Wie wenige andere historische Bücher in den vergangenen Jahren sorgte Ende 2010 die Studie "Das Amt und die Vergangenheit – Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik" für Aufsehen.
In ihrem Bericht kam die Historikerkommission zu dem Ergebnis, dass deutsche Diplomaten nicht nur Mitwisser, sondern Mittäter von NS-Verbrechen, insbesondere des Holocaust, waren und dass nicht zuletzt aufgrund der großen personellen Kontinuität zwischen dem Außenministerium des "Dritten Reiches" und der Bundesrepublik noch jahrzehntelang ein Geschichtsbild gepflegt wurde, das diese Vergangenheit ausblendete und das AA zum "Hort des Widerstands" gegen das Regime umdeutete. Doch bereits vor der offiziellen Übergabe des Werkes am 28. Oktober 2010 gab es Stimmen, die deutliche Kritik äußerten. Zunächst noch von den ungleich zahlreicheren lobenden Besprechungen übertönt, verschafften sich die wachsende Zahl der Kritiker mehr und mehr Gehör. Alsbald war von einer waschechten Historikerkontroverse die Rede, und die Kritik an der Studie und der Historikerkommission durch die Zunftkollegen war schonungslos. Da war die Rede von "Tendenzliteratur", wurden "massive Fehler" angekreidet und den Professoren der – angeblich versäumte – Besuch eines historischen Proseminars nahegelegt, das Werk gar als "skandalös" oder als "Geschichtspornographie" gebrandmarkt und in die Nähe von Propagandaschriften der DDR gerückt. Auch als die Aufmerksamkeit in der Tages- und Wochenpresse nachließ und sich zunehmend die Fachzeitschriften der Studie widmeten, riss die Kritik nicht ab, man konnte den Vorwurf "Etikettenschwindel" vernehmen, neben "gravierenden Mängel(n)" wurde auch "weitgehende Unkenntnis" über den Gegenstand ausgemacht.
Heftig wurde insbesondere darüber gestritten, ob das AA die von der Kommission beschriebene entscheidende Rolle in Bezug auf den Holocaust tatsächlich eingenommen hatte, inwiefern einzelne Diplomaten für das Ministerium als Ganzes – und umgekehrt – stehen könnten, und, nicht zuletzt, wie schwer die (oftmals verschwiegene) braune Vergangenheit von Diplomaten in der Bundesrepublik wiegt. Um diese Debatte um die NS-Vergangenheit besser zu verstehen, soll in diesem Beitrag zunächst ein Überblick über die Vorgeschichte und den fast zwei Jahre währenden Verlauf gegeben werden, bevor auf die prägenden Faktoren und Hintergründe hingewiesen und abschließend eine erste Einordnung versucht wird.
Vorgeschichte
Die Wurzeln der Debatte reichen bis in den Mai 2003 zurück. Damals erschien in der Hauszeitschrift des Ministeriums, "internAA", ein ehrender Nachruf auf den ehemaligen Generalkonsul Franz Nüßlein. In den Nachruf flossen ungeprüft lückenhafte, geschönte und verfälschende Angaben aus dessen Personalakte ein, die vor allem die Tätigkeit des mit Gnadengesuchen befassten Juristen und NSDAP-Mitglieds im besetzten Prag betrafen. Bei Marga Henseler, einer ehemaligen Mitarbeiterin des AA, stieß dies auf entschiedenen Widerspruch. Nachdem ein erster erboster Brief an Außenminister Joschka Fischer diesen nicht erreichte und sie nur eine abwiegelnde Antwort erhielt, stellte sich der Postweg über Bundeskanzler Gerhard Schröder schließlich als erfolgsträchtiger heraus. Fischer, dem der Brief weitergeleitet wurde, pflichtete Henseler bei und veranlasste im September 2003, dass Nachrufe für frühere Mitglieder der NSDAP oder anderer NS-Organisationen fortan zu unterbleiben hätten.
Als die neue Regelung im Falle des Ende 2004 verstorbenen ehemaligen Botschafters Franz Krapf erstmalig griff, erhob sich im Januar 2005 eine Welle des Protests von ehemaligen Angehörigen des AA. Diese Ehemaligen – intern ironisch "Mumien" genannt – trugen ihren Widerspruch vornehmlich durch die Leserbriefspalten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) in die öffentliche Arena und schalteten in derselben Zeitung eine großformatige Todesanzeige, die von weit über 100 ehemaligen Botschaftern und Staatssekretären unterzeichnet wurde, publizistische Schützenhilfe erhielten sie dabei von FAZ-Redakteur Rainer Blasius. Der "Aufstand der Mumien", wie die Affäre um die Nachruf-Praxis umgehend tituliert wurde, zog rasch weitere Kreise und kurz darauf griffen auch aktive Diplomaten Fischer öffentlich an. In dieser Situation suchte der Außenminister sein Heil in der Offensive und berief im Juli 2005 eine Historikerkommission, welche "die Geschichte des Auswärtigen Dienstes in der Zeit des Nationalsozialismus, den Umgang mit dieser Vergangenheit nach der Wiedergründung des Auswärtigen Amts 1951 und die Frage personeller Kontinuität bzw. Diskontinuität nach 1945" erforschen sollte.
Als Mitglieder der aus international renommierten Forschern zusammengesetzten Kommission wurden mit Eckart Conze von der Universität Marburg, Norbert Frei von der Universität Jena und dem – 2008 wegen einer schweren Erkrankung ausgeschiedenen – Klaus Hildebrand von der Universität Bonn drei deutsche Professoren berufen, dazu stießen Moshe Zimmermann von der Hebrew University Jerusalem und Peter Hayes von der Northwestern University Evanston/Illinois. Hayes folgte dabei auf den bereits kurz nach seiner Berufung aus gesundheitlichen Gründen ausgeschiedenen Henry A. Turner von der Yale University in New Haven/Connecticut. Durch den Regierungswechsel 2005 verzögert wurde der Vertrag zwischen dem AA und der Historikerkommission im August 2006 unterzeichnet, im Oktober 2010 übergab die Kommission dann ihren Abschlussbericht Außenminister Guido Westerwelle.
Struktur der Debatte
Die Debatte um "Das Amt und die Vergangenheit" stellt sich äußerst vielgestaltig dar. Kurze Live-Interviews im Radio stehen neben umfangreichen Fachrezensionen, Leserbriefe verschiedenster Provenienz neben Gastbeiträgen, redaktionellen Berichten und Kommentaren sowie Besprechungen in der Tages- und Wochenpresse. So reicht dann auch das Feld der Debattenteilnehmer von Historikern über (Fach-)Redakteure und ehemalige Diplomaten bis hin zur interessierten Öffentlichkeit. Entsprechend breit gefächert ist das Spektrum der Wortmeldungen: Es reicht von mehr oder weniger ausführlichen, sachlich formulierten Anmerkungen, kollegial-wohlwollenden Ergänzungen über Korrekturen einzelner Aussagen und Details und harten, aber dennoch differenzierten Bewertungen von Abschnitten und des Gesamtwerkes bis hin zu Belehrungen, politischen Unterstellungen und grundsätzlichen Ent- und Abwertungen der Studie und der Kommissionsmitglieder.
Dieses weite Feld lässt sich in Anbetracht der Foren und Teilnehmer der Debatte chronologisch grob in drei Phasen strukturieren, wobei die erste von Ende Oktober 2010 bis Mitte Februar 2011 angesetzt werden kann. In diesem Zeitraum fand die Debatte in breiter Form zwischen Diskutanten unterschiedlichster Hintergründe hauptsächlich in den großen Zeitungen und Zeitschriften, aber auch im bundesweiten Hörfunk statt. Mit dem Erscheinen der ersten umfangreichen Rezensionen in Fachzeitschriften ab Mitte Februar 2011 lässt sich der Beginn der zweiten Phase ausmachen, als die Debatte ihren Schwerpunkt in die Diskussionsforen der Fachwissenschaft verlagerte, der Kreis der Debattenteilnehmer sich entsprechend verengte sowie die Diskussionspunkte sich spezialisierten. Während dies noch andauert, lässt sich ab Ende Oktober 2011 eine dritte Phase erkennen, im Rahmen derer – nun wieder in den Zeitungen – vor allem über die Konsequenzen der Studie und der Debatte diskutiert wird. Hieran sind jedoch nur noch wenige Zeitungen und Diskutanten beteiligt.
Kritik in der Presse
Die gegenüber der Studie und ihren Autoren geäußerte Kritik lässt sich in fünf thematische Komplexe bündeln. Als ein erster Bereich sind zunächst die Schwerpunktsetzung und die daraus folgenden tatsächlichen oder vermeintlichen Leerstellen der Forschungsarbeit zu nennen. So monierte Hans Mommsen, einer der profiliertesten deutschen Zeithistoriker, dass die Studie zu sehr auf den Holocaust fokussiert sei und dadurch "andere Dimensionen der NS-Gewaltpolitik" ausgeblendet würden.
Ein zweiter Komplex umfasst den Vorwurf fehlerhafter Interpretation von Quellen und allzu generalisierender, unzutreffender und überdehnter Schlussfolgerungen. Nicht nur für Koerfer war es "schlichtweg Unsinn", dass dem AA angesichts einer Unterredung von Hitler mit Außenminister von Ribbentrop "die 'Initiative zur Lösung der Judenfrage auf europäischer Ebene' untergeschoben wird".
In einen dritten Komplex lassen sich Zweifel an der (politischen) Unabhängigkeit der Historikerkommission und damit an der inhaltlichen Ausgewogenheit des Berichts fassen. Für Blasius stand fest, dass sich die Studie "an DDR-Pamphleten orientierte".
Es lässt sich ein vierter Komplex ausmachen, in dem die methodische Kompetenz der Kommission sowie die Seriosität der Forschungspraxis in Zweifel gezogen wurden. Mommsens Wort, dass "die Herren Herausgeber, die übrigens selber die Arbeit ja nicht unbedingt gemacht haben, sich noch mit einem historischen Proseminar"
Als ein fünfter und letzter Komplex sind schließlich Vorwürfe anzuführen, die Kommission habe ihre wenigen neuen Erkenntnisse in reißerischer Art und Weise präsentiert und sich verkaufsfördernd in Szene gesetzt. So beklagte Blasius, die Kommissionsmitglieder hätten sich unnötigerweise als Zerstörer der "Legende von der Wilhelmstraße als einem 'Hort des Widerstandes'" inszeniert, auch sei die Aufmerksamkeit zu Unrecht auf die bereits altbekannte Reisekostenabrechnung Franz Rademachers ("Liquidation von Juden in Belgrad") gelenkt worden.
Reaktionen
Trotz aller Kritik gab es aber stets auch ausgleichende Stimmen, die zwar auf Fehleinschätzungen der Studie verwiesen, in mindestens gleichem Maße aber auch deren Leistungen herausstellten – darunter ebenso namhafte wie unterschiedlich ausgerichtete Historiker, von Jürgen Kocka über Ulrich Herbert bis hin zu Michael Stürmer und Christopher R. Browning.
Schon bald äußerten sich aber auch die Mitglieder der Historikerkommission. Zimmermann hielt Mommsen entgegen, er und andere Kritiker hätten "das Buch sehr selektiv gelesen" und würden auf "sehr unfaire Art und Weise" der Kommission "Ignoranz oder Dokumentenfälschung" vorwerfen und damit "die Leute im Auswärtigen Amt" exkulpieren. Die Vorwürfe seien nicht im Inhalt oder der Methodik der Studie begründet, stattdessen sei man "beleidigt", dass "man selbst nicht zur Kommission gehörte".
Kurz darauf folgte in der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) unter der Überschrift "Unser Buch hat einen Nerv getroffen" eine umfassende Stellungnahme der vier Kommissionsmitglieder.
Auch anderweitig antwortete die Kommission ihren Kritikern, sei es, wie im Falle Conzes, in einem Leserbrief, in dem er "die Art und Weise der Berichterstattung und Kommentierung" der FAZ bemängelte, sei es in Interviews, wo er den Begriff der "verbrecherischen Organisation" als "Bewertung aus dem Jahr 2010 und 2011" verteidigte.
Kritik in den Fachzeitschriften
Die Kritik, die in den ersten Wochen und Monaten hauptsächlich von Fachhistorikern und Redakteuren (die in den meisten Fällen selbst ausgebildete Historiker sind) in den Publikumsmedien formuliert wurde, ging seit Februar 2011 in die Organe der Fachwissenschaft über. Ehemalige AA-Angehörige, die sich bis zu diesem Zeitpunkt in fast durchgängig ablehnenden Leserbriefen meist mit Korrekturen biografischer Details hervortaten, waren nun kaum noch zu vernehmen. Dennoch gab es weiterhin Reaktionen aus dem Umfeld des AA: Nicht nur als der frühere Außenminister Walter Scheel der Studie vorwarf, frühere Mitarbeiter "zu verleumden", sondern auch als der amtierende Außenminister Guido Westerwelle sich von der Studie distanzierte, indem er darauf hinwies, dass sich "unser Urteil weiter differenzieren" werde. Nicht zuletzt bemühte sich der ehemalige Diplomat Felix Gaerte – letztlich jedoch mit wenig Erfolg –, gerichtlich gegen die Studie vorzugehen, weil er sich falsch dargestellt sah.
Mit der Verschiebung des Debattenforums vollzog sich auch ein inhaltlicher Transformationsprozess, denn auch wenn die in der Tagespresse bereits geäußerte Kritik in den Fachzeitschriften weitestgehend geteilt wurde, so fand doch ein entscheidender Ausbau durch argumentative Unterfütterung statt, zudem versachlichte sich die Debatte. Nachdem erste Fachrezensionen keinen Widerhall in der Presse gefunden hatten, waren es vor allem zwei Besprechungen, die dort größere Aufmerksamkeit erregten, nämlich zum einen der Anfang April 2011 in den "Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte" erschienene, nicht weniger als 26 Druckseiten umfassende Rezensionsaufsatz des am IfZ tätigen Forschers Johannes Hürter, zum anderen die Ende Mai 2011 veröffentlichte Rezension des in Cambridge lehrenden englischen Historikers Richard J. Evans in "Neue Politische Literatur".
Hürter – der sich in seiner Rezension ausschließlich mit der Zeit vor 1945 befasste – zeigte sich enttäuscht, dass statt neuer und differenzierter Ergebnisse in Bezug auf die Personalstruktur des AA ein "apodiktische(r) Tonfall" vorherrsche und durchgängig evidente Unterschiede zwischen traditionellen Diplomaten und nationalsozialistischen Karrieristen ignoriert würden.
Klare Worte wählte auch Evans: Die Studie sei "deeply flawed as a work of scholarship". Wie andere bemängelte auch er, dass der Blickwinkel fast ausschließlich auf den Holocaust verengt und die Rolle des AA überzeichnet sowie Schlüsselpunkte wie die Vorbereitung des Angriffskriegs "almost entirely left out of the frame" seien.
Über die Rezensionen von Hürter und Evans wurde von der FAZ, der SZ und "Spiegel Online" im Vor- und Nachgang berichtet, jedoch stellte dies lediglich ein kurzes Wiederaufflackern der in der Presse bereits verklungenen Debatte dar. Auch die Historikerkommission schaltete sich ein, Zimmermann reagierte in einem Interview mit dem Vorwurf, Hürter sei Teil einer Kampagne mit politischer Agenda, um "die sogenannten 'anständigen' Leute (…) rückwirkend zu entlasten" und "die Mitglieder der Unabhängigen Historikerkommission zu diskreditieren"
Fortgang der Debatte
Auch wenn zunächst kaum Reaktionen zu verzeichnen waren – zu Ende war die Debatte damit noch nicht. Stattdessen rückte die Frage in den Fokus, wie sowohl mit der Studie als auch der Debatte umzugehen ist. Innerhalb der Fachwissenschaft trat diese Wende Ende 2011 ein, als neben Rezensionen nun einerseits neue Forschungen zu umstrittenen inhaltlichen Aspekten der Studie, andererseits Aufsätze erschienen, denen das Werk und die Debatte als Ausgangs- und Referenzpunkt einer Reflexion über die deutsche Zeitgeschichtsschreibung dienten.
Doch nicht nur wissenschaftsintern entwickelte sich die Debatte weiter, auch in die Presse kehrte sie zurück, und zwar mit dem bereits kontrovers diskutierten Vorwurf der Historikerkommission, im Archiv des AA – das als einziges Bundesministerium seine Akten nicht dem Bundesarchiv übergibt, sondern vollständig selbst verwahrt – habe es an Kooperation und Transparenz gemangelt. Grund für diese jüngste Aktualisierung war das Ergebnis einer vom AA in Auftrag gegebenen externen Evaluation: Der im März 2012 nach fast einjähriger Arbeit übergebene Bericht kam zu dem Schluss, es gebe "keinerlei Hinweise oder Vermutungen, dass der transparente und demokratische Zugang zu Archivalien durch interne Weisungen beschränkt" oder das Archiv in seiner Arbeit behindert werde.
Einordnung der Debatte
Nachdem die Debatte fast zwei Jahre währte, scheint sie sich in den jüngsten – nur noch wenigen – Pressebeiträgen zunehmend zu einem Zwiegespräch mit immer längeren Intervallen und stetig weniger neuen Konfliktherden zwischen der Historikerkommission auf der einen und Rainer Blasius auf der anderen Seite verengt zu haben. Um sie, wie angesichts der Nähe zum Geschehen geboten, vorsichtig und vorläufig einordnen zu können, ist der Blick auf die Kontexte zentral.
Markant stechen zunächst die institutionellen Verbindungen und Affinitäten der Debattenteilnehmer hervor, also die jeweiligen Beziehungen, in denen die Akteure zu den involvierten Einrichtungen wie dem Archiv des AA, zum IfZ oder auch zur viel zitierten AA-Aktenedition stehen. Ein weiterer wichtiger Hintergrund sind – von der Debatte zunächst unabhängige – grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen, wie sie etwa hinsichtlich der Entschlussbildung und der Ingangsetzung des Holocaust bestehen. Als relevanter Faktor nicht zu vernachlässigen ist auch die persönliche Involvierung einiger Debattenteilnehmer in den Gegenstand der Studie, sei es als Zeitzeuge durch eigene Tätigkeit im AA, durch familiäre Bande oder auch durch entsprechende Positionierung während der Nachruf-Affäre. Weiterhin ist der mediale Aspekt zu beachten und danach zu fragen, welche Medien sich in der Debatte wie engagierten. So ist etwa auffällig, in welch hohem Maße die FAZ und insbesondere Blasius sich dem Kommissionsbericht widmeten, andere Blätter jedoch vergleichsweise still blieben, etwa die Wochenzeitung "Die Zeit", die sich in früheren Jahren als Fürsprecherin selbst hochbelasteter Diplomaten profiliert hatte und in anderen historischen Debatten meist eine zentrale Rolle spielte. Schlussendlich muss der wohl wichtigste Kontext genannt werden: der (geschichts-)politische. Bedeutsam ist er nicht nur, weil die Historikerkommission ihren Auftrag aus der Politik erhielt, sondern vor allem, weil ihre Berufung einen politischen Konflikt – die Nachruf-Affäre – lösen sollte. Dass dies den Abschlussbericht über das ansonsten erwartbare Maß politisch auflud, dürfte einer der Schlüssel zur Erklärung der Debatte darstellen, zugleich verweist er auch auf ein allgemeines Problem der Zeitgeschichte, nämlich die Nähe von Wissenschaft und Politik.
Angesichts selbst nur dieser wichtigsten Einflussfaktoren lässt sich – im dichotomischen Sinne – kaum von zwei Lagern von "Befürwortern" und "Kritikern" sprechen, und alle Versuche, das disparate Feld in überzeugender Weise zu strukturieren, scheitern an seiner Komplexität. Auch wenn sich mit Rainer Blasius und der Historikerkommission die zwei entscheidenden Pole der Debatte benennen lassen, greift das scheinbar nächstliegende Strukturierungskriterium, die politischen Lager, nur bedingt. Denn obwohl, wie man nach dem holzschnittartigen Links-rechts-Schema erwarten konnte, die liberalkonservative FAZ die wichtigste Plattform der Kritiker darstellte und sich die linksliberale FR als prominenteste Befürworterin der Studie positionierte, gesellte sich, entgegen dem Schema, "Der Spiegel" zu den Kritikern und selbst durch die FAZ ging ein Riss. So wurden Blasius Andeutungen, dass es Henseler an Integrität mangele, in einem anderen Ressort desselben Blattes, in dem die AA-Studie zudem hoch gelobt wurde, als "Gipfel der Infamie" qualifiziert.
Die Debatte um "Das Amt und die Vergangenheit" auf einen griffigen Nenner zu bringen, erscheint also alles andere als leicht. Doch kann die vielschichtige Debatte sinnvollerweise überhaupt derart konzise zusammengefasst werden? Blendet man alle Polemik, persönlichen Angriffe und Unterstellungen aus, dürfte ihr sachlicher Kern aus zwei Teilen bestehen. Zum einen aus historiografischen, quelleninterpretatorischen, methodischen und wissenschaftsethischen Differenzen und Streitpunkten, zum anderen aus dem auf höherem Niveau weitergeführten (geschichts-)politischen Konflikt um den angemessenen Umgang mit NS-belasteten Amtsangehörigen und der NS-Vergangenheit des AA insgesamt. Genauer: der Frage, ob es im AA der Bundesrepublik Bestrebungen gab – und auch in jüngster Vergangenheit noch gibt –, die als Vertuschung oder Beschönigung gelten können. Dass die Studie, in der diese politischen und wissenschaftlichen Elemente gleichermaßen zusammenkamen, geradezu zum Symbol wurde und manchmal weniger über den Inhalt des Buches als über die zugeschriebene Bedeutung (etwa als Inbegriff des Geschichtsbilds der 68er oder der NS-Aufarbeitung insgesamt) gestritten wurde, deutet neben der großen öffentlichen Resonanz darauf hin, dass die Debatte über den Einzelfall hinaus Relevanz besitzt.
Ohne die Debatte in die eine Richtung als ausschließlich historiografischen Disput überzubewerten oder in die andere als rein (geschichts-)politische Auseinandersetzung zu verkürzen, lässt sich die Vermischung beider Momente als das zentrale Merkmal dieser Auseinandersetzung festhalten. Auch wenn einmal der eine, das nächste Mal der andere Anteil überwog, war die Debatte sowohl durch ein hohes Maß an wissenschaftlicher Substanz als auch durch ungewöhnliche Schärfe und unverkennbar politischen Gehalt geprägt. Diese Eigenschaft rückt sie in eine Reihe mit anderen großen historischen Debatten der Bundesrepublik, von der Kontroverse um den Reichstagsbrand über den Historikerstreit bis hin zur Auseinandersetzung um die Wehrmachtsausstellung. Ob die Debatte um 2Das Amt und die Vergangenheit" in dieser Reihe den gleichen Rang einnehmen wird, bleibt indes abzuwarten.