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Der Weg zum Staat | Israel | bpb.de

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Der Weg zum Staat Vorgeschichte und Gründung Israels

Michael Brenner

/ 18 Minuten zu lesen

Als Antwort auf den Antisemitismus Ende des 19. Jahrhunderts entstand mit dem Zionismus eine jüdische Nationalbewegung. Doch waren Zuwanderung nach und Aufbau in Palästina mit vielen Hürden verbunden.

War es der Holocaust, der zur Gründung des Staates Israel führte? Oder die Verfolgung der Juden im Russischen Reich? Der Dreyfus-Prozess in Frankreich oder die Wahl des Antisemiten Karl Lueger zum Wiener Bürgermeister? War es der Idealismus russisch-jüdischer Sozialisten, eine egalitäre Gesellschaft in Palästina zu errichten oder doch eher die religiöse Überzeugung einiger Orthodoxer, nach zweitausend Jahren Staatenlosigkeit das messianische Zeitalter einzuleiten? Ein bisschen wohl von allem und gewiss noch mehr.

Die Anfänge des Zionismus als Idee lassen sich nicht klar datieren. Bereits vor der Zerstörung des Zweiten Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n.d.Z. lebten Juden in der Diaspora, die sich damals von Ägypten bis Kleinasien erstreckte. Mit dem Verlust ihres religiösen und nationalen Heiligtums und dem Ende ihrer politischen Souveränität wurden sie zu einem Diasporavolk par excellence. Doch sie gaben die enge Bindung an ihre historische Heimat nicht auf. Sie beteten drei Mal täglich für ihre Rückkehr nach Jerusalem, das durch den Berg Zion symbolisiert wurde, von dem sich später der Begriff "Zionismus" herleitete. Sie stellten sich diese Rückkehr in poetischer Form vor. Und manchmal verließen sie tatsächlich ihre Wohnorte in Europa, Afrika und Kleinasien, um in das biblische Land zu ziehen. Wenn nicht zum Leben, dann zumindest zum Sterben.

Der Zionismus als politische Bewegung dagegen hat sowohl eine Geburtsstunde als auch einen Geburtsort. Sein Anfang lässt sich auf den ersten Zionistenkongress in Basel im August 1897 datieren. Sein Vater ist Theodor Herzl, der ein Jahr zuvor mit seiner kleinen Schrift "Der Judenstaat" die theoretische Grundlage für diese moderne politische Bewegung schuf.

Politischer Zionismus

Als Journalist und Bühnenautor war der 1860 in Budapest geborene Herzl in seiner Wahlheimat Wien keineswegs ein Unbekannter. Der Feuilletonredakteur der "Neuen Freien Presse" gehörte zu den wichtigsten literarischen Stimmen der Stadt. Herzl wollte vor allem dazugehören und anerkannt werden: als Österreicher, als Schriftsteller, als Journalist. Sein Judentum war ihm lange Zeit relativ gleichgültig. Er ließ seinen Sohn nicht beschneiden, ging selten in den "Tempel", wie die Wiener Juden ihre große Synagoge in der Seitenstettengasse nannten, und stellte sich einen Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer. Doch als er erkannte, dass er von seiner Umwelt nicht so sehr als Österreicher oder als deutscher Schriftsteller, sondern in erster Linie als Jude wahrgenommen wurde, zog er daraus eine radikale Erkenntnis: Wenn die europäischen Völker die Juden nicht als gleichwertige Mitglieder in ihrer Mitte anerkennen, dann müssen die Juden eben ihren eigenen Staat, ihre eigene Gesellschaft gründen. Noch wusste er nicht genau wo und in welcher Form. Er dachte zunächst an Argentinien, wo man die Einwanderung von Europäern förderte. Später nahm er auch den Uganda-Plan der britischen Regierung durchaus ernst, die ein Gebiet im heutigen Kenia vorschlug. Doch verstand er durchaus, dass es eigentlich nur einen Ort gab, an dem die Juden ein historisches Recht auf Ansiedlung hatten und an den sie emotional gebunden waren. Dies war das Land Israel, in dem ihre Geschichte vor drei Jahrtausenden begonnen hatte.

Die antisemitischen Begleiterscheinungen während des Prozesses gegen den zu Unrecht verurteilten französisch jüdischen Offizier Alfred Dreyfus in Paris 1894 und die Wahl des Antisemiten Karl Lueger zum Wiener Bürgermeister 1897 waren Schlüsselerlebnisse auf Herzls Weg zum Zionismus. So standen in gewissem Sinne die Antisemiten Pate für den späteren jüdischen Staat. Aber die moderne zionistische Bewegung speiste sich auch aus anderen Quellen. Die meisten Anhänger Herzls kamen nicht aus Österreich, Deutschland oder Frankreich, wo die Juden sich trotz antisemitischer Stimmungen zu Hause fühlten. Sie stammten aus Osteuropa, wo um die Wende zum 19. Jahrhundert der weitaus größte Teil der jüdischen Bevölkerung lebte. Die jüdischen Gemeinden im Osten unterschieden sich grundlegend von denjenigen im Westen. Sie verstanden sich durchaus nicht nur als Religionsgemeinschaft, sondern auch als Teil eines jüdischen Volkes. Die meisten von ihnen sprachen Jiddisch – eine Sprache, die sie nach ihrer Vertreibung aus vielen deutschen Gebieten am Ende des Mittelalters vor allem nach Polen mitgenommen hatten – und unterschieden sich auch durch Kleidung, Berufe und Wohnlage von der nichtjüdischen Bevölkerung.

Kultureller Zionismus

Ein kleiner Teil, vor allem aus der gebildeten Mittelschicht, war nicht mehr religiös und drückte sein Judentum vor allem kulturell aus. Hierzu gehörte auch die Neubelebung der hebräischen Sprache nicht nur für Gebet und Studium, sondern als zeitgenössische geschriebene und gesprochene Sprache. Aus diesen Kreisen hebräischer Aufklärer stammten jene Zionisten, die nicht wie Herzl ihren "Rückkehrwunsch" nach Palästina mit dem Antisemitismus begründeten, sondern mit dem tiefen Bedürfnis, dass das Land ihrer Ursprünge ein geistiges Zentrum für die Entstehung einer modernen hebräischsprachigen Kultur und ein Damm gegen die fortschreitende Assimilation werden sollte. Der Hauptvertreter dieser Gruppe war Ascher Ginsberg, besser bekannt unter seinem Pseudonym Achad Ha’am – "Einer aus dem Volke". Er warf Herzl vor, ein idealisiertes Europa in den Nahen Osten übertragen zu wollen und damit die Assimilation der Juden auf nationaler Ebene anzustreben. Herzl, der selbst kein Hebräisch konnte, mokierte sich wiederum über Achad Ha’am und dessen Idee einer hebräischen Kultur. Weder Herzl noch Achad Ha’am übersahen jedoch, dass es in Palästina bereits eine arabische Bevölkerung gab. Doch während Herzl der Überzeugung war, dass diese die Einwanderer, die die europäische Zivilisation mit sich brachten, mit offenen Armen begrüßen würden, warnte Achad Ha’am vor Konflikten mit den palästinensischen Arabern.

Religiöser Zionismus

Eine dritte Richtung neben dem politischen Zionismus Herzls und dem kulturellen Zionismus Achad Ha’ams war der religiös motivierte Zionismus. Ihm gehörte allerdings anfangs nur eine kleine Minderheit der gläubigen Juden an, denn für die meisten von ihnen galt: Nur der Messias allein kann die Juden zurück ins Heilige Land führen. Aber weder in Herzl noch in Achad Ha’am, die beide säkulare Juden waren, sahen sie den Messias. Der deutsche Rabbinerverband verhinderte, zusammen mit der örtlichen jüdischen Gemeinde, dass der erste Zionistenkongress, wie von Herzl ursprünglich geplant, in München stattfand. Die deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens hätten keinerlei Interesse, in den Nahen Osten zu ziehen, und zudem verstoße ein solch aktiver Rückkehrversuch gegen die religiösen Auffassungen des Judentums. So tagte der erste Zionistenkongress eben nicht an der Isar, sondern am Rhein in Basel.

Die orthodoxen osteuropäischen Juden waren gespalten. Für viele war der politische Zionismus aus den genannten Gründen ein Tabu. Aber es gab auch Rabbiner, die einen Grund erkannten, warum sie sich dem Zionismus anschließen sollten. In der jüdischen Religion ist kein Gebot wichtiger als das Retten von Menschenleben. Dafür soll man selbst die Schabbatruhe und die Speisegesetze brechen. Und dafür kann man auch das Warten auf den Messias verkürzen, wenn man im Zionismus eine Bewegung erkannte, die die von Pogromen bedrohten Juden Osteuropas aus akuter Lebensgefahr rettete.

Als Herzl 1904 im Alter von nur 44 Jahren starb, ohne diplomatisch viel erreicht zu haben, existierten somit drei Hauptströmungen im Zionismus. Im politischen Zionismus versuchte man durch Ansiedlung von jüdischen Einwanderern und Verhandlungen mit den Weltmächten eine jüdische Heimstätte in Palästina für die vom Antisemitismus bedrohten Juden zu schaffen. Im kulturellen Zionismus wollte man ein geistiges Zentrum im Lande Israel einrichten, von dem aus sich der Kampf gegen die drohende Assimilation in der Diaspora vor allem durch die neubelebte hebräische Kultur führen ließ. Und die religiösen Zionisten verbanden die in ihren Gebeten täglich geäußerte Zionssehnsucht mit dem Versuch, Menschenleben zu retten.

Sozialistischer und nationalistischer Zionismus

Im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts traten zwei neue Spielarten auf: der sozialistische und der nationalistische Zionismus. Ein großer Teil der osteuropäischen Zionisten identifizierte sich mit sozialistischen Idealen wie der Abschaffung des Kapitalismus und dem Ideal kollektiver landwirtschaftlicher Siedlungen, die später in Form des Kibbuz konkrete Gestalt annahmen. Somit wurde Palästina auch zur Spielwiese für sozialistische Experimente. Sozialrevolutionäre Ideen aus dem russischen Kontext vermengten sich mit zionistischen Idealen. Nach dem Ersten Weltkrieg wuchs der aus Polen stammende Politiker David Ben-Gurion zur führenden Figur dieses politischen Lagers heran.

Der nationalistische oder auch revisionistische Zionismus vertrat dagegen die bürgerlichen und antisozialistischen Elemente innerhalb der Bewegung. Dominierende Figur des Revisionismus war bis zu seinem Tod Vladimir (Ze’ev) Jabotinsky, eine der schillerndsten Figuren jüdischer Politik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Journalist, Schriftsteller und Übersetzer hatte er sich in der literarischen Welt Russlands einen Namen gemacht, und als brillanter Massenredner gelang es ihm bald, sich eine große Anhängerschaft zu sichern, deren Hauptbasis die breite Mittelklasse des polnischen Judentums der Zwischenkriegszeit bildete.

"Eine nationale Heimstätte in Palästina"

Schließlich formierte sich auch eine am ehesten als liberal zu charakterisierende politische Strömung, die sich als "Allgemeine Zionisten" zu verstehen gab und über den Parteienkämpfen stehen wollte. Der Chemiker Chaim Weizmann stieg im Laufe des Ersten Weltkriegs zur entscheidenden Figur dieser gemäßigten Richtung auf. Vor allem seinen Verbindungen zu britischen Politikern, die er als Entdecker eines kriegswichtigen chemischen Mittels zu knüpfen vermochte, war es zu verdanken, dass der Zionismus im November 1917 erstmals die lang ersehnte politische Anerkennung erfuhr.

In der Balfour-Deklaration, benannt nach dem damaligen britischen Außenminister Arthur Balfour, versprachen die Briten, die gemeinsam mit Frankreich den Nahen Osten für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg beziehungsweise nach der osmanischen Herrschaft bereits in Einflusszonen aufgeteilt hatten (Sykes-Picot-Abkommen 1916), den Juden "eine nationale Heimstätte in Palästina". So vage diese Formulierung anmutete, so war sie doch die erste offizielle Anerkennung der zionistischen Ziele vonseiten einer relevanten Großmacht. Die darauffolgenden Jahrzehnte sollten die Zionisten um die Einlösung dieses Versprechens kämpfen – und dabei feststellen müssen, dass die Definition von Balfours Formulierung äußerst dehnbar war. Eine "nationale Heimstätte in Palästina" konnte sehr viel sein – oder sehr wenig. Was bedeutete Heimstätte – Unabhängigkeit oder Teilsouveränität? Was genau verstand man unter Palästina? Anfangs gehörte noch das heutige Jordanien als "Transjordanien" dazu, später wurde es abgetrennt. Worauf zielte die Formulierung "in Palästina"? Auf einen kleinen Küstenstreifen oder auf das ganze Land?

Britische Mandatszeit und jüdische Gesellschaft in Palästina

Im Dezember 1917 nahm die britische Armee unter General Edmund Allenby Jerusalem ein, wenig später war ganz Palästina unter ihrer Kontrolle. Die Briten und Franzosen teilten das Erbe des türkischen Sultans im Nahen Osten nun endgültig unter sich auf. Gemäß dem Sykes-Picot-Abkommen sollte Frankreich den Süden Anatoliens bis nach Mossul, Akko und Damaskus kontrollieren, während die Engländer das sich südlich anschließende Gebiet von Amman bis Bagdad erhalten sollten. Für die heiligen Stätten in Palästina war ursprünglich eine internationale Aufsicht vorgesehen.

Die Briten, die letztlich die Kontrolle über Palästina erhielten, hatten nicht nur den Juden, sondern auch den Arabern Versprechungen gemacht: So hatte der High Commissioner in Ägypten, Henry MacMahon, dem Scherif von Mekka, Hussein, ein großarabisches Reich in Aussicht gestellt. Die Korrespondenz war jedoch genauso vage wie die Formulierung Balfours bezüglich einer jüdischen Heimstätte: Ob Palästina in diesem arabischen Staat enthalten sein sollte oder nicht, wird mit keinem Wort erwähnt.

Während der unmittelbaren Nachkriegsjahre setzten sich zunächst einmal die diplomatischen Erfolge des Zionismus fort. Auf der Konferenz von San Remo 1920 wurde beschlossen, Großbritannien das Völkerbundsmandat für Palästina zu übertragen - wobei die in der Balfour-Deklaration in Aussicht gestellten Regelungen eine wichtige Grundlage bildeten. Damit war das vom britischen Außenminister gegebene Versprechen, eine nationale Heimstätte für die Juden zu schaffen, auf eine internationale völkerrechtliche Grundlage gestellt. Nach einer Übergangsphase zwischen 1917 und 1920, während der Palästina von der sogenannten Occupied Enemy Territory Administration verwaltet wurde, entsandte Großbritannien als ersten Hochkommissar den jüdischen Kabinettsminister Herbert Samuel. Dass ein Jude, der zudem noch dem Zionismus positiv gegenüberstand, das Schicksal Palästinas lenkte, verstanden viele Zionisten als Anbruch eines neuen Zeitalters. Aber bald wurden auch andere Tendenzen in der britischen Politik deutlich. Winston Churchill, damals Kolonialminister, machte in einem Weißbuch von 1922 klar, dass er im Gegensatz zu Weizmann nicht beabsichtige, Palästina "so jüdisch werden zu lassen wie England englisch" ist. Die Einwanderung von Juden sei zwar erlaubt, aber nicht über das für die Wirtschaft des Landes verträgliche Maß hinaus.

Der Zionismus als Bewegung gewann in jenen Jahren zahlreiche Anhänger. 1929 wurde die Jewish Agency als eine Art "vorstaatlicher Staat" gegründet, deren Jerusalemer Exekutive sich um die Einwanderung nach Palästina, den Landkauf sowie den kulturellen Aufbau kümmern sollte. Der Enthusiasmus über die Gründung der Jewish Agency verflog jedoch bald. Der Börsenkrach an der Wall Street blieb nicht ohne Auswirkungen auf den Ausbau Palästinas, und in Palästina selbst brachen im August 1929 die schwersten Unruhen seit Beginn der Mandatszeit aus. Anlass hierfür waren Statusfragen bezüglich der Klagemauer, dem Rest der westlichen Mauer des zerstörten Zweiten Tempels und heiligste Stätte des Judentums. Bereits in den Jahren zuvor hatte die muslimische Tempelberg-Behörde Waqf das Aufstellen von Stühlen für ältere Leute und einer Trennwand für Frauen und Männer als Verletzung des Status quo angesehen. Als dann arabische Bauarbeiten um die Klagemauer für Empörung unter der jüdischen Bevölkerung sorgten, kam es zu Protestmärschen mehrerer Hundert junger jüdischer Demonstranten, die von Protesten der arabischen Bevölkerung erwidert wurden und schließlich in gewalttätigen Zusammenstößen mündeten. Am 23. August griffen die Unruhen auf andere Städte über. Innerhalb einer Woche wurden insgesamt 133 Juden ermordet, davon allein 60 in Hebron, und Hunderte verletzt; auf arabischer Seite waren 87 Tote und etwa hundert Verletzte zu verzeichnen.

Die Ereignisse vom August 1929 markierten eine Wende in den Beziehungen zwischen Juden und Arabern in Palästina. Zwar war es auch vorher immer wieder zu einzelnen Gewaltausbrüchen gekommen, doch die vom Mufti von Jerusalem gebilligte Gewalt sollte den Auftakt einer Welle von Ereignissen bilden, die alle politischen Vorstöße in Palästina während der 1930er Jahre überschattete. Auch die britische Mandatsmacht war nicht in der Lage, diesen Konflikt von vornherein abzuwenden.

In diese turbulente Zeit fiel auch der bisherige Höhepunkt der Einwanderung nach Palästina. Grund dafür waren nicht die verbesserten Lebensbedingungen in der neuen Heimat, sondern die unmittelbare Gefahr in der alten. Infolge der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland und angesichts der damit verbundenen Bedrohung der Nachbarländer kamen 1933 etwa 37000 jüdische Einwanderer ins Land, 1934 waren es 45000 und 1935 schließlich 66000. In nur drei Jahren verdoppelte sich damit die jüdische Bevölkerung Palästinas nahezu, und vor allem der Ausbau der drei Städte Tel Aviv, Jerusalem und Haifa schritt in dieser Zeit rasant voran. Aufgrund der britischen Restriktionen ging die Einwandererzahl jedoch ab Mitte der 1930er Jahre, in denen der Bedarf eines sicheren Zufluchtshafens besonders groß gewesen wäre, wieder zurück: Von 1936 bis 1939 kamen weniger als 70000 Einwanderer hinzu. Mit der restriktiven Einwanderungspolitik reagierte die britische Regierung auf eine 1936 unter der arabischen Bevölkerung ausgebrochene Revolte, die in einem Generalstreik sowie in Ausschreitungen gegen Juden ihren Ausdruck fand. Nach Ansicht des Muftis von Jerusalem sollte das ganze zionistische Experiment als gescheitert erklärt und abgebrochen werden.

Teilungspläne

Die Briten befanden sich in einer politischen Zwickmühle. Einerseits hatten sie sich in der Balfour-Deklaration von 1917 für die Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina ausgesprochen und erkannten angesichts des sich rasch verbreitenden staatlichen Antisemitismus in Europa durchaus die wachsende Notwendigkeit eines solchen Schritts. Andererseits mussten sie in dem sich auf globaler Ebene zuspitzenden Konflikt mit den faschistischen Mächten um den Verlust ihres Einflusses in der arabischen Welt fürchten. Es war den Briten durchaus bewusst, dass die Juden im Falle eines Krieges gar keine Alternative hatten, als aufseiten der Briten und gegen die Deutschen zu kämpfen, während die arabische Seite kein gesicherter Verbündeter war. Diese Überlegung sollte während der 1930er und frühen 1940er Jahre die britische Nahostpolitik dominieren. De facto sollte dies eine Rücknahme der in der Balfour-Deklaration zugesagten Versprechen bedeuten.

Unter dem Vorsitz des früheren britischen Indienministers, William Peel, wurde nach dem arabischen Aufstand von 1936 eine sechsköpfige Untersuchungskommission ins Leben gerufen, die im November des Jahres nach Palästina kam. In fünfmonatiger sorgfältiger Arbeit, nach der Befragung jüdischer, arabischer und britischer Zeugen und der Durchsicht wichtiger Dokumente, veröffentlichte die Kommission im Juli 1937 ihren über 400-seitigen Bericht. Das Ergebnis bedeutete ein Eingeständnis, dass die britischen Versprechen an Araber und Juden nicht im Rahmen eines Staates miteinander zu verbinden seien. Die Peel-Kommission empfahl erstmals die Aufteilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat mit zwei Mandatsenklaven – ein Streifen von Jerusalem bis zur Küste südlich von Jaffa sowie das Gebiet um Nazareth. Damit lag eine Zwei-Staaten-Lösung für Palästina auf dem Tisch, die während der gesamten zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den unterschiedlichsten Varianten immer wieder neu belebt – und verworfen – werden sollte.

Zunächst jedoch handelte es sich um eine Totgeburt. Nach anfänglicher Zurückhaltung über den geplanten Kleinstaat empfahl der Zionistische Kongress in seiner Mehrheit zwar, diese Möglichkeit eigener Staatlichkeit weiterzuverfolgen. Die arabische Seite dagegen machte aus ihrer prinzipiellen Ablehnung keinen Hehl. Sie forderte eine sofortige Einstellung der Einwanderung und die Gründung eines palästinensischen Staates, solange noch eine arabische Mehrheit bestand.

Am Ende rückten die Briten selbst von ihrem Plan ab. Sie entsandten eine neue Untersuchungskommission, die allerdings von arabischer Seite boykottiert wurde und der Gewalt kein Ende setzen konnte. Am 9. November 1938 lag ihr Bericht dem britischen Parlament vor, in dem der Peel-Plan als unrealistisch zurückgewiesen wurde. Dieser sogenannte Woodhead-Bericht sah zwar noch einmal einen Staatenbund vor, in dem der jüdische Teil nun auf ein Zwanzigstel des 1922 bereits um Transjordanien reduzierten Mandatsgebiets und auf ein Hundertstel des von den Revisionisten beanspruchten Gebiets zu beiden Seiten des Jordans zusammengeschrumpft war. Bereits zwei Tage später jedoch lehnte das Kabinett jede Teilung Palästinas ab.

Im Schatten von Krieg und Verfolgung

Am Tag, an dem das britische Parlament diese Pläne diskutierte, brannten in Deutschland die Synagogen, und Zehntausende deutscher Juden wurden in Konzentrationslagern eingesperrt. Noch konnten sie freikommen, vorausgesetzt, es lag ihnen eine Einreiseerlaubnis in ein anderes Land vor. Ausgerechnet in dieser Situation schlossen sich die Tore Palästinas immer fester.

Der bisher größte und folgenschwerste Rückschlag nicht nur für die Zionisten, sondern für die europäischen Juden insgesamt, war die im Februar 1939 eröffnete Round Table Conference im Londoner St. James’s Palace. Das Ergebnis der Besprechungen wurde im Mai 1939 in Form eines neuerlichen Weißbuchs veröffentlicht, das für die Kriegsjahre die britische Palästinapolitik bestimmen sollte. Nachdem in der Einführung klargestellt wurde, dass die Balfour-Deklaration niemals die Gründung eines jüdischen Staates gegen den Willen der arabischen Bevölkerung vorgesehen hatte, war es nun die Absicht der britischen Regierung, Palästina innerhalb von zehn Jahren in die Unabhängigkeit zu entlassen. Um auch dann noch eine arabische Mehrheit sicherzustellen, wurde eine Quote von 75000 jüdischen Einwanderern für die nächsten fünf Jahre festgelegt, 10000 pro Jahr sowie zusätzlich 25000 Geflüchtete. Anschließend sollten keine jüdischen Einwanderer mehr ohne arabische Zustimmung ins Land gelassen werden. Zudem wurde der Verkauf von Land an Juden ab sofort verboten.

Dieses Ergebnis bedeutete eine niederschmetternde Enttäuschung für Weizmann persönlich und den Zionismus insgesamt. Es zeigte letztlich auch die Machtlosigkeit jüdischer Interessen gegenüber der britischen Regierung und bedeutete ein Ende der Hoffnungen von Millionen durch den Nationalsozialismus bedrohter europäischer Juden. Es entbehrte nicht einer bitteren Ironie, dass das Ende der jüdischen Emigration auf das Jahr 1944 festgelegt wurde, als von den großen jüdischen Gemeinden Europas so gut wie nichts mehr übriggeblieben war. David Ben-Gurion formulierte damals die neue Situation folgendermaßen: "Jahrhundertelang fragten sich die Juden in ihren Gebeten: ‚Wann wird es für unser Volk wieder einen Staat geben?‘ Aber niemand hätte jemals daran gedacht, die furchtbare Frage zu stellen: ‚Wird es unser Volk noch geben, wenn dieser Staat entstehen wird?‘"

Die Zionisten standen dennoch an der Seite der britischen Mandatsmacht im Krieg gegen das antisemitische Deutschland – eine andere Wahl hatten sie nicht. Die Briten konnten dagegen in den arabischen Staaten aktiv Verbündete suchen, hatten jene doch zum Teil erkennen lassen, dass es für sie durchaus andere Optionen gab. So war der Großmufti von Jerusalem am 30. November 1941 mit viel Pomp von Hitler empfangen worden und rief wiederholt über deutsche Radiostationen zur arabischen Unterstützung der Nationalsozialisten auf. Mit dem Vormarsch deutscher Truppen unter der Führung Erwin Rommels in Nordafrika bereitete sich auch die jüdische Bevölkerung Palästinas auf das Schlimmste vor und legte mit dem "Carmel-Plan" ein Konzept vor, das die bewaffnete Verteidigung innerhalb eines Landstreifens im Norden Palästinas vorsah.

Kurz bevor Rommels Armee bei El Alamein geschlagen wurde und damit die Gefahr für die Juden Palästinas gebannt war, versammelten sich im Mai 1942 etwa 600 zumeist US-amerikanische zionistische Delegierte zu einer Notkonferenz im New Yorker Biltmore Hotel. Das von Ben-Gurion mitgetragene "Biltmore-Programm" schlug einen deutlich aggressiveren Ton an als vorige zionistische Verlautbarungen. Unter Berufung auf die Balfour-Deklaration und mit ausdrücklichem Wunsch nach Kooperation mit den arabischen Nationen wurde das britische Weißbuch von 1939 scharf abgelehnt und das Recht der Juden auf einen eigenen Staat in deutlichster Form bekräftigt.

Gleichzeitig war es aber auch ein Dokument der Ohnmacht in den schwersten Zeiten der jüdischen Geschichte. Solange der Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland andauerte, waren den Zionisten die Hände gegen die Briten gebunden. Mit Ende des Krieges allerdings waren letztere nicht mehr Verbündete, sondern Besatzer, gegen die nun auch ein Untergrundkampf geführt wurde.

Zionistischer Widerstand

Zunächst bestand der zionistische Widerstand in der Organisation der illegalen Einwanderung jüdischer Flüchtlinge in das von den Briten weiterhin gesperrte Palästina. Anfang 1946 erreichte die Zahl der "Illegalen" über tausend pro Monat. Danach jedoch intensivierten die Briten ihre Blockade und setzten insgesamt 26000 jüdische Flüchtlinge in Internierungslagern auf Zypern fest. Am meisten Aufsehen erregte die Rückführung des mit 4500 jüdischen Displaced Persons überfüllten Flüchtlingsschiffs "Exodus 1947" ausgerechnet auf deutschen Boden. Dass Holocaust-Überlebende nach ihrer Befreiung aus den Konzentrationslagern nun gegen ihren Willen in deutschen und zypriotischen Internierungslagern festgehalten und an der Immigration nach Palästina gehindert wurden, hatte bei der politischen Entscheidung um die Errichtung eines jüdischen Staates gewiss eine nicht zu unterschätzende moralische Bedeutung.

Neben der illegalen Immigration leisteten die Zionisten aber auch aktiven Widerstand gegen die britische Palästinapolitik. Die Gewalt kulminierte im Sommer 1946. Am 29. Juni 1946, dem sogenannten Schwarzen Schabbat, antworteten die Briten mit umfassenden Maßnahmen auf die zionistischen Untergrundaktivitäten. Daraufhin verübte die rechtsgerichtete paramilitärische Untergrundorganisation Irgun unter Menachem Begin, dem Nachfolger Jabotinskys, am 22. Juli 1946 einen Bombenanschlag auf das von der britischen Verwaltung benutzte King David Hotel in Jerusalem, der 91 Todesopfer forderte.

Zwei Jahre nach Kriegsende begriffen die Briten, dass sie auch mit verstärkter militärischer Präsenz gegen den erbitterten jüdischen wie auch arabischen Widerstand ihr Mandat in Palästina nicht mehr erfüllen konnten. Die Frage um die Zukunft Palästinas wurde wieder an die Vereinten Nationen zurückgegeben, in deren Händen nun das Schicksal der beiden dort vereinten, doch nicht einigen Völker lag.

UN-TeilungsPlan und Gründung Israels

Am 29. November 1947 sprachen sich die Vereinten Nationen für die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat aus. Die Verwirklichung des Beschlusses gelang freilich nur mit Blick auf den jüdischen Staat. Der damals vorgesehene Palästinenserstaat kam nicht zustande, da die Teilung von arabischer Seite abgelehnt wurde.

Als David Ben-Gurion am 14. Mai 1948 den Staat Israel ausrief, erklärten fünf arabische Staaten Israel den Krieg. Die Zukunft des ersten jüdischen Staates nach zwei Jahrtausenden hing in der Luft. "Im Lande herrscht Feierstimmung und tiefe Freude. Und wieder fühle ich mich wie ein Trauernder unter den Feiernden (...), wie bereits am 29. November", notierte David Ben-Gurion, der erster Ministerpräsident des neuen Landes werden sollte, am selben Tag in sein Tagebuch. Dann schloss er den Band und begann einen neuen mit folgendem Eintrag: "Um vier Uhr nachmittags wurde der Staat gegründet. Sein Schicksal liegt in der Hand der Armee."

Der fast ein Jahr dauernde Unabhängigkeitskrieg brachte Israel neben anderen Gebietsgewinnen auch den Westteil Jerusalems ein, während der Ostteil mit der Altstadt und ihren religiösen Stätten an Jordanien fiel. Bis zur Eroberung der Altstadt durch die israelischen Truppen im sogenannten Sechstagekrieg 1967 blieb Juden der Zugang zu ihren heiligsten Stätten verwehrt. Die Palästinenser mussten infolge des Krieges von 1948/49 dagegen massenhaft fliehen, was durch gezielte Aktionen von jüdischer Seite noch verschärft wurde. Die Auswirkungen kennzeichnen die palästinensische Tragödie bis heute. Etwa 600000 bis 760000 Palästinenser verloren zwischen Dezember 1947 und September 1949 ihre Heimat und flüchteten außer in den Gazastreifen und das Westjordanland vor allem nach Jordanien und in den Libanon, wo viele ihrer Nachkommen noch nach Jahrzehnten in Flüchtlingslagern leben. Auch die große palästinensische Diaspora in der westlichen Welt und den Golfstaaten geht vor allem auf die beginnende Heimatlosigkeit jener Jahre zurück. So bedeuten die Geschehnisse von 1948/49 für die eine Seite die Nakba (arabisch: Katastrophe), für die andere die lang ersehnte Rückkehr der Staatlichkeit nach zweitausend Jahren in der Zerstreuung.

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ist Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2019 erschien von ihm "Der lange Schatten der Revolution. Juden und Antisemiten in Hitlers München 1918 bis 1923". E-Mail Link: michael.brenner@lrz.uni-muenchen.de