Einleitung
Cross-Dressing - der Wechsel zur Kleidung des anderen Geschlechts - und, oft damit verbunden, der Wechsel des sozialen Geschlechts sind in der europäischen Kulturgeschichte seit Langem bekannt.
Geschlechtswechsel in der Sexualpathologie
Cross-Dressing geriet erst auf dem Höhepunkt der humanwissenschaftlichen Geschlechterdebatte innerhalb der psychiatrischen Sexualpathologie des späten 19. Jahrhunderts in den medizinischen Blick.
Als Beispiel nannte Ulrichs den berühmt gewordenen Gardinenaufstecker Blank, der um 1850 "ganz als Dame gekleidet auf den Wallpromenaden von Torgau" spazieren ging, sich zeitweise als Frau ausgab und von der Polizei verhaftet wurde. "Jener Blank war sogar so kühn, bei der Obrigkeit förmlich um die Erlaubnis einzukommen, sich weiblich nennen und kleiden zu dürfen. Die Bitte ward abgeschlagen."
Krafft-Ebing entwickelte in seiner wirkungsmächtigen "Psychopathia Sexualis" 1886 Westphals Idee der "Gradunterschiede" zu einer hierarchisch-ontologischen Ordnung, in deren aufsteigender Folge die Zeichen der Geschlechtermischung immer deutlicher hervortreten. Und entsprechend dem Ansatz Griesingers, nachdem Geisteskrankheiten Hirnkrankheiten seien, präzisierte Krafft-Ebing Ulrichs' These von der weiblichen Seele im männlichen Körper in das weibliche Gehirn respektive "Sexualcentrum" im Männerkörper. Sein diagnostischer Blick weitete sich auf die Trias sexuelle Objektwahl, körperliches und soziales Geschlecht aus. Weil Krafft-Ebing bei der conträren Sexualempfindung zwischen "erworbener Perversität" und "angeborener Perversion" unterschied, schlug er zwei analoge Reihen dieser Abstufungen vor. Erstere steige bis zur "Metamorphosis sexualis paranoica (dem Wahn der Geschlechtsumwandlung)"
Aushandlungen
Im Kontext der um die Jahrhundertwende zunehmenden Verwissenschaftlichung, Popularisierung und Politisierung der Homosexualität begann auch der Selbstdiskurs der Cross-Dresser und Geschlechtswechsler. Mit der Etablierung einer Homosexuellenbewegung in Gestalt des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (1897) wurde der Homosexuelle in der Öffentlichkeit ein geläufiger Sozialcharakter. Infolge seiner Funktion als Mitbegründer und Sprachrohr der Vereinigung avancierte Magnus Hirschfeld zur Schlüsselfigur dieser Emanzipationsbewegung und für deren Klientel zum wichtigsten Ansprechpartner in wissenschaftlichen, rechtlichen, aber auch ganz alltäglichen sozialen Fragen. Ausgehend von seinen Forschungen über sexuelle Zwischenstufen entwickelte er im Rückgriff auf Ulrichs die Auffassung, dass jeder Mensch eine Mischung aus männlichen und weiblichen, körperlichen und seelischen Eigenschaften sei. Ab 1903 setzte sich für diesen Ansatz der Begriff "Zwischenstufentheorie" durch, wobei Homosexuelle und Hermaphroditen die prominentesten Vertreter darstellten.
Cross-Dresser bildeten bei Hirschfeld zunächst keine eigenständige Kategorie, auch er begriff ihre Passion als Anzeichen von Homosexualität. Dies lässt sich in vielen Texten sowie anhand der ersten und einzigen Abbildung eines "Homosexuellen" aus seinem programmatischen Aufsatz im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen von 1899 erkennen (s. Abbildung 4 der PDF-Version). Das Jahrbuch war darauf angelegt, über die ganze Fülle mischgeschlechtlicher Formen zu berichten. Dort erschienen wichtige Arbeiten zum Hermaphroditismus wie auch die erste zum Cross-Dressing überhaupt. Diese stammt nicht von einem ärztlichen Experten, sondern aus der Feder eines Cross-Dressers (s. Abbildung 5 der PDF-Version). Dieser beschreibt sich zunächst in Anlehnung an Vordiskussionen als Urning, "welcher zu der Gruppe der ausgeprägtesten Effeminierten gehört".
Auch in der allgemeinen Öffentlichkeit war die Zuordnung der Cross-Dresser zu den Urningen verbreitet. Ein vom Sexualwissenschaftler Iwan Bloch beschriebener Mann berichtete, dass er vergeblich versuchte, bei seiner Frau Verständnis für seine Neigung zu wecken. Sie forschte nach, indem sie andere Frauen befragte: "Diese wußten ihr über Männer, die so veranlagt wären wie ich, nur Schlechtes und Gemeines zu berichten, ich sollte unbedingt ein Urning sein (...)."
Andererseits gab es auch bei homosexuellen Männern das Bedürfnis, sich von der sichtbaren Effeminierung der Cross-Dresser zu distanzieren; ihnen war der Abstand mindestens ebenso wichtig wie umgekehrt. Die in Hirschfelds "Zwischenstufentheorie" vorgenommene Verknüpfung von männlicher Homosexualität mit Weiblichkeit provozierte beim viril orientierten Flügel der Homosexuellenbewegung Protest, wie ihm durchaus bewusst war: "Der großen Mehrzahl der Homosexuellen, nicht nur der virileren, ist die Verkleidung direkt unsympathisch."
Die als Zerrbild wahrgenommene Darstellung Hirschfelds führte 1907 innerhalb des Wissenschaftlich-humanitären Komitees zur Sezession. Nach Auffassung der tendenziell misogynen Sezessionisten machte Hirschfeld die Homosexuellen zu "Halbweibern" und "einer Art psychischer Mißgeburt", wie ihr Wortführer Benedikt Friedländer es nannte. Das Ziel der Homosexuellenbewegung, die Abschaffung des Paragrafen 175 Reichsstrafgesetzbuchs (RStGB), erforderte aber gerade eine Bündelung der Kräfte, was ein konsensfähiges Bild vom Homosexuellen voraussetzte. Die Herstellung eines Konsenses zwischen den Lagern dürfte daher ein weiteres Motiv für die Trennung der Effeminierten von den Homosexuellen gewesen sein; die Einführung der neuen Kategorie "Transvestiten" kann somit als Konzession an Hirschfelds Opponenten in der Homosexuellenbewegung gelesen werden.
Schwierigkeiten der Transvestiten ergaben sich jedoch nicht nur aus den stigmatisierenden Fremdzuschreibungen ihrer Eigenart, sondern vor allem aus juristischen Konsequenzen. Obwohl das deutsche Strafrecht der Kaiser- wie der Weimarer Zeit das Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts nicht ausdrücklich sanktionierte, waren Personen, die polizeilich als Transvestiten erkannt wurden, wegen der "Erregung öffentlichen Ärgernisses" und somit "Störung der öffentlichen Ordnung" mit empfindlichen Strafen bedroht. Bei vielen Transvestiten beiderlei Geschlechts blieben aufgrund ihres Körperbaus, Haarwuchses, Gesichtsschnittes, ihrer Bewegungen oder der Stimmlage trotz noch so perfekter Aufmachung Spuren des Herkunftsgeschlechts wahrnehmbar. Abbildung 6 soll die Irritationen in der öffentlichen Geschlechter-Performanz illustrieren. Einige Transvestiten wurden deshalb von der Polizei festgenommen und mussten als "Wiederholungstäter" Haftstrafen verbüßen. (s. Abbildung 6 der PDF-Version)
Für diesen Personenkreis handelte Hirschfeld gemeinsam mit seinem Kollegen Iwan Bloch um 1910 mit der Polizeibehörde eine Übereinkunft aus, nach der von einer Festnahme abgesehen wurde, wenn die Betreffenden eine polizeilich bestätigte Bescheinigung vorlegen konnten, die sie als ärztlich beglaubigte Transvestiten auswies. Der "Transvestitenschein" wurde in der Folge häufig ausgestellt (s. Abbildung 7 und 8 der PDF-Version). Zu dieser Zeit hatte sich besonders in Berlin eine vielfältige Transvestitenkultur mit eigenen Lokalen, Treffpunkten, Organisationen und Zeitschriften entfaltet.
Dank einer mündlichen Übereinkunft mit dem Preußischen Justizminister war es ab 1921 in einem gutachterlichen Verfahren möglich, eindeutig auf das Geschlecht verweisende Vornamen durch einen neutralen, etwa Alex oder Toni, zu ersetzen; in einem Fall gelang sogar die Umschreibung des Personenstandes. Vornamensänderungen gaben die Behörden in Verwaltungszeitungen bekannt, was einem amtlichen Outing gleichkam: Die Anzeigen enthielten die Klarnamen, persönlichen Daten und Wohnadressen der Betreffenden. Beide Praxen bedeuteten ein doppeltes Abhängigkeitsverhältnis der Transvestiten, nämlich vom Wohlwollen der Gutachter und der Überzeugungskraft ihrer ärztlichen Expertise - schließlich war die Anerkennung von Hirschfelds durchaus nicht unumstrittenem Transvestitismus-Konzept die Voraussetzung. Abhängig waren sie aber auch vom Verständnis der Polizei und Justiz, auf deren Genehmigung sie angewiesen und deren Kontrollwillkür sie ausgeliefert waren. Insofern hatten die Transvestiten trotz dieser Liberalisierungen also auch weiterhin einen prekären Status inne.
Zur (Be)Deutung des Geschlechtskörpers
Zu den Transvestiten zählten auch Frauen und Männer, die nicht nur die Kleidung des anderen Geschlechts bevorzugten, sondern sich diesem ganz zugehörig fühlten. In den wenigen frühen Mitteilungen dieser Personengruppe finden sich allerdings keine Hinweise auf Operationswünsche. Punktueller, passagerer oder permanenter Wechsel des sozialen Geschlechts war in ihrem Selbstkonzept offenbar nicht notwendig mit einem - wie es heute heißt - "Unbehagen im falschen Körper" und dem Wunsch nach dessen Umgestaltung verbunden. Hirschfeld berichtet allerdings von einigen Männern, die über kürzere oder längere Zeit als Frau gelebt hatten, und fasst ihre Körperwünsche und -wahrnehmungen wie folgt zusammen: "Vielfach bilden sich zwar die Transvestiten vor dem Spiegel stehend ein, ihre Formen seien weicher und weiblicher, wie die gewöhnlicher Männer; aber ihre meist rauhe Haut, die behaarte Brust, der starke Bartwuchs, der schlanke, oft sehnige Körperbau, die straffen Linien und Züge, die tiefe Stimme zeigen, dass es sich um eine angenehme Selbsttäuschung handelt, die übrigens keine tiefgehende ist, auch nicht den Charakter einer Wahnidee trägt; sie wissen ganz genau, dass ein Widerspruch zwischen ihrem Körper und ihrer Seele klafft."
Selbstgestaltung des Geschlechtskörpers
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfuhr der Körper sowohl in der (Sexual-)Wissenschaft als auch in den alle Bevölkerungsschichten und Bereiche des alltäglichen Lebens durchziehenden Lebensreformbewegungen eine Rehabilitierung, Neudefinition und Aufwertung. Diese Bedeutungsaufladung des Geschlechtskörpers für die Konstruktion des Selbst bildete die Voraussetzung dafür, jene Personen, die sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlten, zur physischen Umgestaltung zu motivieren. Die dazu nötigen Techniken wurden in der um 1900 aufkommenden kosmetischen Medizin entwickelt, sei es die Gesichtschirurgie, die Röntgenepilation oder die Paraffinbrustplastik. Diese Kontextualisierungs- und Plausibilisierungsversuche können den Wunsch nach operativer Geschlechtsumwandlung allerdings lediglich einordnen. Sie vermitteln jedoch keinen Eindruck von der Tiefe individuellen psychischen Leids, das Einzelne Anfang des 20. Jahrhunderts dazu trieb, irreversible Umgestaltungen durch invasive Eingriffe - wie sie Kastration und Amputation darstellen - durchzusetzen oder an sich selbst vorzunehmen.
Die nach 1910 datierten ersten Versuche körperlicher Manipulation sogenannter Transvestiten zielten allerdings noch nicht auf operative Umgestaltung, sondern zunächst "nur" darauf, die Zeichen des Herkunftsgeschlechts zu tilgen. Diese Schlussfolgerung legen zumindest die Quellen nahe. So berichten die Ärzte Tange und Trotsenburg 1911 über einen niederländischen Transvestiten, der mittels verschiedener Manipulationen versuchte, seinen Körper zu verweiblichen.
Eine erste vorläufige Differenzierung zwischen den "normalen" Transvestiten und jenem Personenkreis, der sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlte, beginnt in diesem Zeitabschnitt. Sie geht auf den englischen Sexualwissenschaftler Havelock Ellis zurück, der das Phänomen des Cross-Dressing in Anlehnung an den Chevalier D'Eon "Eonism" nannte.
Erste Versuche operativer Geschlechtsumwandlung
Der Berliner Chirurg Richard Mühsam, dem in der Diskussion eine Schlüsselposition zukommt, operierte 1912 einen ersten von ihm so bezeichneten weiblichen Transvestiten, die sich, 35-jährig, Brüste und Gebärmutter entfernen ließ, "da sie diese Organe als nicht zu ihr gehörig empfand. Sie hielt sich für einen verkappten Mann und wollte auch äußerlich wie ein Mann aussehen. (...) (Sie) war (...) eine nicht unbegabte Malerin, trug Männerkleider und klagte über (...) das Gefühl, Fremdkörper im Leibe zu haben. Als diese (...) sah sie die Eierstöcke an, um deren Entfernung sie dringend bat." Nachdem er ihr auch die Ovarien entfernt hatte, schreibt Mühsam "fühlte sie sich (...) freier und betrieb die Umschreibung ihres Personalstandes".
Ausschlaggebend für die ersten mitgeteilten Wünsche nach Operationen ist folgender Kontext: Im Zuge der nach 1900 einsetzenden Forschung zur Wirkung von Geschlechtshormonen wurden experimentelle Geschlechtsumwandlungen an Haus- und Labortieren vorgenommen. Über die vom Wiener Physiologen Eugen Steinach realisierten berichtete die deutschsprachige Fach- und Tagespresse als wissenschaftliche Sensation. Wie solche Berichte bei einigen Transvestiten Wünsche nach analogen Eingriffen wachriefen, lässt sich am Beispiel eines 1916 vom Sexualwissenschaftler Max Marcuse beschriebenen Mannes illustrieren: "Die im Mai v.J. durch die Presse gegangene Notiz (...) veranlasste Herrn A., mich darüber zu konsultieren, ob eine derartige Operation nicht auch am Menschen mit Erfolg ausgeführt und er auf diese Weise zu einem Weibe gemacht werden könnte."
Die erste komplett dokumentierte Mann-zu-Frau-Geschlechtsumwandlung erfolgte 1920/1921 bei einem Patienten des Hirschfeld-Instituts. Bei diesem Medizinstudenten, der mit der Pistole in der Hand mit Suizid drohte, wurde von Arthur Kronfeld eine "schwere Sexualneurose" diagnostiziert. Sie diente als medizinische Indikation für die Eingriffe, während die Suiziddrohung eine sogenannte Notoperation rechtfertigte, wie ein weiterer Hirschfeld-Mitarbeiter später ausführlich darlegte.
Mit Unterstützung des Instituts für Sexualwissenschaft erfolgten bis 1931 eine ganze Reihe weiterer Umwandlungen. Über die Routine der Operationen berichtet Felix Abraham in einer ersten medizinischen Veröffentlichung im selben Jahr. Die bekannteste dieser frühen Geschlechtsumwandlungen ist die des dänischen Malers Einar Wegener, der sich aufgrund des Operationsortes Dresden "Lili Elbe" nannte.
Obgleich es nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 keine einheitliche Strategie im Umgang mit Transvestiten gab, standen diese unter dem Generalverdacht der Homosexualität. Zur Verfolgung der Homosexuellen wurde 1935 der entsprechende Paragraf 175 RStGB verschärft und die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung eingerichtet. Transvestiten standen unter der Beweislast ihrer Heterosexualität; für einige, denen dies gelang, wurden Transvestitenscheine aus der Weimarer Zeit verlängert oder sogar neue ausgestellt. Und obgleich der Berliner Charité-Psychiater Karl Bonhoeffer 1941 berichtete, dass ihm Wünsche nach Geschlechtsumwandlung - wie aus der Weimarer Zeit - nicht mehr begegnet seien, lässt sich zumindest eine ausgeführte Operation bei einem Mann-zu-Frau Transsexuellen für die NS-Zeit nachweisen. Über das Schicksal der vor 1933 Operierten liegen keine systematischen Forschungen vor.
Erst in den 1950er Jahren setzte in den USA erneut eine medizinische Diskussion über die Geschlechtsumwandlung ein, allerdings nicht mit direkten Bezug auf die deutsche Vorläuferschaft, ohne die sie freilich nicht zu denken ist. Harry Benjamin nahm für sich in Anspruch, den Begriff transsexuality eingeführt zu haben. Ähnlich wie Hirschfeld den Wunsch nach Geschlechtsumwandlung bei "extremen Transvestiten" als "stärkste Form des totalen Transvestitismus"
In Deutschland bezeichnete man Personen mit dem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung noch bis in die 1950er Jahre als Transvestiten. Erst mit der Rezeption von Benjamins Arbeiten in den 1960er Jahren wurde, ohne Bezug zur hier beschriebenen Vorläuferdiskussion um Hirschfeld, in beiden deutschen Staaten von "Transsexualismus", später von "Transsexualität" gesprochen.