Versklavung ist seit jeher eine Facette der conditio humana. Der modernen Sklaverei fehlt jedoch etwas, was häufig als fundamentales Element der Sklaverei schlechthin galt: die Eigentümerschaft (ownership). Um zu verstehen, weshalb und wie Sklaverei heute fortbesteht, lohnt es sich, die internationalen Bemühungen zu ihrer Bekämpfung in den Blick zu nehmen und dabei zu beachten, dass der Schwerpunkt sehr lange auf der rechtlichen Abschaffung lag. Heute ist die Herausforderung eine andere, da Sklaverei zwar gesetzlich verboten ist, faktisch aber immer noch existiert. Wie kann das sein? Betrachten wir die Folter: Wenige würden argumentieren, dass sie aufgrund des rechtlichen Verbots tatsächlich nicht mehr existiere. In ähnlicher Weise sollten wir begreifen, dass Sklaverei weiterbesteht, trotz ihrer weltweiten rechtlichen Ächtung.
Sklaverei war zunächst ein Nebenprodukt von Kriegen: Statt Kriegsgefangene hinzurichten, ermöglichte das römische Recht deren Versklavung. Über weite Teile der Geschichte war Sklaverei ihrem Wesen nach auf den Besitz von Haus- oder Feldsklaven beschränkt, deren Zahl selten ein paar Dutzend überschritt. Dies änderte sich mit der europäischen Eroberung der "Neuen Welt" und der Industrialisierung der Sklaverei durch das Plantagensystem in den Amerikas. Mit wachsender Bedeutung dieses Systems und auf der Grundlage des atlantischen Handels mit Afrikanern wurde Sklaverei nun rasch rassifiziert. Es wird geschätzt, dass zwischen 1501 und 1866 etwa 12,5 Millionen Menschen aus Afrika verbracht wurden; knapp 2 Millionen starben auf See auf der "mittleren Passage", die übrigen erreichten die westliche Hemisphäre.
Rechtliche Abschaffung
Unbehagen über die Sklaverei kam zum ersten Mal im 18. Jahrhundert auf; dieses sollte bald zahlreiche europäische Intellektuelle ergreifen, angeführt von Charles-Louis de Montesquieu. Dennoch dauerte es bis zum Wiener Kongress 1815, bis die europäischen Großmächte ihren "Wunsch" erklärten, "der Geißel ein Ende zu bereiten, die über so lange Zeit hinweg Afrika ins Unglück gestürzt, das Ansehen Europas beschädigt und die ganze Menschheit belastet hat".
Nach der erfolgreichen Bekämpfung des Handels mit Sklaven wandten sich die Abolitionisten der Sklaverei selbst zu und erreichten 1926 im Völkerbund das sogenannte Übereinkommen über die Sklaverei. Diese Konvention war aus zweierlei Gründen bemerkenswert: Erstens, weil die Sklaverei nicht vollständig, sondern nur halb abgeschafft wurde, denn die Mitgliedsstaaten einigten sich lediglich darauf, "in zunehmendem Maße und sobald als möglich auf die vollständige Abschaffung der Sklaverei in allen ihren Formen hinzuarbeiten" (Art. 2). Zweitens: Da dieses Vertragswerk in der Blütezeit des europäischen Kolonialismus abgefasst wurde, erkannte es das Recht an, in den Kolonien Zwangsarbeit einzusetzen, versuchte jedoch zu gewährleisten, "durch zweckmäßige Maßnahmen zu verhüten, dass die Zwangsarbeit oder Arbeitspflicht der Sklaverei ähnliche Verhältnisse herbeiführt" (Art. 5). Sklaverei an sich wurde dabei wie folgt definiert: "Sklaverei ist der Zustand oder die Stellung einer Person, an der die mit dem Eigentumsrechte verbundenen Befugnisse oder einzelne davon ausgeübt werden."
Verlorene Jahre
Ab den 1930er Jahren verloren die internationalen Bemühungen zur Abschaffung der Sklaverei und anderer Formen der Ausbeutung ihre Zielstrebigkeit. Nachdem der Kampf um die Abschaffung der Sklaverei – oder besser: der Kampf um die Aufhebung von Gesetzen, die Sklaverei erlaubten – gewonnen war, zeichnete sich der beunruhigende Trend ab, diverse gesellschaftliche Missstände als "Sklaverei" zu bezeichnen, um die öffentliche Meinung zu mobilisieren.
Den Beginn dieses Trends markiert der Bericht einer internationalen Kommission von 1930, die untersuchen sollte, ob es auf den Gummiplantagen Liberias Sklaverei gab. Nachdem sie keine gefunden hatte, zeigte sich die Kommission "davon überzeugt, dass die ‚Definition‘ von Sklaverei nicht so wichtig" sei und wollte "die Fakten sowohl für sich selbst sprechen als auch sich selbst einordnen" lassen.
Bis ins Jahr 2000 wurde das Wort "Sklaverei" selbst von den Vereinten Nationen nicht entsprechend der rechtlichen Definition verwendet, sondern eher als Typologie, die "verschiedene Formen der Sklaverei" umfasst: Knechtschaft (serfdom), Zwangsarbeit (forced labour), Schuldknechtschaft (debt bondage), Ausbeutung von Arbeitsmigranten (exploitation of migrant workers), Menschenhandel (trafficking), Prostitution (prostitution), Zwangsheirat und Verkauf von Bräuten (forced marriage and the sale of wives) sowie Kinderarbeit und Leibeigenschaft von Kindern (child labour and child servitude).
All dies führte dazu, dass der Rechtsbereich, der mit Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit zu tun hatte, bis zum Ende des 20. Jahrhunderts funktionsunfähig geworden war. Jenseits der Rhetorik existierte Sklaverei gewissermaßen nicht mehr. Dennoch fanden genau diese Begriffe – Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit – in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Eingang in Menschenrechtsabkommen, sowohl auf UN-Ebene als auch in den afrikanischen, europäischen und interamerikanischen regionalen Menschenrechtssystemen. Wie nicht anders zu erwarten war, wurden diese Begriffe zwar formal im Recht verankert, jedoch als nicht anwendbar erachtet.
Renaissance
Den mit Blick auf die Sklavereibekämpfung verlorenen Jahren des 20. Jahrhunderts folgte eine Renaissance im 21. Jahrhundert. Einer der Haupttreiber hierfür war die erneute Schwerpunktsetzung auf Menschenhandel, der durch die massenweise Prostitution osteuropäischer Frauen nach dem Ende des Kalten Krieges verstärkt ins öffentliche Blickfeld trat. Die internationale Antwort auf diese Schattenseite der europäischen Integration war das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (Palermo-Konvention) im Jahr 2000. Eines der drei Zusatzprotokolle widmete sich explizit dem Menschenhandel; kriminelle Banden, die sich daran beteiligten, sollten demnach zerschlagen werden. Der Europarat zeigte sich jedoch unzufrieden über den mangelnden Menschenrechtsschutz für die Opfer und entwickelte 2005 zusätzlich eine eigene Konvention gegen Menschenhandel.
Die Fähigkeit der USA, in humanitären Angelegenheiten Stärke zu zeigen, verlieh dieser Renaissance zusätzliche Schubkraft: So etablierten die Vereinigten Staaten zum Beispiel den sogenannten TIP-Report (TIP steht für Trafficking in Persons), in dem die Bemühungen verschiedener Länder gegen den Menschenhandel bewertet werden. Länder, die schlecht abschneiden, können seitens der USA auf keinerlei Unterstützung bei der Beantragung von Hilfsgeldern hoffen – sei es bilateral, über die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds. Zugleich entwickelte sich weltweit ein stärkeres öffentliches Bewusstsein für die dunkle Seite der Globalisierung – die eben darin besteht, dass zahlreiche Menschen ausgebeutet werden: durch Zwangsarbeit, Menschenhandel und sogar Versklavung.
Im Ergebnis gab es nun zwar wieder eine Bewegung, die sich für das Ende von Menschenhandel, Sklaverei und anderer Formen von Ausbeutung einsetzte, aber der Rechtsrahmen, mit dem sie auskommen musste, war unbrauchbar. Dennoch gelang es Antisklaverei-Aktivisten wie Kevin Bales, die einen Großteil der Zuarbeit leisteten, Fälle von Sklaverei ausfindig und öffentlich bekannt zu machen. Während Organisationen wie Anti-Slavery International dafür sorgten, dass die abolitionistische Agenda im öffentlichen Bewusstsein blieb, herrschte doch ein Mangel an gemeinsamem Verständnis darüber, worüber man überhaupt sprach – oder sogar darüber, ob man nach ihrer rechtlichen Abschaffung überhaupt noch von "Sklaverei" sprechen sollte.
Die Verwirrung trat am deutlichsten zutage, als einerseits der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien 2001 zur Vergewaltigung gefangener Frauen erklärte, dass die Sklavereidefinition von 1926 anwendbar sei (Foca-Prozess), während andererseits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2005 feststellte, dass sie nur dann anzuwenden sei, wenn eine Person eine andere rechtlich besitze.
Es war weniger die rechtliche Definition an sich, die infrage gestellt wurde, als vielmehr ihre Anwendung. Der Konsens, der sich im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelt hatte, war somit ganz im Einklang mit dem EGMR: nämlich dass sich die Definition von 1926 ausschließlich auf ein längst vergangenes Phänomen beziehe, Sklaverei demnach also gar nicht mehr existiere. Archivrecherchen und juristische Analysen während des zurückliegenden Jahrzehnts haben jedoch erwiesen, dass die Definition von 1926 faktisch und rechtlich auf Fälle moderner Sklaverei anwendbar ist. Das bedeutet: Auch dann, wenn man rechtlich gesehen keine Eigentumsbefugnisse über eine andere Person hat, diese aber in einem Zustand der Sklaverei hält, macht dies de facto "Eigentum" aus und erfüllt die Kriterien für das Verbrechen, wie es 1926 definiert wurde.
Die daraus entwickelte Interpretation mündete schließlich in die Bellagio-Harvard Guidelines on the Legal Parameters of Slavery von 2012.
Wenden wir uns nun also noch einmal genauer der Definition aus dem Sklavereiübereinkommen von 1926 zu, wohlwissend, dass es sich dabei um keine besonders eloquente Beschreibung handelt: "Sklaverei ist der Zustand oder die Stellung einer Person, an der die mit dem Eigentumsrechte verbundenen Befugnisse oder einzelne davon ausgeübt werden." Das Wort "Eigentum" sticht heraus; tatsächlich ist die Definition aber subtiler. Zunächst muss zwischen Status (status) und Zustand (condition) unterschieden werden. Status bezieht sich auf einen rechtlichen Status: "verheiratet", "arbeitslos" und so weiter. Condition ist dagegen ein physischer Daseinszustand. Für die weitere Analyse können wir also festhalten, dass die Definition sowohl für Rechtsfälle (de jure) als auch für tatsächliche Fälle (de facto) nutzbar ist. Zudem wird in der Definition keine Ausübung eines "Eigentumsrechts" erwähnt, sondern "die mit dem Eigentumsrechte verbundenen Befugnisse". Im Ergebnis sprechen wir also nicht darüber, dass ein Mensch einen anderen rechtlich zu seinem Eigentum zählt, sondern dass ein Mensch über einen anderen Menschen Befugnisse ausübt, als wäre dieser sein Eigentum. Ownership ohne ownership – wie kann das sein?
Nehmen wir zur Veranschaulichung das Beispiel illegaler Drogen: Man kann nicht rechtmäßiger "Eigentümer" eines Kilogramms Heroins sein. In der Praxis bedeutet dies, dass zwei Dealer im Streit darüber, wer "Eigentümer" des Heroins ist, keinen Richter anrufen können, um die Auseinandersetzung vor Gericht beizulegen. Wenn zur Klärung dieser Frage tatsächlich ein Richter konsultiert würde, müsste er sagen, dass Eigentum im Sinne von ownership eine rechtliche Unmöglichkeit ist, und stattdessen prüfen, in wessen "Besitz" (possession) das Heroin ist. Im Sachenrecht (property law) geht es beim Besitz um Kontrolle – die entscheidende Frage ist also: Wer kontrolliert das Kilo Heroin? Dieselbe Logik gilt auch mit Blick auf eine Person: Man kann eine Person nicht legal als Eigentum haben, aber wir können fragen: Wer übt über diese Person Kontrolle aus? Für Sklaverei genügt es jedoch nicht, lediglich Kontrolle über eine Person auszuüben; diese Kontrolle muss überwältigend, dem Besitz gleichbedeutend sein.
Tag für Tag üben Menschen Kontrolle über andere Menschen aus, aber zu behaupten, dass dies auf Sklaverei hinausläuft, wäre unbedacht. Nehmen wir ein Beschäftigungsverhältnis: Ein Manager mag einen Angestellten kontrollieren, indem er verlangt, dass er sich über einen bestimmten Zeitraum hinweg an einem bestimmten Ort aufhält, beispielsweise für eine Achtstundenschicht an einem bestimmten Schreibtisch. Doch dabei handelt es sich kaum um Sklaverei. Sklaverei erfordert viel mehr, nämlich dass die Kontrolle Besitz gleichkommt. Im Sachenrecht bedeutet Besitz als Grundlage des Eigentums Herrschaft über eine Sache. Dabei wird der Eigentümer zum einzigen, der bestimmt, wie ein Gegenstand benutzt wird: Wird er ge- oder verkauft, wird er benutzt oder gemanagt, wird daraus Profit erwirtschaftet, oder wird er gar zerstört? Dies sind die Befugnisse, die eine Person über einen Gegenstand in ihrem Eigentum hat. Es handelt sich ebenso um die Befugnisse im Zusammenhang mit dem Eigentumsrecht in Fällen von Sklaverei.
Wenn wir moderne Sklaverei verstehen wollen, müssen wir uns dieses "Arbeitsverhältnis" ähnlich vorstellen wie im Fall der illegalen Drogen: Genauso, wie man kein Kilo Heroin als "Eigentum" haben kann, kann man auch keinen anderen Menschen als "Eigentum" haben. In beiden Fällen jedoch gilt: Wenn festgestellt wird, dass Kontrolle besteht, die Besitz entspricht, dann handelt es sich um ein Verbrechen, da es sich de facto um Eigentum handelt.
Ein weiteres Beispiel ist der Fußballprofi, der an einen anderen Klub "verkauft" wird. Wenige würden dies ernsthaft für Sklaverei halten. Es ist genau wie beim Angestellten, der sich für einen bestimmten Zeitraum an einem bestimmten Ort aufhalten soll: Um als Sklave zu gelten, fehlt auch beim Bundesligaspieler das Element, das nichts weniger als die Grundlage des Sachenrechts bildet – Besitz. In unserem Fall ist Besitz gleichbedeutend mit Kontrolle. Um die Schwelle der Sklaverei zu erreichen, muss diese Kontrolle überwältigend sein, sie muss dem Individuum die Handlungsfähigkeit nehmen, sie muss sich durch wesentlichen Entzug persönlicher Freiheit manifestieren. Wie findet dies statt? Hauptsächlich durch Gewalt. In die Sklaverei gezwungen zu werden, bedeutet genau dies: den Verlust der Kontrolle über sich selbst, über den eigenen Körper – für Frauen bedeutet Versklavung oftmals auch Vergewaltigung.
Somit gibt es jetzt eine klare Vorstellung davon, was moderne Sklaverei ausmacht – eine Vorstellung, die auf der zuerst im Übereinkommen über die Sklaverei von 1926 niedergelegten Definition fußt. Dies scheint der Schlüssel zu sein, der die Möglichkeit eröffnet, moderne Sklaverei zu bekämpfen, sie messen und Einzelfälle durch Strafverfolgung anpacken zu können. Wichtig ist dabei vor allem auch der Blick auf ihre Ursachen, die unfairen Arbeitsbedingungen, die sich im Zuge der Globalisierung immer weiter ausbreiten.
Die Palermo-Konvention von 2000, die TIP-Reports und die Konvention des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels haben im Laufe der zurückliegenden 15 Jahre zu einer Renaissance der Aktivitäten zur Bekämpfung der modernen Sklaverei geführt. Auf internationaler Ebene lag der Fokus der Aktivitäten gegen den Menschenhandel zunächst auf der Prostitution. Diese Tendenz war auch in vielen Ländern zu beobachten, die eigene, nationale Gesetze gegen den Menschenhandel aufsetzten. Zugleich ist in den vergangenen Jahren das Bewusstsein dafür gewachsen, dass Menschenhandel im selben Maße ein internes Problem ist wie ein grenzüberschreitendes, und dass dieses ebenso sehr mit der Ausbeutung von Arbeitskraft zu tun hat wie mit sexueller Ausbeutung. Darüber hinaus ist jedoch die wichtigste Erkenntnis, dass Menschenhandel ein Prozess ist, bei dem Menschen in moderne Sklaverei gebracht werden. Sie gehört daher zu der Kategorie an Praktiken, gegen die unbedingt vorzugehen ist.
Fazit
Für viel zu lange Zeit ist Sklaverei mit einer Vorstellung von Eigentum verknüpft gewesen, sodass wir unfähig waren, darüber hinaus zu blicken und den Kern des "Arbeitsverhältnisses" wahrzunehmen – nämlich, dass es darum geht, eine andere Person in ihrer Gesamtheit zu kontrollieren. Die Bellagio-Harvard Guidelines von 2012 interpretieren die Definition von 1926 in einer Art und Weise, dass sie sowohl intern konsistent ist mit dem Paradigma des Sachenrechts, innerhalb dessen sie entwickelt wurde, als auch den Kern dessen erfasst, was es heutzutage bedeutet, versklavt zu sein. Im Ergebnis haben wir eine klare Vorstellung davon, was moderne Sklaverei bedeutet – und damit die Möglichkeit, uns einmal mehr für ihre internationale Bekämpfung einzusetzen. Diese Klarheit erlaubt es auch, zu unterscheiden, ob es sich um Sklaverei handelt oder nicht – unabhängig davon, ob wir von Zwangsarbeit, Leibeigenschaft oder Menschenhandel sprechen. Ist die Kontrolle über einen anderen Menschen absolut, ist es Sklaverei.