Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hat den Zusammenhang zwischen Energie- und Klimapolitik mit Sicherheitspolitik schlagartig verdeutlicht: Um Deutschland aus der energiepolitischen Abhängigkeit von Russland zu befreien, ist ein rascher Ausbau der erneuerbaren Energien für die Bundesregierung nunmehr auch sicherheitspolitisch von höchster Priorität. Der mögliche Gangwechsel in einen Hochgeschwindigkeitsmodus birgt jedoch die Gefahr, ein altbekanntes demokratietheoretisches Dilemma zu befördern: jenes zwischen Effektivität und Partizipation.
Vereinfacht ausgedrückt, ist die Idee einer materiellen Beteiligung in der Energiewende insbesondere an den Ansatz dezentraler Energieerzeugung gekoppelt, da diesem eine gewisse "Beteiligungsfreundlichkeit" innewohnt. Das heißt: Von Photovoltaikmodulen auf dem Hausdach, nachbarschaftlich genutzten Stromspeichern bis hin zu Beteiligungen an Solar- oder Windparks können Bürger*innen die Energiewende selbstständig mitgestalten. Bis zur Liberalisierung des Energiemarktes 1998 lag die Energieinfrastruktur ganz überwiegend in der Hand der "Großen Vier", den Unternehmen E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall, die den deutschen Energiemarkt in regionalen Monopolen unter sich aufgeteilt hatten. Durch verbesserte Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien in Verbindung mit einer staatlich garantierten Einspeisevergütung (ein fester Betrag, den man für den erzeugten Strom erhält) ist in den zwei Jahrzehnten seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2000 die Möglichkeit entstanden, entweder selbst als Einzelperson oder als Gruppe Energieanlagen zu betreiben, hierdurch etwas für den Klimaschutz zu tun und dabei gleichzeitig einen finanziellen Gewinn zu erzielen ("Bürgerenergie").
Der Umbruch in neue "Energielandschaften" hat bürgerschaftliches Engagement in unterschiedliche Richtungen stimuliert: Wo sich seit den 2000er Jahren Bürgergruppen zusammentaten, um Energiegenossenschaften zu gründen und auf diese Weise direkte Teilhabe zu ermöglichen, bildeten sich in umgekehrter Stoßrichtung mitunter gleichzeitig Bürgerinitiativen, um insbesondere gegen Windparks ins Feld zu ziehen, weil eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und durch Schallwellen befürchtet wird. In einzelnen Fällen entstehen hierbei enorme Konflikte, bei denen eine Verständigung kaum mehr möglich erscheint. Häufig geht es dabei gar nicht um den eigentlichen Streitgegenstand, sondern um andere Motive. Diese können zum Beispiel soziale Gruppenkonflikte wie zwischen Neubürger*innen und Alteingesessenen, politische Orientierungen oder verdeckte Interessenlagen betreffen (etwa Minderung von Grundstückswerten oder Pachteinnahmen).
Wie kann Bürgerbeteiligung in so einem umkämpften Feld gelingen? Das politische Ziel einer raschen Transformation des Energiesystems erhöht den Druck auf alle Beteiligten, Lösungen zu finden. Dies erhöht einerseits das Risiko, demokratische Kriterien im Prozess eher zu vernachlässigen. Andererseits könnte man argumentieren, dass Diskurse ohnehin entbehrlich sind, weil ja zum Ausbau der Erneuerbaren keine Alternativen bestehen. Dies markiert die Pole eines übergreifenden demokratischen Dilemmas der Nachhaltigkeitstransformation auf zwei Achsen: Geschwindigkeit der Verfahren und erforderliche Zielerreichung (Ausbau) versus langwierige Aushandlungsprozesse und Eingehen auf Bürger*innenwünsche und -anliegen. Im Folgenden werde ich dieses Dilemma der demokratischen Beteiligung zunächst unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten beleuchten, anschließend werde ich die Vor- und Nachteile einiger Beteiligungsformen betrachten, um abschließend mögliche Zukunftsoptionen für eine bessere und umfassendere Beteiligungspraxis in der Nachhaltigkeitstransformation zu skizzieren.
Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie
In der Energiewende ist folgende Grundkonstellation allerorten bekannt: Spätestens, wenn Baufahrzeuge zur Errichtung eines neuen Windparks anrücken, regt sich in der lokalen Bevölkerung Widerstand. Dieses als Nimby-Reflex (not in my backyard) oder Sankt-Florian-Prinzip bekannte Phänomen ist ein Klassiker in der Beteiligungsforschung. In Untersuchungen zeigt sich jedoch: Die Akzeptanz oder Ablehnung eines Windparks in der Nähe des Wohnraumes ist von vielen Faktoren abhängig, etwa der ökologischen Einstellung und insbesondere der grundsätzlichen politischen Einstellung, die als mit Abstand stärkster Einfluss gelten kann.
Aus demokratietheoretischer Perspektive bemisst sich die Güte eines Planungs- und Umsetzungsprozesses an den Kriterien der demokratischen Legitimität. Zunächst unterscheidet das weit verbreitete Verständnis von Demokratie zwei wesentliche Prinzipien: Gleichheit und Gerechtigkeit. Der demokratische Wahlakt garantiert als Musterbeispiel beides: Die Wahl steht allen Wahlberechtigten offen, und jede Stimme ist gleichwertig. Diese Kriterien lassen sich aber auch auf andere Formen politischer Partizipation und auf den Kontext der Nachhaltigkeitstransformation anwenden,
Diese Aspekte sind auch für das Konzept der Klima- beziehungsweise Umweltgerechtigkeit relevant: Auf drei Ebenen wird hier danach gefragt, inwieweit erstens eine (Un-)Gleichverteilung von Gütern und Ressourcen, Einkommen und Ausgaben oder Infrastrukturen und Einflüssen vorliegt (distributionale Gerechtigkeit), inwieweit zweitens im Prozess der Entscheidungsfindung, Planung und Umsetzung (un)gleiche Zugänge zu Informationen, Transparenz, individuelle Rechte und Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungen gewährt werden (prozessuale Gerechtigkeit, deckungsgleich mit der Throughput-Dimension), sowie drittens, inwiefern Anerkennung und Respekt gegenüber den Ansprüchen, Belangen und Identitäten lokaler Gemeinschaften, Vulnerabilitäten und Resilienzvermögen sowie den Ortsverbundenheiten gewährt werden.
Eine "Energiedemokratie" bedeutet daher im Kern: gleiche Rechte und Zugänge zu sozialverträglichen Energiesystemdienstleistungen sowie gleiche Verteilung der dazugehörigen Vor- und Nachteile. Im Gegensatz zu anderen Kontexten ist der letztgenannte Aspekt in der Energiewende um eine Dimension reicher, denn es besteht mit der Bürgerenergie die grundsätzliche Möglichkeit einer materiellen Beteiligung und des gemeinschaftlichen Betriebs von Energieanlagen. Diese Beteiligungsform ergänzt das sonst typische Instrumentarium demokratischer Partizipation, nämlich einerseits die klassische Öffentlichkeitsbeteiligung (Teilnahme an Bürgerversammlungen oder Bürgerdialogen, Abgabe von Stellungnahmen) sowie andererseits das Engagement in Vereinen, Verbänden oder sozialen Bewegungen.
Soweit die Theorie der Beteiligungsmöglichkeiten – aber was wird von den Bürger*innen in der Praxis präferiert, und woran besteht nur wenig Interesse? Entsprechende Untersuchungen zeigen, dass der Prozess-Dimension offenkundig eine Schlüsselrolle für die Herstellung von Akzeptanz und Legitimität zukommt: Die Bevölkerung möchte aus möglichst neutralen Quellen umfassend über alle Vorgänge, Auswirkungen sowie Vor- und Nachteile informiert werden. Eine (zu) ausgiebige Diskussion um Vor- und Nachteile wird hingegen von einer Mehrheit als weniger bedeutsam eingestuft, und statt finanzieller Beteiligung wäre den meisten ein günstiger lokaler Stromtarif wichtiger.
Weniger Deliberation wagen?
Auffallend viele Studienergebnisse kommen zu dem Schluss, dass Deliberation in der Energiewende schlecht funktioniert: Das vielbeschworene Paradigma frühzeitiger Bürgerbeteiligung entfaltet hier nur sehr begrenzt Wirkung.
Wie sollte Deliberation hingegen im Idealfall ablaufen, und was wäre erforderlich, um funktionierende Verständigung zu ermöglichen? Nach dem Ansatz von Jürgen Habermas soll sich im Diskurs letztlich das beste rationale Argument durchsetzen, dem sich eine Mehrheit (aus Überzeugung) anschließen kann. Niklas Luhmann tat dies dagegen als unrealistisch ab und verwies auf das Prinzip "Legitimation durch Verfahren": Allein durch einen Rahmen mit verbindlichen rechtsstaatlichen Standards und Garantien könne Legitimation erzielt werden, weil die Ergebnisse hier verbindlicher berücksichtigt werden müssten.
Mehr Bürgerräte wagen?
Ein anderer Ansatzpunkt könnte ein verstärkter Einsatz von Bürgerräten sein. Die Erfahrungen aus der Energiewende zeigen: Für die Bürger*innen ist die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ein Schlüssel für die Akzeptanz und Herstellung von Legitimität. Formate der invited participation wie moderierte Town Hall Meetings, Info- und Dialogveranstaltungen sind indes stark gesteuert, um wenig Angriffsfläche zu bieten – eben dies provoziert dann mitunter Skepsis und Widerstand.
Den Spagat zwischen diesen beiden Ansprüchen könnten Bürgerräte leisten, denn diese setzen sich aus einer per Zufallsauswahl gebildeten repräsentativen Gruppe lokaler Bürger*innen zusammen, die basierend auf gesammelten Sachinformationen eine bestimmte Thematik beraten und auf diese Weise bei der Entscheidungsfindung helfen. Dies kann in die Zukunft gerichtete Grundsatzfragen betreffen – wie im Fall des 2021 auf Bundesebene einberufenen Bürgerrats Klima –, aber auch Einzelfragen – wie im Fall des 2017 geschaffenen Bürgerrats zu gleichgeschlechtlicher Ehe und Abtreibungsverbot in der Republik Irland. Schon den sogenannten Planungszellen Ende der 1970er Jahre lag die Idee zugrunde, dass eine Bürgergruppe über regionale Planungsprozesse beraten könne.
In der Energiewende verspricht das Format des Bürgerrates durchaus eine effektive Problembearbeitung, etwa bei der Planung von Windparks: Die zahlreichen Argumente für oder gegen ein Projekt können gesammelt und gewichtet, alle Betroffenen gehört, Best-practice-Fälle besucht und schließlich eine Empfehlung für oder gegen die Errichtung sowie, vielleicht noch wichtiger, Hinweise für das Wie der Umsetzung gegeben werden. Wichtig ist hierbei allerdings, dass sich das Gremium ausgewogen zusammensetzt: Jüngere wie Ältere, mehr oder weniger hoch Gebildete und unterschiedliche Berufs- und Sozialgruppen müssen repräsentiert sein, um das Problem der Input-Legitimität zu lösen, das bei den üblichen Bürgerbeteiligungsformaten regelmäßig auftritt. Denn in der Regel beteiligen sich vor allem höher Gebildete, finanziell besser gestellte, ältere sowie männliche Teile der Bevölkerung. Die Zufallsauswahl soll diesem Umstand entgegenwirken – sie kann jedoch nicht dafür sorgen, dass alle Beteiligten gleich viel Zeit und Energie haben, um sich aktiv einzubringen. Dieses für alle Beteiligungsformen typische Phänomen mangelnder Ausgewogenheit beziehungsweise Repräsentation führt zum nächsten möglichen Beteiligungsansatz der Energiewende, der immer wieder als Schlüssel zur Akzeptanz ins Spiel gebracht wird: die Bürgerenergie mit dem Hebel der finanziellen Beteiligung.
Mehr Bürgerenergie wagen?
Auf den ersten Blick wirkt das Konzept der Bürgerenergie bestechend: Bürger*innen nehmen ihre Energieversorgung vor Ort selbst in die Hand. Sie erhalten hierdurch einerseits Mitsprache im Bürgerenergieunternehmen und gewinnen mehr Kontrolle über die umstrittenen Planungsprozesse, andererseits profitieren sie unmittelbar von der finanziellen Teilhabe. Dennoch können die beiden Grundprinzipien Gleichheit und Gerechtigkeit auch hier verletzt werden. Ein Kritikpunkt betrifft den finanziellen Beteiligungsansatz selbst: Denn dieser hängt immer von der Geldbörse ab – Personen mit niedrigem Einkommen oder ohne entsprechendes Kapital werden zwangsläufig benachteiligt.
Auch das zweite Kriterium der Gerechtigkeit wird in diesem Modell nicht zwangsläufig besser verwirklicht: Denn das einzelne Mitglied in einem Bürgerenergieprojekt kann wiederum gegenüber einem Vorstand kein Gehör finden, und es sind Konstellationen bekannt, in denen eine Bürgerenergiefraktion in einer Ortschaft konfliktverschärfend wirken kann. So können kritisch eingestellte Bürger*innen das Angebot, Teil der Bürgerenergie zu werden, als "Einkaufsversuch" auffassen und sich korrumpiert fühlen oder den Eindruck gewinnen, paternalistisch bevormundet zu werden. Dies hat zur Folge, dass sie mit ihren Bedenken noch weniger Gehör finden, weil sie nunmehr einem positiv konnotierten Bürgerprojekt gegenüberstehen, an dem Kritik leichter abperlt als an Politik und Verwaltung.
Dennoch ist zu betonen, dass auch umgekehrte Konstellationen bekannt sind, dass es also Projekte gibt, bei denen sich der Querschnitt der Bevölkerung in der Beteiligung besser abbildet und bei denen Konflikte gelöst werden konnten. Umfrageergebnisse zeigen zudem, dass sich die Bevölkerung überwiegend eine kommunale Betreibungsform von Energie-Infrastrukturen wünscht: Daher bietet sich mehr Engagement der Kommunen etwa über Stadtwerke an, um Gewinne gemeinwohlorientiert allen zugänglich zu machen – etwa über günstige lokale Stromtarife, Investitionen in alternative Wärmekonzepte oder Elektromobilität. Die Städte und Gemeinden sind jedoch häufig finanzschwach, und es drohen gravierende regionale Disparitäten, die bereits jetzt zwischen strukturstarken und -schwachen Kommunen und Kreisen erkennbar sind. Die Vorgaben der Europäischen Union im sogenannten Clean-Energy-Paket zur Förderung von citizen energy communities und das neue Energiepaket der Bundesregierung von April 2022 sollen den Ansatz der Bürgerenergie künftig stärker stützen.
An Beteiligung führt kein Weg vorbei
Das eingangs erwähnte Dilemma zwischen Effektivität respektive Geschwindigkeit der Nachhaltigkeitstransformation und demokratischer Bürgerbeteiligung wird in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit noch an Brisanz gewinnen. Denn durch den klimapolitisch notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien werden die Eingriffe in die Umwelt massiv zunehmen und weitere Umstellungsprozesse erforderlich sein. Trotz ernüchternder Erfahrungen mit klassischer Öffentlichkeitsbeteiligung in der Energiewende und Tücken bei dem Einsatz alternativer Beteiligungsformen führt letztlich jedoch am Prinzip des Einbezugs lokaler Gemeinschaften kein Weg vorbei. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass insbesondere das Ausklammern und Ignorieren lokaler Belange nahezu zwangsläufig zu Konflikten führt – und zudem die demokratische Qualität der Entscheidungsprozesse mindert.
Die bekannten Town Hall Meetings als reine Unterrichtung der Bevölkerung mit einigen wenigen Nachfragen mutiger Bürger*innen können aus diesem Blickwinkel nicht überzeugen. Auch Bürgerentscheide sind nur auf den ersten Blick hilfreich: Sie provozieren eine Positionierung in einem polarisierten Pro-oder-Contra-Schema und können Instrumentalisierung und Manipulation befördern, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen.
Aus demokratietheoretischer Perspektive ist die demokratische Legitimität dabei in jedem Einzelfall möglichst umfassend herzustellen. Um die erforderlichen Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen, ist nicht zuletzt ein aktiver Staat gefragt: Politische Anstrengungen, Gesetzesreformen und Maßnahmenprogramme, die beteiligungsförderlich wirken, sollten aktiv eingefordert werden. Da situativ angemessene Antworten nur auf der lokalen Ebene gefunden werden können, benötigen die Kommunen Unterstützung, denn hochqualitative Bürgerbeteiligung ist nicht zum Nulltarif zu haben, sie ist aufwendig und ressourcenintensiv. Es ist daher durchaus stimmig, dass der Thinktank Agora Energiewende bereits eine "Akzeptanzpolitik" für die Energiewende gefordert hat.
Was bleibt somit als Ausblick? Die Transformation in eine nachhaltige Gesellschaft im 21. Jahrhundert kann nur als ein "Gemeinschaftswerk" gelingen.