Einleitung
Wenn von Partizipation von Kindern in Kindergärten die Rede ist, dann sind damit Möglichkeiten der Mitbestimmung im Kindergartenalltag gemeint. Die Einflussnahme der Kinder kann zum Beispiel die gemeinsamen Regeln betreffen, das festzulegende Tagesprogramm oder die Raumumgestaltung. Die aktuelle Diskussion um Partizipation in Kindergärten hat eine längere Vorgeschichte. Zwei Beispiele: In den 1970er Jahren begannen Vertreter des Situationsansatzes in der Kindergartenpädagogik mit der intensiven Einbeziehung von Kindern in Entscheidungen; im Mittelpunkt standen dabei insbesondere thematische Projekte, die von Kindern und Erwachsenen gemeinsam entwickelt wurden. Einen anderen Impuls setzten Lothar Klein und Herbert Vogt in den 1990er Jahren; ausgehend von den basisdemokratischen Ideen des französischen Reformpädagogen Célestin Freinet empfahlen die beiden Pädagogen, in Kindertageseinrichtungen konsequent den Gedanken der Partizipation in die Tat umzusetzen. Emphatisch schrieben sie: "Den Kindern das Wort zu geben, also kindzentriert zu denken und zu handeln, bedeutet (...):
In andauernden Veränderungsprozessen
mit Kindern gemeinsam,
auf nur jeweils konkrete Situationen bezogen
und individuell zugeschnitten
auszuhandeln,
wo die Grenzen der Freiheit liegen,
und wer wem gegenüber
bis wohin verantwortlich ist.
(...) In Gruppenbesprechungen, im Kinderrat, in Werkstatt- oder Finanzräten entscheiden Kinder über alle möglichen Angelegenheiten des Zusammenlebens im Alltag."
Äußerungen dieser und ähnlicher Art erzeugten zum damaligen Zeitpunkt im öffentlichen Diskurs und in offiziellen Dokumenten nur bedingt eine Resonanz. Doch wie ist der Stand heute? Hat sich das Thema "Partizipation/demokratische Teilhabe in Kindergärten" mittlerweile etabliert, welchen Stellenwert hat es?
"Partizipation" in den Bildungsplänen
Die Durchsicht der aktuellen Kindergarten-Bildungspläne
In Variante A wird der Kindergarten verstanden als "Kinderstube der Demokratie". Entsprechend umfangreich und detailliert sind die einschlägigen Ausführungen; es wird unterstrichen, dass die Partizipationsrechte der Kinder institutionell verankert sein müssen. In Variante B wird das Prinzip der demokratischen Teilhabe nachdrücklich unterstützt. Offen bleibt, wann genau und in welcher Form Teilhabe ermöglicht werden soll und inwiefern eine institutionelle Verankerung der Mitbestimmungsrechte erforderlich ist. In Variante C wird das Prinzip der Beteiligung benannt und bejaht. Unbestimmt ist, in welchem Umfang, wann genau und in welcher Form die Kinder bei Entscheidungen mitbestimmen können und wie verbindlich die Idee der Partizipation im Alltag verankert wird. In Variante D wird den Kindern zugestanden, dass sie ihre Meinung äußern können. Welchen Stellenwert diese Meinungsäußerungen im Kindergartenalltag haben, ist offen. In Variante E wird Partizipation nicht explizit thematisiert.
Schauen wir uns zwei Bildungspläne etwas genauer an; es sind Pläne, die der Variante A zugeordnet werden können: der Bildungsplan des Landes Schleswig-Holstein "Erfolgreich starten: Leitlinien zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen" und der "Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung".
Zunächst zu den Leitlinien des Landes Schleswig-Holstein.
Entsprechend charakterisieren die schleswig-holsteinischen Leitlinien Partizipation als durchgängiges Prinzip des Kindergartens: "Partizipation ist mehr als eine punktuelle Beteiligung von Kindern bei einzelnen Fragen. Sie zieht sich als pädagogisches Prinzip durch den gesamten Alltag der Kindertageseinrichtung." Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren der "Leitlinien" bedarf es daher einer "strukturellen Verankerung" der Beteiligungsrechte in den Kindergärten: "Alle Kindertageseinrichtungen stehen vor der Frage, welche Rechte sie Kindern zugestehen wollen. Rechte zu haben, bedeutet immer auch, um diese Rechte zu wissen und diese Rechte eigenständig in Anspruch nehmen zu können. Dies können Kindertageseinrichtungen gewährleisten, indem sie im Rahmen ihrer Konzeption eindeutig festlegen, worüber Kinder mitentscheiden dürfen und wie die Beteiligungsverfahren geregelt sind." Am Ende der "Leitlinien" werden die Leserinnen und Leser auf einen besonderen Service hingewiesen, der noch einmal den Stellenwert des Themas unterstreicht: "Zur Unterstützung der Umsetzung der Bildungsleitlinien und der Umsetzung von Partizipation wurden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet. Sie unterstützen Kindertageseinrichtungen bei konkreten Vorhaben zur Verbesserung der Bildungsqualität bzw. bei der Umsetzung von Partizipation im Alltag der Einrichtung."
Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan setzt ähnliche Akzente.
Soweit die Theorie. Doch wer mit dem Thema nicht vertraut ist, wird sich vermutlich fragen: Ist Partizipation im Kindergarten überhaupt machbar? Und wenn ja: Welche Partizipationsformen gibt es, und wie funktionieren sie?
Formen der Beteiligung
Evaluationen von Partizipationsprojekten zeigen, dass demokratische Teilhabe in Kindergärten realisierbar ist. Allerdings, das wird ebenfalls deutlich, hängt sie von mehreren Voraussetzungen ab: Es müssen bestimmte Rahmenbedingungen in den betreffenden Einrichtungen gegeben sein, und die jeweiligen Fachkräfte müssen die verschiedenen Partizipationsformen kennen und kompetent handhaben. Wie funktioniert nun Partizipation in Kindergärten im Einzelnen? Es lassen sich grob drei Beteiligungstypen unterscheiden: projektbezogene, offene und repräsentative Formen der Beteiligung.
Bei der projektbezogenen Beteiligung befassen sich die Kinder in einem zeitlich überschaubaren Rahmen mit einem klar abgesteckten Thema. Der Impuls zur Bearbeitung des Themas kann von den Kindern oder von den Erwachsenen ausgehen. Projektartig behandelte Themen, bei denen die Kinder mitbestimmen können, sind zum Beispiel die Vorbereitung eines Ausflugs, die Umgestaltung eines Raums oder der Entwurf einer Kita-Zeitung.
Zu den offenen Formen der Beteiligung zählen Kinderkonferenzen, Erzähl- und Morgenkreise und Kinderversammlungen. Hier können die Kinder ihre Anliegen einbringen, diskutieren und damit Einfluss auf den Kita-Alltag nehmen.
Repräsentative Beteiligungsformen sind der Kinderrat und das Kinderparlament. In den Kinderrat werden Delegierte der Kindergruppen gewählt. Die Gewählten sind in der Regel ältere und besonders kompetente Kinder. Sie treffen sich regelmäßig in Dienstbesprechungen mit Mitgliedern des pädagogischen Teams, der Einrichtungsleitung und eventuell mit einer Elternvertretung, um aktuelle Anliegen zu besprechen. Aus der Praxis wird Positives über den Kinderrat berichtet: "Mit dem Vertrauen der Erwachsenen in die Kinder wächst die Bereitschaft, ihnen mehr Einflussmöglichkeiten auf das Einrichtungsgeschehen einzuräumen (z.B. die Unzufriedenheit der Kinder mit den angebotenen Teesorten führt zum Beschluss, einen Teehändler für eine Teeprobe in die Einrichtung einzuladen (...))."
Was sich hinter dem Begriff "Kinderparlament" verbirgt, soll wieder ein Praxisbeispiel veranschaulichen: "Im Kindergarten der Ev. Auferstehungsgemeinde in Frankfurt/Main nehmen alle Kinder, die im nächsten Jahr zur Schule kommen, am Kinderparlament teil. Zwei Erzieherinnen begleiten das Parlament. Sie strukturieren die Sitzungen im Hintergrund, führen Protokoll, unterstützen die Kinder nach Bedarf. Die wöchentlichen Sitzungen werden von den gewählten Vorsitzenden geleitet. Am Tag nach der Parlamentssitzung findet eine Vollversammlung aller Kinder und Erwachsenen statt, in der die Vorsitzenden die Sitzungsergebnisse vorstellen. Die begleitenden Erzieherinnen achten darauf, dass jedes Kind im Laufe der einjährigen Amtszeit einmal im Vorstand sein kann. Das pädagogische Ziel, das hier im Vordergrund steht, ist die Kompetenzerweiterung jedes einzelnen Kindes. In dem einen Jahr lernen sie u.a., ihre Interessen zu benennen, sich darüber mit anderen auseinander zu setzen oder die Ergebnisse vor vielen Zuhörern zu präsentieren."
Mittlerweile existieren Kindergärten, die sich eine Kita-Verfassung gegeben haben. In einer Kita-Verfassung sind die Mitbestimmungsrechte der Kinder verbindlich festgeschrieben. Es werden die Mitbestimmungsformen (zum Beispiel Kinderkonferenzen, Kinderparlament) und deren Funktionsweisen genau benannt; zudem werden die Bereiche fixiert, in denen die Kinder selbst bestimmen können (zum Beispiel Spielgestaltung), mitbestimmen können (zum Beispiel Themenauswahl von Gruppenaktivitäten) und nicht mitbestimmen können (zum Beispiel Sicherheitsfragen).
Unterstützende Formen der Kommunikation
Die bisherigen Praxiserfahrungen zeigen, dass gelingende Partizipation eine unterstützende Form der Kommunikation voraussetzt. Unterstützend sind unter anderem Methoden der Visualisierung. Das heißt: Gemeinsam mit den Kindern können Symbole vereinbart werden, die es ermöglichen, Themen, Tagesordnungen und Ergebnisse von Kinderkonferenzen in einer gut verständlichen Bildersprache auf Plakaten festzuhalten. Hilfreich sind hierbei Zeichnungen, Piktogramme und Fotos.
Die prägnante symbolgestützte Kommunikation kann ebenso in anderen Zusammenhängen unterstützt werden, wie folgendes Beispiel zeigt: "Bei einer Begehung ihres Gruppenraumes bitten die pädagogischen Fachkräfte die Kinder, überall, wo sie gerne spielen, einen grünen Klebepunkt anzubringen, und überall dort, wo sie gar nicht gerne spielen, einen roten. Anschließend suchen sie mit den Kindern die Teile des Raums auf, in denen es viele grüne, viele rote und gleichermaßen viele rote und grüne Punkte gibt. Sie befragen die Kinder, was sie hier jeweils Tolles spielen bzw. was sie hier doof finden, notieren dies gegebenenfalls und erfahren so differenziert, welche Bereiche erhalten, welche entfernt und welche wie verändert werden sollen."
Neben den Methoden der Visualisierung ist die kompetente Gesprächsführung bei Kinderkonferenzen und anderen Zusammenkünften von entscheidender Bedeutung. Insbesondere die Art, Fragen zu stellen, hat Konsequenzen für das Gelingen oder Nichtgelingen von Partizipation. Wenig ratsam sind beispielsweise Suggestivfragen, komplizierte Fragen und Warum-Fragen, die Kinder oft nicht beantworten können. Günstig hingegen ist der Gebrauch von offenen Fragen am Anfang einer Zusammenkunft ("Was fällt euch zu X ein?") und die allmähliche Verengung der Fragen im weiteren Diskussionsverlauf ("Was genau sollen wir jetzt machen?"). So kann gewährleistet werden, dass die Kinder ihre Gedanken frei einbringen können und am Ende ein greifbares Ergebnis herauskommt.
Ergebnisse empirischer Untersuchungen
Zu der Frage, ob und welche Effekte Partizipation von Kindern in Kindergärten hat, liegen unter anderem die Ergebnisse zweier aufwendiger empirischer Studien vor. Die erste untersuchte von Oktober 2001 bis September 2003 sieben Kindertageseinrichtungen, die sich im Rahmen eines Modellprojektes des Landes Schleswig-Holstein dazu bereiterklärten, ihr pädagogisches Konzept stark zu verändern und Kindern die intensive Mitbestimmung im oben beschrieben Sinne zu ermöglichen. Die Daten wurden zu Beginn und am Ende der Modellprojektphase durch schriftliche und mündliche Befragungen der Fachkräfte in den sieben Kindertageseinrichtungen erhoben.
Eine andere Studie basiert auf einer Evaluation in zwei Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen (2009/2012). Diese war insofern aufwendiger und präziser, als nicht nur die Fachkräfte, sondern auch die Kinder und die Eltern befragt wurden; überdies wurden die Kinderkonferenzen von den Forscherinnen und Forschern beobachtet.
Die Meinungen der zum Partizipationsprojekt befragten Eltern variierten; es gab sowohl Befürworter als auch Skeptiker. Letztere äußerten unter anderem folgende Bedenken: Das Thema Partizipation werde im Vergleich zu anderen Themen überbewertet und nehme zu viel Zeit in Anspruch; die Kinder könnten die Gefahren bestimmter Dinge nicht einschätzen und sollten daher auch nicht selbst oder mitentscheiden; man vernachlässige die Erziehung der Kinder; die Partizipation vergrößere die Bürokratie im pädagogischen Alltag.
Wie lassen sich die hier knapp referierten Untersuchungen einordnen? Beide Untersuchungen liefern Belege für die Behauptung, dass Partizipation von Kindern in Kindertageseinrichtungen realisierbar ist und dass konsequent und kompetent eingesetzte Beteiligungsverfahren nicht nur politisch bildend, sondern auch allgemein bildend wirken. Allerdings: Aufs Ganze gesehen ergeben die Daten der zwei Untersuchungen immer noch eine recht schmale empirische Basis. Anders gesagt: In Anbetracht des Gewichtes, welches das Thema mittlerweile erlangt hat, und angesichts der Fülle von Aspekten, die bei diesem Thema zu berücksichtigen sind, erscheint es ratsam, die Forschung zu intensivieren. Dabei müsste die Zahl der einbezogenen Kindertageseinrichtungen vergrößert, die Untersuchungsdauer verlängert und noch konsequenter mit Beobachtungsverfahren gearbeitet werden; überdies sollten auch Vergleiche mit Kontrollgruppen, in denen es keine Kita-Verfassungen gibt, bemüht werden.
Schluss
Eine Episode aus der Kindergartenpraxis veranschaulicht noch einmal die Mühen eines demokratisierten Alltags und das mit ihm verknüpfte Prinzip von Versuch-und-Irrtum:
"Die Fahrzeuge (Bobby-Cars, Dreiräder etc.) sind beliebte Spielzeuge im Außengelände. Da es sie aber nur in begrenzter Anzahl gibt, kommt es immer wieder zu Streit, wer welches Fahrzeug wie lange benutzen darf. Die Kinder beschweren sich bei den Kinderbesprechungen in den Gruppen, dass sie diese Situation doof finden. Einige stehen immer als Erste vor der Tür des Schuppens, in dem die Fahrzeuge aufbewahrt werden, andere geben die Fahrzeuge dann nur unter ihren Freunden weiter. Die Kinder beschließen: 'Das soll anders sein.' Die Fachkräfte unterstützen die Kinder dabei, eine Lösung zu finden, indem sie in den einzelnen Gruppen mit den Kindern Ideen sammeln, wie man diese Situation ändern könnte. Die Ideen werden im Kinderrat vorgestellt und diskutiert. Zuerst entscheiden sich die Kinder für die Lösung 'Abklatschen': Wenn einer ein Fahrzeug haben will, kann er abklatschen, und derjenige, der gerade auf dem Fahrzeug sitzt, muss es ihm geben. In der Probephase stellen die Kinder bereits nach einem Tag fest, dass diese Lösung unpraktikabel ist, weil ständig abgeklatscht wird und nun kein Kind mehr in Ruhe mit den Fahrzeugen spielen kann. Nach einer erneuten Diskussion findet der Kinderrat eine zweite Lösung: Jedes Kind darf 10 Minuten mit einem Fahrzeug fahren. Die Idee: Die Kinder steigen alle zur gleichen Zeit auf die Fahrzeuge und nach 10 Minuten zeigt die Erzieherin mit einer Trillerpfeife an, dass die Zeit um ist und nun andere Kinder fahren dürfen. Diese Variante wird eine Woche lang ausprobiert. So richtig zufrieden sind die Kinder auch mit dieser Entscheidung nicht. Auch die Fachkräfte sind nicht wirklich glücklich damit: 'Das geht jetzt zu wie auf dem Kasernenhof', bemerkt eine Erzieherin. Schließlich kommen einige Kinder auf die Idee, eine Haltestelle zu bauen: Wenn ein Kind mit Fahren fertig ist, stellt es das Fahrzeug auf einem Platz ab. Dort gibt es (wie bei einem Bus) eine Haltestelle, an der die Kinder, die fahren wollen, sich hinsetzen. Und das Kind, das vorne sitzt, ist als Nächstes dran."