Die Erfahrungen des "schmutzigen" Wahlkampfes und der Ausgang der jüngsten Präsidentschaftswahl in den USA haben auch in Deutschland deutliche Spuren hinterlassen: Zum einen ist "fake news" zum geflügelten Wort für gezielte Desinformation geworden. Zum anderen ist mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl die Sorge vor Einflussnahme aus dem Ausland gewachsen – insbesondere, nachdem US-Geheimdienste im Januar 2017 den russischen Präsidenten Wladimir Putin öffentlich beschuldigten, er habe mittels einer Kampagne und Hackerangriffen versucht, die US-Wahl in seinem Sinne zu beeinflussen. Sogleich schien auch in Berlin viele Politikerinnen und Politiker die Frage umzutreiben, ob entsprechende Hacks, Leaks und Falschmeldungen ebenso deutsche Wählerinnen und Wähler manipulieren könnten. Die Moskauer Führung steht dabei im Verdacht, die Europäische Union insgesamt destabilisieren zu wollen und dafür in den einzelnen Mitgliedsstaaten jeweils national angepasste Strategien zu verfolgen.
Gewachsenes Misstrauen
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits im Frühjahr 2016 die deutschen Geheimdienste aufgefordert, herauszufinden, ob sich Moskau in die deutsche Politik einmischt, gezielt falsche Informationen streut und parallel dazu Staatsgeheimnisse ausspäht.
Deutschlandweit gingen mehrere Hundert russlanddeutsche Spätaussiedler aus Protest gegen die angebliche Vergewaltigung auf die Straße, rund 700 demonstrierten vor dem Bundeskanzleramt. Als der russische Außenminister Sergej Lawrow auf einer Pressekonferenz von "unserem Mädchen Lisa" sprach und den deutschen Behörden Vertuschung vorwarf, kam es zum Eklat. Die Bundesregierung war davon überzeugt, dass bewusst Stimmung gegen Merkel und die Flüchtlingspolitik gemacht werden sollte. Außenminister Frank-Walter Steinmeier verbat sich die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik und warf Russland "politische Propaganda" vor, um "eine ohnehin schwierige innerdeutsche Migrationsdebatte (…) anzuheizen".
Leider liegt zum "Fall Lisa" bis heute keine unabhängige Studie vor, die ihn abschließend untersucht hätte. Deshalb bleibt die Frage vorerst offen, ob es sich vor allem um ein Medienphänomen handelte oder tatsächlich um eine orchestrierte Aktion der russischen Regierung, wie viele Stimmen behaupten. Der ungeklärte Fall nährt aber ein Grundmisstrauen gegen Moskau, was die deutsch-russischen Beziehungen – die seit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine ohnehin stark belastet sind – weiter verschlechtert.
Tatsächlich gab es in den zurückliegenden Jahren einige Indizien dafür, dass Moskau mit vielfältigen Instrumenten versucht, in Deutschland Einfluss zu nehmen oder für Verunsicherung zu sorgen. Im Mai 2015 wurde ein erster, schwerer Hackerangriff auf den Deutschen Bundestag bekannt, der offenbar schon Monate zurücklag und eine Diskussion darüber auslöste, ob ein ausländischer Geheimdienst dafür verantwortlich sein könnte. Im Sommer 2016 gab es eine weitere Cyberattacke, bei der deutsche Politiker und ihre Mitarbeiter das Ziel von Mails mit Spähsoftware waren. Die Osteuropa-Expertin und Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Marieluise Beck, war bereits im Februar 2014 Ziel eines Hackerangriffs geworden, bei dem nach zwei Jahren Untersuchung schließlich einiges darauf hindeutete, dass Hacker im russischen Staatsauftrag tätig gewesen sein könnten. Die Spuren schienen bei den jeweiligen Attacken alle zur Hackergruppe "APT28" zu führen, die angeblich unter Moskauer Federführung operiert.
So warnte der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, im November 2016 vor russischen Störkampagnen und Hackerangriffen, "die keinen anderen Sinn haben, als politische Verunsicherung hervorzurufen". Auch im Bundestag erklärten Sicherheitsexperten kurz darauf, Russland wolle die Einheit des Westens "unterminieren" und die deutsche Gesellschaft spalten. Die in Deutschland lebenden russischsprachigen Bürgerinnen und Bürger sollten geradezu "gegen den deutschen Staat aufgehetzt werden", sagte etwa der Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen. Als Verantwortliche machten die Experten dabei das Direktorat Außenpolitik des russischen Präsidialamtes aus.
Angesichts solcher Bedrohungsanalysen bleibt aber unverständlich, weshalb bislang nicht mehr unternommen wurde, um die bekannten Sicherheitslücken zu schließen. Nach Informationen von NDR und "Süddeutscher Zeitung" geht aus einem aktuellen Geheimbericht hervor, dass die IT-Infrastruktur des Deutschen Bundestages noch immer nicht ausreichend gegen Hacker gesichert ist. Die über 100 Seiten umfassende Analyse, die von der Bundestagsverwaltung in Auftrag gegeben wurde, listet zahlreiche Mängel auf, die es Hackern erleichtern dürften, erneut in das Parlamentsnetzwerk einzudringen.
Russlands mediale Instrumente
Die sichtbarsten Instrumente russischer Staatspropaganda in Deutschland sind die deutschsprachigen Medienangebote "RT Deutsch" und "Sputnik Deutschland" sowie die als PR-Publikation gestaltete Zeitungsbeilage "Russia Beyond the Headlines", die alle aus Moskau staatlich finanziert werden.
Während der russische Auslandssender RT in den USA, in Großbritannien oder auch in Ländern Südamerikas viel Geld investiert hat und mit einem Fernsehangebot präsent ist, fristet "RT Deutsch" als Online-Portal ein Nischendasein auf dem deutschen Medienmarkt. Das ursprünglich täglich gesendete Video-Journal "Der fehlende Part" ist schon seit Längerem auf ein wöchentliches Angebot zusammengeschrumpft. Die eher an "Trash-TV" erinnernde Nachrichtensendung krankte von Anfang an an mangelnder Qualität und offensichtlich einseitiger Ausrichtung. Kurz nach dem Start des Programms im November 2014 hatte der Chefredakteur, Iwan Rodionow, gegenüber dem Online-Magazin "Telepolis" noch zuversichtlich angekündigt: "Ich sehe RT Deutsch in einem Jahr als eine anerkannte Stelle, wo man sich alternativ zum Mainstream informieren kann."
"RT Deutsch" erreicht sein Publikum vor allem über Social-Media-Kanäle. Die Zugriffszahlen sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen: Während das Portal im Sommer 2016 auf Twitter mit rund 13700 Followern noch kaum eine Rolle spielte, hat sich dieser Wert innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. Auch die Zahl der Facebook-Freunde liegt heute bei rund 267000 (197600 im Juni 2016),
Das seriöser gestaltete Online-Angebot "Sputnik Deutschland" ist auf Facebook und Twitter weniger erfolgreich: Es zählt rund 14200 Follower auf Twitter und 186000 Facebook-Freunde, obwohl es länger auf dem Markt vertreten ist als "RT Deutsch" – wenn auch zu Beginn noch unter der Traditionsmarke des Auslandsrundfunks "Stimme Russlands". Als Vollprogramm kann man das Radioprogramm nur über die Website hören. Zwar haben regionale Privatsender einige Stunden des Programms übernommen, aber die Reichweite ist gering. Dennoch gelingt es "Sputnik Deutschland" gelegentlich, auch prominente Politiker für Interviews zu gewinnen – so scheuten zum Beispiel weder der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach noch die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley den Kontakt.
Fest etabliert hat sich die monatliche Verlagsbeilage "Russia Beyond the Headlines", die der Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" beiliegt. Sie wird von einer Moskauer Redaktion erstellt, widmet sich überwiegend Wirtschaftsthemen und wird ebenfalls aus dem russischen Staatshaushalt finanziert. Die Zielgruppe der PR-Publikation und des dazugehörigen Internetauftritts sind in erster Linie deutsche Geschäftsleute. Das Vorläuferprodukt "Russland heute" hatte als Beilage der "Süddeutschen Zeitung" weitaus mehr deutsche Leser erreicht. Wegen der Krim-Annexion kündigte der Süddeutsche Verlag aber im März 2014 die Zusammenarbeit auf.
Vor allem "RT Deutsch" zielt in seinen Beiträgen darauf ab, ein düsteres Bild der deutschen Gesellschaft zu zeichnen und Sachverhalte zu entstellen. "Auffallend ist auch, dass in der Berichterstattung die AfD und die Linkspartei überrepräsentiert sind", urteilt Meister. Das liegt auch daran, dass "RT Deutsch" als russisches Propagandainstrument mittlerweile einen so schlechten Ruf genießt, dass Politiker anderer Parteien den Kontakt meiden. Lediglich SPD-Politiker Matthias Platzeck plauderte als Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums im Februar 2017 mit Rodionow über die Chancen von Martin Schulz bei der Bundestagswahl und die deutsch-russischen Beziehungen, als handele es sich um ein seriöses Medium, wofür er einige Kritik erntete.
Desinformation oder handwerkliche Fehler?
Im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung werden Beiträge der russischen Auslandsmedien aufmerksam, aber mit Gelassenheit verfolgt. "Eigentlich ist es das normale Geschäft", sagt der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter. Das Presse- und Informationsamt habe schon immer beobachtet, was über die Bundesregierung geschrieben werde und das schon lange auf die sozialen Medien ausgeweitet. Auf die Frage, welche Vorkommnisse die Bundesregierung bisher beunruhigt hätten, nennt Streiter vor allem den "Fall Lisa" und einen weiteren Fall, der die Bundesregierung ebenfalls sehr beschäftigt habe. So sei im Juni 2016 im arabischen Dienst von RT die Falschmeldung aufgetaucht, dass Bundeskanzlerin Merkel muslimischen Wirten während des Fastenmonats Ramadan die Steuern erlassen habe. "Das war natürlich völliger Quatsch", stellt Streiter klar. Im arabischen Raum habe die Falschmeldung aber die Runde gemacht, und es habe einige Zeit gedauert, sie wieder "einzufangen" und den Sachverhalt richtigzustellen.
Wer mit Regierungsvertretern spricht, wird bei der Frage nach konkreten Fällen auch auf eine angebliche "Fake-News-Attacke" gegen die Bundeswehr in Litauen hingewiesen. Schaut man genauer hin, erweist sich aber, dass diese Geschichte auf einer erstaunlich dünnen Faktenlage beruht. Sie geht auf einen Artikel bei "Spiegel Online" zurück, der im Februar 2017 in den ersten Tagen der Stationierung von Bundeswehrsoldaten in Litauen meldete: "Russland attackiert Bundeswehr mit Fake-News-Kampagne", als seien die Soldaten ins Visier einer gezielten Desinformationskampagne der Moskauer Führung geraten. Wenig später korrigierte die Redaktion die Schlagzeile, nun hieß es nur noch: "Nato vermutet Russland hinter Fake-News-Kampagne gegen Bundeswehr." Die einzige Quelle für den Verdacht gegen Moskau war jedoch ein anonymer Informant, über den der Autor des Artikels schrieb: "Ein Nato-Diplomat sprach von einer erneuten Provokation der Russen, die gegen die temporäre Stationierung von Truppen an der Ostgrenze des Militärbündnisses protestieren. Bei der Allianz sieht man solche Attacken als erste Stufe der sogenannten hybriden Kriegführung durch die Russen."
Nach Einschätzung des Leipziger Medienwissenschaftlers Uwe Krüger entspricht dies immer häufiger einer gängigen Praxis, bei der sich Journalisten von der Empirie und der Notwendigkeit von Belegen verabschiedeten. "Etablierte Medien werfen alternativen Medien oft vor, dass sie Verschwörungstheorien verbreiten, und ihnen wird gerne unterstellt, dass sie komplexe Sachverhalte zu stark vereinfachen", sagt Krüger. "Beim Thema Russland wird aber auch in etablierten Medien gerne auf die Empirie verzichtet und eine regelrechte Verdachtsberichterstattung betrieben." Auch wenn sich keine Belege finden ließen, hielten Journalisten gerne an ihren Thesen fest.
Tatsächlich ist vor allem seit dem Wahlsieg Donald Trumps eine Fülle von Beiträgen erschienen, in denen mit einer gewissen Sensationslust das Bild einer wachsenden Bedrohung Deutschlands durch russische Propaganda gezeichnet wurde. So erschien ebenfalls im Februar 2017 in der Wochenzeitung "Die Zeit" im Rahmen einer ganzen Artikelserie der Text eines Autorenteams, das behauptete, es gebe bereits einen erbitterten Kampf um die Bundestagswahl. In dem Text mit dem dramatisierenden Titel "Krieg ohne Blut" heißt es: "Längst gibt es Hinweise darauf, dass Russland versuchen wird, in den deutschen Wahlkampf einzugreifen. So steht es in einem Bericht, den BND und Verfassungsschutz für das Kanzleramt erstellt haben. Das Ziel des Kreml ist es demnach nicht, einer bestimmten Partei zum Sieg zu verhelfen. Es geht darum, das Vertrauen der Bürger zu erschüttern: in die Sicherheit des Landes, in die Stabilität des täglichen Lebens, in die Integrität von Personen und Institutionen. Ein alles zersetzender Verdacht soll sich ausbreiten, die Demokratie schwächen – und jene stärken, deren politisches Geschäft die Angst ist. Ein destabilisiertes Deutschland in einer zerstrittenen Europäischen Union wäre schwach gegenüber Russland."
Eine Veröffentlichung des erwähnten Geheimdienstberichts durch das Kanzleramt hätte vielleicht Licht ins Dunkel bringen können. Aber das 50-seitige Dokument bleibt unter Verschluss und wurde nur von wenigen Eingeweihten gelesen, weshalb Fragen bleiben. Einige Medien, darunter die "Süddeutsche Zeitung", berichteten, dass die deutschen Geheimdienste Regierungskreisen zufolge keine "Smoking Gun", also keine eindeutigen Beweise für eine russische Desinformationskampagne gegen die Bundesregierung, gefunden hätten. Das Kanzleramt habe angeordnet, den Sachverhalt weiter zu untersuchen, denn der Bericht der Geheimdienste sei auch nicht als Freispruch zu werten. "Er analysiert den seit 2014 ‚konfrontativen Kurs‘ Russlands gegenüber Deutschland und nennt die Berichterstattung russischer Medien und deren deutsche Ableger wie etwa RT Deutsch oder Sputnik News regelrecht ‚feindselig‘." Es sei aber schwierig, die Grenze zwischen überzogener und falscher Berichterstattung und Desinformation zu ziehen.
Übertriebene Aufregung?
Russlandexperte Meister warnt davor, den Einfluss Moskaus auf die deutsche Politik zu überschätzen. "Da wird russischen Organen leicht eine Stärke zugeschrieben, die sie nicht haben", meint er. Die Angst vor Russland werde von den deutschen Medien zum Teil stark aufgeblasen. Die regelrechte Russlandhysterie wird auch von Akteuren genährt, die offenbar eigene Propagandainteressen verfolgen. So erschien im November 2016 ein Bericht der US-Lobbyorganisation Atlantic Council mit dem Titel "The Kremlin’s Trojan Horses", der zwar mehrere interessante Analysen verschiedener Autoren zu den russischen Netzwerkverbindungen nach Frankreich, Deutschland und Großbritannien enthält, sie aber in einer Weise verpackt, die an der Seriosität des Vorhabens zweifeln lässt.
"Der Atlantic Council verfällt immer wieder in eine Kalte-Kriegs-Rhetorik und fährt auf der Schiene freie Welt gegen russische Geheimdienste", sagt Meister heute über die Organisation, die er für ideologisch getrieben hält. Tatsächlich gehe das Vorgehen des Councils "an der Realität deutsch-russischer Beziehungen völlig vorbei", da es Washington an Verständnis für den eigenen Charakter dieser Beziehungen fehle.
In den vergangenen Jahren organisierte und finanzierte der Atlantic Council in mehreren europäischen Ländern Konferenzen mit dem Schwerpunkt "Russische Propaganda", in Berlin zum Beispiel im Juni 2015 unter dem Dach der Heinrich-Böll-Stiftung.
Auf Distanz zu der "fast schon an Hysterie grenzenden Russlandangst" ging kürzlich selbst der als engagierter Putin-Gegner bekannte frühere Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Jens Siegert. In seinem Blog warnt er unter der Überschrift "Putinhysterie" vor Übertreibungen und setzt sich kritisch mit dem Phänomen der Panikmache in den USA, aber auch in Deutschland auseinander. Dabei weist er auf ein Titelblatt der "Zeit" aus dem Februar 2017 hin, das den Reichstag in einem Fadenkreuz zeigte, versehen mit der übergroßen Schlagzeile "Deutschland im Visier". Darunter hieß es: "Unbekannte Hacker versuchen jeden Tag, Unternehmen, Telefonnetze oder Regierungsapparate lahmzulegen und die Öffentlichkeit aufzuhetzen. Vieles spricht dafür, dass die Täter von Russland aus gesteuert werden."