Gründung ökologische, soziale, basisdemokratische und gewaltfreie Anti-System-Partei
Die Grünen teilen mit den beiden anderen linken Parteien in der Bundesrepublik - SPD und Linken - den Anspruch einer Programmpartei. In ihrer Gründungsphase verstanden sie sich als "Anti-System"- und "Anti-Parteien-Partei", was in der Vermeidung des Parteienbegriffs im Namen bis heute zum Ausdruck kommt. Ihre Gegnerschaft bezog sich dabei sowohl auf das politische System der parlamentarischen Demokratie und westlichen Bündniszugehörigkeit der Bundesrepublik als auch auf das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem des Industriekapitalismus.
In ihrem ersten Bundesprogramm 1980 formulierten die Grünen ihr alternatives Selbstverständnis mit den Adjektiven "ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei". Die daran anschließenden Forderungen umfassten unter anderem die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen, die Entmilitarisierung der Bundesrepublik und ihren Austritt aus der NATO (Probst 2013: 526). In den kapitalismuskritischen Teilen trug das Programm überwiegend die Handschrift der K-Gruppen und Ökosozialisten, während die basisdemokratischen Vorstellungen auf die Neuen Sozialen Bewegungen zurückgingen. Weil die Basisdemokratie auch für die eigene Organisation leitend war, wurde sie zur wichtigsten Nagelprobe der Reformfähigkeit der Grünen.
Auseinandersetzung zwischen "Realos" und "Fundis" in allen Politikfeldern
Die 1980er-Jahre waren von der Auseinandersetzung zwischen den realpolitischen und fundamentalistischen Kräften in der Partei geprägt. Endgültig durchsetzen konnte sich der "Realo"-Flügel erst nach der deutschen Einheit, wobei der Parteitag von Neumünster im April 1991 in der Rückschau die entscheidende Wendemarke darstellte. Im 1993 festgehaltenen "Grundkonsens" mit Bündnis 90 nahmen die Grünen von ihrer systemkritischen Haltung Abstand und erkannten die Funktionsprinzipien der parlamentarischen Demokratie vorbehaltlos an. In der Parteiorganisation wurden die basisdemokratischen Elemente zurückgestuft und den professionellen Strukturen der anderen Parteien angepasst. Und in der Ökologiefrage entwickelten sie Konzepte für den schrittweisen Umbau der Industriegesellschaft innerhalb der bestehenden marktwirtschaftlichen Ordnung, statt deren Überwindung zu fordern.
Die letzte Bastion der "Fundis" war das Prinzip der Gewaltfreiheit. Sie wurde mit der Zustimmung der Partei zu den Militäreinsätzen im Kosovo und in Afghanistan aufgegeben. Das Grundsatzprogramm von 2002 fixierte den neuen Konsens, indem es die Anwendung militärischer Gewalt unter UN-Mandat im Einzelfall erlaubte. Als ihre Grundwerte bezeichneten die Grünen jetzt in veränderter Reihenfolge und Diktion "Ökologie, Selbstbestimmung, erweiterte Gerechtigkeit und lebendige Demokratie", dahinter folgte das Eintreten für "Gewaltfreiheit und Menschenrechte". Der erweiterte Gerechtigkeitsbegriff wird im Prinzip der Nachhaltigkeit konkretisiert. Als "zukunftsfähige Verbindung von ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung" betont diese die Verantwortung der heutigen Politik für die Lebenschancen künftiger Generationen. Neben dem Umweltschutz rückten damit auch die Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Bildungspolitik in den Fokus der Grünen, die bereits in den Bundestagswahlprogrammen von 1994 und 1998 zur Erweiterung ihres Profils beigetragen hatten (Klein / Falter 2003: 79 ff.).
Eine grundlegende Neubewertung erfährt die Marktwirtschaft. Sie wird nicht nur als Ordnungsrahmen ausdrücklich akzeptiert, sondern bewusst in den Dienst der ökologischen Sache gestellt. Das Grundsatzprogramm konnte hier ebenfalls auf Vorarbeiten aus den 1990er-Jahren zurückgreifen, in denen man konkrete Pläne für eine ökologische Steuerreform, den stufenweisen Atomausstieg und die staatliche Förderung erneuerbarer Energien entwickelt hatte. Alle diese Vorhaben wurden in der rot-grünen Regierungszeit realisiert bzw. eingeleitet. Ein Glücksfall war das der Partei nach einer Kabinettsumbildung 2001 eher zufällig in den Schoß gefallene Landwirtschaftsressort, das von Renate Künast genutzt wurde, um die Grünen als Vorkämpfer einer ökologischen Agrarwende zu profilieren. Auf der Länderebene erweist sich dieser Bereich heute als eines ihrer zugkräftigsten Themen.
Ökologischer Markenkern erhält wieder stärkeres Gewicht
Nach der Rückkehr in die Opposition versuchten die Grünen ihren Markenkern weiter zu schärfen. Deutlicher als zuvor wurden nun die wirtschaftlichen Chancen einer ökologischen Modernisierungsstrategie herausgestellt, z.B. im 2008 vorgelegten Plan eines "New Green Deal". Ob die ökologischen Ziele mit dem Wachstumsdenken vereinbar sind, bleibt in der Partei umstritten (Fücks 2013). Die von der schwarz-gelben Bundesregierung abrupt eingeleitete Energiewende konnten die Grünen zwar als Bestätigung ihres Kurses auffassen, doch verschwand mit dem Atomausstieg zugleich ein wichtiges Mobilisierungsthema. Letzteres trug zu der wenig erfolgreichen Prioritätensetzung im Wahlprogramm 2013 bei, das den Hauptakzent auf die Sozial- und Steuerpolitik legte und mit dezidiert linken Positionen aufwartete (Anan 2017: 293 ff.).
Die weltweiten "Fridays for Future"-Proteste boten den Grünen Gelegenheit, ihre umwelt- und energiepolitischen Vorstellungen ab 2019 nochmals zuzuspitzen. In ihrem neuen Grundsatzprogramm, das nach langen Diskussionen 2020 verabschiedet wurde, bekannten sie sich zum 1,5 Grad-Reduktionsziel und einer Verschärfung und Beschleunigung der zu dessen Erreichung notwendigen Maßnahmen. Neben der Verkehrs- und Energiewende rückte dabei erneut der artgerechte Umbau der Landwirtschaft in den Fokus, der durch besondere Verbrauchsteuern auf Milchprodukte und Fleisch vorangebracht werden soll. Beim Thema Gentechnik revidierte die Partei ihre bisher rigoros ablehnende Position, indem sie deren Anwendung zu medizinischen Forschungszwecken befürwortete.
Im Zielkonflikt zwischen Naturschutz und klimagerechtem Umbau der Infrastruktur, stellten sich die Grünen stärker auf die Seite der Umbaumaßnahmen, was auch zu einer Neubewertung der von ihnen bis dahin stets hochgehaltenen Bürgerbeteiligung führte. Anstelle der aus dem Grundsatzprogramm gestrichenen bundesweiten Volksentscheide sollten jetzt Bürgerräte zu ausgewählten Themen treten, um die Alltagsexpertise der Wählerinnen und Wähler in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Ob die Grünen diese auf ihr Betreiben im Koalitionsvertrag festgeschriebene Idee tatsächlich aufgreifen, bleibt zweifelhaft. Erfolgreicher waren sie bei der von ihr ebenfalls seit längerem erhobenen Forderung nach einer Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, von der sie auf der Landesebene in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zuletzt sogar ihre christdemokratischen Koalitionspartner überzeugte.
Sozial-, Gesellschafts- und Gleichstellungspolitik
In der Sozialpolitik vertreten die Grünen weiterhin linke Positionen, die sie mit Blick auf die erwartbaren Verteilungsungerechtigkeiten im Zuge der Klimaschutzmaßnahmen jetzt noch stärker akzentuieren. Um soziale Härten für Geringverdiener zu vermeiden, machten sie sich im Wahlkampf 2021 für eine Erhöhung des Mindestlohns und der Regelsätze des Bürgergelds stark, das 2023 an die Stelle des alten Hartz IV-Systems trat. Auch an der Forderung nach einer stärkeren steuerlichen Belastung hoher Einkommen und Vermögen halten sie grundsätzlich fest. Gegen den Willen der Parteiführung wurde im Grundsatzprogramm als Langfristperspektive eine schrittweise Zusammenführung der bisherigen Sozialleistungen und deren Integration in das Steuersystem verankert, die sich an der Leitidee des bedingungslosen Grundeinkommens orientiert.
Gesellschaftspolitisch besetzen die Grünen im Parteiensystem den linken Pol. Während sie als Verteidiger der klassischen Bürgerrechte mit der FDP (und zum Teil der SPD und der Linken) rivalisieren, bildeten sie beim Eintreten für die Gleichberechtigung benachteiligter Gruppen von Beginn an die Avantgarde. In den 1980er-Jahren standen dabei die Frauen im Vordergrund, später die sexuellen Minderheiten und Zuwanderer. Verdienste erwarb sich die Partei, indem sie die Geschlechterparität selbst konsequent umsetzte und den Wandel der Bundesrepublik zu einer "multikulturellen" Gesellschaft früh beim Namen nannte. Beim Thema Sexualität wurde sie dagegen durch die 2013 aufkommende Pädophilie-Debatte von den Irrtümern ihrer Vergangenheit eingeholt (Walter / Klecha / Hensel 2015).
So wie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt es in der Gesellschaftspolitik innerhalb der Grünen Akzentunterschiede. Diese traten im Zuge der Flüchtlingskrise 2015/2016 massiv zu Tage, wo der am liberalen Öffnungskurs festhaltenden Parteimehrheit eine Minderheit gegenüberstand, die beim Umgang mit kultureller Differenz für mehr Realismus plädierte. Die Konflikte entzündeten sich hier zum einen an Maßnahmen der Zuwanderungsbegrenzung (zum Beispiel die Ausweitung sicherer Herkunftsländer), zum anderen an Zielkonflikten der Integrationspolitik, die sich etwa mit Blick auf die Rechte von Frauen ergeben.
Außenpolitik
Auf der internationalen Ebene kommt die Werteorientierung der Grünen darin zum Ausdruck, dass sie heute unter allen deutschen Parteien am entschiedensten für die Menschenrechte eintreten. Indem sie sich vom beschwichtigenden Kurs der anderen Parteien absetzten (etwa durch ihre Ablehnung der Nord-Stream-2-Gaspipeline), verschaffte ihnen das im Bundestagswahlkampf 2021 gerade in der Russlandpolitik Glaubwürdigkeit. Nach Beginn des Ukraine-Krieges waren es ausgerechnet die einstmals pazifistischen Grünen, die sich in der Ampelregierung am deutlichsten für militärische Unterstützungsmaßnahmen Kiews aussprachen. Dies und die von Annalena Baerbock forcierte Neuausrichtung der Chinapolitik widerstritt der stärker an ökonomischen Interessen ausgerichteten Linie des Kanzleramts und sozialdemokratischen Koalitionspartners. Gleichzeitig bringen u.a. ökonomische Zwänge die Grünen in Widersprüche zwischen ihrem Regierungshandeln und den eigenen wertebasierten Prinzipien. Die führt mitunter zu deren pragmatischen Zurückstufung bzw. flexibleren Handhabung, was am Beispiel des Gasabkommens mit Katar deutlich wurde.