Spätestens seit der postkolonialen und Post-Development-Kritik
Eurozentrismus als Phänomen
Eurozentrismus kann definiert werden als ein spezifisch europäischer Ethnozentrismus. Ethnozentrismus äußert sich laut dem Politikwissenschaftler und Aktivisten Henning Melber, indem "bewußt oder unbewußt unsere Haltung gegenüber Angehörigen einer anderen Kultur in hohem Maße durch die in unserer eigenen Kultur erlernten Wahrnehmungs-, Wertungs- und Verhaltensmuster (gesteuert wird)".
Eurozentrismus repräsentiert demgegenüber ein verschiedene partikulare Ethnozentrismen transzendierendes, universalistisches Bewertungsmuster, das geprägt ist von den Normen des Industriekapitalismus und der Aufklärung, und historisch mit dem Kolonialismus global wirkungsmächtig geworden ist. Dieses Bewertungsmuster ist geprägt von der Annahme nicht nur der Unterlegenheit, sondern der historischen Rückständigkeit nichteuropäischer Kulturen und der Mission ihrer Zivilisierung, von einer "universellen Theorie der Fremdheit und ihrer notwendigen Aufhebung".
Ausgehend von diesen Überlegungen müssen wir schlussfolgern, dass Eurozentrismus in der Grundstruktur der EZ verankert ist – jedenfalls sofern sie davon ausgeht, dass die Gesellschaften des Nordens "entwickelt" (also die Norm), die des Südens jedoch "weniger entwickelt" (also die defizitäre Abweichung) sind, und Erstere Letztere beim Prozess der "Entwicklung" durch den Transfer von Wissen, Normen, Technologie und Kapital unterstützen. Dies geht nämlich davon aus, dass es im Süden gesellschaftliche Probleme gibt, für die im Norden Problemlösungskompetenz vorhanden ist – nicht aber umgekehrt. Obwohl die Rhetorik einer "Partnerschaft auf Augenhöhe" Einzug in die EZ gehalten hat und Konzepte wie die Dreieckskooperation
Eurozentrismus ist jedoch nur ein problematischer Aspekt von entwicklungspolitischen Beziehungen. Bei näherem Hinsehen müssen drei Ebenen asymmetrischer Beziehungen in der EZ voneinander unterschieden werden: die Expertenhierarchie, die Geberhierarchie und die Normenhierarchie. Die Expertenhierarchie besteht zwischen denjenigen, die über privilegiertes Wissen über die Defizite der Lebensweisen Anderer und deren Verbesserung verfügen – Michael Cowen und Robert Shenton sprechen hier von "Treuhandschaft"
Als praktisches Beispiel für Eurozentrismus in der EZ kann der Bereich der Demokratieförderung angeführt werden. Hier wird – etwa im Rahmen der Kooperation zwischen EU und AKP-Staaten
Same, same but different: Transformation zu anderen EZ-Strukturen?
Theoretische Konzepte, Strukturen und Akteure der EZ haben in den vergangenen zwanzig Jahren umfassende Veränderungen durchlaufen. Im Laufe der 1990er und 2000er Jahre und des Übergangs zu einer polyzentrischen Weltordnung diversifizierte sich das Geberfeld, und viele aufstrebende Mächte aus dem globalen Süden konnten sich erneut (nach den 1960/70er Jahren) als EZ-Akteure positionieren. Neben den etablierten Gebern, die als Mitglieder des Entwicklungsausschusses der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihre EZ-Programme untereinander abstimmen, existiert nun eine Vielzahl von Akteuren mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen, Motivationen und Programmatiken. Heute macht das Finanzvolumen neuer Geber etwa 10 bis 15 Prozent der weltweit gezahlten öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) aus, bei steigender Tendenz.
Die etablierten Akteure problematisierten zunächst diese Geberproliferation. Sie befürchteten eine steigende Unübersichtlichkeit in der EZ, ein erhöhtes Risiko für Verschuldungskrisen durch unkontrollierte Kreditaufnahmen der Entwicklungsländer sowie eine Normenerosion. Insbesondere chinesische EZ-Projekte sahen sich Vorwürfen des Neokolonialismus, Neomerkantilismus und landgrabbing ausgesetzt.
Jenseits dieser Veränderungen auf der Akteursebene haben in den vergangenen 15 Jahren einige entwicklungstheoretische Innovationen stattgefunden, die Kernthemen und Grundsatzdebatten der Entwicklungsforschung neu ausloten. Neue entwicklungstheoretische Ansätze – postkoloniale Perspektiven, Post-Development-Kritik, feministische und sozialökologische Ansätze – fordern ein traditionelles Verständnis von Expertentum, Geber-Empfänger-Beziehungen oder "Entwicklung" als lineares und universales Projekt heraus. So kritisieren Ansätze des Post-Development und der postkolonialen Studien
Welche Auswirkungen haben diese akteursspezifischen und theoretischen Transformationen auf die Entwicklungspraxis? Drei Aspekte liegen nahe: der Blick auf das Geberverhalten neuer Geber (1) und die Ausprägung von Rollendynamiken entlang neuer Kooperationsformen (2) sowie der Umgang mit kritischen Stimmen aus dem Reich heterodoxer Entwicklungstheorien (3).
(1) Sind neue Geber anders – oder wiederholen sich mit ihnen alte, historisch vermeintlich schon überholte EZ-Probleme? Die neuen Geber zeichnen sich in ihrem Rollenverständnis dadurch aus, horizontale Kooperationen anzustreben, wechselseitigen Austausch zu unterstützen, nur auf Anfrage tätig zu werden und ihr Handeln als solidarische Praxis zu verstehen.
Das Beispiel der chinesischen EZ illustriert, wie sich Geberverhalten am Energy-development-Nexus ausprägt, also an dem Punkt, an dem entwicklungspolitische und energiepolitische Maßnahmen zusammentreffen:
Normative Macht wird im Rahmen solcher Kooperationsbeziehungen nicht anvisiert, insofern kann nicht von einer "sinozentrischen" EZ die Rede sein. Problematisch ist aber auf materieller Ebene das Projektdesign in Form von package deals und liefergebundener EZ – klassische Formen der Ausnutzung der Geberhierarchie. Dadurch werden in erster Linie staatseigene Unternehmen gefördert, nicht aber eigenständiges Unternehmertum. Wissenshierarchien bleiben bestehen oder verfestigen sich, und auch wenn die Entwicklungskooperation nicht direkt der Geber-Empfänger-Logik folgt, resultiert dies doch in finanziellen und technologischen Abhängigkeiten.
(2) Die Herausforderung durch neue Geber mündet verstärkt in Einbindungsstrategien, bei denen traditionelle und neue Geber sowie häufig auch private und zivilgesellschaftliche Akteure gemeinsame Kooperationen mit Entwicklungsländern eingehen. Diese sogenannten Dreieckskooperationen gelten aus Sicht der OECD-Geber als chancenreiches, wenngleich in ihren Organisations- und Kommunikationsprozessen deutlich aufwendigeres Modell, um neue Geber zu integrieren und das ihrer Rolle zugeschriebene Erfahrungswissen sowie lokale Expertise und niedrigere Projektkosten zu nutzen.
Deren Selbstzuschreibungen bestehen beispielsweise darin, Expertise hinsichtlich ökonomischer Transformationsprozesse (wie im Falle Südkoreas oder Taiwans),
(3) Heterodoxe Entwicklungstheorien fordern zur Reflexion auf und stellen scheinbar fixe Betrachtungsperspektiven auf den Kopf. Die Diversifizierung entwicklungspolitischer Beziehungen, die Notwendigkeit, mit den neuen (oder gar nicht so neuen) Akteuren der EZ zu kooperieren, aber auch die Gestaltung von Entwicklungspolitik unter den Bedingungen der ökonomischen und ökologischen Vielfachkrise seit 2008 haben Räume eröffnet, um entwicklungstheoretische Kritik und Alternativen breiter zu rezipieren. Dabei gilt es zu fragen, welche Rezeptionsmuster sich identifizieren lassen: Bis wohin reicht die Kritik? Was gilt als integrierbar – und was wird als zu radikal oder zu fundamental abgewiesen? Was bedeutet eine partikuläre, selektive Rezeption für kritische Diskurspositionen – werden diese gestärkt, geschwächt oder gespalten? Diese Fragestellungen lassen sich an dieser Stelle nicht abschließend beantworten, sondern nur exemplarisch betrachten.
Hinsichtlich der Post-Development- und postkolonialen Kritik lässt sich feststellen, dass die Rezeption in der Entwicklungspraxis eher selektiv ausfällt. In diversifizierten und stärker kosmopolitisch konzeptualisierten EZ-Strukturen wie etwa Dreieckskooperationen können eurozentrische Wahrnehmungsmuster überwunden werden. Wenn eine Verständigung mit einer Vielzahl von (Dreiecks-)Partnern erforderlich ist und eine Geberkoordination zwischen ganz unterschiedlichen Gebern gelingen soll, sind harte Universalismen nicht angesagt. Allerdings besteht hier die Gefahr, dass die Argumente und Alternativen einer postkolonialen Kritik in eher funktionalistische Lesarten münden, die den Zielsetzungen eines Diversity-Mainstreaming und interkultureller Kompetenzbildung entsprechen. Damit verknüpft ist dann aber keine tiefergehende Auseinandersetzung etwa mit der Kontinuität von Kolonialität, mit institutionellem Rassismus oder dem empowerment subalterner Schichten.
Ein praktisches und mittlerweile tragisch verlaufenes Beispiel für Möglichkeiten und Grenzen von Post-Development-Ansätzen sind die Auseinandersetzungen um den ecuadorianischen Yasuní-Nationalpark. Es beleuchtet sowohl das Potenzial solcher Kritik als auch die Schwierigkeiten, die dann auftreten, wenn materielle Interessen tangiert sind. Die Idee der Yasuní-ITT-Initiative, die in der Yasuní-Region schlummernden Ölressourcen im Boden zu lassen, um CO2-Emissionen zu vermeiden und die Rechte der indigenen Bevölkerung zu respektieren, stieß zunächst auf das Interesse von EZ-Akteuren – auch des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter der damaligen Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Unter anderem sagten Deutschland, Italien, Australien und Peru finanzielle Kompensationen zu, allerdings betrug die Gesamtsumme nur ein Zehntel der erforderlichen 3,6 Milliarden US-Dollar für einen Ausgleichsfonds. Unter Wieczorek-Zeuls Nachfolger Dirk Niebel wurde die Zusage Deutschlands wieder zurückgezogen, da die Schaffung eines Präzedenzfalles befürchtet wurde. Zudem erschienen der Bundesregierung die marktbasierten Waldschutzprogramme im Rahmen des REDD+-Mechanismus
Die neueren entwicklungstheoretischen Ansätze haben hinsichtlich ihrer Konzeption, Zielsetzung und (herrschafts-)kritischen Ansprüche zweifellos das Potenzial, Eurozentrismen (beziehungsweise Ethnozentrismen) abzubauen und hierarchische Strukturen zu überwinden. Dies hängt aber direkt davon ab, welche Rezeptionsstrategien zum Tragen kommen. Eine nur selektive Rezeption verringert die genannten Problematiken, verringert damit aber auch das Konfliktlevel und dient dann eher dazu, mittels "Absorption" Widerstände kleinzuarbeiten, als widerständiges Potenzial produktiv einzubeziehen.
Alternativen zur eurozentrischen EZ
Eine nicht eurozentrische EZ ist nur dann vorstellbar, wenn sie sich von der Grundstruktur der bisherigen EZ – Probleme dort, Problemlösungskompetenz hier – zu lösen vermag und das hiesige Gesellschaftsmodell nicht unhinterfragt als überlegen annimmt. Spätestens hier ist eine Gegenrede zu erwarten, etwa: "Aber sind die Lebensverhältnisse hierzulande nicht eindeutig besser als in Mali oder Afghanistan? Verfällt die Eurozentrismuskritik nicht in Relativismus?"
Diesem Einwand ist Folgendes entgegenzuhalten: Erstens ist natürlich innerhalb der einzelnen Länder zunächst nach unterschiedlichen Einkommensgruppen zu differenzieren. Dennoch kann der Befund großer materieller Unterschiede zwischen Deutschland und Mali wohl auch für durchschnittlich verdienende Lohnabhängige aufrechterhalten werden. Zweitens ist jedoch die in unterschiedlichen Post-Development-Ansätzen artikulierte Kritik ernst zu nehmen, dass ein gutes Leben (buen vivir) nicht auf ein höheres Pro-Kopf-Einkommen reduziert werden darf, sondern auch Aspekte wie Würde, Selbstbestimmung, sozialen Zusammenhalt und einen nicht umweltzerstörenden Lebensstil umfassen muss, wenn nicht doch wieder eurozentrische Normen reproduziert werden sollen. Drittens muss, selbst wenn wir uns auf diese materielle Ebene beschränken, eine wirksame Bekämpfung sozioökonomischer Ungleichheit auf globaler Ebene über den Bezugsrahmen der EZ hinausgehen und Forderungen nach globaler Gerechtigkeit stellen.
Es dürfte nur wenige Eurozentrismus-Kritikerinnen und -Kritiker auf den Plan rufen und unstrittig einen großen Beitrag zur Verringerung globaler sozialer Ungleichheit leisten, wenn beispielsweise:
die Geberländer das entwicklungspolitische Leitbild der "globalen Strukturpolitik"
ernst nehmen, also die Veränderung globaler Wirtschaftsstrukturen zugunsten ärmerer Länder in den Fokus rücken würden. Welthandel, Entschuldung und Finanzmarktregulation wären hier vordringliche Betätigungsfelder. Zwar hat sich in der EZ-Diskussion mittlerweile unter dem Schlagwort policy coherence for development die Einsicht durchgesetzt, dass viele Projekte durch außenwirtschaftliche Interessenpolitik konterkariert werden, in der Praxis hat sich jedoch kaum etwas daran geändert; die sogenannten Industrieländer ihre "imperiale Lebensweise"
auf der Grundlage eines privilegierten Ressourcenzugangs und -verbrauchs und damit einhergehender überproportionaler Umweltzerstörung und Luftverschmutzung beenden würden. Dies gilt besonders für jene Länder, die historisch eine große Verantwortung für die Klimaerwärmung und ihre katastrophalen Konsequenzen vor allem in anderen Erdteilen haben; ein Recht auf globale Bewegungsfreiheit politisch umgesetzt oder als Zwischenschritt zumindest eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs an eine Liberalisierung des Personenverkehrs gekoppelt würde. Rücküberweisungen von Migrantinnen und Migranten haben im vergangenen Jahrzehnt bekanntlich größere Finanztransfers in die ärmeren Länder bewirkt als die gesamte öffentliche EZ. Ein weiterer Effekt wäre, dass unter den Bedingungen globaler Bewegungsfreiheit die Geberländer die Bekämpfung von Fluchtursachen sicher deutlich entschlossener betreiben würden;
im Hinblick auf den enorm gestiegenen Einfluss transnationaler Konzerne auf politische Prozesse ihre Aktivitäten generell einer deutlich stärkeren demokratischen Kontrolle unterworfen würden;
ausgehend vom Leitbild der Ernährungssouveränität, also dem Recht, sich selbstbestimmt zu ernähren, die Weltwirtschaft transformiert würde. Dies würde zuallererst umfassende Landreformen beinhalten, aber auch weitgehende Schutzregeln, um kleinbäuerliche Landwirtschaft vor der übermächtigen Konkurrenz der Agrarkonzerne zu bewahren;
über Finanztransaktionssteuern, die Schließung von Steueroasen und eine konsequente Besteuerung von Unternehmensgewinnen und individueller Vermögen weitere Finanzquellen erschlossen würden, die zur Umsetzung einer weltweiten Basisgesundheitsversorgung benutzt werden. Zugleich sollte die Patentgesetzgebung des TRIPS-Abkommens der Welthandelsorganisation
zugunsten der Pharmafirmen dem Recht Kranker auf verfügbare Medikamente nachgeordnet werden; analog zu Reparationen für Kriege und Kriegsverbrechen auch Reparationen gezahlt würden für Kolonialismus und in diesem Kontext begangene Verbrechen und Völkermorde. Die African World Reparations and Repatriations Truth Commission beziffert die in diesem Kontext fällige Summe auf 777 Billionen US-Dollar;
Es wird deutlich: Wenn wir uns vom Diskurs der "Entwicklung" als dem dominanten Muster der Wahrnehmung und Bekämpfung globaler sozialer Ungleichheit lösen,
Natürlich gibt es in der EZ mittlerweile vielerorts ein Problembewusstsein für Eurozentrismus. Doch durch die Verflechtung von Expertenhierarchie, Geberhierarchie und Normenhierarchie ist eine vollständige Vermeidung von Eurozentrismus oder auch Sinozentrismus innerhalb der EZ-Strukturen schwierig: Im Namen von Partizipation, ownership und empowerment wird bereits seit Jahrzehnten am Abbau der Expertenhierarchie und damit meist auch des Eurozentrismus gearbeitet.
Unter den Bedingungen einer Geberhierarchie sehen sich die Projektverantwortlichen jedoch stets aufs Neue genötigt, die Interessen und auch die Normen des Entwicklungsapparates über die der Betroffenen zu stellen – und sei es nur aus Verantwortung gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Der originelle Vorschlag des Ökonomen William Easterly, den Zielgruppen von EZ Gutscheine auszustellen, die sie bei EZ-Organisationen ihrer Wahl für Projekte ihrer Wahl einlösen können,