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Migration in Italien: Zwischen Fakten und Wahrnehmung | EU-Migrations- und Asylpolitik | bpb.de

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Migration in Italien: Zwischen Fakten und Wahrnehmung

Maurizio Ambrosini

/ 5 Minuten zu lesen

Die Migrationspolitik in Italien ist gefangen zwischen einer feindseligen Haltung gegenüber Flüchtlingen und einer wirtschaftlich notwendigen Öffnung für ausländische Arbeitskräfte.

Ein italienischer Polizist sitzt im italienischen Ankunftslager für Flüchtlinge in der Hafenstadt Shengjin im nördlichen Albanien vor Kontrollschirmen, die Bilder aus Überwachungskameras aus dem Lager zeigen. (© picture-alliance/dpa, Alketa Misja)

Die italienische Debatte über Einwanderung und Asyl wurde in den letzten zehn Jahren von Ankünften über das Mittelmeer dominiert: Diese waren sehr sichtbar, erzeugten oft dramatische Bilder und wurden zum Gegenstand hitziger Debatten und politischer Kampagnen zu ihrer Bekämpfung. Dies führte im Ergebnis zu einer hochdramatisierten Darstellung der Einwanderung, die von den tatsächlichen Daten abgekoppelt war.

Wahrnehmung von Migration

Die meisten Italienerinnen und Italiener glauben, dass der Umfang der Einwanderung nach Italien in den letzten Jahren stark zugenommen habe. Eine Externer Link: Umfrage des Sozial-, Politik- und Marktforschungsunternehmens IPSOS aus dem Jahr 2015 ergab, dass Italienerinnen und Italiener meinen, dass 26 Prozent der Bevölkerung Italiens Eingewanderte seien – die tatsächliche Zahl liegt bei etwa neun Prozent. Dies stellt die größte Kluft zwischen Wahrnehmung und Realität im Vergleich der EU-Länder dar, die in die Umfrage einbezogen wurden. Einige Politikerinnen und Politiker, darunter die derzeitige Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, knüpfen an die Interner Link: rechte Verschwörungstheorie des „großen Austauschs“ der Bevölkerung (von Meloni als „Plan zur ethnischen Substitution“ bezeichnet) an und tragen somit zu ihrer Verbreitung bei. Viele Italienerinnen und Italiener sind auch der Meinung, dass die Suche nach Asyl der Hauptgrund für den scheinbar starken Anstieg der Einwanderung sei und dass es sich bei den Einwandernden hauptsächlich um junge afrikanische oder arabische Männer muslimischen Glaubens handele. Eine weitere weit verbreitete Annahme ist, dass Italien von seinen europäischen Partnern allein gelassen und zum Hauptanlaufpunkt für Asylsuchende geworden sei: das „Flüchtlingslager Europas“ (Giorgia Meloni).

Migration in Daten

Aus den vorliegenden statistischen Daten geht hervor, dass die Zahl der in Italien lebenden ausländischen Staatsangehörigen in den letzten zehn Jahren nur geringfügig gestiegen ist: von 4,6 Millionen im Jahr 2013 auf 5,3 Millionen Anfang 2024, einschließlich der in Italien geborenen Kinder von Eingewanderten. Ende 2023 befanden sich etwa 445.000 Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und -bewerber im Land (darunter etwa 165.000 ukrainische Flüchtlinge), das waren weniger als 10 Prozent der gesamten ausländischen Bevölkerung. Wie in vielen anderen europäischen Ländern überwiegt zudem der Anteil von Frauen an der Zuwanderung nach Italien (leicht), was zum Teil mit der großen Nachfrage nach Hausangestellten und Pflegekräften zusammenhängt, die in der Regel weiblich sind. 47 Prozent der Zugewanderten stammen zu Beginn des Jahres 2023 aus anderen europäischen Staaten, und etwa drei Fünftel kommen aus Ländern mit einer christlichen Kulturtradition.

Was die Asylmigration betrifft, so hat Italien im Jahr 2023 etwa 136.000 von rund 1,1 Millionen in der Europäischen Union gestellten Asylerstanträgen erhalten, in Deutschland waren es 330.000, in Spanien 161.000 und in Frankreich 145.000.

Migrationspolitik

Ungeachtet dieser Diskrepanz zwischen faktischer Datenlage und Wahrnehmung von Einwanderung und Asyl, trug das Thema Migration wesentlich zum politischen Sieg der populistischen 5-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle) und der Liga (Lega) im Jahr 2018 sowie zur Interner Link: Stärkung der politischen Rechten unter Führung der Brüder Italiens (Fratelli d'Italia) bei den Parlamentswahlen 2022 bei. Die aus den beiden Parlamentswahlen von 2018 und 2022 hervorgegangenen Regierungen haben Initiativen ergriffen, um den Ankünften über das Meer entgegenzuwirken, die Gewährung des Flüchtlingsstatus einzuschränken und Hilfsmaßnahmen von Nichtregierungsorganisationen zu behindern. Mit Blick auf die Migrationsaußenpolitik hat Meloni seit ihrem Amtsantritt das von der Mitte-Links-Regierung 2017 eingeführte bilaterale Abkommen mit Transitland Libyen erneuert, welches die Zahl der an den italienischen Küsten ankommenden Migrantinnen und Migranten verringern soll. Zudem hat sie mehrere Reisen nach Tunesien unternommen, mit dem Ziel, die Regierung von Kais Saied zur Zusammenarbeit zu bewegen, um die Abfahrt von Booten mit Migrantinnen und Migranten an Bord zu verhindern. Hinzu kommt die Interner Link: jüngste Vereinbarung mit der albanischen Regierung über die Einrichtung von zwei Aufnahmeeinrichtungen in Albanien, wohin auf dem Mittelmeer aufgegriffene Asylsuchende zur Prüfung ihrer Asylanträge gebracht werden sollen. Dies dient ausdrücklich der Abschreckung von über den Seeweg ankommenden Menschen. In den vergangenen Jahren haben sich unterschiedliche italienische Regierungen mehrfach mit ihren traditionellen europäischen Partnern, insbesondere Frankreich und Deutschland, angelegt und ihnen vorgeworfen, Such- und Rettungsaktionen von NGOs zu unterstützen, aber auf See gerettete Schiffbrüchige nicht aufnehmen zu wollen.

Auf europäischer Ebene unterstütze die Regierung Meloni den neuen Interner Link: Migrations- und Asylpakt zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (April 2024). Ihr zufolge entsprach er ihren Forderungen nach stärkeren Beschränkungen für Asylsuchende, einer strengeren Prüfung der Asylanträge, einer strikteren Durchsetzung von Rückführungsverfahren sowie einem stärkeren Engagement in Transitländern zur Bekämpfung der Durch- und Weiterreise nach Europa. In diesem Zuge forderte sie gemeinsam mit anderen europäischen Regierungen die Möglichkeit der Ausweisung von Asylbewerberinnen und -bewerbern auch in Drittländer durchzusetzen, zu denen sie irgendeine Verbindung haben, beispielsweise, weil sie dort auf der Durchreise waren.

Während die derzeitige Regierung unter Meloni einerseits versucht, Asylsuchende und Migrantinnen und Migranten, die über das Meer nach Italien kommen, abzuschrecken, hat sie andererseits die legalen Kanäle für die Arbeitsmigration erweitert, vor allem für Saison- und gering qualifizierte Arbeitskräfte. So hat sie die Einreise von 452.000 Arbeitskräften aus Drittländern im Zeitraum 2023-2025 genehmigt, um dem wachsenden Arbeitskräftemangel in Italien entgegenzuwirken. Die Einreise von Arbeitskräften wird jedoch durch unzureichende Vorschriften, bürokratische Langsamkeit und unsachgemäße Nutzung des Verfahrens (z.B. Betrugsversuche) behindert. Eine gewisse Anzahl von erleichterten Einreisen ist auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgesehen, die im Ausland mit italienischen Mitteln ausgebildet wurden.

Italiens Regierung betreibt also eine doppelte Migrationspolitik: feindlich gegenüber Flüchtlingen, mäßig freundlich gegenüber Arbeitskräften, wobei auch für letztere keine angemessenen Integrationsmaßnahmen vorgesehen sind. Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel

Weitere Inhalte

Dr. Maurizio Ambrosini ist Professor für Soziologie an der Fakultät für Sozial- und Politikwissenschaften der Universität Mailand, Italien. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der Migration. Er hat dazu international umfassend publiziert und ist Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift „Mondi migranti“.