Medien schaffen und vermitteln ein Bild von der Welt. Wie zutreffend dieses Bild ist, gehört zu den zentralen Fragen der Kommunikations- und Medienwissenschaften – eine Frage, die grundsätzliche erkenntnistheoretische und philosophische Fragen berührt: Können wir überhaupt "die" Realität erkennen? Gibt es möglicherweise so viele Realitäten wie Individuen? Im Prozess der Wahrnehmung spielt der Rückgriff auf bereits vorhandene kognitive Schemata eine entscheidende Rolle. Der US-amerikanische Publizist Walter Lippmann nannte diese Denkmuster in Anlehnung an die Druckersprache Stereotype. Auch sprach er von "Bildern in unseren Köpfen",
Doch woher stammen Stereotype? Wenn sie nicht durch unmittelbare Kontakte, also durch Primärerfahrung entstehen, dann durch sogenannte Sekundärerfahrung, das heißt durch das, was andere berichten, durch Erfahrungen aus zweiter (dritter, vierter) Hand. Hier kommt der für die Sozialwissenschaften entscheidende Begriff der "Sozialisation" ins Spiel. Er bezeichnet den Prozess der Sozialwerdung von Individuen mittels (Kennen-)Lernen der Normen und Werte der umgebenden sozialen Gruppen und Institutionen. Als sekundäre Sozialisationsagenten nehmen auch Medien Einfluss auf die Entwicklung. Sie übermitteln Vorstellungen von der Welt und sind an der Tradierung von Stereotypen über Generationen hinweg beteiligt.
Obwohl die Rede von Medien als Sozialisationsinstanzen inzwischen üblich ist, fehlt es an integrativen Ansätzen, die die Dynamiken zwischen Medien, Individuum und Gesellschaft treffend beschreiben.
Medien, genauer: Journalistinnen, Journalisten und Werbetreibende, setzen bewusst und unbewusst auf Stereotype. Wenn sie Medieninhalte produzieren, greifen sie auf die "Bilder in ihren Köpfen" zurück. Diese Kognitionen werden materialisiert, in grafische und optische Bilder transferiert und mittels Sprache und sprachlichen Bildern medial vermittelt. Als rezipierte Medienbilder knüpfen sie dann wieder an bereits vorhandene Bilder in unseren Köpfen an. So versorgen uns Journalismus und Werbung mit Hinweisen auf gesellschaftliche Normen, beispielsweise Geschlechternormen, also wie sich "Männer" und wie sich "Frauen" zu verhalten haben, wenn sie denn als solche wahrgenommen werden wollen.
Im vorliegenden Beitrag werden nach einer Definition von Stereotyp verschiedene Arten von Stereotypen vorgestellt und nach Verschränkungen sozialer Kategorien – Stichwort "Intersektionalität" – und mit ihnen verbundener Stereotype gefragt. Von Interesse ist zudem, welche positiven und negativen Funktionen Stereotype für den Einzelnen und für soziale Gruppen erfüllen. Diese Funktionalität beziehungsweise Dysfunktionalität lässt sich am Beispiel von Geschlechterstereotypen in den Medien verdeutlichen.
Definitionen von Stereotyp
Definitionen von Stereotyp sind zahlreich und unterscheiden sich in ihren Akzentuierungen. Spricht Lippmann 1922 noch recht allgemein von "Bildern in unseren Köpfen", setzt sich in den folgenden Jahrzehnten eine Definition von Stereotyp durch, die vor allem die Fehlerhaftigkeit und Realitätsinadäquanz stereotyper Wahrnehmungen betont. Doch zugleich wird darüber gestritten, ob Stereotype nicht ein Körnchen Wahrheit enthalten. Diese Kernel-of-truth-Debatte ist anhaltend und lässt sich sozialkonstruktivistisch im Sinne des sogenannten Thomas-Theorems
Stereotype beruhen auf Kategorisierung und Attribuierung. Kategorisierung als Einteilung von Menschen oder auch Objekten in (soziale) Gruppen, Typen oder Klassen ist ein mit der Stereotypisierung einhergehender, zunächst kognitiver Prozess. Diese kognitive Dimension wird bei Stereotypdefinitionen hervorgehoben. Beim Vorurteil kommt noch eine affektive Dimension hinzu, um die stärkere "Gefühlsgeladenheit" von Vorurteilen zu betonen. Diskriminierung schließlich weist neben der kognitiven und affektiven Dimension eine konative auf, was bedeutet, dass Einstellungen und Gefühlen gegenüber Angehörigen einer sozialen Gruppe Handlungen folgen – möglicherweise diskriminierende.
Daneben verweisen Definitionen von Stereotyp darauf, dass es sowohl positive als auch negative Stereotype gibt, genauer: Zuschreibungen positiver und negativer Eigenschaften, und dass Stereotype relativ änderungsresistent sind. Änderungsresistent bedeutet aber nicht, dass ein Stereotypenwandel ausgeschlossen ist. Und in der Tat finden wir Beispiele für sich im Laufe der Geschichte verändernde Stereotype.
Wer aber stereotypisiert, wer sind die Stereotypisierten? Warum und von wem werden welche Stereotype in Bezug auf wen oder was gebildet und verwendet? Wie denkt und spricht man über sich selbst und Angehörige der eigenen Gruppe, wie über andere? Was, glaubt man, erwarten die anderen von einem als Repräsentantin und Repräsentant einer bestimmten Gruppe? Um diese unterschiedlichen Bezugnahmen zu kennzeichnen, werden die Begriffe "Autostereotyp" oder "Selbstbild", "Heterostereotyp" oder "Fremdbild" und "Metastereotyp" verwendet. Dabei gibt das Heterostereotyp immer auch Auskunft über das Autostereotyp, denn wenn "die anderen" so und also "anders" sind, ergibt sich daraus, wie "wir" sind. "Wenn z.B. in Deutschland bei Franzosen oft das Leichte, Oberflächliche, Unmoralische stereotyp betont wird, dann ist damit gleichzeitig gemeint: ‚Wir Deutsche sind ernsthaft, tiefgehend und moralisch‘ – dies braucht dann nicht mehr gesondert formuliert werden, es versteht sich praktisch von selbst."
Über Mitglieder der Fremdgruppe liegen meist weniger Informationen vor. Heterostereotype weisen daher häufig einen geringeren Grad an Komplexität auf und tendieren ins Negative. Autostereotype hingegen betonen stärker positive Eigenschaften beziehungsweise solche Eigenschaften, die von der eigenen Gruppe als positiv verstanden werden. Die gemeinhin positive Bewertung der Eigengruppe schließt aber eine selbstkritische, gar von Minderwertigkeitsgefühlen und Selbsthass gekennzeichnete Sicht auf die eigene Gruppe nicht aus.
Bestimmt wird das eigene Verhalten auch durch ein vermutetes Auto- und Heterostereotyp: Man denkt, dass die anderen einen so sehen, oder man denkt, dass die anderen denken, man selbst würde sich so sehen. Diese Art von Stereotypen werden als Metastereotype bezeichnet und definiert als "a person’s beliefs regarding the stereotype that outgroup members hold about his or her own group".
Kategorien und Stereotype sind selten eindeutig, häufig versammeln sie Widersprüchliches. Bezüglich Geschlechterstereotypen hat der Psychologe Thomas Eckes darauf hingewiesen, dass die globale Kategorie "Frau" Subkategorien wie "Mädchen", "Hausfrau", "Karrierefrau", "Emanze" oder "Rentnerin" umfasst.
Arten von Stereotypen
Metaanalysen der bisherigen Forschung zu Stereotypen zeigen, dass die meisten Studien Nationen- und Geschlechterstereotype behandeln.
Räumliche Stereotype
sind ortsgebunden. Kleineren (lokal, regional) und größeren (national, supranational) geografisch verortbaren Kollektiven, den Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Orte, Regionen, Länder werden bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. So ist beispielsweise die Rede von der "rheinischen Frohnatur", dem "unterkühlten Briten", der "heißblütigen Italienerin", dem "ordnungsliebenden Deutschen" oder "den Ausländern".
Ethnische/"rassische" Stereotype
sind eng verbunden mit räumlichen Stereotypen und fanden im Zuge der im 19. Jahrhundert aufkommenden biologistischen Deutungen besondere Verbreitung, zum Beispiel werden "die Zigeuner", "die Indianer", "die Schwarzen", "die Weißen" mit wertenden Eigenschaften in Verbindung gebracht.
Religiöse Stereotype
sind ebenfalls aufgrund der geografischen Ausbreitung von Religionen eng verbunden mit nationalen und ethnischen Stereotypen. Hier werden Angehörigen von Religionen, Konfessionen und religiösen Gruppierungen, "Anders"- und Nicht-Gläubigen spezifische Charakteristika und Verhaltensweisen unterstellt.
Geschlechtliche und sexuelle Stereotype
basieren auf dem gesellschaftlich überwiegend akzeptierten Prinzip der Zweigeschlechtlichkeit, der Unterscheidung zwischen männlich und weiblich. Bestimmte äußere Merkmale und Verhaltensweisen gelten demnach als "weiblich" oder "männlich". Eng verbunden mit geschlechtlichen Stereotypen sind Stereotype, die die sexuelle Orientierung betreffen. Homosexualität, sexuelle "Enthaltsamkeit" oder "Zügellosigkeit" erscheinen in einer heteronormativen Gesellschaft als "das Andere" und "das Ungewöhnliche" und werden daher besonders häufig stereotypisiert, bevorzugt in satirischen Texten, Witzen und Karikaturen.
Altersstereotype
formulieren Annahmen über Angehörige einer Altersgruppe oder auch einer Generation, etwa "die Jugend", "die 68er" oder "die Senioren".
Berufliche Stereotype
schließen von der Berufsangabe auf bestimmte Merkmale, Einstellungen und Verhaltensweisen derjenigen, die diesen Beruf ausüben – und umgekehrt: Bestimmte Merkmale, Einstellungen und Verhaltensweisen aktivieren Vermutungen über den von einer Person ausgeübten Beruf. Berufliche Stereotype berühren die Frage nach dem Ansehen von Berufen und Tätigkeiten. Das Ansehen wiederum ist abhängig von einer Vielzahl von Variablen, darunter Verantwortung, Einkommen und Ausbildung.
Ökonomische und Klassenstereotype:
Ausgehend von unterschiedlichen Besitzverhältnissen und Interessenlagen lassen sich gesellschaftliche Klassen und Schichten identifizieren – und die ihnen zugerechneten Personen stereotypisieren.
Körperstereotype
verbinden physische Eigenschaften wie Größe, Gewicht, Behaarung oder Pigmentierung, auch den äußerlich erkennbaren Gesundheitszustand und das Alter mit positiven und negativen Wertungen.
Die Grenzen zwischen den hier aufgeführten spezifischen Stereotypen beziehungsweise Stereotyparten verlaufen nicht eindeutig, und stereotype Zuschreibungen beziehen sich selten auf nur eine Kategorie. Vielmehr kommt es zu Verschränkungen und Interdependenzen, weswegen auch in der Stereotypenforschung intersektionale Ansätze inzwischen mehr Beachtung finden. Zentrale Fragen innerhalb der Intersektionalitätsdebatte sind, ob und wie welche verschiedenen sozialen Kategorien miteinander verbunden sind, wie sich Wechselwirkungen gestalten und wie das Zusammenwirken verschiedener Kategorien zu Hierarchisierungen und sozialer Ungleichheit führt. Ziel intersektionaler Forschung ist, multiple Ungleichheitsstrukturen zu analysieren.
Funktionen von Stereotypen
Bei der Entstehung und Verfestigung sozialer Ungleichheit spielen medial vermittelte Stereotype eine entscheidende Rolle. Damit ist eine eher negative Funktion beziehungsweise Dysfunktion von Stereotypen, nämlich Ausgrenzung und Exklusion, angesprochen. Doch auch auf positive Funktionen, die Stereotype für das Individuum und für Gruppen erfüllen, wird verwiesen. Und es gibt einige wenige Stimmen, die grundsätzlich den Funktionalismus in der Stereotypenforschung kritisieren.
Am Beispiel von medial konstruierten und vermittelten Geschlechterstereotypen wird im Folgenden verdeutlicht, wer warum auf pauschale Zuschreibungen von Geschlechtereigenschaften setzt.
Geschlechterstereotype in den Medien
Geschlechterstereotype beruhen auf der Kategorisierung nach Geschlecht (zumeist zwei Geschlechtern, nämlich "weiblich" und "männlich") und sexueller Orientierung sowie der wiederholten Zuschreibung von mehr oder weniger positiven Eigenschaften aufgrund der Kategorisierung. Sie sind äußerst stabil, doch stellt sich angesichts tief greifender gesellschaftlicher Wandlungsprozesse die Frage, ob nicht auch und gerade Geschlechterstereotype sich verändern.
Wie Frauen und Männer in den Medien präsentiert werden, ist erst seit einigen Jahrzehnten von wissenschaftlichem Interesse. Bis in die 1970er Jahre dominierten Männer die Medien und die Berichterstattung. Erst im Zuge der Frauenbewegung der 1970er und 1980er Jahre und aufgrund von Medieninhaltsanalysen, die die Unterrepräsentanz und Stereotypisierung von Frauen belegten, kam die Forderung nach quantitativen und qualitativen Veränderungen auf: Frauen sollten erstens häufiger in den Medien vorkommen und zweitens differenzierter dargestellt werden. Um das zu erreichen, schien es sinnvoll, den Anteil der Journalistinnen in den Redaktionen zu erhöhen. Doch stieg dieser nur langsam, und ein Zusammenhang zwischen Journalistinnenanteil und geschlechtergerechter Berichterstattung konnte nur bedingt nachgewiesen werden.
Auch in den folgenden Jahrzehnten und bis heute bestätigen nationale und internationale Studien ein Missverhältnis in der medialen Geschlechterdarstellung, das sich nicht allein durch eine ungleiche gesellschaftliche Aufgaben- und Machtverteilung erklären lässt.
Diese Darstellungen wurden jedoch immer häufiger als stereotyp, unrealistisch und unzeitgemäß kritisiert. Zum Teil als Reaktion auf diese Kritik, mehr noch aber aus wirtschaftlichen Gründen setzten Medienunternehmen auf Angebotserweiterung und Produktdiversifizierung sowie auf die Definition neuer Zielgruppen. Neben "klassischen" Frauenstereotypen wie dem der "Hausfrau", der "Mutter" oder der "Sekretärin" tauchten nun auch Varianten auf, bei denen Geschlecht und sexuelle Orientierung mit Kategorien wie Beruf, Ethnie, Religion, Körper oder Alter verbunden waren, etwa die "Karrierefrau", die "Kampflesbe" oder die "türkische Putzfrau". Und auch "klassische" Männerstereotype wurden erweitert durch den "Softie", den "Metrosexuellen" oder den "neuen Vater", der sich an der Kindererziehung beteiligt.
Die Geschlechterbilder in den Medien haben sich also verändert. Sie sind auf den ersten Blick zahlreicher geworden, auf den zweiten Blick aber nicht unbedingt weniger stereotyp. Denn Präsenz und auch Vielfalt bedeuten nicht automatisch weniger Geschlechterstereotypisierungen und mehr Akzeptanz. Ansonsten müsste, so die feministische Performance-Künstlerin Peggy Phelan, die Macht in den Gesellschaften des hochindustrialisierten Nordens primär in den Händen junger, weißer, halbnackter Frauen liegen. Doch ihre visuelle Allgegenwärtigkeit habe ihnen wohl kaum politische oder ökonomische Macht verliehen.
Obwohl zuweilen traditionelle Geschlechterrollen infrage gestellt werden und gerade in unterhaltenden Formaten oder der Werbung mit Klischees gespielt wird, werden Geschlechterunterschiede weiterhin inszeniert und reproduziert – etwa wenn Medienberichte oder Anzeigen behaupten, dass Männer anderes Shampoo benötigen als Frauen oder dass Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können. Schon Kleinkinder spricht die Werbung gezielt als Jungen oder als Mädchen an, denn gender advertising verspricht höhere Gewinne. So existieren aktuell überwiegend mediale Geschlechterbilder, die Unterschiedlichkeit betonen. Auch eindeutig sexistische Berichterstattung und Werbung sind nicht etwa ein Problem von gestern, wie die Zahl der von Institutionen der Freiwilligen Selbstkontrolle behandelten Fälle zeigt.
Epistemologische Herausforderungen
In den Medien werden vermeintliche Gewissheiten bezüglich Geschlecht eher selten hinterfragt. Umso nötiger ist eine kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung, die nach dem doing gender sowie der medialen Konstruktion von Geschlecht und Geschlechterstereotypen fragt. Der Perspektivwechsel, der mit der theoretischen Orientierung in Richtung (De-)Konstruktion und der Kritik identifizierenden Denkens einhergeht, hat jedoch enorme Konsequenzen für die empirische Forschung, die auf Kategorienbildung und Bipolaritäten beruht: Wie lässt sich beispielsweise Geschlecht erforschen, ohne die dichotome und biologisch hergeleitete Geschlechterdifferenz implizit zu reproduzieren?
Kritische Stereotypenforschung, ob sie nun auf quantitative oder qualitative Methoden setzt, steht vor dem epistemologischen Problem, dass sie das voraussetzen muss und möglicherweise im Forschungsprozess reproduziert, was eigentlich kritisiert, gar dekonstruiert werden soll. Doch geht es nicht nur um die "Tücken einer Kategorie",
Utopisch mag die Hoffnung erscheinen, dass die Infragestellung und (De-)Konstruktion sozialer Kategorien Stereotypisierungen zuwiderläuft. Auch bleibt auszuloten, wie weit (De-)Konstruktion gehen kann, wann, in welchen politischen Kontexten, ein "strategischer Essentialismus" und damit ein Rückgriff auf "die üblichen" Kategorien angebracht ist. Trotzdem spricht vieles für den Versuch des antikategorialen Denkens, um Stereotype und Diskriminierung zu vermeiden.