Im Jahr 2006 trat in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Es war das Ergebnis eines langwierigen Prozesses, der in den späten 1990er Jahren auf europäischer Ebene begonnen hatte. Die europäischen Regierungen hatten sich 1999 auf zwei Gleichstellungsrichtlinien
Aus heutiger Sicht stellt die Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichstellung und gleichberechtigte Teilhabe dar. Rechtsexperten mahnen jedoch eine europarechtskonforme Auslegung der umstrittenen Regelungen des AGG an,
Angesichts der anhaltenden Kritik untersucht der vorliegende Beitrag drei Regelungsbereiche des AGG näher, die den Diskriminierungsschutz in öffentlichen Einrichtungen maßgeblich bestimmen. Der Beitrag zeigt, wie das Lobbying der Kirchen die Rechtslage im Pflege- und Wohlfahrtssektor geprägt hat, erörtert die Reichweite des Schutzes vor institutioneller Diskriminierung vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) und analysiert den Umfang des Mandats und die Ausstattung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS).
Obwohl ein systematischer Vergleich über den Rahmen dieses Beitrags hinausgeht,
Rechtsschutz im Überblick
Der Diskriminierungsschutz in Deutschland stützte sich vor 2006 weitgehend auf das Grundgesetz. Es schützt vor allem vor der Ungleichbehandlung vor dem Gesetz und durch den Staat. Artikel 3 schützt jedes Individuum vor Benachteiligung aufgrund der Abstammung, religiösen oder politischen Anschauung, "Rasse", Sprache, Heimat, Herkunft, des Glaubens oder einer Behinderung. Der Staat setzt sich darüber hinaus aktiv für die Gleichstellung der Geschlechter ein; der positive Handlungsauftrag in Artikel 3 Absatz 2 beschränkt sich allerdings auf das Merkmal Geschlecht. Artikel 4 garantiert die Freiheit des Glaubens, Gewissens, religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sowie die ungestörte Religionsausübung. Das Betriebsverfassungsgesetz konkretisierte einige dieser Bestimmungen weitergehend. Vor der Verabschiedung des AGG gab es keine über den Schutz vor dem Gesetz, der Staatsgewalt und in bestimmten Bereichen des Arbeitslebens hinausgehenden Regelungen für das gesellschaftliche Zusammenleben wie beispielsweise für den Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt oder zu privaten Dienstleistungen.
Nachdem zivilgesellschaftliche Akteure jahrelang ein Antidiskriminierungsgesetz gefordert hatten, wurde es über den Umweg der europäischen Gesetzgebung schließlich möglich, die bestehenden Bestimmungen auszuweiten. Das AGG zielt darauf ab, Benachteiligungen aus Gründen der "Rasse", der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, aufgrund einer Behinderung oder der sexuellen Identität sowie des Alters zu verhindern und zu beseitigen. Das AGG geht insofern über die europäischen Mindestanforderungen hinaus, als dass es einen horizontalen Ansatz verfolgt, demgemäß allen genannten Merkmalen der gleiche Rechtsschutz gewährt wird. Laut Paragraf 3 AGG schützt das Gesetz sowohl vor unmittelbarer und direkter Benachteiligung (also vor weniger günstiger Behandlung unter direkter Bezugnahme auf ein Merkmal) als auch vor mittelbarer und indirekter Benachteiligung (also nachteiligen Auswirkungen scheinbar neutraler Vorschriften oder Verfahren).
Schutz vor Diskriminierung in Wohlfahrts- und Pflegeeinrichtungen
Paragraf 9 AGG sieht eine Ausnahmeklausel für kirchliche Arbeitgeber vor, deren Dienstverhältnisse vom Diskriminierungsschutz des AGG ausgenommen sind. Dieser Regelungsbereich geht auf einen langwierigen Aushandlungsprozess mit der katholischen und der evangelischen Kirche zurück. Der Hintergrund ist folgender: Artikel 140 des Grundgesetzes gewährt den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden ein Selbstbestimmungsrecht, das ihnen ermöglicht, ihre Dienstverhältnisse autonom zu regeln. Demgemäß können kirchliche Arbeitgeber von ihren Mitarbeitern weltanschauliche Loyalität einfordern. Diese Rechtslage hat im deutschen Kontext besonders weitgreifende Auswirkungen, da die christlichen Kirchen der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland sind und ihre Wohlfahrtsverbände in Bereichen wie etwa der Seniorenpflege einen Großteil der verfügbaren Dienste abdecken.
Der Richtlinientext stützt das Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Arbeitgeber nicht in vollem Umfang, verdeutlicht aber, dass Diskriminierung bei Verkündungsaufgaben zulässig ist. Demnach dürfen Loyalitätskriterien bei der Besetzung von Stellen wie etwa der eines Pfarrers oder des Leiters einer kirchlichen Bildungseinrichtung als Auswahlkriterium angewandt werden, können aber bei der Besetzung von verkündigungsfernen Stellen etwa in der Verwaltung, Reinigung oder Pflege nicht eingefordert werden. Kündigungen oder Neueinstellungen in diesen Bereichen können nicht von Kriterien abhängig gemacht werden, die sich aus dem Ethos der Organisation ableiten wie etwa Zugehörigkeit zu einer anderen oder keiner Religion, Scheidung, Homosexualität oder Befürwortung von Abtreibung. Diesen Kompromiss empfanden die Kirchen als unzureichend. Sie setzten sich im Verlauf des nationalen Gesetzgebungsprozesses nachdrücklich dafür ein, dass kirchliche Arbeitgeber künftig in allen Arbeitsverhältnissen, nicht nur im Falle von Verkündungsaufgaben, von der Bindewirkung des AGG ausgenommen würden.
Die Interventionen der Kirchen und die nachträglichen Änderungen, die diese im Gesetzentwurf nach sich zogen, wurden detailliert an anderer Stelle nachvollzogen.
Die Europäische Kommission mahnte an, dass die "Kirchenklausel" eine unzureichende Umsetzung der Gleichstellungsrichtlinien darstellt.
Durch die Gleichstellungsrichtlinien geraten die Kirchen in ein Spannungsfeld: Zum einen vertreten sie das Gebot der christlichen Nächstenliebe, setzen sich als Wohlfahrtsträger für die Belange von Einwanderern ein und unterstützen prinzipiell den Schutz durch das AGG; zum anderen wollen sie keine Beschränkung ihres Sendungsauftrags in ihren öffentlichen Einrichtungen hinnehmen. Dadurch wurde das AGG, dessen Intention der Schutz von Minderheiten vor Diskriminierung ist, paradoxerweise dahingehend von der Einflussnahme der Kirchen geprägt, dass es nun ausdrücklich das Recht der Mehrheit schützt, Individuen in Dienstverhältnissen der Wohlfahrtseinrichtungen etwa aufgrund ihrer religiösen oder sexuellen Ausrichtung zu diskriminieren. Die Vehemenz, mit der die Kirchen sich für dieses Recht eingesetzt haben, wirft auch die Frage auf, wie umfassend ihre Leistungen für Minderheiten zugänglich sind.
Es bleibt anzumerken, dass die anglikanische und die katholische Kirche im britischen Kontext ähnliche Bedenken anführten, der Gesetzgeber ihren Forderungen jedoch mit einer richtlinienkonformen Ausnahmeregelung Grenzen gesetzt hat. Bemerkenswert ist hierbei, dass britische kirchliche Einrichtungen im Vergleich zu deutschen ein viel geringeres Leistungsspektrum abdecken. Obwohl ausreichend alternative Anbieter verfügbar wären, wird betont, dass die Wohltätigkeitsorganisationen der Kirchen öffentlich geförderte Dienstleistungen erbringen, was die Gleichstellungsgesetzgebung verbindlich mache. Die katholische Kirche, die nicht bereit war, Adoptivkinder an homosexuelle Paare zu vermitteln, beschloss daraufhin ihre Adoptionsberatungsstellen zu schließen.
Schutz vor institutioneller Diskriminierung
Paragraf 2 AGG beschränkt den Anwendungsbereich auf die selbstständige und unselbstständige Erwerbsarbeit, den Sozialschutz, soziale Vergünstigungen, die Bildung sowie den Zugang zu und die Versorgung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen. Zivilrechtliche Aspekte öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse sind zwar erfasst, nicht aber öffentlich-rechtliche Leistungsgewährungen oder staatliche Eingriffsverwaltung. Der Staat ist somit in seinem privatrechtlichen Handeln an das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot des AGG gebunden, in seinem öffentlich-rechtlichen Handeln (etwa im Bildungssektor oder bei der Polizeiarbeit) jedoch allein Artikel 3 des Grundgesetzes unterworfen.
Die jüngste Vergangenheit zeigte, dass der verfassungsrechtliche Schutz zum einen nicht ausreichend konkretisiert ist, zum anderen einer Ergänzung durch einen proaktiven Handlungsauftrag bedarf, wie er bisher nur für das Merkmal Geschlecht (Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz) festgeschrieben ist. Besonders deutlich wurde dies angesichts der Erfahrungen mit dem NSU: Neun von zehn Mordfällen in verschiedenen Bundesländern konnten nicht aufgeklärt werden, weil die Polizei aufgrund unbegründeter Vorurteile gegenüber Personen mit Migrationshintergrund von einer Verstrickung der Opfer in kriminelle Aktivitäten ausging und demzufolge in ihrem Umfeld ermittelte, anstatt einem rechtsextremen Tatmotiv nachzugehen. Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zur NSU-Mordserie
Ein Blick nach Großbritannien verdeutlicht auch hier, dass indirekte Diskriminierung in der deutschen Auseinandersetzung mit dem NSU bislang nicht hinreichend problematisiert wurde. Eine in Großbritannien vor 15 Jahren einberufene richterliche Untersuchungskommission hat am Beispiel eines Einzelfalles, nämlich des rassistisch motivierten Mordes an Stephen Lawrence, institutionellen Rassismus bei der Polizei nachgewiesen und minutiös dokumentiert.
Die britische Regierung nahm diese Diagnose sehr ernst und unterzog unter anderem die Gleichstellungsgesetzgebung einer umfassenden Reform. Seit 2003 können Führungskräfte im öffentlichen Dienst (einschließlich der Polizei) für durch ihre Mitarbeiter verschuldete Diskriminierung zur Rechenschaft gezogen werden, und alle öffentlichen Einrichtungen wurden verpflichtet, aktive Gleichstellungsmaßnahmen zu unternehmen. Die Public Sector Equality Duty, die 2010 in einer neuerlichen Reform der Gleichstellungsgesetzgebung auf alle Merkmale ausgeweitet wurde, umfasst eine "Gleichbehandlungspflicht" für öffentliche Einrichtungen.
Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Die Paragrafen 25 bis 30 AGG definieren das Mandat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS).
Die Stelle ist an das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend angegliedert. Ihre Leitung wird vom Ministerium auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt. Die bisherigen Leiterinnen, Dr. Martina Köppen (2007 bis 2009) und Christine Lüders (seit 2010), zeichnen sich durch ihre Nähe zur Wirtschaft und Verwaltung aus, während Expertise und Erfahrung im Gleichstellungsbereich während der Amtszeit gesammelt wurden. Köppen arbeitete vor ihrem Amtsantritt für die Vertretung der Deutschen Bischofskonferenz in Brüssel. In ihrer Amtszeit lag der inhaltliche Schwerpunkt der ADS auf der Bildung einer Allianz mit der Wirtschaft und den Kirchen.
Über die umfassenden Novellierungsvorschläge des BUG hinaus
Eine Kernaufgabe der EHRC ist, Fälle von strategischer Bedeutung vor Gericht zu unterstützen. In den vergangenen Jahren hat die EHRC eine Reihe von religiösen Diskriminierungsfällen durch alle Instanzen begleitet und schließlich dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgelegt.
Schlussfolgerungen
Dieser Beitrag argumentiert – unter anderem durch einen Vergleich mit Großbritannien –, dass das AGG gegenwärtig nur unzureichenden Diskriminierungsschutz in Kernregelungsbereichen öffentlicher Einrichtungen bietet.
Es wird deutlich, dass die Ausnahmeregelungen in Paragraf 9 AGG, die einen Großteil des öffentlichen Wohlfahrtssektors betreffen, nicht nur im Widerspruch zum Europarecht, sondern auch zum Gleichbehandlungsgedanken stehen. Über den Schutz von kirchlichen Arbeitnehmern hinaus sollten verbindliche Gleichstellungsstandards für Leistungen im Pflege- und Wohlfahrtsbereich definiert werden.
Die Erfahrungen mit den Polizei- und Sicherheitsbehörden weisen hingegen auf verstärkten Regelungsbedarf im öffentlichen Recht des Bundes und der Länder hin. Das Mandat der Antidiskriminierungsstelle ist dahingehend auszuweiten, dass sie Gleichstellung in der Arbeitsweise öffentlicher Einrichtungen gewährleisten kann.
Eine interkulturelle Öffnung der Polizei oder der öffentlichen Verwaltung ist vor diesem Hintergrund nicht ausreichend. Wenn wir davon ausgehen, dass die in einer vielfältigen Gesellschaft vertretenen Erfahrungswelten, Wahrnehmungen und Bedürfnisse in der Gestaltung ihrer öffentlichen Einrichtungen Berücksichtigung finden müssen, ist ein verbindliches Bekenntnis zum Gleichstellungsgedanken notwendig.