Europa gilt im internationalen Vergleich als der Kontinent, auf dem die Gesellschaften am Wenigsten religiös sind und Religion am Stärksten ins Private verdrängt wurde.
Die sozialwissenschaftliche Analyse des Verhältnisses von Religion und Politik konzentriert sich auf die messbaren Elemente von Religion. Das, was Religion vom Profanen unterscheidet – der Glaube an einen gemeinsamen Gott, das Transzendente –, ist zwar für das Religionsverständnis wichtig, für die Analyse von Religion und Politik aber zweitrangig. So wird Religion als Weltbild oder Theologie, als individueller Glaube oder in Gestalt religiöser Akteure, Institutionen, Bewegungen und Parteien analysiert. Ähnlich lässt sich Politik als Ideen und Programme definieren, als Akteure, Parteien und Institutionen, als Prozess der Einflussnahme und als politische Ordnung.
Von einem regulierten Verhältnis zwischen der Katholischen Kirche und weltlichen Herrschern lässt sich erstmals ab 1122 sprechen, als Papst Calixtus II. und Heinrich V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, in Worms ein Konkordat besiegelten. Darin wurden zentrale Zuständigkeiten der weltlichen und religiösen Macht geregelt, das königliche Recht auf die Amtseinsetzung von Geistlichen beschnitten und somit ein 50 Jahre währender Konflikt (Investiturstreit) befriedet.
Mit den Reformationsbewegungen des 16. Jahrhunderts änderte sich das Verhältnis von Kirche und Staat. Entschieden kritisierten die Reformtheologen Johannes Calvin, Huldrych Zwingli und Martin Luther den politischen Einfluss der Päpste, ihren Prunk und das gewaltsame Richten Andersdenkender. Wegweisend war Luthers Verständnis der "Zwei Reiche": Er hielt an der Idee von weltlichem und himmlischem Reich fest; doch sollte die Kirche als Institution durch säkulares Recht regiert werden. Das weltliche Reich hatte im Gegenzug durch Frieden und Ordnung dafür zu sorgen, dass das Evangelium verkündet werden konnte.
Die entscheidende Wende brachte der Augsburger Religionsfrieden von 1555. Der Protestantismus wurde mit dem Katholizismus gleichgestellt. Dänemark und Norwegen hatten sich bereits 1536, Schweden 1593 und damit der größte Teil Finnlands von Rom losgesagt und eigene protestantische Staatskirchen gegründet.
Auf diese Weise bildeten sich drei monokonfessionelle Blöcke heraus: Jener lutherisch geprägte Norden, der katholische Süden (Frankreich, Italien, Portugal, Spanien) und der orthodoxe Osten. Dazwischen spannte sich ein Gürtel multi-konfessioneller Staaten. Er zog sich von Irland und England
Mit der Aufklärung kam schließlich die Idee auf, dass der Staat Religion als private Angelegenheit betrachten und sie dafür verfassungsmäßig schützen solle. Dies war ein zentraler Gedanke, der über die Unabhängigkeitserklärung der USA 1776 auf die Französische Revolution ausstrahlte und in die französische Verfassung von 1791 einging. Zugleich wurde die Katholische Kirche nahezu enteignet und verfolgt. Zwar stellte Napoleon 1801 den religiösen Frieden wieder her, indem er mit dem Vatikan ein Konkordat aushandelte und für die Koexistenz aller nun staatlich kontrollierten Konfessionen und des Judentums sorgte.
Der Nationalismus deutete den ursprünglich egalitär konzipierten Nationalstaat als ein Gebilde, in dem eine ethnisch homogene Gemeinschaft mit territorial-rechtlicher Herrschaft übereinstimmt.
Genese christlicher Parteien
Die nationalen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts waren eng mit der industriellen Entwicklung verbunden. Beides veränderte das Verhältnis von Religion und Politik in Europa fundamental. Mit der Industrialisierung wuchsen die Städte, entstanden kapitalistische Wirtschaftssysteme und stieg die individuelle Mobilität; Ausdifferenzierungsprozesse, die als zentrale Ursache für Säkularisierung im Sinne eines abnehmenden kirchlichen Einflusses und der Privatisierung von Religion gelten, beschleunigten sich.
Aus Letzterem resultierten die christdemokratischen Parteien. Im Kern des Konflikts ging es den liberal-nationalen Eliten darum, die Schulerziehung und soziale Wohlfahrt in nationalstaatliche Obhut zu bringen sowie die Zivilehe einzuführen – also um Maßnahmen, durch die sich die Katholische Kirche substanziell bedroht sah.
In Spanien und Portugal entwickelte sich zwar auch ein starker Anti-Klerikalismus. Noch stärker wurden hier jedoch die anti-demokratischen Kräfte, auf deren Seite sich die Kirche stellte. Die Diktaturen Francos in Spanien und Salazars in Portugal beriefen sich auf eine national-katholische Ideologie, in der sich Regime und Kirche zum Erhalt der Diktatur gegenseitig stützten. Christliche Parteien waren somit obsolet. Die national-katholische Idee hingegen lebt auch nach Francos Tod 1975 am rechten Rand der kirchenfreundlichen Spanischen Volkspartei fort. National-katholische Parteien entstanden aber vor allem dort, wo der Katholizismus durch erfahrene Fremdherrschaft zum Symbol einer unterdrückten nationalen Kultur geworden war. Vor allem in Irland (britisch besetzt), Polen und Kroatien vereinten sich Katholizismus und Nationalismus während des 19. Jahrhunderts, um für die innere regionale oder nationale Einheit zu kämpfen. Anti-klerikale Strömungen waren hingegen schwach. So bezieht sich etwa in Polen bis heute die religiöse Rechte auf den Nationalkatholizismus Roman Dmowskis der Zwischenkriegszeit.
Die Konflikte zwischen Kirche und Staat wirkten sich auch auf konfessionell gemischte Staaten wie Deutschland, die Niederlande oder die Schweiz aus. Insbesondere nach dem Postulat der päpstlichen Unfehlbarkeit gerieten die dortigen Katholiken zunehmend unter Druck. Sie galten als anti-national und vertraten vielfach einen vatikantreuen Katholizismus (Ultramontanismus). In Deutschland kulminierte das Ringen um die kulturelle Hegemonie zwischen der katholischen Kirche und dem protestantischen preußischen Staat im "Kulturkampf".
Trotz der Konflikte im 18. und 19. Jahrhundert und kirchlicher Kooperationen mit faschistischen Regimen bestanden im westlichen Nachkriegseuropa die konfessionellen Muster des Westfälischen Systems fort, und es setzte sich vielfach ein kooperatives Verhältnis von Kirche und Staat durch, in dem bei verfassungsmäßiger Trennung gemeinsame Bereiche definiert wurden. In Italien etwa gingen die Lateranverträge, in denen Benito Mussolini 1929 den Vatikan anerkannte und der Kirche den Religionsunterricht in staatlichen Schulen gestattete, in die Verfassung von 1949 ein und sind in modifizierter Form bis heute gültig. Weitgehende Kontinuität kennzeichnet auch die skandinavischen Staaten mit ihren protestantischen Staatskirchen.
Mit Ausnahme der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU), der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU) und der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) haben die christdemokratischen Parteien Westeuropas durch den Rückgang von Religiosität und religiös motiviertem Wahlverhalten sowie der abnehmenden Bindung an die Kirchen stark an Bedeutung verloren.
Auch ist es mittlerweile schwierig, Parteien eindeutig als christlich zu bestimmen, da sie ihr etwa katholisch inspiriertes Programm nicht im Namen tragen oder unklar ist, wie christlich sie sind. Als ein Alleinstellungsmerkmal mag man ihre traditionellen Familienwerte sowie eine kritische Haltung zu Abtreibung und homosexuellen Partnerschaften sehen – moralpolitische Fragen, anhand derer sich seit den 1990er Jahren ausgerechnet die kleinen protestantischen Parteien Skandinaviens durch eine strikte Haltung profilierten und dabei von einer stabilen Gruppe evangelikaler Christen unterstützt wurden. Die katholische Sinn Féin als zweitgrößte Partei Nordirlands ist hingegen Beispiel für eine religiös-nationalistische Partei im gegenwärtigen Europa.
Während sich die christdemokratischen Parteien nicht zuletzt durch Säkularisierungsprozesse gewandelt haben, werden die traditionellen Kirchen trotz eines sinkenden Rückhalts in der Bevölkerung in weiten Teilen Europas weiterhin im Rahmen der verfassungsgemäßen Trennung staatlich protegiert. Zwei Gründe liegen für diese kontinuierliche Kooperation nahe: Die Kirchen werden weiterhin gebraucht, denn nicht zuletzt spielen sie in Deutschland im sozialen und karitativen Bereich weiterhin eine tragende Rolle. "Gebraucht" werden die Kirchen aber auch von vielen Nichtreligiösen wie etwa für Bestattungen oder für das Gefühl einer kulturellen Zugehörigkeit. Ferner, und das betrifft die Katholische Kirche, führt die Politik des Vatikans, weiterhin mit Einzelstaaten Konkordate abzuschließen, unweigerlich zu einem kooperativen (wenn auch nicht immer konfliktfreien) Staat-Kirche-Verhältnis.
Ein kooperatives Verhältnis zu den Kirchen sowie zu anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften existiert mittlerweile auch auf EU-Ebene. Seit Mitte der 1990er Jahre um eine spirituelle Dimension des Europäisierungsprozesses bemüht, bestätigt der Vertrag von Lissabon 2009 vor allem zweierlei: Die EU achtet den Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten, und sie verpflichtet sich zu einem offenen Dialog mit Kirchen, religiösen Vereinigungen und Weltanschauungen.
Religion in der Öffentlichkeit
Lange herrschte die Annahme vor, dass mit der Modernisierung die Bedeutung von Religion im Öffentlichen und Privaten abnehme. Die religiös-modernen USA bestätigten jedoch das Gegenteil.
Die Demonstrationen in Frankreich gegen die Gleichstellung von Homosexuellen im Frühjahr 2013 zeigten, dass Moralpolitik in Europa weiterhin ein Bereich ist, in dem vor allem die Katholische Kirche, aber auch andere konservativ ausgerichtete religiöse Gruppen bemüht sind, sich gegen den Trend der moralpolitischen Liberalisierung zu wehren: Familie und die private Moral, die alten Themen der Kirche, gilt es, vor Eingriffen zu schützen.
In Mittelosteuropa und dem Baltikum fielen solche Fragen mit der grundsätzlichen Neugestaltung der Beziehungen von Kirche und Staat nach 1989 zusammen. Auch hier kam es immer wieder zu Großdemonstrationen "für die Ehe zwischen Mann und Frau" und den "Schutz des ungeborenen Lebens". In Polen beispielsweise kämpfte die Katholische Kirche mit Unterstützung der einstigen katholischen Opposition, die nach 1989 an der Regierung beteiligt war, erfolgreich für eine drastische Beschränkung der zuvor erlaubten Abtreibung. Im demokratischen Spanien und Portugal setzten sich die Regierungen 2005 und 2010 etwa mit der "Homo-Ehe" gegen den lautstarken Protest der Kirche durch.
Andere sehen vor allem im Islam ein neues politisch-öffentliches Phänomen. Zwar gehören die muslimischen Gemeinden längst zu Europa. Doch verläuft ihre Inkorporation in vielen europäischen Staaten konfliktreich. Grund dafür ist einerseits das historisch gewachsene Gefüge im Staat-Kirche-Verhältnis: Dies müsste so umgestaltet werden, dass es der neuen religiösen Pluralität in Europa gerecht wird. In Deutschland etwa ist der Islam nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt, da er nicht als "Körperschaft öffentlichen Rechts" zu erfassen ist. Andererseits ist es problematisch, dass den religionspolitischen Konflikten der vergangenen Jahre nicht selten die Wahrnehmung zugrunde lag, "der" Islam sei nicht mit "europäischen Werten" vereinbar und stelle eine Gefahr für die liberalen Demokratien dar.
Um auf die Ausgangsfragen zurückzukommen: Es gibt offensichtlich zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass Religion in Europa öffentlich stärker sichtbar geworden ist. Dabei zeigen gerade die religions- und moralpolitischen Auseinandersetzungen, wie historisch gewachsene Muster im vorwiegend kooperativen Verhältnis von Religion und Politik beziehungsweise Kirche und Staat ebenso fortbestehen.
Der Religionssoziologe José Casanova warf den Europäern 2008 vor, sie sähen Religion und insbesondere den Islam vor allem als Ursache für Konflikte; eine aktuelle Umfrage bestätigt diese "Angst" vor dem Islam gerade in Deutschland.