflicht. Die moralische Erzählung könnte nicht deutlicher und wirkkräftiger sein: Der Staat verkörpert das Böse. Über Steuern verletzt er die Menschenrechte seiner (wohlhabenden) Mitbürger und bringt sie in höchste existenzielle Not. Die Steuerflüchtlinge sind wehrlos und schuldlos. Länder, die ihnen Steuerasyl gewähren, handeln in höchstem Maße moralisch.

… ins Paradies

Wenn es so schlimm ist, im eigenen Land seinen angemessenen Teil an Steuern beizutragen, dann müssen Orte mit geringerer Besteuerung das reinste Paradies sein! Und so sprechen wir denn auch in unseren Steuerdebatten von "Steuerparadiesen". Der aktivierte Frame könnte keine eindeutigere moralische Interpretation liefern: Geringere Steuern zu zahlen, das ist das Paradies. Im Paradies lebt es sich gut! Und für nicht wenige Mitbürger dürfte die Metapher vom Paradies auch die Schlussfolgerung mitliefern: Nur gute Menschen kommen ins Paradies. Alle anderen schmoren in der Steuerhölle, die nicht wenige von uns automatisch und unbewusst assoziieren dürften, wenn sie das Wort "Steuerparadies" hören.

Welche Metapher wird darüber hinaus für Niedrigsteuerländer genutzt? Die Idee von der "Steueroase". Und nicht selten kommen die verwendeten Metaphern auch im Doppelpack: "Steuerparadies Niederlande", schreibt "Spiegel Online" im Herbst 2014 und weiter: "Steueroase Luxemburg". Die "FAZ" wirft einen "Blick ins Steuerparadies", und "Die Welt" schreibt im Frühjahr 2013: "Die EU trocknet langsam aber sicher Europas Steueroasen aus. Luxemburg gab am Wochenende bekannt, nicht länger als Zufluchtsort für Steuerflüchtlinge gelten zu wollen."

Welcher Frame wird durch die Metapher von der Oase erweckt? Ganz einfach: Oasen sind Orte des Labsals in einer wüsten, oft existenziell bedrohlichen Umgebung. Wer rechtzeitig an eine Oase gelangt, der überlebt. Wer nicht, der verdurstet. Die niedrigere Besteuerung wird als Leben erhaltendes Wasser begreifbar gemacht, denn das unterscheidet eine Oase von der umliegenden Wüste – es gibt Wasser.

Länder mit angemessen hoher Besteuerung sind so wenig einladend und so lebensbedrohlich wie die Wüste. Wer hier Steuern zahlt, ist dem Dahindarben anheimgegeben. Der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle blieb diesem Bild treu, indem er über die Kritik an Niedrigsteuerländern im März 2009 sagte: "Für die Menschen ist nicht die Oase das Problem, sondern die Wüste drum herum." Wenn nun also, wie oben prophezeit, auch noch die Steueroasen austrocknen, dann steht uns allen eine Zeit der Dürre bevor. Innerhalb einer Debatte, die diesem Frame treu bleibt, stellt sich dann völlig zu Recht die Frage: Ist es moralisch richtig, auch noch die letzten Steueroasen auszutrocknen, und damit den Menschen jede Hoffnung auf Erlösung zu nehmen?

Politische Metaphern sind verräterisch, denn sie legen den Blick auf unser Denken frei. Und darüber hinaus haben sie ihre Tücken. Die ehemalige Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte einmal: "In den Oasen saufen die großen Kamele (…) den anderen das Wasser [weg]." Damit bleibt sie dem Bild treu, nach dem das Vermeiden von Steuern lebenserhaltend ist. Wer Steuern vermeidet – also in einer Oase trinken kann –, der wird überleben. Was aber in der Aussage auch mitgedacht ist, und so wohl nicht gemeint gewesen sein wird, ist die Vorstellung, dass sich "große" wie "kleine" Kamele zu Recht in den Steueroasen um das Wasser scharen – und das Problem nurmehr darin liegt, wer sich in diesen Oasen Zugang zu mehr Wasser verschafft als andere.

Strafe muss nicht sein

Neben den zahlreichen oben umrissenen Frames – von Steuern als Last, den Bürgern als Nutztieren sowie der Besteuerung als Jagd oder politische Verfolgung und der Steuervermeidung als paradiesisch oder lebensrettend – gibt es noch einen weiteren Frame, der unsere Debatten über Steuern strukturiert und damit unser alltägliches Begreifen des Themas stark prägt: der Frame von Steuern als Bestrafung.

Die Vorstellung, dass Steuern eine Strafe sind, ist in der deutschsprachigen Steuerdebatte allgegenwärtig. Zum Beispiel, wenn "Zeit Online" zur steuerlichen Gleichstellung von Lebenspartnerschaft und Ehe titelt: "Bestraft doch gleich die Kinderlosen", oder in Aussagen wie diesen: "Die neue SPÖ-Vermögenssteuer bestraft jeden Einzelnen, der ein Leben lang etwas hart erarbeitet und angespart hat" und "Der Staat bestraft immer die Fleißigen". Und auch in den Debatten anderer Länder ist der Frame einschlägig. So sagte beispielsweise US-Präsident Barack Obama in seiner State of the Union Address 2011 über die Besteuerung von Millionären: "Wir sollten Millionäre bitten, ihre Steuerbegünstigungen aufzugeben. Dabei geht es aber nicht darum, ihren Erfolg zu bestrafen."

Der Frame von der Steuerstrafe wird dabei nicht nur durch Begriffe wie "Strafe" und "Bestrafung" erweckt. Auch Worte wie "fassen", "belangen" oder "erwischen" aktivieren diesen Frame: Man fasst oder erwischt Verbrecher, um sie dann für eine Straftat zu belangen. Der Frame von der Steuerstrafe wird also auch durch Aussagen wie der des SPÖ-Politikers Günther Kräuter am 6. Mai 2009 in der ORF-Sendung "Zeit im Bild" zu den Steuerreformplänen seiner Partei erweckt: "Gemeint sind Millionäre. Die müssen gefasst werden." Und ebenso durch den ÖVP-Politiker Josef Pröll, wenn er sagt, dass es nicht richtig sein könne, nur die Superreichen zu belangen. Der Begriff "belangen" aktiviert den Frame eines Justizverfahrens, jemand wird zur Rechenschaft gezogen, verklagt. Angemessene Steuerbeiträge werden so zur Strafe. Und der reiche Mitbürger ist schuldig allein aufgrund seines Einkommens und Vermögens.

Die moralische Botschaft, die diesem Frame innewohnt, ist klar: Finanzieller Wohlstand wird bestraft. Und Steuern sind das Strafmittel. Stellt sich nur noch die Frage, wie viele Steuern dem einzelnen Angeklagten für seinen Reichtum aufgebrummt werden – je reicher, umso höher fällt die Steuerstrafe aus. Diesen Frame aufgreifend und seiner inneren Logik folgend, schrieb die konservative ÖVP in der Debatte um Eigentumssteuern dann auch nicht zu Unrecht: "Eigentum ist Diebstahl? (…) Faymann und die SPÖ wollen die 'oberen 80.000' erwischen. 'Erwischt' wird gewöhnlich jemand, wenn er eine Straftat begangen hat. Eigentum zu kriminalisieren führt uns geradewegs in eine Gesellschaft, die niemand wollen kann."

Der Frame von der Steuerstrafe aktiviert eine Reihe gedanklicher Schlussfolgerungen: Wenn Steuern eine Strafe sind, dann bedeuten hohe Steuersätze ein hohes Strafmaß, niedrige Steuersätze hingegen ein niedriges Strafmaß. Finanziell gut gestellte Mitbürger, die höhere Sätze beitragen, sind also in diesem Frame schuldiger als jene, die weniger beitragen können. Und nicht zuletzt impliziert dieser Frame, dass Bürger nur deshalb Steuern beitragen, weil sie vom Staat dazu verurteilt werden.

Der Frame von Steuern als Bestrafung blendet dabei wichtige Aspekte unseres Steuersystems vollkommen aus. Zum einen werden Bürger nicht zu Steuern "verurteilt", sondern tragen ihre Steuern freiwillig bei – freiwillig im Sinne der Befolgung demokratisch beschlossener Gesetze. Zum anderen stellt das Beitragen von Steuern keine Wiedergutmachung einer sich aus dem eigenen Vermögen ergebenden Schuld dar, sondern ist Ausdruck einer Verantwortung sich selbst und anderen gegenüber.

Besonders vermögende Bürger beispielsweise übernehmen durch ihre finanziellen Beiträge zum gemeinschaftlichen System ein hohes Maß an Verantwortung für sich selbst und die Gemeinschaft, denn nur über unsere Steuern ist die Sicherung unserer Freiheit und unseres Schutzes möglich. Der Beitrag, den wir alle – und eben auch Vermögende – durch unsere Steuern an die Gemeinschaft leisten, wird aber im Frame von Steuern als Bestrafung nicht anerkannt. Vielmehr werden dem Steuern beitragenden Mitbürger die moralischen und eigenverantwortlichen Prinzipien seines Handelns abgesprochen.

Wo bleibt der Stolz?

Es ist von besonderer Bedeutung für den Bürger, über Steuern zum gemeinschaftlichen System beizutragen. Es ist Ausdruck seiner Identität und seines moralischen Selbstverständnisses. Denn auch über Steuern drückt sich aus, nach welchen moralischen Grundsätzen wir im Leben handeln und welche Werte wir in unserer Gemeinschaft wahren wollen. Der Anspruch, über Steuern gemeinsam ein System zu finanzieren, das uns Bürger schützt und ermächtigt, ist für jeden Einzelnen immer auch Ausdruck der Verantwortung sich selbst, seiner Familie und seinen Mitbürgern gegenüber, Ausdruck eines unverrückbaren Anspruchs an Moral und Menschlichkeit in der Gemeinschaft, der er angehört und welche die Heimat seiner Werte und Identität ist. Denn nicht zuletzt beschließen wir die Steuergesetze ja demokratisch – wir entrichten unseren Steuerbeitrag, weil wir so entschieden haben!

Dieser Beitrag ist ein leicht veränderter Auszug aus: Elisabeth Wehling, Politisches Framing, Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und damit Politik macht, Herbert von Halem Verlag, Köln 2016.

ist promovierte Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin und forscht an der University of California in Berkeley, USA. E-Mail Link: elisabethwehling@berkeley.edu