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Der Untergang als Experimentalraum. Zukunftsfiktionen vom Ende des Menschen | Weltuntergang | bpb.de

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Der Untergang als Experimentalraum. Zukunftsfiktionen vom Ende des Menschen

Eva Horn

/ 16 Minuten zu lesen

"Look around you, at today’s world. Your house, your city. The surrounding land, the pavement underneath, and the soil hidden below that. Leave it all in place, but extract the human beings. Wipe us out, and see what’s left. How would the rest of nature respond if it were suddenly relieved of the relentless pressures we heap on it and our fellow organisms?"

Die Vorstellung einer vom Menschen "entlasteten" Erde, die der Bestseller-Autor Alan Weisman in seinem Sachbuch "The World Without Us" vorträgt, hat in jüngster Zeit eine symptomatische Konjunktur. Weisman, dessen Buch die erfolgreiche Fernsehserie "Life After People" inspiriert hat, entwirft im Gedankenexperiment eine zukünftige Verfallsgeschichte der Städte und Architekturen, die uns umgeben, unter der fiktiven Voraussetzung, dass plötzlich alle Menschen vom Erdball verschwunden sind. Weisman erzählt, wie Häuser und prominente Bauten zerfallen, wenn sie ohne menschliche Wartung der Natur ausgesetzt sind: Beton wird bröckeln und Brücken werden einstürzen. Weisman präsentiert den Blick auf eine Welt, die vom "Druck" der Menschheit endlich befreit wäre; die Natur holt sich ihren Raum zurück.

Die Frage ist, warum wir uns das ansehen, warum wir das wissen möchten. Warum schwelgen nicht nur Sachbücher – von Jared Diamond und Harald Welzer bis Ulrich Beck und Peter Sloterdijk – in finsteren Prognosen eines "Endes der Welt, wie wir sie kannten" (so ein immer wiederkehrender Titel)? Auch neuere Kinofilme berauschen sich an Katastrophen: 2009 prophezeite Roland Emmerich in seinem Blockbuster "2012", dass dieses Jahr die Welt an Supervulkanismus und driftenden Kontinenten zugrunde gehen wird. Vergangenes Jahr zelebrierte Lars von Trier in "Melancholia", dass der Untergang der Welt durchaus auch eine Wunscherfüllung sein kann – der Wunsch einer melancholischen Disposition, die in allem Lebenden nur das Üble und Hässliche erkennen kann und nichts mehr zu verlieren hat. Und dieses Jahr erschienen in den USA Filme, die die Apokalypse plötzlich nicht mehr als kollektives Desaster, sondern als kleines, intimes Dramolett inszenieren: Lorene Scafarias "Seeking a Friend for the End of the World" oder Abel Ferraras "4:44 Last Day on Earth". Der Weltuntergang wird zum Einbruch der Endlichkeit in den Alltag, ein Einbruch, der in "Seeking a Friend" immerhin noch eine gewisse Befreiungswirkung hat; "4:44" dagegen zeigt nur noch, dass auch das Ende der Welt nichts an unseren Routinen ändern würde (und ist entsprechend öde). Aber symptomatisch ist diese Weltendekonjunktur in jedem Fall: Wir träumen, so scheint es, von der eigenen Auslöschung, von der Möglichkeit, irgendwann wieder spurlos verschwunden zu sein. Wir imaginieren uns selbst als letzte Menschen.

Zukunft als Experimentalraum

Seit der Romantik träumt die Moderne den Traum vom Ende des Menschen als ultimativem Untergang. Die Katastrophe am Ende aller Zeiten wird dabei zu einem Experimentalraum, der den Menschen noch einmal – ein letztes Mal – auf Herz und Nieren prüft. Dabei war die Zukunft durchaus nicht immer ein Raum für Experimente, sondern vielmehr Ort eines erwarteten Schicksals, das Weltende ein finales Weltgericht. Erst mit der Verabschiedung der Heilsgeschichte und damit einer Zukunft, die immer schon geschrieben steht und unaufhaltsam auf uns zukommt, blickt die Moderne in das unheimliche Dunkel einer zugleich offenen und unabsehbaren Zukunft. Was sie angesichts dieses Dunkels entwickelt hat, sind methodische Verfahren der Antizipation des Kommenden – von der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik bis zum Szenario und zur Simulation. Diese prognostischen Wissensformen entwerfen mögliche Verläufe, denkbare, aber durchaus nicht gewisse Ereignisse oder Entwicklungen: Was könnte sein? Zukünftigkeit, so kann man sagen, ist ein Modus des Wissens im Konditionalis. Neben den wissenschaftlichen Prognosen ist eine Möglichkeit, diese Zukünftigkeit zu denken, Fiktion: Verfahren, die die Zukunft ausmalen, erzählen, erfinden, um sie zum Reflexionsraum sehr gegenwärtiger Probleme zu machen, etwa in Form von Szenarien, die versuchen, Geschichten von künftigen Entwicklungsverläufen zu erzählen; in Form von Gedankenexperimenten, die eine Hypothese, die sich nicht empirisch ausprobieren lässt, im theoretischen Durchdenken ausleuchten; oder eben in Form von literarischen oder filmischen Imaginationen, die eine zukünftige Situation detailliert entwerfen und ihre Protagonisten sprechen lassen können.

Der Weltuntergang, das Ende aller Zeiten, ist eine Möglichkeit, diesen Spielraum imaginativ zu nutzen. Es denkt Zukunft als Katastrophe. Die letzten Menschen sind die Versuchspersonen in diesem Gedankenexperiment. Im Moment des Untergang zeigt sich, was der Mensch einmal gewesen sein wird, was vom Menschen "übrig bleibt", wie er sich als individueller Körper und Geist verändert haben wird, wie menschliche Zivilisation an ihrem Ende aussehen könnte – und vor allem: Was der Mensch eigentlich ist, wenn die vertraute und gegenwärtige Zivilisation von ihm genommen wird. Welche Entwicklungsmöglichkeiten stehen dem Menschen offen? Wie werden sein Körper und Geist sich langfristig transformieren? Welche Technologien oder kulturelle Praktiken werden das, was der Mensch ist und kann, grundlegend verändern? Wie wird sich das Soziale verändern? Wie belastbar ist menschliche Zivilisation?

Romantische Verdunklung

Es ist nicht zufällig die Romantik, in der diese Form des Weltendes als Experiment am Horizont erscheint. Dabei geht es zunächst um die Abarbeitung jener Figur, die das Geschichts- und Zukunftsdenken des Abendlandes Jahrhunderte lang geprägt hatte: der Vorstellung von Weltende und Weltgericht aus der Johannesapokalypse. Diese hatte das Weltende als großes Gericht über alle Lebenden und Toten entworfen, aber auch als Aufbruch zu einem Neuen Jerusalem. In der Romantik werden zum ersten Mal künftige Weltenden imaginiert, die kein Weltgericht mehr sind, sondern bloßes Ende, Auslöschungen ohne Neuanfang. Jean Pauls "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei" (1796) lässt die Toten auferstehen, um ihnen dann zu sagen, dass kein Vater-Gott sie nun richten und erlösen wird: "Wir alle sind Waisen, ich und ihr". In besonders radikaler Weise zeigt das Lord Byrons Gedicht "Darkness" (1816). Byron entwirft eine Versuchsanordnung, die den Menschen einem katastrophischen Stressexperiment aussetzt: Die Sonne ist erloschen, die Welt liegt plötzlich in Kälte und Dunkel.

I had a dream, which was not all a dream.
The bright sun was extinguish’d, and the stars
Did wander darkling in the eternal space,
Rayless, and pathless, and the icy earth
Swung blind and blackening in the moonless air.

Die panische Menschheit verbrennt zunächst alles, was sie hat: Städte, Paläste, Wälder:

And they did live by watchfires – and the thrones,
The palaces of crowned kings – the huts,
The habitations of all things which dwell,
Were burnt for beacons; cities were consum’d,
And men were gather’d round their blazing homes
To look once more into each other’s face;

Byron schildert die Panik und Verzweiflung der Menschheit mit einiger Präzision. Zunächst werden die Institutionen der sozialen Ordnung zerstört, dann die letzten Ressourcen verheizt. Byrons "Traum" nimmt den letzten Menschen nicht mehr als Geschöpf Gottes in den Blick, sondern als soziales Wesen. Die verdunkelte Erde wird zum Krisenexperiment, in dem sich zeigt, was politische Institutionen, religiöse Symbole und menschliche Bindungen wert sind – nämlich nichts. Die Menschen sammeln sich um die letzten Feuer, aber in dieser Notgemeinschaft, das sieht Byron klarer als viele heutige Katastrophenthriller, entsteht keine neue Form von Solidarität. Die Katastrophe löscht alle Leidenschaften bis auf die Angst. Das Desaster wirft den Menschen zurück auf Selbstsucht und Verzweiflung, Heulen und Zähneknirschen. Was folgt, sind blutige Kämpfe um Nahrung:

And War, which for a moment was no more,
Did glut himself again: a meal was bought
With blood, and each sate sullenly apart
Gorging himself in gloom: no love was left;

Worauf Byrons Weltuntergangsszenario zielt, ist eine Abrechnung mit der optimistischen Anthropologie der Aufklärung. Liebe, Freundschaft, Mitleid – die großen Tugenden des 18. Jahrhunderts – fallen vom Menschen ab wie Kostüme. Was übrig bleibt, ist der Mensch als Wolf des Menschen. Schon Byron sieht die letzten Menschen als Kannibalen – ein Motiv, das in etlichen Untergangsszenarien immer wieder auftauchen wird: "The meagre by the meagre were devoured", die Verhungernden fallen über andere Verhungernde her. Byrons Verdunklung der Welt wirft ein fahles Licht auf die Natur des Menschen als moralisches und politisches Wesen, das am Ende eben doch nichts anderes gewesen sein wird als angstvoll, selbstsüchtig, unvernünftig, lieblos.

Zeitmaschinen und neue Rassen

Während Byron seinen "Traum, der nicht ganz ein Traum war" noch zwischen Alptraum und Prognose ansiedelt, präsentieren die Zukunftsvisionen des 19. Jahrhunderts sich explizit als Experimente. Das berühmteste fiktive Zukunftsexperiment ist zweifellos H.G. Wells’ "Time Machine" (1895). Wells’ Zeitreisender, der die Zeit wie einen Raum durchfährt, trifft im fernen Jahr 802701 auf späte Exemplare der menschlichen Rasse. Deutlich kleiner als der heutige Mensch, sind diese "Eloi" genannten Wesen von "Dresden china type of prettiness", von porzellanener Schönheit. Der Erzähler macht sehr deutlich, dass sie Ausdruck einer Spätzeit der Spezies sind, "the sunset of mankind". Auffällig ist, dass sie einander in Not nicht helfen. Sie lachen viel, kennen kein Eigentum und keine Privatsphäre, keine familiären Bindungen und keine geschlechtsspezifische Kleidung. "Kommunismus" schließt der Zeitreisende schnell und räsoniert dann mit Darwin darüber, dass mit dem Wegfall von äußerer Gefahr auch die Notwendigkeit familiärer Strukturen aufgehoben ist. "Where violence comes but rarely and offspring are secure, there is less necessity – indeed there is no necessity – for an efficient family, (…). We see some beginnings of this even in our time (…)." Die Menschen der fernen Zukunft brauchen keine Familien, keine Geschlechterrollen und kein Privateigentum mehr, weil sie keinen Kampf ums Überleben mehr führen müssen – so glaubt jedenfalls der Zeitreisende. Später entdeckt er bekanntlich eine zweite spätmenschliche Spezies, die blassen, haarigen und unter der Erde lebenden "Morlocks", die die Elois jagen und fressen. Der übermäßigen Zivilisiertheit der oberirdischen Rasse entspricht die vollkommene Barbarei der unterirdischen Rasse. Die späte Menschheit, so Wells’ düstere Prognose, wird sich in zwei Rassen aufgeteilt haben, die zueinander in einem Räuber-Beute-Verhältnis stehen. Die Armen und Arbeitenden sind zu Morlocks geworden, die Reichen zu überkultivierten Eloi. Soziale Ungleichheit wird sich irgendwann ins Erbgut des Menschen eingeschrieben haben, und beide Rassen haben damit etwas verloren, was notwendig zur Vorstellung menschlicher Zivilisation gehört: die Eloi jegliche Form von sozialer Bindung, die Morlocks das Verbot, Menschen zu essen. Ganz ohne Katastrophe imaginiert Wells so die biologische Selbstabschaffung des Menschen im Versuchslabor einer Zukunft, die er als Extrapolation gesellschaftlicher und evolutionstheoretischer Trends seiner Gegenwart, also des späten 19. Jahrhunderts, ausmalt: Die Ausbeutung einer Klasse durch die andere wird sich zum Kannibalismus der Ausgebeuteten wenden; die Verschärfung der Klassengegensätze wird sich genetisch in die Körper der Menschen einschreiben und sie als Rassen auseinander treiben; die Emanzipation der Frauen wird zur Auflösung von Geschlechterrollen und damit zum Ende der Familie führen. Die Gesellschaft der Zukunft, so das Resultat von Wells’ Denkexperiment, erwächst gleichermaßen aus einem Zerfall sozialer Bindungen und einer tiefgreifenden Transformation der Körper.

Transhumanismus

Wells’ Szenario kann als modellbildend für einen bestimmten Typ des anthropologischen Zukunftsentwurfs gesehen werden, der ein ganz anderes – nicht apokalyptisches – Ende des Menschen imaginiert: eine Selbstüberschreitung des Menschen, die in einen anderen Körper, eine andere Zivilisation und andere soziale Bindungen münden wird. Diese dezidiert transhumanen Entwürfe eines Menschen der fernen Zukunft, die etwa Olaf Stapledon und Aldous Huxley – in ebenfalls darwinistischem Theorierahmen – und neuerdings Michel Houellebecq vorlegen, stehen genau in dieser Tradition, die genetische Zukunft des Menschen zu imaginieren. Auch Huxley und Houellebecq setzen an einer organischen Transformation des Menschen an, um zukünftige Gesellschaft – oder eben Gesellschaftsunfähigkeit – zu erklären. Huxleys "Brave New World" (1932) entwirft eine Vergnügungsgesellschaft, die eine bis in die individuellen Körper durchgreifende Ausdifferenzierung des Menschen vornimmt, indem sie bestimmte Föten in ihrer Entwicklung schädigt, um sie zu primitiven Arbeitssklaven heranzuzüchten. Die genetische Streuung von Fähigkeiten wird so künstlich gesteuert, es werden biologische "Kasten" erzeugt. Und ähnlich wie das sorg- und bindungslose Leben der Eloi ist auch Huxleys Schöne Neue Welt eine Gesellschaft, in der soziale Nahebindungen wie Familie oder Liebesbeziehungen abgeschafft sein werden. Michel Houellebecqs gesamtes Werk, insbesondere aber "Die Möglichkeit einer Insel" (2005), das sich direkt auf Huxley bezieht, wird diese Auflösung des Sozialen noch deutlicher an ein Ende der menschlichen Sexualität und Verwandtschaftsverhältnisse binden. Die Neo-Menschen, die Houellebecqs Zukunft nach mehreren großen Klimakatastrophen bevölkern, sind Klone ohne Eltern, die isoliert voneinander leben, Kontakt nur durch elektronische Kommunikation haben und fast alle Bedürfnisse menschlicher Körperlichkeit – insbesondere Essen und Sexualität – hinter sich gelassen haben werden.

Diese Entwürfe eines sich selbst überschreitenden Menschen blicken aus der Zukunft auf die gegenwärtige Verfasstheit des Menschen zurück als etwas, das steiger- und überwindbar ist. Sie sind Figuren einer biopolitischen Fantasie, die der Bruder Aldous Huxleys, der Biologe Julian Huxley, "Transhumanismus" genannt hat. Diese nimmt den Menschen als Spezies in den Blick und sieht darin ein Feld für biopolitische Eingriffe. Ihr Ursprung ist zweifellos im Darwinismus zu suchen, aber auch heutige Debatten über demografische Entwicklung, Soziobiologie und Evolution des Menschen drehen sich um ähnliche Fragen.

Das anthropologische Experiment, für das die ferne Zukunft den Denkraum bereitstellt, ist damit eines, das am Menschen als Organismus und Genotyp ansetzt und seine möglichen evolutionären Entwicklungen auslotet. Die Fragestellung dieses Experiments zielt genau auf jene Seite der Biopolitik, der es nach Michel Foucault darum geht, "Leben zu machen", die Herstellung des Lebens zu kontrollieren, zu beeinflussen und zu fördern. In einer Kurzzeitperspektive betrifft das Fragen wie Gesundheitspolitik, Familienförderung und demografische Entwicklung. Die Pointe der Langzeitperspektiven von einigen tausend Jahren, die die fiktionalen Zukunftsszenarien entwerfen, liegt darin, dass sie etwas am lebenden Objekt beobachten, was bestenfalls Paläontologen retrospektiv entziffern können: langfristige Evolution. Und das wirft sehr spezifische Fragen auf, Fragen, die ohne die Fiktion eines Vorgriffs über Tausende von Jahren auch wissenschaftlich nicht zu beantworten sind: In welche Richtung entwickelt sich der Mensch als Spezies? Ist die Evolution – in Form der "natürlichen Selektion" – durch die moderne Zivilisation zu einem Ende gekommen, wie etwa der britische Genetiker Steve Jones behauptet? Wird der Mensch irgendwann in der Lage sein, nachhaltig in sein eigenes Erbgut einzugreifen? Ist der Mensch evolutionär "verbesserbar"? Es sind diese biopolitischen Fragen der Vergangenheit und Gegenwart, die in den Szenarien des Transhumanismus bearbeitet werden.

Letzte Überlebende

Das ist die eine Versuchsanordnung, die die Zukunft zum Raum eines anthropologischen Experiments macht. Aber es ist nicht die einzige. Mag die Zukunft Huxleys und Houellebecqs freudlos, aber doch recht komfortabel sein, so gibt es nicht wenige fiktionale Zukünfte, die den letzten Menschen in ein Krisenexperiment hineinstellen, das dem Horror von Byrons "Darkness" in nichts nachsteht. Seine modernen Nachfolger sind Filme wie Emmerichs "2012" oder Mimi Leders "Deep Impact" (1998). In beiden Filmen wird die kommende Katastrophe den überwiegenden Teil der Menschheit vernichten oder ihre Lebensgrundlagen entziehen. Aber man baut Archen (in "2012") oder einen riesigen Bunker (in "Deep Impact") für ein paar auserwählte (oder zahlungskräftige) Personen. Der Kampf um Nahrung, den Byron schildert, wird hier wieder aufgelegt als Dilemma des Rettungsboots: Wen können wir ins Boot nehmen? Wer wird gerettet? Wen lassen wir sterben?, fragen die Katastrophenfantasien des 20. und 21. Jahrhunderts.

Worum es hier geht, sind nicht mehr Fantasien von der Überwindung des Menschen, sondern von sozialer Gerechtigkeit unter verschärften Bedingungen: Wenn die Ressourcen knapp werden, so dieses Szenario, müssen wir akzeptieren, einige sterben zu lassen. Thomas Malthus – Zeitgenosse von Byron und vielleicht sogar der heimliche Stichwortgeber hinter "Darkness" – hatte diese Argumentation schon um 1800 vorgetragen. Wenn nicht genug zu essen für alle da ist, werden einige eben verhungern. Heutige Fragestellungen greifen das wieder auf, nicht nur, was die drohende Überbevölkerung der Erde angeht, sondern auch, was etwa die Verteilung von Renten, Gesundheitsfürsorge oder Raum angeht. Weltenden und Großkatastrophen bieten uns Szenarien dafür, die Rhetorik, "das Boot ist voll", zunehmend klaglos hinzunehmen – uns also gleichsam darin zu üben, den Untergang anderer Menschen hinzunehmen wie Zuschauer im Kino.

Werden in der akuten Katastrophe politische Entscheidungen vorgeführt (und damit nicht selten auch akzeptabel gemacht) sind die postapokalyptischen Szenarien eher ein Ausdruck von antizipierter Angst: Die Welt ist verdunkelt, die Menschheit bereits ausgelöscht, die Reste der Zivilisation liegen in Ruinen. Durch diese Welt schleppen sich letzte Überlebende, nicht mehr als evolutionärer Endpunkt der Spezies, sondern als deren Restbestand nach dem großen Sterben. Die Zukünfte, die hier entwickelt werden, sind nicht Ergebnis einer langen Transformation, sondern einer radikalen Zäsur: eines Atomkriegs, einer Naturkatastrophe oder einer Epidemie, die das menschliche Leben innerhalb kürzester Zeit weitgehend ausgelöscht hat.

Weil solche Szenarien stets "kurz nach" der Katastrophe liegen, ist ihre erzählte Zeit meist ein Moment in naher Zukunft: In Arno Schmidts 1951 entstandener postapokalyptischer Erzählung "Schwarze Spiegel" ist es schon das Jahr 1960, in dem die Menschheit durch "Atombomben und Bakterien" weitgehend untergegangen sein wird. In der "Terminator"-Serie kämpft die Menschheit ihren letzten Kampf gegen intelligente Maschinen im Jahre 2025, in Terry Gilliams Zeitschleifenfiktion "Twelve Monkeys" etwa 2030. In dem Epidemie-Szenario von "I am Legend" (2007) erfolgt der Ausbruch schon im Herbst 2012, in den folgenden Jahren beobachten wir den von Will Smith verkörperten Protagonisten dabei, wie er im von Gras überwucherten Manhattan Wild jagt und nach einem Gegenmittel für die grassierende Epidemie forscht, die die Mehrheit der Menschheit dahingerafft hat und eine kleine Gruppe mutieren ließ. Aber die wohl radikalste postkatastrophische Fantasie hat Cormack McCarthy mit seinem Roman "The Road" (2006) vorgelegt. Hier ist erschreckend klar, dass die Trümmer und Abfälle, durch die sich seine Protagonisten schleppen, die Reste der Welt sind, in der wir heute leben.

Anders als die Evolutionsszenarien sind die katastrophischen Zukünfte solche, die Leser und Zeitgenossen dieser Fiktionen durchaus noch erleben können. Entsprechend bearbeiten sie auch jeweils historisch naheliegende Ängste und Erwartungen: in den 1950er bis 1980er Jahren den Atomkrieg; in den 1990er Jahren den Krieg der "künstlichen Intelligenzen" – Roboter, Computer oder Aliens – gegen die Menschheit; in den 2000er Jahren Epidemien oder Natur- und Klimakatastrophen. Bezeichnend für diese Gedankenexperimente ist nicht nur, dass die Zukunft, in der sie spielen, unsere Zukunft ist; bezeichnend ist auch, dass die meisten dieser Katastrophen menschengemacht sind. Dennoch stellen auch diese Szenarien den Menschen auf den Prüfstand eines Experiments, dessen Fragestellung ähnlich ist wie die Byrons: Was bleibt übrig vom Menschen, wenn man ihm menschliche Gesellschaft, Zivilisation und zuletzt auch noch die Ressourcen der Natur wegnimmt?

Der Mensch verzehrt sich selbst

Die meisten postkatastrophischen Zukunftsszenarien imaginieren den letzten Menschen in einer Landschaft von Gewalt, Mangel, Einsamkeit und dem permanenten Kampf ums Überleben. Die letzte Welt ist eine, in der keine Gesellschaft mehr existiert, sondern jeder nur noch für sich selbst kämpft. Der Plot von McCarthys "The Road" ist zugleich dramatisch und monoton: Ein Vater wandert mit seinem Sohn an der Ostküste der zerstörten USA entlang Richtung Süden. Das Wetter ist eisig, das Licht düster, es liegt Schnee. Da die Vegetation komplett abgestorben ist, gibt es weder Pflanzen, die man essen, noch Tiere, die man jagen könnte. Vater und Sohn ernähren sich von Müll, abgelaufenen Konserven und vergammeltem Obst – ständig kurz vor dem Verhungern. McCarthy stellt den Menschen so auf den äußersten noch denkbaren Prüfstand: Wovon kann man leben, wenn nichts mehr wächst? Wie verhält sich der Mensch in dieser Extremform der Ressourcenknappheit? Welche Verhaltensweisen, welche Vorsichtsmaßnahmen macht dieser Zustand notwendig? Und welche Formen von Gewalt generiert er?

Die Antworten, die dieser Härtetest gibt, sind typisch amerikanisch. Was bleibt, sind zuletzt Durchhaltewille und Familienbande, die Liebe zwischen Vater und Sohn. Was bleibt, ist der Wille, "menschlich" zu bleiben. Worin dieses letzte Mensch-Bleiben besteht, zeigt sich aber gerade am Verhalten der anderen Menschen. Wo es nichts mehr zu essen gibt, werden Menschen die einzige Jagdbeute, die noch zu bekommen ist. Eine der wohl grässlichsten Szenen, die je ihren Weg in die Literatur gefunden haben, schildert die Entdeckung eines Kellers, in dem ein paar Leute eine Gruppe von Menschen eingesperrt haben, als menschlichen Fleischvorrat. Vater und Sohn entkommen nur knapp dem gleichen Schicksal. In einer rührend wortkargen Szene verständigen sie sich darüber, dass sie das niemals und unter keinen Umständen tun werden.

We wouldn’t ever eat anybody, would we?
No. Of course not.
Even if we were starving?
We’re starving now.
But we wouldn’t.
No. We wouldn’t.
No matter what.
No. No matter what.
Because we’re the good guys.
Yes.
And wer’e carrying the fire.
And we’re carrying the fire. Yes.
Okay.


Bei McCarthy wird die Frage des Kannibalismus zur Frage über Menschsein oder nicht mehr Menschsein. "Die Guten sein", "das Feuer zu bewahren" bedeutet, einen letzten Rest Zivilisiertheit in einer Situation zu bewahren, die für diese eigentlich keinen Raum mehr lässt. Ist der Kannibalismus der letzten Menschen bei Byron noch ein Detail in der Selbstzerfleischung der untergehenden Menschheit, so wird er bei McCarthy zum letzten Kriterium für das, was der Mensch gewesen sein wird. Die Auflösung des Sozialen, die dieser Typ des Katastrophenexperiments durchspielt, ist kaum weniger radikal als die des transhumanistischen Experiments. Die unglaubliche Brutalisierung der sozialen Verhältnisse, die diese Szenarien schildern, sind eine düstere Prognose auf das soziale Verhalten des Menschen am Rande des Überlebens. Nachdem er die Welt verbraucht oder zerstört hat, wird dem Menschen nur noch bleiben, seinesgleichen zu verzehren.

Wir letzten Menschen?

Um so symptomatischer für ein aktuelles Zeitgefühl ist es, dass gerade diejenigen Zukünfte in so unheimlicher zeitlicher Nähe liegen, in denen die Welt und mit ihr der Mensch, seine Gesellschaft wie seine Zivilisation, irreparabel zerstört sein werden. Wo die evolutionstheoretischen Zukunftsentwürfe des späten Neo-Menschen eine durchaus aktuelle Biopolitik der Produktion und Steigerung des Lebens reflektieren, wo die Katastrophenszenarien recht brutale Antworten auf sehr aktuelle Verteilungsdebatten geben, da sehen diese postapokalyptischen Imaginationen das Leben heute auf seine Vernichtung zutreiben.

Die Fiktionen vom Ende des Menschen sind intensive Verständigungen über die Gegenwart; eine Gegenwart, in der Knappheit, Dezivilisierung und nacktes Überleben als das verdrängte Unbewusste des Jetzt im Medium des Zukünftigen wiederkehren. Darum kann man diesen letzten Menschen, der im Ernstfall über seine Mitmenschen herfallen und sie verzehren wird, auch als Allegorie der Gegenwart lesen. Das Zeitgefühl, das die Figur des Menschen-Essens ausdrückt, ist ein Zeitgefühl des Aufzehrens. In ihm drückt sich ein Zukunftshorizont der zunehmenden Verknappung aus, in der gerade unter dem zivilisatorischen und wirtschaftlichen Überfluss immer wieder Fragen der gerechten Ressourcenverteilung, des sogenannten vollen Boots oder der angehäuften Schulden- oder Giftmüllberge hervortauchen. Was die letzten Menschen endgültig aufzuzehren scheinen, ist – nach dem Ende aller Ressourcen – die Zukunft der Menschheit selbst, jene Zeit, die dem Menschen bleibt, der vielleicht noch gar nicht weiß, dass er der letzte ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Alan Weisman, The World Without Us, New York 2007, S. 3.

  2. Vgl. dazu Eva Horn, Zukunft als Katastrophe. Prävention und Fiktion, Frankfurt/M. 2013 (i.E.).

  3. Jean Paul, Siebenkäs, in: ders., Sämtliche Werke, hrsg. von Norbert Miller, 1. Abteilung, Bd. 2, Darmstadt 1987, S. 273.

  4. George Gordon Lord Byron, Darkness, in: Stephen Greenblatt (ed.), Norton Anthology of English Literature, New York–London 2005, S. 614–616.

  5. Herbert George Wells, The Time Machine, New York 2002, S. 27.

  6. Ebd., S. 34.

  7. Ebd., S. 33.

  8. Vgl. Olaf Stapledon, Last and First Men, London 1930; Aldous Huxley, Brave New World, London 1932; Michel Houellebecq, La possibilité d’une île, Paris 2005.

  9. Vgl. Julian Huxley, Transhumanism, in: ders., New Bottles for New Wine, London 1957, S. 13–17.

  10. Vgl. Michel Foucault, Der Wille zum Wissen, Frankfurt 1983, S. 165.

  11. Vgl. Steve Jones, The Language of Genes. Biology, History and the Evolutionary Future, New York 1993.

  12. Arno Schmidt, Schwarze Spiegel, Frankfurt/M. 2006 (Erstausgabe 1951).

  13. Cormack McCarthy, The Road, New York 2006.

  14. Ebd., S. 136.

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Dr. phil., geb. 1965; Professorin am Institut für Germanistik, Universität Wien, Universitätsring 1, 1010 Wien/Österreich. E-Mail Link: eva.horn@univie.ac.at