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Nachhaltigkeit und Demokratie | Ökologie und Demokratie | bpb.de

Ökologie und Demokratie Editorial Auf dem Weg in die "Ökodiktatur"? Klimaproteste als demokratische Herausforderung System change, not climate change? Ziviler Ungehorsam im Zeichen der Klimakatastrophe Nachhaltigkeit und Demokratie Handeln und Verhandeln. Eine kurze Demokratiegeschichte der Atomkraft Tyrannei der Minderheit? Energiewende und Populismus Schnell oder demokratisch? Dilemmata demokratischer Beteiligung in der Nachhaltigkeitstransformation Klimaschutz lokal vermitteln. Zur Rolle zivilgesellschaftlicher Klimaübersetzer:innen in Dänemark und Deutschland

Nachhaltigkeit und Demokratie

Elke Seefried

/ 15 Minuten zu lesen

"Nachhaltige Entwicklung" wird seit den 1980er Jahren mit immer neuen Zielvorstellungen verbunden: Frieden, globale und generationelle Gerechtigkeit, zivilgesellschaftliche Partizipation. Mit einem derartig ausgeweiteten Leitbild ist die liberale Demokratie tendenziell überfordert.

Nachhaltigkeit ist zu einem politischen Imperativ avanciert. In der bundesdeutschen Demokratie spricht sich keine Partei dezidiert gegen das Ziel der nachhaltigen Entwicklung aus. Der Begriff verheißt Zukunftsorientierung, er steht für einen Ausgleich zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Interessen und verbindet sich mit den Werten Sicherheit, Gerechtigkeit und globales Verantwortungsbewusstsein. Damit lassen sich umwelt- und entwicklungspolitische Maßnahmen legitimieren.

In den vergangenen Jahren wuchsen indes in Umweltexpertise und Umweltbewegungen die Zweifel, ob die Demokratie als Regierungsform zukunftsfähig genug sei, um die klimapolitischen Maßnahmen einer nachhaltigen Entwicklung bearbeiten zu können. Die Demokratie gewährleiste hohe Legitimation, aber sei langsam in der Entscheidungsfindung und operiere in beschränkten Zeithorizonten, die nur bis zu den nächsten Wahlen reichten. Hingegen folge das langfristig ausgerichtete und zielorientierte Leitbild der Nachhaltigkeit einem anderen Rhythmus. In einer "pessimistic position" wird gar eine "fundamental incompatibility" zwischen beiden angenommen, da Demokratien nicht die Kapazitäten hätten, hochkomplexe und drängende Umweltprobleme zu lösen. Damit wird in gewisser Weise Nachhaltigkeit gegenüber der Demokratie höher gewichtet, kommen Alternativen einer möglichen Expertenregierung oder ökoautoritäre Maßnahmen ins Spiel.

In diesem Beitrag wird die Genese des Nachhaltigkeitsdiskurses in der bundesdeutschen Demokratie in ihren internationalen Kontexten seit den 1970er Jahren ausgeleuchtet: Wie etablierte sich das Leitbild nachhaltige Entwicklung, von wem wurde der Begriff mit welchen Wertvorstellungen und Zielsetzungen aufgeladen, und mit welchen demokratischen Praktiken verband sich dies?

"Grenzen des Wachstums"

Um 1970 veränderten sich in den westlichen Industriegesellschaften die Wahrnehmungen von Mensch und Natur grundlegend. Dies manifestierte sich in einem neuen, rasch allgegenwärtigen Begriff: der Umwelt. Bis zu den 1970er Jahren hatten sich Naturschutzverbände um die Bewahrung der gegebenen Natur – der Landschaften, Pflanzen, Tiere – gesorgt. Hingegen zielte "Umwelt" auf die Belastung der Lebensgrundlagen des Menschen durch den Menschen. Mit dem Begriff entstand die Umweltpolitik in der industriellen Moderne. Zudem schossen nun in den USA und Westeuropa Umweltverbände aus dem Boden. Faktoren dieser "ökologischen Revolution" waren die Luft- und Wasserverschmutzung, mehr Wissen über die Erde und eine aufkommende Kritik an der Überflussgesellschaft, die im alternativen Milieu zirkulierte.

Für die Verbreitung ökologischer Wachstumskritik und die Begriffsschöpfung des Nachhaltigen spielte die Studie "The Limits to Growth" ("Die Grenzen des Wachstums") eine zentrale Rolle. Auftraggeber war der einflussreiche Club of Rome, ein Kreis von westlichen Wissenschaftlern und Wissenschaftsmanagern. Das computerbasierte Modell, von WissenschaftlerInnen erstellt, kam zum Ergebnis, dass die Wachstumsgrenzen der Erde bis 2100 erreicht seien. Das exponentielle Wachstum von Weltbevölkerung und industrieller Produktion werde Rohstoff- und Nahrungsmittelreserven aufzehren und die Umweltbelastung steigen lassen. Zum Ausweg erklärte man im ökologischen Verständnis das weltweite Gleichgewicht, erreicht durch scharfe Bevölkerungskontrollen und Verzicht auf wirtschaftliches Wachstum. Da die Studie Wachstums- und Reproduktionsverzicht, wissenschaftlich begründet, als notwendig begriff, trug sie auch ökoautoritative Züge. Das anzustrebende wachstumskritische "Weltsystem" wurde in der Studie als sustainable bezeichnet. Damit löste sich der Begriff von einem engen forstwirtschaftlichen Bezug, der vor allem darauf zielte, es dürfe nur geholzt werden, was im gleichen Zeitraum nachwachse (sustained yield).

Die Studie löste eine wissenschaftliche und politische Debatte über die Endlichkeit der Ressourcen und die ökologischen Folgen industriellen Wachstums aus. Dies betraf auch das Ziel des Wirtschaftswachstums, das in Zeiten des Booms zum zentralen Maßstab für Wohlstand und Fortschritt avanciert war. Ein Grund für die starke Wirkung von "Die Grenzen des Wachstums" war, dass das Computermodell den Thesen hohe wissenschaftliche Legitimation verlieh. Ebenso arbeiteten die AutorInnen gezielt mit einer Zuspitzung des Krisenszenarios, um Reaktionen zu forcieren. Ferner schien die erste Ölkrise 1973 die Prognose von den endlichen Ressourcen zu bestätigen. Zugleich stieß die Studie auf harte Kritik: ÖkonomInnen betonten, Wirtschaftswachstum sei unerlässlich, um Wohlstand und Arbeitsplätze zu sichern. WissenschaftlerInnen aus dem Globalen Süden warnten, die Forderung nach generellem Wachstumsverzicht kolonisiere die Zukunft der Entwicklungsländer. Den Hintergrund bildete der internationale Nord-Süd-Gegensatz, der sich mit der Dekolonisation zugespitzt hatte. Regierungen aus dem Süden forderten eine gerechtere "neue Weltwirtschaftsordnung". In der Debatte über die "Grenzen des Wachstums" verkoppelten sich globale Umwelt- und Entwicklungsfragen, die fortan als wechselseitig verknüpft galten, und genau in jener diskursiven Verknüpfung ruht der Kern des politischen Nachhaltigkeitsbegriffs seit den 1970er Jahren.

Auch und gerade in der Bundesrepublik waren Zukunftsforscher und Intellektuelle – von Carl Friedrich von Weizsäcker bis Robert Jungk – vom Computermodell und der Studie beeindruckt. Ebenso entfaltete sie Wirkung auf Teile der regierenden SPD, deren Reformbegeisterung 1972 bereits zu kippen begann und die offen für neue Leitbilder war. Vor allem Erhard Eppler, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, eignete sich die Wachstumskritik an. In der Folge bildete er den Kern eines ökologisch orientierten Flügels in der SPD. Eppler sprach indes nicht von Wachstumsverzicht, sondern von einem qualitativen Wachstumsbegriff, der neben ökonomischen auch ökologische und soziale Kriterien berücksichtigte. Ein – gar autoritär durchgesetztes – Nullwachstum wurde mit Blick auf Arbeitsplätze in der SPD nicht ernsthaft diskutiert. Nur ganz wenige Konservative wie der CDU-Abgeordnete Herbert Gruhl griffen die Thesen vom autoritativen Wachstumsverzicht auf. Insofern setzte sich trotz aller Debatten um die Studie der Begriff eines "sustainable world system" nicht durch: Er war politisch nicht vermittlungs- und mehrheitsfähig.

"Nachhaltige Entwicklung"

In der weltwirtschaftlichen Rezession ab 1974 verloren umwelt- und entwicklungspolitische Ziele an Aufmerksamkeit. Indes arbeiteten auf UN-Ebene ExpertInnen an einer "World Conservation Strategy", die globale Umwelt- und Entwicklungsfragen ausgleichen sollte, und prägten 1980 den Begriff "sustainable development". In der Folge rief die UN-Generalversammlung 1983 eine Weltkommission für Umwelt und Entwicklung ein, die den Begriff mit Leben füllen und eine UN-Konferenz vorbereiten sollte. Den Vorsitz übernahm die norwegische Sozialdemokratin Gro Harlem Brundtland. Vertreter Deutschlands war der SPD-Politiker Volker Hauff. Die Kommission verwies auf die Gefahren des Atomkriegs, von Umweltkonflikten und Ressourcenengpässen, um so ein erweitertes, ökologisch unterlegtes Konzept von Sicherheit und Friedenssicherung zu entwerfen. Zudem kreiste sie um das Verständnis von Gerechtigkeit – zwischen den Generationen und zwischen Nord und Süd. Nord- und westeuropäische VertreterInnen drängten, alle Länder sollten Umweltstandards erfüllen. Hingegen kam aus dem Süden das Argument, Armut sei oft Ausgangspunkt für Umweltprobleme, etwa für das massive Abholzen von Wäldern. In ihrem Bericht "Our Common Future" nannte die Kommission 1987 die Bedürfnisse der lebenden Generationen zuerst: "Humanity has the ability to make development sustainable – to ensure that it meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs." Insofern votierte die Kommission für Wirtschaftswachstum und forderte unter anderem einen internationalen Fonds des Nordens zugunsten der Südländer.

In der Bundesrepublik griff die SPD den Brundtland-Bericht auf, und auch sie lud ihn mit den Werten Frieden, Sicherheit und globale Gerechtigkeit auf. Die "dauerhafte" Entwicklung, so zunächst Hauffs Übersetzung für sustainable, fand 1989 Eingang in das Berliner Grundsatzprogramm. Im Abschnitt "Frieden in gemeinsamer Sicherheit" propagierte die SPD "dauerhafte Entwicklung" im Sinne des Brundtland-Berichts als Balance langfristiger Umwelt- und gegenwärtiger Entwicklungsinteressen in der Nord-Süd-Politik.

Seit 1982 in der Opposition, sah sich die SPD als Partei der ArbeitnehmerInnen besonders herausgefordert von der Sockelarbeitslosigkeit und dem Wandel zur industriellen Dienstleistungsgesellschaft. Ein programmatischer Anker war für einen Flügel der Partei deshalb die Thematisierung globaler Umwelt- und Entwicklungsfragen: Damit konnte die SPD eigene Leitwerte – Frieden, Gerechtigkeit, Sicherheit – auf die globale Ebene heben und an ihre erfolgreiche Neue Ostpolitik anknüpfen. Der idealistische Bezug auf den Brundtland-Bericht rivalisierte mit einer pragmatischeren Position der SPD-Bundestagsfraktion, die im Programm "Arbeit und Umwelt" beschäftigungspolitische Chancen durch Umweltschutz betonte. Pilotprojekte zur Markteinführung umweltverbessernder Produktionsverfahren sollten über einen "Umweltpfennig" auf Strom, Benzin und Diesel, Heizöl und Erdgas finanziert werden. Das Programm atmete den Geist ökologischer Modernisierung, eines technologieaffinen Konzepts, das einen ökologisch-ökonomischen Doppelnutzen durch effiziente Nutzung von Rohstoffen und Energieträgern versprach.

In der Union setzte sich der Bezug auf eine "zukunftsverträgliche" Entwicklung – so eine Übersetzung des Brundtland-Berichts – erst nach dem Ende des Kalten Krieges durch. In CDU/CSU-geführten Bundesministerien fürchtete man zunächst, die Brundtland-Kommission werde sich "hauptsächlich mit Transferforderungen an die Industrieländer" befassen, die mit Umweltschutz gerechtfertigt würden. Hingegen begrüßte Umweltminister Klaus Töpfer 1987 den Bericht – ohne die Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung zu teilen. Es war vor allem die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 (UNCED), die auch bei der CDU die Erwartung nährte, dass in einer nicht mehr bipolar strukturierten Welt globale Absprachen und Friedenssicherung unter dem Dach der Vereinten Nationen möglich würden. Die Bundesregierung wollte mit einer aktiven Rolle die gewachsene Verantwortung des wiedervereinigten Deutschlands in der Welt demonstrieren. Töpfer erklärte wenige Wochen vor dem Gipfel, der Bevölkerungsdruck und knapper werdende Rohstoffe evozierten "eine neue Form weltweiter Verantwortung". Man wolle "mit einer Umweltaußenpolitik wirklich Friedenssicherungspolitik in der Zukunft betreiben". Nach dem Gipfel sprach sich Töpfer für "Grünhelme" aus, die ökologische Aufgaben auf UN-Ebene übernehmen könnten.

Viele Erwartungen an den Erdgipfel erfüllten sich nicht, doch wurden die nachhaltige Entwicklung und die Änderung nicht-nachhaltiger Produktions- und Konsumptionsweisen im Norden zum Programm globaler Umwelt- und Entwicklungspolitik erklärt. Zudem verabschiedete der Gipfel neben einer Biodiversitäts- eine Klimarahmenkonvention, wobei die CO2-Einsparungsziele nicht fixiert wurden. Weitreichendere Abmachungen torpedierte vor allem die US-Regierung. Die CDU nahm die nachhaltige Entwicklung 1994 in ihr Hamburger Programm auf und gestaltete sie im Sinne eigener programmatischer Traditionen aus. So verwies sie im Anschluss an die christliche Soziallehre auf die gegenseitige Abhängigkeit und Solidarität in der weltweiten "Risikogemeinschaft", die eine veränderte Lebensweise auch im Norden erfordere.

Nachhaltigkeit und Partizipation

Bis zur UN-Konferenz von Rio 1992 hatten die meisten deutschen Umweltverbände und die Grünen den Brundtland-Bericht als Elitenprojekt abgelehnt. Sie kritisierten die Orientierung an nachhaltigem Wirtschaftswachstum. Das Prinzip der Balance in der nachhaltigen Entwicklung verdeckte für sie nur die Probleme von Umweltverschmutzung und Armut im Globalen Süden, die dem kapitalistischen Wachstumsprinzip entstammten. Nicht Armut sei Ursache des Abholzens von Wäldern im Süden, sondern die kommerzielle Waldnutzung durch den Norden.

Indes richteten der Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Deutsche Naturschutzring 1991 eine UNCED-Projektstelle ein, um Einfluss auf den Rio-Prozess zu nehmen – unter anderem durch Veranstaltungen vor Ort. Nach der Konferenz griff der BUND die Nachhaltigkeit selbst auf, verband sie im eigenen Sinne mit der Forderung nach Einschränkungen des Konsums in den Industrieländern und postulierte: "Das Zauberwort heißt 'Sustainability'". Auch Mitglieder der Grünen-Fraktion des Europäischen Parlaments organisierten in Rio Workshops, die die Bevölkerung aus dem Süden einbanden und die Betroffenen zu Beteiligten machten. Die Grünen wollten – neben einer CO2-Steuer in der Europäischen Gemeinschaft – die Rechte der indigenen Bevölkerung und der Frauen im Globalen Süden einbezogen wissen, deren Agency durch Bildung und mehr Mitsprache zu stärken sei. Mithin eigneten sich Grüne und viele Umweltverbände den Begriff im affirmativen Sinne an. Zugleich etablierten sie mit Praktiken des Mitmachens ein basisdemokratisches Verständnis der nachhaltigen Entwicklung.

Zentrales Ergebnis der Rio-Konferenz war das Aktionsprogramm "Agenda 21": Regierungen waren dadurch aufgefordert, Nachhaltigkeitsstrategien zu beschließen und Verbände und NGOs in nationale Räte einzubeziehen. Die stark auf das Leitbild Nachhaltigkeit setzende rot-grüne Bundesregierung schuf 2001 den Rat für nachhaltige Entwicklung, dessen Vorsitz Hauff übernahm und in dem Verbände und andere zivilgesellschaftliche Akteure vertreten waren. Zudem verlangte die Agenda 21, dass "sustainable development" auf kommunaler Ebene mit Leben gefüllt wird. Damit wurde die nachhaltige Entwicklung Teil einer Glokalisierung – von Akteuren, die global denken und lokal handeln wollten. In Deutschland riefen nicht nur Stadträte und BürgermeisterInnen, sondern auch Protagonisten aus Umweltverbänden und Kirchen Agenda-Prozesse ins Leben, die lokale Umweltfragen (weniger Entwicklungsfragen) aufgriffen. Bessere Müllkonzepte oder die Verhinderung eines Atomkraftwerks wurden zu Anliegen von örtlichen Agenda-Gruppen, die zunehmend mit dem Begriff "nachhaltige Entwicklung" verknüpft wurden und das Prinzip von unten in der Demokratie verankerten – und so die Demokratie selbst im partizipativen Sinne belebten.

Globalisierte Welt

Mithin entfaltete der Agenda-Prozess in den 1990er Jahren eine partizipative Dynamik in der Demokratie. 20 Jahre später wuchs die nachhaltigkeitsgetriebene Kritik an der Demokratie. Wie kam dieser Wandel zustande?

Einen ersten Faktor bildete – in den Augen der KritikerInnen – eine Ökonomisierung der Nachhaltigkeit im marktwirtschaftlichen Sinne. Ökonomische Effizienz und Modernität erhielten nun eine mit der Umwelt gleichgewichtige, normative Bedeutung. Hintergrund war die weltwirtschaftliche Liberalisierung nach dem Ende des Kalten Krieges. Damit ging eine veränderte Deutung von Globalität einher, nämlich als Prozess wirtschaftlicher Globalisierung. Dies war auch Ausgangspunkt für Konzepte des Grünen Kapitalismus. Um 2000 rückte das ökonomische Element im Begriff der Nachhaltigkeit – verstärkt als Substantiv und Kriterium für Zukunftsfähigkeit und nicht mehr als Prozess nachhaltiger Entwicklung verstanden – nach vorne: Mittels nachhaltiger Innovation sollte die Wettbewerbsfähigkeit in der Globalisierung gestärkt werden. Hinzu traten Instrumente, die ökonomisch ansetzten, wie der Emissionshandel. In der Bundesrepublik übernahmen SPD und Grüne ein technologieaffines und marktorientiertes Modernisierungsdenken, mit dem die Verquickung von Ökologie und Ökonomie als machbare Gestaltungsaufgabe kommuniziert wurde. Im Koalitionsvertrag 1998 versprachen sie, die "Chancen der Globalisierung für nachhaltiges Wachstum, Innovation und neue zukunftsfähige Arbeitsplätze" zu nutzen. Dieser Ankündigung folgten Maßnahmen wie die Einführung der Ökosteuer und das Erneuerbare-Energien-Gesetz, aber auch eine Liberalisierung des Energiesektors, um im "globalen Wettbewerb" um Energiereserven zu reüssieren.

Ein zweiter Faktor für Kritik war die politische Bearbeitung der wissenschaftlich erwiesenen Erderwärmung. Die 1992 in Rio unterzeichnete Klimarahmenkonvention und das Kyoto-Protokoll 1997 institutionalisierten klimapolitische Mechanismen im UN-System. Dann stockte der Prozess. Nationale Interessen dominierten, und eine im idealistischen Sinne gedachte Instanz einer Weltdemokratie, die Umweltziele durchsetzt, existiert nicht. Erst das Übereinkommen von Paris 2015 legte Reduktionsziele fest.

Drittens veränderte sich seit den 2000er Jahren auch die bundesdeutsche Demokratie. Es kann an dieser Stelle nur angedeutet werden, dass das Schwinden von Normalarbeitsverhältnissen in der globalisierten Dienstleistungsgesellschaft dazu beitrug, Elitenkritik von rechts und links zu schüren. Die sozialen Medien beschleunigten die politische Kommunikation und setzten Parteien unter Druck.

Die Kritik von ExpertInnen und Intellektuellen an der politischen Ökonomisierung der Nachhaltigkeit und der politischen Bearbeitung des Klimawandels äußert sich unter anderem in scharfen Stellungnahmen, in denen auch enttäuschte Erwartungen sichtbar werden. Die "nachhaltige Globalisierung" durch die Weltbank und die bundesdeutsche Politik sei der "Kitt des neoliberalen Scherbenhaufens". Nachhaltige Entwicklung werde immer weniger kritisch auf dominante gesellschaftliche und politische "Kräfteverhältnisse" bezogen, diene einer ökologischen Modernisierung etablierter Institutionen und werde "technokratisch ‚von oben‘ gedacht".

Da für die Abwendung des gefährlichen Klimawandels nicht mehr viel Zeit zur Verfügung sei, forderten der Politikwissenschaftler Claus Leggewie und andere eine "Modernisierung der Demokratie": NGOs und soziale Bewegungen sollten ein weitreichendes legislatives Konsultationsrecht erhalten, ferner solle ein aus WissenschaftlerInnen besetzter "Rat der Weisen" als eigenständig legitimierte Vorschlagskammer agieren, um in einem "deliberativen Wissensregime" Parlamente unter Begründungszwang zu setzen und das Gespräch mit Laien zu führen.

Warb Leggewie für eine Demokratisierung der Demokratie, wurde an anderer Stelle eine Spannung zwischen liberaler Demokratie und Nachhaltigkeit diagnostiziert: Die liberale Demokratie externalisiere ökologische und soziale Kosten in andere Weltregionen oder auf spätere Generationen. Demokratische Strukturen seien "möglicherweise grundsätzlich ungeeignet (…), um die Umweltkrise in den Griff zu bekommen". Die "postdemokratisch gewendete Demokratie" werde eine "Politik der Nicht-Nachhaltigkeit" fortsetzen. Zuletzt forderte die "Fridays for Future"-Aktivistin Carla Reemtsma, der wissenschaftsbasierten Erkenntnis des Klimawandels unbedingte Priorität einzufordern: Es gebe keinen Mittelweg. Dies erinnert ein wenig an die Unbedingtheit der "Grenzen des Wachstums".

Fazit

Die liberale Demokratie ist unter Druck geraten. Sie wird mit einem vieldimensionalen Leitbild der Nachhaltigkeit konfrontiert – und tendenziell überfordert. Wie gezeigt wurde, verbanden verschiedene Akteure in der deutschen Demokratie den Begriff der nachhaltigen Entwicklung beziehungsweise Nachhaltigkeit seit den 1980er Jahren mit immer neuen Zielvorstellungen und Werten: Frieden und Sicherheit, Gerechtigkeit zwischen den Generationen, den Geschlechtern und im Nord-Süd-Verhältnis, technische Modernität und Effizienz. Mit der diskursiven Strategie, Nachhaltigkeit zu versprechen, ließen und lassen sich auseinanderstrebende Interessen und Ziele einbinden. Zielkonflikte werden so indes in der politischen Kommunikation verdeckt. In der Demokratie können konkurrierende Interessen verhandelt, aber nicht alle gleichzeitig bedient werden.

Zugleich haben sich die Akteure und Praktiken der Kommunikation von Nachhaltigkeit in der Demokratie verändert. Sie war zunächst Sache von ExpertInnen, die technokratisch argumentierten. Dann wurde sie zum Leitbild in Parteien und Regierungen, das auf die Außenpolitik gerichtet war. Zunächst eignete sich die SPD den Begriffszusammenhang aus internationalen Bezügen an und trug ihn in die bundesdeutsche Öffentlichkeit. Im Rio-Prozess avancierte nachhaltige Entwicklung zu einem Instrument partizipativer Forderungen und Praktiken von unten. Damit führte der Nachhaltigkeitsdiskurs auch zu mehr Partizipation in der Demokratie. Dennoch machten zivilgesellschaftliche Mitbestimmungswünsche die Partizipation und Repräsentation in modernen Demokratien zeitaufwändiger. Mehr responsiveness der Regierungen erschwert tendenziell die längerfristige Verantwortlichkeit der Politik und trägt so zu jener Langsamkeit bei, die in der Debatte über die Spannung zwischen Demokratie und Nachhaltigkeit beklagt wird. Insofern ist dieser Beitrag ein Plädoyer für eine Diskussion des Leitbilds Nachhaltigkeit in der Demokratie – das nicht über der Demokratie steht. Aus einer historischen Perspektive spricht zudem vieles dafür, den Nachhaltigkeitsbegriff wieder einzugrenzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Elke Seefried, Die Erfolgsgeschichte der Nachhaltigkeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.9.2021, S. 7. Der Beitrag basiert auf dem Leibniz-Verbundprojekt "Geschichte der Nachhaltigkeit(en): Diskurse und Praktiken seit den 1970er Jahren" (Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, Universität Augsburg, Herder-Institut für Historische Ostmitteleuropaforschung Marburg und RWTH Aachen). Ich danke Manuel Rivera (IASS Potsdam) und dem IASS, an dem ich 2019 als Fellow weilte.

  2. Im Überblick Basil Bornemann/Henrike Knappe/Patricia Nanz, General Introduction. Democracy and Sustainability, in: dies., (Hrsg.), The Routledge Handbook of Democracy and Sustainability, London 2022, S. 1–18, Zitate S. 2.

  3. Vgl. Patrick Kupper, Die "1970er Diagnose". Grundsätzliche Überlegungen zu einem Wendepunkt der Umweltgeschichte, in: Archiv für Sozialgeschichte 43/2003, S. 325–348.

  4. Joachim Radkau, Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011, S. 134.

  5. Dennis L. Meadows et al., The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind, New York 1972.

  6. Vgl. Elke Seefried, Zukünfte. Aufstieg und Krise der Zukunftsforschung 1945–1980, Berlin 2017², S. 235–292; Rasmus K.P. Wormstädt, Die "Limits to Growth" zwischen autoritären Angeboten und Versuchungen, RWTH Aachen 2022.

  7. Vgl. Meadows et al. (Anm. 5), S. 180; Ulrich Grober, Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs, München 2010, S. 210–218.

  8. Zu den folgenden Absätzen mit weiterer Literatur vgl. Seefried (Anm. 6); Patrick Kupper/dies., A Computer‘s Vision of Doomsday. On the History of the 1972 Study "The Limits to Growth", in: Frank Uekötter (Hrsg.), Exploring Apocalyptica. Coming to Terms with Environmental Alarmism, Pittsburgh 2018, S. 49–74.

  9. Vgl. Stephen J. Macekura, Of Limits and Growth. The Rise of Global Sustainable Development in the Twentieth Century, Cambridge 2015, S. 219–260.

  10. Vgl. Iris Borowy, Defining Sustainable Development for Our Common Future: A History of the World Commission on Environment and Development, Hoboken 2013.

  11. World Commission on Environment and Development, Our Common Future, Oxford 1987, S. 8.

  12. Volker Hauff, Vorwort, in: ders. (Hrsg.), Unsere gemeinsame Zukunft. Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987, S. XV; SPD, Grundsatzprogramm, Programm-Parteitag, Berlin 20.12.1989, S. 15.

  13. Vgl. Elke Seefried, Globale Sicherheit. Die Wurzeln des politischen Nachhaltigkeitsdiskurses und die Wahrnehmung globaler Interdependenz der 1970er und 1980er Jahre, in: Christoph Kampmann/Angela Marciniak/Wencke Meteling (Hrsg.), "Security turns its eye exclusively to the future", Baden-Baden 2017, S. 353–388; Felix Lieb, Arbeit durch Umwelt: Sozialdemokratie und Ökologie 1969–1998 (i.E.).

  14. Auswärtiges Amt (AA) an Staatssekretär, 26.11.1984, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA), 132176; Bundesministerium des Innern an AA, 17.1.1985, in: ebd., 132283.

  15. AA an Staatssekretär, 26.6.1987, in: PA, 194474.

  16. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll, 20.5.1992, S. 7598.

  17. Vgl. AA, Entwurf der Rede Klaus Töpfers vor der UN-Generalversammlung, 30.10.1992, in: PA, 195077.

  18. Vgl. Radkau (Anm. 4), S. 498–506; Macekura (Anm. 9).

  19. Vgl. CDU, Grundsatzprogramm "Freiheit in Verantwortung", 5. Parteitag, Hamburg 21.–23.2.1994, S. 437f.

  20. Vgl. UNO-Umweltkonferenz. Voller Banalitäten, in: Natur & Umwelt Bayern 4/1991, S. 24 f; Interview der Verf. mit Barbara Unmüßig, 14.2.2022.

  21. Angelika Zahrnt, Die große Debatte: Gewinn durch Verzicht, in: Natur & Umwelt 3/1993, S. 12.

  22. Vgl. Green Group, European Parlament, UNCED, Entwurf, 1.3.1992, und Korrespondenz von Eva Quistorp, in: Archiv Grünes Gedächtnis, B II 2, BT 600; dazu Elke Seefried, Developing Europe. The Formation of Sustainability Concepts and Activities, in: Anna-Katharina Wöbse/Patrick Kupper (Hrsg.), Greening Europe. Environmental Protection in the Long Twentieth Century, Berlin 2021, S. 381–408.

  23. Vgl. Nadja Hendriks, Global denken, lokal handeln, laufendes Dissertationsprojekt im Rahmen des Verbundprojekts "Geschichte der Nachhhaltigkeit(en)", Universität Augsburg.

  24. Vgl. Jan Eckel, "Alles hängt mit allem zusammen." Zur Historisierung des Globalisierungsdiskurses der 1990er und 2000er Jahre, in: Historische Zeitschrift 1/2018, S. 42–78.

  25. Aufbruch und Erneuerung – Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert, Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, 20.10.1998, S. 1.

  26. Vgl. Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Einsetzung einer Enquete-Kommission "Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und Liberalisierung", 15.2.2000, Bundestagsdrucksache 14/2687.

  27. Vgl. Hartmut Rosa, Beschleunigung und Entfremdung. Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit, Berlin 20165, S. 101–104.

  28. Ulrich Brand/Christoph Görg, "Nachhaltige Globalisierung"? Sustainable Development als Kitt des neoliberalen Scherbenhaufens, in: dies. (Hrsg.), Mythen globalen Umweltmanagements, Münster 2002, S. 12–47, hier S. 14.

  29. Vgl. Claus Leggewie, Klimaschutz erfordert Demokratiewandel, in: Vorgänge 2/2010, S. 25–43, hier S. 41; dazu auch Beiträge in Bornemann/Knappe/Nanz (Anm. 2).

  30. Ingolfur Blühdorn, Nachhaltigkeit und postdemokratische Wende. Zum Wechselspiel von Demokratiekrise und Umweltkrise, in: Vorgänge 2/2010, S. 44–54, hier S. 44, S. 52.

  31. "Kompromisse funktionieren bei der Klimakrise nicht", Interview mit Carla Reemtsma, 25.9.2020, Externer Link: http://www.zeit.de/campus/2020-09/carla-reemtsma-fridays-for-future-klimaschutz.

  32. Vgl. Wolfgang Merkel/Andreas Schäfer, Zeit und Demokratie. Ist demokratische Politik zu langsam?, in: Holger Straßheim/Tom Ulbricht (Hrsg.), Zeit der Politik, Baden-Baden 2015, S. 218–238, hier S. 228.

  33. Zur "starken Nachhaltigkeit" vgl. etwa Konrad Ott/Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004.

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ist Professorin für Geschichte der Neuzeit mit ihren Wissens- und Technikkulturen an der RWTH Aachen.
E-Mail Link: seefried@histinst.rwth-aachen.de