Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat 2013 den Bericht "Diskriminierung im Bildungsbereich und Arbeitsleben" vorgestellt.
Spricht man aber mit Schülerinnen, Schülern und Eltern über Diskriminierung, so scheint das Thema in der Praxis – trotz all dieser Bemühungen – noch kaum an den Schulen angekommen zu sein. Weiterhin erreichen die ADS sowie andere staatliche und nichtstaatliche Antidiskriminierungsberatungen eine Vielzahl von Beschwerden zu Diskriminierung im Schulleben.
Gesellschaftliche Vielfalt ist Realität in Klassenzimmern: 2014 hatte fast ein Drittel der Kinder und Jugendlichen im Alter bis 20 Jahre einen Migrationshintergrund.
Handlung mit Folgen: Auswirkungen von Diskriminierung
Untersuchungen belegen, dass Diskriminierung den Lernerfolg negativ beeinflusst. Dabei sind subtile Diskriminierungen in ihren Auswirkungen mitunter genauso schlimm wie gewalttätige Diskriminierungserfahrungen.
Häufige Konsequenz von Diskriminierungserfahrungen ist der Wechsel der Schule. Für Betroffene ist das oft die einzige Möglichkeit, sich dauerhaft der Diskriminierung zu entziehen, insbesondere wenn es keine ausreichenden Möglichkeiten zur Beschwerde und Intervention gibt. Diskriminierung schadet dabei nicht den Betroffenen allein: Es hat auch Auswirkungen auf das Schulklima, wenn Mitschülerinnen und -schüler erleben, dass Einzelne nicht ausreichend unterstützt und Benachteiligungen geduldet werden.
Zugang und Übergang: Vielfältige Risiken
Wenn wir von Diskriminierungsrisiken in den Schulen sprechen, geht es nicht allein um rassistische, homophobe oder behindertenfeindliche Pöbeleien auf dem Schulhof und im Klassenzimmer, sondern auch um fehlende Chancengleichheit und unzureichende Förderung von Kindern, die nicht der "Norm" entsprechen. Dabei kommt es auch beim Zugang und beim Übergang zur weiterführenden Schule zu Diskriminierung.
Einige Beispiele: Das Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zur Regelschule wird für Kinder ohne Aufenthaltsstatus bisher nicht ausreichend umgesetzt. So fehlt es in vielen Ländern an einer ausdrücklichen Schulpflicht für diese Kinder. Einige haben in ihren Schulgesetzen immerhin ein Schulbesuchsrecht formuliert, in anderen gibt es jedoch bisher weder das eine noch das andere. Hier bedarf es einer rechtlichen Gleichstellung.
Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf profitieren in der Praxis noch nicht mehrheitlich davon, dass Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat und damit einen mit Rechtscharakter ausgestatteten Anspruch auf lebenslange, qualitativ hochwertige inklusive Bildung gewährt (Artikel 24). Obwohl die Eltern es anders wünschen, besuchen 68,6 Prozent dieser Kinder noch immer eine Förderschule.
Kinder mit Migrationshintergrund und geringen Deutschkenntnissen werden, wie verschiedene Studien zeigen, häufig an Förderschulen überwiesen, wo sie vermeintlich besser aufgehoben sind.
Auch der Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule birgt verschiedene Diskriminierungsrisiken. Studien zeigen,
Von Pöbeleien bis zu schlechten Noten: Diskriminierung in der Schule
In der Schule erfahren Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihrer sexuellen Identität, ihrer Religion oder einer Behinderung Würdeverletzungen und Ausgrenzungen. Beispielsweise können Kinder und Jugendliche aus sogenannten Regenbogenfamilien sowie Jugendliche nach einem Coming-Out Mobbing, Beschimpfungen und verletzenden Bemerkungen ausgesetzt sein. Eine Untersuchung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte von 2013 kommt zu dem Ergebnis, dass 68 Prozent aller Befragten in den EU-Mitgliedstaaten häufig oder ständig negative Kommentare oder Verhaltensweisen gegenüber LGBT-Menschen
Schülerinnen und Schüler mit Behinderung werden oft ausgegrenzt oder körperlich angegangen, nötige Unterstützung wird häufig abgelehnt.
Auch Schülerinnen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, berichten von herabwürdigenden Bemerkungen durch Lehrpersonal sowie Mitschülerinnen und Mitschüler. Besonders problematisch sind Fälle, in denen Schulleitungen versuchen, das Tragen des Kopftuchs durch eine Schul- oder Hausordnung zu verbieten. Auch Unterrichtsverweise aufgrund des Tragens eines Kopftuchs sind bekannt.
Die ADS und andere Beratungsstellen haben unterschiedlichste Fälle von rassistischer Diskriminierung an der Schule gesammelt. Dazu zählen nicht nur rassistische Beleidigungen.
Besonders gravierend sind Diskriminierungsrisiken bei der Bewertung von schulischen Leistungen. Sie haben unmittelbare Folgen für den Schulerfolg. Leistungsunterschiede unter den Schülerinnen und Schülern basieren nicht zwangsläufig nur auf Kompetenzdefiziten, sondern können auch auf diskriminierende Entscheidungen zurückzuführen sein. So sind Noten und Leistungstests häufig nicht objektiv und diskriminierungsfrei: Eine empirische Studie zeigt, dass schon der Vorname Einfluss auf die Benotung haben kann. So erhielten Aufgaben, die unter dem Namen Maximilian verfasst wurden, bessere Bewertungen als die gleichen Aufgaben unter dem Namen Kevin.
Schutzlücken und Flickwerk: Die Rechtslage
Obwohl Deutschland mehrere UN-Konventionen ratifiziert hat, die Diskriminierung verbieten, und auch das Grundgesetz (GG) sowie zum Teil auch die Landesschulgesetze Schutz vor Diskriminierung bieten sollen, sind diese in der Praxis nicht ausreichend ausgestaltet. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kann diese Lücke nicht schließen.
Auf völkerrechtlicher Ebene ist der Schutz vor Diskriminierung in verschiedenen Konventionen enthalten. Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantiert das Recht auf Bildung für jeden Menschen. Im Übereinkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen ist ein Recht auf diskriminierungsfreie Bildung festgeschrieben und Diskriminierung aufgrund rassistischer Zuschreibungen "(…) oder der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Überzeugung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der wirtschaftlichen Verhältnisse oder der Geburt" verboten. Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) hält fest, dass Kinder vor "schlechter Behandlung" geschützt werden müssen, was auch Diskriminierung in der Schule betrifft. Artikel 29 der KRK legt darüber hinaus das Leben in einer toleranten, gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Gesellschaft als Bildungsziel fest.
Auf nationaler Ebene schützt der Grundsatz der Gleichbehandlung in Artikel 3 GG Schülerinnen und Schüler vor Diskriminierung durch die Schulorganisation und deren Vertreterinnen und Vertreter. Zugleich kommt dem Staat die Pflicht zu, Kinder vor Diskriminierungen durch ihre Mitschülerinnen und Mitschüler zu schützen. Aber: Schulen sind zwar als Teil der öffentlichen Gewalt an das Grundgesetz gebunden, die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen in Schulangelegenheiten stehen jedoch den Ländern zu. Entscheidend sind daher vor allem die Landesverfassungen sowie die Schulgesetze der Länder.
Der Umgang mit dem Thema Diskriminierung in den Landesverfassungen und Schulgesetzen ist durchweg uneinheitlich. Insbesondere die Ausführungen zur Diskriminierung reichen von abstrakten bis hin zu ausdifferenzierten, detailreichen Regelungen. Zwar findet sich in fast allen Landesverfassungen ein Recht auf Bildung. Der Anspruch auf gleichen Zugang zum öffentlichen Bildungswesen ist jedoch selten weiter ausgeführt und greift meist nur die Herkunft beziehungsweise die gesellschaftliche Stellung der Eltern und deren wirtschaftliche oder soziale Lage auf. In der Gesamtschau ergibt sich ein vielfach divergierender und unklarer Schutz für Schülerinnen und Schüler vor Diskriminierung – selbst in den Ländern, deren Schulgesetze Regelungen gegen Diskriminierung enthalten.
Nur wenige Landesschulgesetze enthalten überhaupt ein explizites Diskriminierungsverbot beziehungsweise antidiskriminierungsrechtliche Fördergebote. So formuliert beispielsweise das Berliner Schulgesetz in Paragraf 2 Absatz 1: "Jeder junge Mensch hat ein Recht auf zukunftsfähige schulische Bildung und Erziehung ungeachtet seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Herkunft, einer Behinderung, seiner religiösen oder politischen Anschauungen, seiner sexuellen Identität und der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung seiner Erziehungsberechtigten."
Wie diese Vorschriften praktisch an der Schule umgesetzt werden können, bleibt vage, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeiten, gegen Diskriminierung rechtlich vorzugehen. Damit steht Berlin nicht allein: Beschwerderechte sowie Angaben zur Ausgestaltung der Beschwerdeverfahren finden sich in den meisten Schulgesetzen (mit Ausnahme von Thüringen und Bayern) nicht. In der Praxis beschränken sich die Möglichkeiten, gegen Diskriminierung vorzugehen, meist auf reaktive Maßnahmen, etwa die Erhebung einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage vor den Verwaltungsgerichten. Häufig bleibt nur die Möglichkeit einer formlosen Beschwerde, um gegen das Verhalten von Lehrkräften im Unterricht vorzugehen.
Auch das AGG kann hier keine wirksame Abhilfe schaffen. Zwar sind gemäß Paragraf 2 Absatz 1 Nr. 7 AGG Benachteiligungen auch im Bildungsbereich unzulässig. Da das AGG jedoch ein Bundesgesetz, die Bildungspolitik aber Ländersache ist, greift es nur bedingt in die Kompetenzen der Länder ein. Das AGG regelt den arbeits- und beamtenrechtlichen Diskriminierungsschutz und schützt so Lehrkräfte und andere Beschäftigte vor Diskriminierung in der Schule. So ist zwar eine Lehrerin geschützt, die von der Schulleitung rassistisch beleidigt wird, nicht aber eine Schülerin, die rassistisches Mobbing durch eine Mitschülerin erfährt. Des Weiteren schützt das AGG den privaten, nicht aber den in öffentlicher Hand liegenden Bildungsbereich (wie Volkshochschulen, Sprachschulen, Nachhilfeeinrichtungen).
Klare Regeln, stärkerer Schutz: Forderungen
Was folgt hieraus aus Sicht der ADS? Der Diskriminierungsschutz in den Schulgesetzen muss präzisiert und ausgebaut werden. Auch die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften sollte reformiert und insgesamt die Schulentwicklung stärker auf Antidiskriminierung und Chancengerechtigkeit ausgerichtet werden. Dafür brauchen die Schulen ausreichende finanzielle Mittel. Mit einer Umschichtung ist es nicht getan, da auch die Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention zur schulischen Inklusion verwirklicht werden müssen.
Soweit nicht vorhanden, sollten Schulgesetze Diskriminierungsverbote explizit formulieren. Dabei sollte auch über eine Aufnahme des Merkmals "soziale Herkunft" nachgedacht werden, die einige Bundesländer bereits umgesetzt haben. Daneben sollten auch positive Maßnahmen etwa zur Prävention in die Schulgesetze aufgenommen werden. Grundsätzlich muss rechtlich sichergestellt werden, dass ausnahmslos alle Kinder einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung erhalten. In den Landesgesetzen könnten auch Regelungen zu Beschwerderechten und -verfahren verankert werden. Regelungen für Unterrichtsmaterialien müssten zudem sicherstellen, dass neu zugelassene Schulbücher und Lernmaterialien keine diskriminierenden Inhalte verbreiten. Um angemessen auf Diskriminierungen zu reagieren, sollten Schulen ein Antidiskriminierungskonzept erarbeiten. Nur wenn die Thematik ernst genommen wird, kann Diskriminierung an Schulen wirksam bekämpft werden.
Schließlich gibt es Diskriminierungsfälle, bei denen Schulen nicht in der Lage sind, die bestehenden Konflikte zu lösen oder in denen eine schulinterne Lösung nicht sinnvoll ist. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn Schülerinnen, Schüler oder Eltern kein Vertrauen in die schulischen Akteure haben oder wenn es um Diskriminierungen bei Übergang und Zugang geht. Für diese Fälle ist es notwendig, unabhängige, externe Beschwerdestellen einzurichten.
Das sind nur einige wenige, aber dennoch bedeutsame Schritte, um gegen Diskriminierung in der Schule vorzugehen. Selbstverständlich ist das Problem damit nicht aufgehoben oder auch nur ein Ende in Sicht. Entscheidend ist aber, dass alle Akteure im Schulbereich, Gesetzgeber, Politik und Zivilgesellschaft Diskriminierung als Tatsache anerkennen und willens sind, sich gegen Benachteiligungen einzusetzen. So wäre der wichtigste Schritt getan, damit der Wunsch nach einer Schule ohne Diskriminierung irgendwann Wirklichkeit wird.