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Gewalt gegen Frauen in den Nachrichten | Femizid | bpb.de

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Gewalt gegen Frauen in den Nachrichten

Christine E. Meltzer

/ 15 Minuten zu lesen

Gewaltverbrechen und insbesondere Tötungsdelikte werden von den Medien häufig aufgegriffen. Dies gilt auch für Meldungen über Gewalt gegen Frauen. Auf welche Art und Weise wird berichtet? Gibt es Besonderheiten in der deutschen Berichterstattung?

Gewalt gegen Frauen ist eine der größten Bedrohungen für die Gesundheit, das Wohlergehen, die gesellschaftliche Inklusion und die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen auf der Welt. Sie kann als drastischer Ausdruck der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verstanden werden. Etwa jede dritte Frau in der Europäischen Union hat in ihrem Leben schon einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Das gilt auch für Frauen in Deutschland. Häufig üben nahestehende männliche Personen Gewalt aus. Jede vierte Frau wird im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Jede zweite in Deutschland ermordete Frau wird von einem Intim- oder Expartner getötet. Gleichzeitig ist die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt in der Partnerschaft in Deutschland außergewöhnlich hoch. Fast 20 Prozent der Deutschen halten es unter bestimmten Umständen für gerechtfertigt, wenn ein Ehemann seine Frau schlägt. Das ist mehr als in jedem anderen EU-Land. Hinzu kommt eine starke Tabuisierung des Themas: Nur ein Bruchteil der Fälle von sexualisierter Gewalt und Gewalt in der Partnerschaft wird zur Anzeige gebracht.

Mediale Berichterstattung

Die Art und Weise, wie Nachrichtenmedien Gewalt gegen Frauen darstellen, kann zum Verständnis des Problems in der Gesellschaft beitragen. Themen, die in den Medien sichtbar sind, werden auch von der Öffentlichkeit und von politischen Akteuren als wichtiger empfunden als solche, die es nicht sind. Die Berichterstattung beeinflusst, wie dringlich Gewalt gegen Frauen als gesellschaftliches Problem wahrgenommen wird, und kann dabei helfen, dass das Thema enttabuisiert und nicht mehr als Privatsache verstanden wird. So kann sich die Berichterstattung indirekt auch auf das Anzeigeverhalten auswirken. Dabei spielt ebenfalls eine Rolle, über welche Gewaltformen konkret berichtet wird. Dass das Ausmaß von Gewalt durch intime Partner unterschätzt wird, liegt vermutlich auch an der unterproportionalen Sichtbarkeit von Gewalt in Paarbeziehungen im Vergleich zu von fremden Personen ausgeübte Gewalt. Mediale Berichterstattung vermittelt der Öffentlichkeit zudem bestimmte Vorstellungen von Gewalt sowie typischen Gewalthandlungen und -verläufen. Stereotype oder voreingenommene Darstellungen von Gewalt können letztlich verhindern, dass Betroffene und Angehörige Gewalt rechtzeitig als solche wahrnehmen. Vorfälle, die der gesetzlichen Definition eines sexuellen Übergriffs entsprechen, werden oft nicht zur Anzeige gebracht, weil viele Taten nicht den gängigen Stereotypen einer Vergewaltigung entsprechen, etwa weil kein Fremder involviert war.

Von Bedeutung ist in diesem Kontext auch die Nennung der Herkunft von Tatverdächtigen, die in Deutschland insbesondere seit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015/16 eine Rolle spielt. Eine stereotype Berichterstattung über nichtdeutsche Täter und deren Hervorhebung im Kontext von Gewalt gegen Frauen kann dazu führen, dass Gewalt gegen Frauen als ein Problem wahrgenommen wird, das "die Anderen" verursachen – statistisch gesehen ist der gefährlichste Kontakt für eine deutsche Frau jedoch immer noch ein deutscher Mann. Schließlich ist auch die Art und Weise der Berichterstattung von Bedeutung dafür, welche Ursachen und Folgen die Öffentlichkeit in Bezug auf ein Ereignis ableitet – wer für eine Problemlösung verantwortlich ist. Entscheidend ist, ob die Medien Gewalt gegen Frauen thematisch aufbereiten und als gesellschaftliches Problem einordnen oder ob es bei einer reinen Einzelfalldarstellung bleibt.

In den vergangenen Jahren lässt sich eine wachsende Zahl von Studien zur Medienberichterstattung über Gewalt gegen Frauen verzeichnen. In ihrer Gesamtheit zeigen diese Studien dominante Muster, die im Zeitverlauf sehr stabil sind und in der Berichterstattung verschiedener Länder sehr ähnlich erscheinen.

Am Anfang jeder Nachrichtenberichterstattung steht die Auswahl dessen, was berichtet werden soll. Nach der Theorie der Nachrichtenfaktoren wählen Journalistinnen und Journalisten Ereignisse aus, die sich durch bestimmte Merkmale auszeichnen, die die Ereignisse berichtenswert machen, beispielsweise ein großer Schaden, Negativität, lokale Nähe oder Unerwartetheit. Im Gegenzug schaffen es alltägliche Ereignisse seltener in die Medien. Gewaltverbrechen und insbesondere Tötungsdelikte werden von den Medien überproportional häufig aufgegriffen. Dies gilt auch für die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen. Während Medien alltäglichen Formen von Gewalt, wie Körperverletzung oder Nötigung, wenig Beachtung schenken, überbetonen sie extreme und außergewöhnlich gewalttätige Fälle.

Darüber hinaus halten Medienschaffende häufig solche Ereignisse für berichtenswert, die seltener sind. In diesem Zusammenhang ist die Beziehung zwischen der gewaltbetroffenen Frau und dem Täter in den Medien von Bedeutung: Wie bereits erwähnt, ist die Gewalt durch Intimpartner alltäglich. Im Gegensatz dazu werden Gewaltverbrechen gegen Frauen seltener von Personen begangen, die den Frauen fremd sind. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass sie in der medialen Berichterstattung überproportional oft vorkommen.

Dies gilt auch für die Berichterstattung in Deutschland. Vergleicht man die polizeilich gemeldeten Delikte in Abhängigkeit der Beziehung zwischen Opfer und Tatverdächtigem, so zeigt sich, dass in den Medien vor allem Tötungsdelikte stark überrepräsentiert sind. Über alltäglichere Formen von Gewalt gegen Frauen, wie Körperverletzung oder Nötigung, wird dagegen deutlich unterproportional zu ihrem realen Vorkommen berichtet. Während Tötungsdelikte in der Polizeilichen Kriminalstatistik weniger als ein Prozent der Straftaten gegen Frauen ausmachen, sind sie Bestandteil rund jeden zweiten Berichts über Gewalt gegen Frauen in den Medien. Ein Blick auf das Täter-Opfer-Verhältnis zeigt, dass durch Täter aus dem sozialen Nahraum ausgeübte Gewalt in den Medien unterrepräsentiert ist. Dies gilt insbesondere für die Gewalt in (Ex-)Partnerschaften. Intime Partnergewalt macht in der amtlichen Statistik des Bundeskriminalamts etwa ein Drittel der Gewalt gegen Frauen aus. In der medialen Berichterstattung ist es etwa ein Fünftel. Gleichzeitig sind es besonders diese Fälle, die von großer Brutalität sein müssen, um die Schwelle der medialen Berichterstattung zu überschreiten (Abbildung).

Mediale Einordnung

Die Forschung zu Gewalt gegen Frauen zeigt, dass die Gründe für Gewalt und insbesondere Gewalt in Paarbeziehungen in einem Zusammenspiel von individuellen und sozioökonomischen Faktoren liegen. Systemische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern sowie individuelle und gesellschaftliche Überzeugungen und Einstellungen spielen eine Rolle. Die Forschung zur Medienberichterstattung zeigt jedoch, dass Gewalt gegen Frauen vor allem als individuelles Problem dargestellt wird, wobei der Fokus auf (individueller) Devianz liegt. Die Medien charakterisieren die Quelle der Gewalt als individuelle Abweichung von der Norm und nicht als strukturelles gesellschaftliches Problem. Eine solche individualistische Perspektive – auch episodisches Framing genannt – isoliert einzelne Vorfälle voneinander, indem sie sich nur auf die Darstellung eines einzelnen Falls konzentriert und diesen nicht in einen größeren, strukturellen Kontext einordnet. Eine Folge davon ist, dass die Gewalttaten auch von der Öffentlichkeit als singuläre, voneinander losgelöste Ereignisse wahrgenommen werden und nicht als Teil größerer Muster und Strukturen. Dementsprechend wird auch die Verantwortung für die Lösung des Problems eher bei den einzelnen Beteiligten – beim Täter, im schlimmsten Fall bei der gewaltbetroffenen Frau – gesucht und nicht darüber hinaus in gesellschaftlichen Strukturen oder bei politischen Akteuren.

Im Gegensatz zum episodischen steht das thematische Framing: Diese Art der Berichterstattung stellt das Thema in einen breiten gesellschaftlichen Kontext und thematisiert beispielsweise das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen über den Einzelfall hinaus, die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt gegen Frauen oder geschlechtsspezifische Machtverhältnisse. Mit anderen Worten: Das episodische Framing konzentriert sich eher auf das "Was", das thematische Framing auf das "Warum". Studien aus verschiedenen Regionen und kulturellen Kontexten zeigen, dass die Medienberichterstattung über Gewalt gegen Frauen übergreifende soziale und gesellschaftliche Kontexte weitgehend ignoriert und Gewalt gegen Frauen in den meisten Fällen als isolierte Einzelfälle darstellt.

Das zeigt sich auch in der deutschen Berichterstattung. Nur ein sehr kleiner Teil der Artikel über Gewalt gegen Frauen berichtet auf rein thematischer Ebene. Im November erscheinen regelmäßig thematische Artikel – ein Viertel aller thematischen Artikel insgesamt entfällt auf diesen Monat. Der 25. November ist der Internationale Tag zur Beendigung von Gewalt an Frauen, gleichzeitig wird um diesen Tag herum die jährliche Polizeiliche Kriminalstatistik über Gewalt in Paarbeziehungen veröffentlicht. Abgesehen davon bleibt es in der überwiegenden Zahl der Artikel bei der reinen Darstellung von Einzelfällen. Dies gilt insbesondere für Gewalt durch (Ex-)Partner. In vier von fünf Artikeln über Gewalt in Paarbeziehungen wird episodisch berichtet. Bei Gewalt gegen Frauen durch Fremde wird häufiger thematisch berichtet – wobei auch hier die episodische Darstellung überwiegt: In etwa drei von fünf Artikeln über Gewalt durch Fremde wird in reiner Einzelfalldarstellung berichtet.

Betrachtet man die von den Medien verwendete Sprache, zeigt sich, dass der Begriff "Femizid" bis 2019 keine große Rolle in den Medien gespielt hat. Er wird nur in rund einem Prozent der untersuchten Artikel verwendet. Verharmlosende Begriffe wie "Familientragödie" oder "Eifersuchtsdrama" kommen ebenfalls eher selten vor, nämlich in rund drei Prozent der Artikel. Vor allem gegen Ende des Untersuchungszeitraums wurde immer weniger auf solche Formulierungen zurückgegriffen. Trotzdem werden sie nach wie vor verwendet. Insgesamt zeichnet die deutsche Medienberichterstattung über Gewalt gegen Frauen und im Kontext von Tötungsdelikten also nach wie vor ein Bild, das auf die Einzeltat und weniger auf den gesellschaftlichen und strukturellen Kontext fokussiert ist. Darüber hinaus zeigt sich, dass im Kontext der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen nur äußerst selten auf Hilfsangebote und -einrichtungen hingewiesen wird. Lediglich in zwei Prozent aller Artikel werden solche Angebote erwähnt.

Nichtdeutsche Täter und nichtdeutsche Betroffene

Migrantinnen und Migranten sind in den Nachrichtenmedien im Verhältnis zu ihrem Anteil in der Bevölkerung in der Regel unterrepräsentiert. Wenn sie jedoch vorkommen, dann meist in einem negativen Kontext. Dies wird häufig mit dem Ansatz des ethnic blame erklärt, bei dem etwa Schwarze für die Probleme von Weißen verantwortlich gemacht werden, beziehungsweise Eingewanderte für die Probleme von Angehörigen des Aufnahmelandes. So zeigt sich zum Beispiel in den USA, dass insbesondere Gewalttaten gegen Weiße Opfer, die von nicht-Weißen Personen verübt werden, die Schwelle zur Berichterstattung überschreiten. Umgekehrt zeigt sich, dass Gewaltbetroffene mit Migrationshintergrund oder Angehörige ethnischer Minderheiten deutlich weniger Medienaufmerksamkeit erhalten als Weiße Betroffene von Gewalt. Dieses Muster zeigt sich auch in der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen. Eine Studie über die Mediendarstellung von Gewalt in Paarbeziehungen aus den USA zeigt, dass Weiße Täter eher entschuldigt werden als Schwarze. Es zeigt sich auch, dass Medienschaffende dazu neigen, sich auf kulturelle oder religiöse Erklärungen zu konzentrieren, wenn es um von Muslimen verübte Gewalt geht, während bei Gewalt durch nicht-muslimische Männer individualisierte Erklärungen verwendet werden, also episodisches Framing.

Die Ereignisse rund um die Silvesternacht 2015/16 haben in Deutschland ein großes Medienecho hervorgerufen. In Köln und anderen deutschen Städten kam es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen sowie Körperverletzungen und Raubüberfällen durch Gruppen junger Männer, die vornehmlich aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum stammten. In der gesellschaftlichen Debatte wurde nicht nur die Vorgehensweise der Polizei kritisiert, sondern auch die späte und zunächst zurückhaltende Berichterstattung durch die Medien. Journalistinnen und Journalisten standen zu diesem Zeitpunkt vor der Herausforderung, abzuwägen, in welchem Kontext eine Herkunftsnennung von Tätern angemessen ist. Der vom Deutschen Presserat vorgelegte Pressekodex sah im Jahr 2016 vor, die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder anderen Minderheit nur dann zu erwähnen, wenn sie in direktem Zusammenhang mit der Straftat stand. Nach der Silvesternacht in Köln wurden jedoch vermehrt Forderungen nach einer Herkunftsnennung laut. Wurde die Herkunft von Täterinnen und Tätern nicht genannt, sahen sich Medienschaffende mit dem Vorwurf konfrontiert, Nichtdeutsche (und insbesondere Geflüchtete) zu schützen. In der Folge erwähnten Medienschaffende zunehmend explizit die Nationalität von Täterinnen und Tätern oder wiesen implizit auf eine nichtdeutsche Herkunft hin. Unterstützt wurde diese Praxis 2018 durch eine Änderung des Pressekodex, wonach Angaben zur Herkunft zulässig sind, wenn ein begründetes öffentliches Interesse besteht.

Nach der Silvesternacht 2015/16 und der Neuformulierung des Pressekodex wurde eine nichtdeutsche Herkunft von Tätern in der Medienberichterstattung deutlich häufiger genannt. Obwohl auch mehr Täter explizit als deutsch beschrieben wurden, nahmen insbesondere die nichtdeutschen Nennungen beziehungsweise impliziten Andeutungen einer nichtdeutschen Herkunft stark zu. Ein direkter Vergleich mit der Polizeilichen Kriminalstatistik ist an dieser Stelle nicht möglich, da weibliche Opfer im Zusammenhang mit Delikten, nicht aber im Zusammenhang mit Tatverdächtigen erfasst werden. Ein ungefährer Vergleich ist bei den Deliktarten möglich, bei denen Frauen überproportional betroffen sind: Gewalt durch Intim- oder Expartner und sexualisierte Gewalt. Bei beiden Deliktarten entspricht der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger in den Medien in etwa dem Anteil nichtdeutscher Täter in der Polizeilichen Kriminalstatistik, nämlich rund 35 Prozent nichtdeutsche Tatverdächtige in Partnerschaftsgewalt und 38 Prozent nichtdeutsche Tatverdächtige bei sexualisierter Gewalt. Dagegen spielen nichtdeutsche Opfer von Straftaten in der Nachrichtenberichterstattung so gut wie keine Rolle: In der überwiegenden Mehrheit der Artikel wird keine Nationalität der gewaltbetroffenen Frau genannt (92 Prozent).

Eine Überrepräsentation nichtdeutscher Tatverdächtiger in den Medien ist bei Gewalt gegen Frauen nicht festzustellen. Allerdings unterscheidet sich die mediale Einordnung: Während die Einzelfalldarstellung nach wie vor überwiegt, sind es vor allem Straftaten nichtdeutscher Tatverdächtiger, die häufiger thematisch berichtet werden: Bei deutschen Tatverdächtigen erfolgt ein episodisches Framing in 76 Prozent der Fälle, beziehungsweise ihre Herkunft wird nicht genannt; bei nichtdeutschen Tatverdächtigen in 64 Prozent der Fälle. Wenn verharmlosende Bezeichnungen wie "Drama" oder "Tragödie" verwendet werden, dann ganz überwiegend im Zusammenhang mit deutschen Tatverdächtigen.

Fazit

Insgesamt zeigt sich sowohl in der internationalen als auch in der deutschen Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen ein recht einheitliches Bild. Gewalt gegen Frauen muss besonders brutal sein, um die Schwelle der medialen Berichterstattung zu überschreiten. Dies gilt insbesondere für Gewalt in Paarbeziehungen. Dass in den Medien vor allem über Tötungsdelikte an Frauen berichtet wird, kann auf den ersten Blick als Sensibilisierung für Femizide verstanden werden. Tatsächlich wird eine solche Sensibilisierung durch die Berichterstattung aber nur dann erreicht, wenn Femizide auch als solche eingeordnet werden. Eine entsprechende Einordnung findet jedoch in den meisten Fällen nicht statt: Die mediale Berichterstattung erfolgt überwiegend in Form von Einzelfallberichten, ohne Bezugnahme auf das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen oder eine Einordnung durch Expertinnen und Experten. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen als strukturelles Problem wird vor allem dann thematisiert, wenn es einen aktuellen Anlass gibt, wie zum Beispiel die jährliche Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik zu Gewalt in Paarbeziehungen.

Obwohl die überproportionale Fokussierung auf Tötungsdelikte der allgemeinen Medienlogik entspricht, erscheint sie im Kontext von Gewalt gegen Frauen besonders problematisch. Studien zu Gewalt in Paarbeziehungen zeigen, dass eine Tötungshandlung häufig nicht spontan erfolgt, sondern der letzte Schritt in einer langen Geschichte von Zwangskontrolle und Gewalt ist. Diese Eskalation verläuft häufig nach ähnlichen Mustern. Mediale Berichterstattung, die sich nur auf diesen letzten, irreversiblen Akt konzentriert, verdeckt, dass Tötungsdelikten in Paarbeziehungen in der Regel viele alltäglichere und weniger drastische Formen von Gewalt vorausgehen. Dies kann dazu führen, dass betroffene Frauen (und ihre Freunde und Angehörigen) erste Anzeichen von Gewalt falsch deuten und zu spät reagieren. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass in der Berichterstattung kaum auf Hilfseinrichtungen verwiesen wird, da vielen Betroffenen (und deren Freunden und Angehörigen) unklar ist, wie sie Zugang zu Hilfseinrichtungen erhalten können. Insgesamt besteht die Gefahr, dass die aktuelle Berichterstattung dazu beiträgt, dass Gewalt gegen Frauen und insbesondere Gewalt in intimen Paarbeziehungen als privates Problem verstanden wird. Dies kann Freunde, Angehörige und Umstehende davon abhalten, bei Gewalttaten frühzeitig einzugreifen und letztlich auch staatliche Maßnahmen und Interventionen langfristig verhindern.

Eine thematische Einordnung von Gewalt findet zudem häufiger dann statt, wenn die Gewalt von nichtdeutschen Tätern ausgeübt wird. Dies kann bestehende Stereotype verstärken und suggerieren, dass vor allem im Kontext von nichtdeutschen Tätern politischer Handlungsbedarf besteht. Zwar werden nichtdeutsche Täter in den Medien im Vergleich zu ihrem Anteil in der Bevölkerung nicht überproportional häufig benannt, die in den vergangenen Jahren stetig gestiegene Nennung einer nichtdeutschen Herkunft kann der Öffentlichkeit jedoch suggerieren, dass Gewalt gegen Frauen durch ausländische Täter zugenommen hat. Die Nennung eines Migrationshintergrundes im Zusammenhang mit bestimmten Straftaten kann in der Öffentlichkeit Vorurteile schüren. Dies kann dazu führen, dass Gewalttaten ausländischer Täter als Herausforderung für die Integration diskutiert werden, während die Täter ohne Migrationshintergrund weniger beachtet werden – und damit auch ihre Opfer.

Es gibt Anzeichen dafür, dass das Thema Gewalt gegen Frauen langsam bei Medienschaffenden ankommt. Im November 2019 kündigte die Deutsche Presseagentur an, bei der Berichterstattung über Gewalt in Familien und partnerschaftlichen Beziehungen künftig auf verharmlosende Begriffe wie "Familientragödie" oder "Beziehungsdrama" zu verzichten. In der medialen Selbstregulierung spielt das Thema jedoch (noch) keine Rolle. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (die sogenannte Istanbul-Konvention) fordert die Medien in Artikel 17 explizit auf, Richtlinien und Normen der Selbstregulierung festzulegen, um Gewalt gegen Frauen zu verhüten. Es gibt Beispiele für gemeinsame Initiativen von Medienschaffenden und NGOs, die konkrete Empfehlungen für die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen ausgearbeitet haben. Doch bis dato sind in den Selbstregulierungsrichtlinien der Medien, des deutschen Presserates sowie der Rundfunkstaatsverträge keine Ausführungen hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen zu finden. Entsprechend fehlen auch für die Öffentlichkeit konkrete Grundlagen, auf deren Basis Beschwerden formuliert und Rügen gegen mediale Berichterstattung ausgesprochen werden können.

Insgesamt zeigt sich in der deutschen Berichterstattung, dass Gewalt gegen Frauen und insbesondere von (Ex-)Partnern ausgeübte Gewalt von Journalistinnen und Journalisten weitgehend (noch) nicht als politisches Thema wahrgenommen und als solches eingeordnet wird. Hinweise auf Hilfseinrichtungen unter entsprechenden Artikeln, wie beispielsweise üblich bei der Berichterstattung über Suizide, sind ein wichtiger Schritt zur Eindämmung von Gewalt. Das Aufzeigen des Ausmaßes von Gewalt gegen Frauen in Deutschland und von Gewalt in Paarbeziehungen kann größere Sensibilität für das Problem in der Gesellschaft schaffen. Vor allem aber kann die mediale Einordnung von Gewalt gegen Frauen als strukturelles Problem und das Aufzeigen von Mustern hinter den (scheinbaren) Einzelereignissen entscheidend dazu beitragen, dass das Thema nicht als privates, sondern als gesamtgesellschaftliches Problem erkannt und dessen Lösung in Angriff genommen wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. European Union Agency for Fundamental Rights, Violence against Women: An EU Wide Survey. Main Results, Luxemburg 2014.

  2. Vgl. Monika Schröttle, Gewalt in Paarbeziehungen, Berlin 2017, S. 2.

  3. Vgl. OECD, "Violence Against Women" (indicator), Attitudes towards Violence, Percentage, 2019 or Latest Available, Externer Link: https://doi.org/10.1787/f1eb4876-en.

  4. Vgl. Schröttle (Anm. 2), S. 5.

  5. Vgl. Maxwell E. McCombs, Setting the Agenda, Cambridge 2014.

  6. Vgl. Michael Flood/Bob Pease, Factors Influencing Attitudes to Violence Against Women, in: Trauma, Violence, & Abuse 2/2009, S. 125–142.

  7. Vgl. Johan Galtung/Mari H. Ruge, The Structure of Foreign News. The Presentation of the Congo, Cuba and Cyprus Crisis in Four Foreign Newspapers, in: Journal of Peace Research 1/1965, S. 64–90.

  8. Vgl. Georgina Sutherland et al., Mediated Representations of Violence Against Women in the Mainstream News in Australia, in: BMC Public Health 19/2019; Paul Mason/Jane Monckton-Smith, Conflation, Collocation and Confusion: British Press Coverage of the Sexual Murder of Women, in: Journalism: Theory, Practice & Criticism 6/2008, S. 691–710.

  9. Vgl. Jennifer S. Wong/Chelsey Lee, Extra! Extra! The Importance of Victim-Offender Relationship in Homicide Newsworthiness, in: Journal of Interpersonal Violence 9–10/2021, S. 4186–4206.

  10. Vgl. Christine E. Meltzer, Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten, Frankfurt/M. 2021, S. 30ff.

  11. Vgl. Nadja Karlsson et al., Representation of Intimate Partner Violence Against Women in Swedish News Media: A Discourse Analysis, in: Violence Against Women 10/2021, S. 1499–1524.

  12. Vgl. Kimberly Gross, Framing Persuasive Appeals: Episodic and Thematic Framing, Emotional Response, and Policy Opinion, in: Political Psychology 2/2008, S. 169–192.

  13. Vgl. Karlsson et al. (Anm. 11); Sutherland et al. (Anm. 8).

  14. Vgl. Meltzer (Anm. 10), S. 34.

  15. Vgl. ebd., S. 36.

  16. Vgl. Jakob-Moritz Eberl et al., The European Media Discourse on Immigration and Its Effects: A Literature Review, in: Annals of the International Communication Association 3/2018, S. 207–223.

  17. "Schwarze Menschen" ist eine Selbstbezeichnung und beschreibt eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. "Weiße Personen" meint solche, für die keine Probleme durch Rassismus entstehen. "Schwarz" und "Weiß" werden großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um konstruierte Zuordnungsmuster und keine reelle Eigenschaft handelt.

  18. Vgl. Daniel Romer et al., Television News and the Cultivation of Fear of Crime, in: Journal of Communication 1/2003, S. 88–104.

  19. Vgl. Kenneth Dowler, Dual Realities? Criminality, Victimization, and the Representation of Race on Local Television News, in: Journal of Crime and Justice 2/2004, S. 79–99.

  20. Vgl. Joanna Rae Pepin, Nobody’s Business? White Male Privilege in Media Coverage of Intimate Partner Violence, in: Sociological Spectrum 3/2016, S. 123–141.

  21. Vgl. Nicholas Chagnon, It’s a Problem of Culture (for Them): Orientalist Framing in News on Violence Against Women, in: Race and Justice 4/2020, S. 480–500.

  22. Vgl. Anja Dittrich/Christoph Klimmt, Erwähnung der Täterherkunft in der Verbrechensberichterstattung: Welchen Effekt hat die populistische Medienschelte?, in: Neue Kriminalpolitik 1/2021, S. 28–45.

  23. Vgl. Meltzer (Anm. 10), S. 62.

  24. Vgl. Jane Monckton Smith, Intimate Partner Femicide: Using Foucauldian Analysis to Track an Eight Stage Progression to Homicide, in: Violence Against Women 11/2020, S. 1267–1285.

  25. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Evaluation des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen", Berlin 2020.

  26. Vgl. Dana E. Mastro, Racial/Ethnic Stereotyping and the Media, in: Robin L. Nabi/Mary Beth Oliver (Hrsg.), The Sage Handbook of Media Processes and Effects, Los Angeles 2009, S. 377–391.

  27. Vgl. Pressekodex angewandt: So will Schleswig-Holstein über Gewalt gegen Frauen berichten, 14.12.2021, Externer Link: http://www.lfsh.de/blognews/pressekodex-angewandt-so-will-schleswig-holstein-ueber-gewalt-gegen-frauen-berichten.

  28. Vgl. Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, Erster Bericht des Expertenausschusses (GREVIO) zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats vom 11. Mai 2011 (Istanbul-Konvention) in Deutschland, Berlin 2022, S. 44.

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ist Juniorprofessorin am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
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