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Mehr Chinakompetenz für eine strategische Chinapolitik | China(kompetenz) | bpb.de

China(kompetenz) Editorial Hier könnte ein Satz über einen Drachen stehen Zwischen Systemkonkurrenz und Dialogbereitschaft. China(kompetenz) in der politischen Bildung Keine Orchidee. Über Chinakompetenz und Sinologie Wissenschaftsautonomie wahren. China und die Wissenschaft in Großbritannien Mehr Chinakompetenz für eine strategische Chinapolitik. Ein systemischer Ansatz beginnt bereits in der Schule Werte oder Interessen? Maximen deutscher und europäischer Chinapolitik Das "andere China"? Was wir über Taiwan wissen sollten

Mehr Chinakompetenz für eine strategische Chinapolitik Ein systemischer Ansatz beginnt bereits in der Schule

Andrea Frenzel Nadine Godehardt

/ 16 Minuten zu lesen

Bei der Auseinandersetzung mit China geht es nicht nur darum, in Politik, Wirtschaft oder Technologie Antworten auf drängende Probleme zu finden. Vielmehr muss in Deutschland und Europa systematisch mehr Chinakompetenz aufgebaut werden, um langfristige Handlungsfähigkeit zu sichern. Entscheidend ist, diese Aufgabe an der Schnittstelle von Außen- und Bildungspolitik zu verorten. Für eine breite gesellschaftliche Basis an Chinakompetenz muss daher das Verständnis von "China" – seinen Akteuren, ihrem Handeln und ihren Ideen – als Bestandteil der allgemeinen Schulbildung in Deutschland und in Europa etabliert werden. Dies ist auch notwendig, damit auf der politischen Ebene komplexe Chinabilder überhaupt vermittelt werden können und die Chinadebatte nicht in einem Klima der alternativlosen politischen Bekenntnisse verharrt. China unter Staatspräsident Xi Jinping strebt danach, die Weltpolitik in einem chinesischen Sinne zu formen. Deshalb erfordert die gegenwärtige Situation eine noch intensivere Analysefähigkeit und ein Verständnis der politischen Handlungslogik Chinas. Die Bildung von Chinakompetenz – und Chinakompetenz durch Bildung – sollte daher Teil der europäischen Chinastrategie sein.

Europas Chinakritik und China unter Xi Jinping

Schon vor der Corona-Pandemie hat sich in Deutschland und Europa die politische wie gesellschaftliche Wahrnehmung der chinesischen Regierung unter Xi Jinping stark verändert. Ein aussagekräftiges Beispiel dafür ist der "Strategic Outlook" der Europäischen Kommission vom 12. März 2019. Darin wird China zum einen nicht mehr als Entwicklungsland, sondern als globaler Schlüsselakteur sowie führende technologische Macht bezeichnet. Zum anderen betont die Europäische Kommission, dass China zwar Kooperations- und Verhandlungspartner sowie wirtschaftlicher Wettbewerber ist, aber zugleich systemischer Rivale, vor allem aufgrund seines Regierungsmodells.

Im Verlauf der Pandemie hat sich die kritische Haltung in Politik, Presse und Think-Tank-Community deutlich verstärkt. Verbunden ist sie mit wachsendem Zweifel an Beijings politischer Glaubwürdigkeit. Dieser nährt sich aus einer ganzen Reihe politischer Ereignisse wie dem Inkrafttreten des Nationalen Sicherheitsgesetzes für Hongkong Ende Juni 2020 oder den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang ebenso wie aus der konfrontativen Rhetorik chinesischer Diplomaten, die in Anlehnung an einen chinesischen Actionfilm auch als "Wolfskrieger"-Diplomatie bezeichnet wird. Besonders vernehmlich ist zudem die anhaltende Kritik am Vorgehen der chinesischen Behörden zu Beginn der Pandemie in Wuhan. Dieses im Vergleich zu den Jahren davor eingetrübte Chinabild zeigt sich nicht nur in der politischen Elite. Umfragen vom Herbst 2020 verdeutlichen stark gesunkene Sympathiewerte für das Land und eine überwiegend ungünstige Einschätzung seines Umgangs mit der Pandemie.

Dieser europäischen Chinakritik steht ein Land gegenüber, das immer selbstbewusster und eigennütziger auftritt. Unter der Führung von Xi Jinping hat sich die Ausrichtung chinesischer Außenpolitik deutlich verändert. Es geht der Kommunistischen Partei des Landes nicht mehr darum, internationale Regeln und Normen einfach zu befolgen. Das Ziel ist vielmehr, Beziehungen herzustellen, ohne eine vorherige Anpassung der chinesischen Seite an internationale Normen und Konventionen vorauszusetzen. Angesichts der Erfolge des eigenen Entwicklungsmodells oder der erfolgreichen Eindämmung der Corona-Pandemie präsentiert sich die chinesische Führung immer häufiger als verantwortungsvoller Akteur und Reformer der internationalen Gemeinschaft. Nicht zuletzt ist die Vielzahl an weltweiten medizinischen Lieferungen gerade im ersten Halbjahr 2020 dafür ein oft genanntes Beispiel. Unter Xi Jinping zielt Beijing darauf ab, eine immer größere Kompatibilität zwischen der internationalen Ordnung und dem chinesischen Einparteienstaat herzustellen, somit die Welt an China (und nicht umgekehrt) anzupassen. Hierfür spielt auch die Etablierung eigener ideologischer Konzepte wie beispielsweise der Aufbau einer globalen "Schicksalsgemeinschaft für die Menschheit" – im Gegensatz zur bisherigen Idee der internationalen Gemeinschaft – eine wichtige Rolle. Schließlich geht es in der internationalen Politik und ihren Institutionen oftmals darum, Deutungshoheit gegenüber anderen zu gewinnen. Gerade die Analyse dieser häufig mehrdeutigen Narrative verlangt nach stärkerem Feingefühl und einem tiefgehenden Verständnis des Gegenübers, um letztlich mit mehr Bestimmtheit eigene Positionen vertreten zu können.

Ein Plädoyer für mehr Chinakompetenz in Deutschland und Europa ist daher mit einem doppelten Dilemma konfrontiert. Zum einen hat sich die politische wie gesellschaftliche Haltung gegenüber China deutlich verschlechtert. Die Chinadebatte ist dazu geprägt von einer starken Polarisierung und einer Freund-Feind-Rhetorik. Dies verhindert in gewisser Weise die Einsicht in die Notwendigkeit, gerade jetzt eine breitere gesellschaftliche Grundlage für Chinakompetenz zu schaffen. Aber auch die selbstbewusste Ausrichtung chinesischer Politik unter Xi Jinping erschwert es, vorhandene Dialoge, Mechanismen und Foren in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur wie gewohnt fortzusetzen. Darüber hinaus werden Zugänge zu Akteuren, Material und Institutionen ebenfalls immer schwieriger.

Die vorliegende Analyse zielt darauf ab, einen alternativen Lösungsweg für die Bildung von Chinakompetenz vorzustellen: ein tragfähiges System, das Austauscherfahrungen, deutsch-chinesische Kooperationen in Bildung und Forschung, Erwachsenen-, Berufs- und Hochschulbildung einbezieht und die Grundlagen dafür bereits in der Schulbildung legt.

An der Schnittstelle von Bildungs- und Außenpolitik

Bildungs- und Außenpolitik sind natürliche Bündnispartner beim Aufbau von Chinakompetenz. Allerdings ist die föderale Struktur des Bildungswesens in Deutschland bei der Förderung von Chinakompetenz immer mit zu berücksichtigen, denn maßgeblich für die Umsetzung sind die Bildungs- oder Kultusministerien der Länder. Erste vielversprechende Ansätze einer Kooperation gibt es bereits. So entstand 2017 eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), des Auswärtigen Amtes und der Kultusministerkonferenz (KMK). Sie unterstützte die Studie "China kennen, China können" (2018), eine erste, umfassende Bestandsaufnahme von Chinakompetenz in Deutschland. Die Studie hatte nicht nur Wissenschaft und Forschung zum Gegenstand, sondern schwerpunktmäßig auch die Situation in der Schulbildung. Diese ist für einen strategischen Ansatz mindestens so wichtig wie die tertiäre Bildung. Mit der genannten Initiative verbunden war die "Arbeitsgruppe Chinakompetenz in Schule und Ausbildung". Anhand der Erkenntnisse aus der Studie erarbeitete sie Empfehlungen für die Umsetzung in allgemein- und berufsbildenden Schulen. Ende 2019 gründete ein zivilgesellschaftlicher Akteur, die Stiftung Mercator, mit dem Goethe-Institut und unterstützt durch die Initiativpartner ein Bildungsnetzwerk zur Förderung der Chinakompetenz im Schulbereich. Arbeitsfelder sind Chinesischunterricht, China als Thema im Fachunterricht und Schüleraustausch.

Offen ist allerdings, wie es weitergehen kann, und ob die Bemühungen für mehr Chinakompetenz strategischer und vor allem transnational angelegt werden müssten. Ein tiefergehendes Verständnis von China erfordert mehr direkte wie indirekte Auseinandersetzung mit dem Land. Nur dann ist es möglich, effektive Instrumente und eine auf Gegenseitigkeit beruhende, selbstbewusste Haltung zu entwickeln. Die Grundlagen für die Förderung von Chinakompetenz müssen nicht nur an Hochschulen und in Exzellenzclustern, sondern in der gesamten Gesellschaft geschaffen und im nationalen, besonders aber im europäischen Bildungssektor verankert werden. Ohne intensiven, europaweiten Aufbau von Chinakompetenz über alle Ressorts hinweg kann es nicht gelingen, die Beziehungen mit China als Partner, Wettbewerber und Rivale in Deutschland und vor allem in Europa langfristig auszudifferenzieren.

Chinakompetenz als Voraussetzung für Kooperationen

Die Bundesregierung reagierte auf die Erkenntnis, dass mehr Chinakompetenz unerlässlich ist, bereits mit der (inzwischen ausgelaufenen) "China-Strategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) 2015–2020". Die darin entwickelten Maßnahmen betreffen vor allem Wissenschaft und Forschung. So sind im Rahmen einer Fördermaßnahme seit 2016 elf interdisziplinäre Projekte an deutschen Hochschulen entstanden. Meist sind dies technisch-naturwissenschaftlich und wirtschaftlich orientierte Programme, die chinabezogene Expertise und interkulturelle Kompetenz vor allem von Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht sinologischer Fachrichtungen und Verwaltungspersonal steigern wollen. Oft werden die Zusammenarbeit und der Austausch mit chinesischen Partnereinrichtungen hervorgehoben. Doch die Frage bleibt, inwieweit diese wissenschaftlich orientierten Förderlinien ausreichen, eine "breitere China-Kompetenz in Deutschland" aufzubauen, da Chinakompetenz sowohl Ziel als auch unabdingbare Voraussetzung solcher Programme ist.

Kooperationen und Austausch mit China führen ohne geeignete Rahmenbedingungen nicht zwangsläufig zum Aufbau von Chinakompetenz. Im Gegenteil kann es sogar dazu kommen, dass gut gemeinte Initiativen vereinnahmt werden. Immer häufiger zeigt sich, dass Hochschulkooperationen nicht (mehr) betrieben werden können, ohne die politischen und ideologischen Systemunterschiede sowie die wirtschaftliche Wettbewerbssituation zu betrachten. Jüngere Studien warnen insbesondere vor strategischen, ethischen und Sicherheitsrisiken, die vom Schutz geistigen Eigentums bis zur Wahrung der Freiheit der Wissenschaft reichen. Ohne den Wert von Wissenschafts- und Forschungskooperationen mit chinesischen Partnern grundsätzlich infrage zu stellen, wird die Notwendigkeit für einen strategischeren Ansatz im Umgang mit chinesischen Akteuren mehr und mehr deutlich.

Das gestiegene Problembewusstsein zeigt sich beispielsweise in einer neuen Initiative der Bundesregierung: Im Mai 2020 schrieb sie eine Förderung für Forschungsprojekte zu den Entwicklungen in unterschiedlichen Politikfeldern in der Volksrepublik China aus. Diese sollen dazu beitragen, eine Grundlage für "evidenzbasierte Forschungs- und Innovationspolitik gegenüber und in Kooperation mit China zu schaffen".

Auch die Hochschulrektorenkonferenz hat mit ihren im September 2020 beschlossenen "Leitfragen zur Hochschulkooperation mit der Volksrepublik China" auf die politische Entwicklung reagiert. Sie benennt klar die Herausforderungen aufgrund von zunehmenden rechtlichen und organisatorischen Einschränkungen sowie staatlicher Einflussnahme auf chinesischer Seite. Gleichzeitig hebt sie die bereichernden Aspekte der Zusammenarbeit mit Akteuren des ausdifferenzierten chinesischen Wissenschaftssystems hervor. Sie bekennt sich ausdrücklich zur Wissenschaftskooperation mit China "auf Grundlage der eigenen klaren Haltung und Wertebasis" mit "Blick auf die konkreten Rahmenbedingungen, Ziele und Inhalte einzelner Kooperationen". Solche durchdachten und selbstbewussten Kooperationen, die sich Transparenz und Gegenseitigkeit zum Prinzip machen, sind eine unverzichtbare Triebkraft von Wissenschaft und Forschung.

Handlungsmöglichkeiten durch Chinakompetenz

Chinakompetenz in der Politik hat andere Schwerpunkte als in wirtschaftlichen oder technologischen Kontexten. Alle Varianten basieren aber im Idealfall auf guter Sprachbeherrschung, fundiertem Wissen und Fachkenntnissen in Bezug auf China sowie der Fähigkeit zur interkulturellen Kommunikation. Fortgeschrittene Chinakompetenz befähigt auf dieser Grundlage dazu, politische Botschaften im Umgang mit chinesischen Partnern zu entschlüsseln und gesellschaftliche Unterschiede zu berücksichtigen, ohne Chinaexpertise schlicht mit Chinaerfahrung gleichzusetzen. Im Einzelnen sind bestimmte Komponenten grundlegend für den Ausbau einer handlungsorientierten Chinakompetenz:

Erstens steht Chinakompetenz für die Fähigkeit, Chinawissen auf unterschiedlichste Zusammenhänge anzuwenden und spezifische Probleme in den weiteren Kontext der Chinapolitik einzuordnen. Beispielsweise bleiben Erfahrungen im Wirtschaftsbereich mit China meist sektorspezifisch und sind daher gerade nicht auf andere Bereiche übertragbar.

Zweitens ist interkulturelle Kompetenz eine notwendige Bedingung für Dialogfähigkeit, besonders unter den Bedingungen eines Systemwettbewerbs zwischen Demokratien und Autokratien. Sie ist nicht gleichzusetzen mit der Beherrschung einer Trickkiste oder Businessetikette, sondern umfasst vor allem die Fähigkeit, im Wissen um die Unterschiedlichkeit der Systeme den Deutungshorizont neu zu konstituieren. Dialogfähigkeit setzt Toleranz für Ambiguitäten und Verschiedenheit voraus, kann sich aber weder in verschwommener Völkerverständigungsrhetorik erschöpfen noch auf ein vermeintlich apolitisches "Kultur"verständnis beschränken. Ein detailgenauer Blick etwa auf die komplexe politische Funktionsweise von Staats- und Parteiapparat schützt sowohl vor der Beeinflussung durch propagandistische Inszenierungen als auch vor dem allzu schlichten Freund-Feind-Schema "unverdorbener" chinesischer Bevölkerung auf der einen und "durchtriebener" Parteifunktionäre auf der anderen Seite. Dies hilft, eine nüchterne Haltung zu entwickeln und Lösungen zu finden, die der Komplexität des deutsch-chinesischen und europäisch-chinesischen Verhältnisses gerecht werden und dem wachsenden Misstrauen entgegenwirken können.

Drittens muss Chinakompetenz in der Schulbildung ansetzen. Studium und Berufsausbildung sowie begleitete längere Aufenthalte im Land können zwar fundierte Chinakompetenz schaffen. Diese Ansätze sind wertvoll, tragen allerdings kaum dazu bei, Chinaexpertise auf breiter Basis in der Gesellschaft zu verankern. Die Zahl der Studienanfänger in chinawissenschaftlichen Studiengängen geht seit Jahren zurück und lag 2016/17 in Deutschland bei etwa 500, obwohl es immer mehr Angebote gegenwartsorientierter Chinaforschung gibt. Ähnlich ist die Entwicklung zum Beispiel in Großbritannien.

Schulbildung als Grundpfeiler

Der Aufbau von Chinakompetenz muss daher früher in der Lernbiografie verankert werden, beispielsweise im Sekundarbereich der Schulbildung. Der schulische Chinesischunterricht in Deutschland ist in den vergangenen Jahren zwar nicht in Hinblick auf die Schülerzahlen, jedoch strukturell erheblich ausgebaut worden. Die KMK hat bereits 1998 Anforderungen für die Abiturprüfung in Chinesisch verabschiedet. Gut 20 Jahre später haben etwa zwei Drittel aller Bundesländer Curricula entwickelt und bieten Chinesisch als Abiturfach an. Die Lehrkräfteausbildung im Rahmen eines Lehramtsstudiums ist mittlerweile an drei Universitäten in Baden-Württemberg sowie in Göttingen und Bochum möglich. In Berlin ist sie im Aufbau. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sprachausbildung durch mehrjährigen, kompetenz- und standardorientierten Unterricht sind also grundsätzlich vorhanden. Doch die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die daran teilnehmen, bleibt seit Jahren niedrig – sie liegt bei ungefähr 5.000. Dagegen lernen rund sieben Millionen Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland die Weltverkehrssprache Englisch, 1,4 Millionen Französisch und immerhin 464.000 Spanisch.

Von den derzeit etwa 100 Schulen, die Chinesisch als Regelfach anbieten, liegen ungefähr zwei Drittel in nur vier Bundesländern: Spitzenreiter ist Nordrhein-Westfalen (nicht nur absolut, sondern auch relativ gesehen), gefolgt von Baden-Württemberg, Berlin und Bayern. An einigen Schulen haben sich ehrgeizige Ansätze entwickelt: Chinesisch wird teilweise als zweite Fremdsprache und sogar als Leistungskurs angeboten. Doch nach wie vor gibt es auch Bundesländer, in denen Chinesisch als Unterrichtsfach nicht existiert. Für einen nachhaltigen Ausbau müsste auch das Angebot an Lehr- und Zusatzmaterialien und an Weiterbildungen für Lehrkräfte vergrößert werden, wie generell die fachdidaktische Forschung an den Universitäten noch stärker verankert werden muss.

Im Chinesischunterricht werden genau die Fähigkeiten vermittelt, die in Deutschland und Europa auf einer viel breiteren gesellschaftlichen Basis benötigt werden: Sprachkenntnisse (bei entsprechender Unterrichtsdauer bis zu einem Niveau selbstständiger Sprachverwendung) und substanzielles soziokulturelles Orientierungswissen über China, das in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern oft unterrepräsentiert ist. Interkulturelle Handlungskompetenz ist das Leitziel des schulischen Chinesischunterrichts.

Allerdings: So vielschichtig das im Sprachunterricht vermittelte Wissen ist, und obwohl es viele gute Gründe für das Erlernen der Sprache gibt, ist anzunehmen, dass sich immer nur ein kleiner, wenn auch hoffentlich wachsender Teil der Schülerschaft darauf einlassen wird. Über die Hindernisse kann im Moment nur spekuliert werden. Doch es liegt auf der Hand, dass sowohl die Wahrnehmungen von China als auch die Hemmschwelle gegenüber der als unverhältnismäßig schwer eingeschätzten Sprache und ihren Schriftzeichen eine Rolle spielen. Umso dramatischer ist das brachliegende Potenzial des Fachunterrichts, den etwa 5,3 Millionen Sekundarschülern in Deutschland beispielsweise in den Fächern Politik, Erdkunde, Wirtschaft oder Geschichte etwas über China beizubringen – ganz ohne erforderliche Sprachkenntnisse. Politische Bildung in Hinblick auf China sollte in der Schule (wie auch in der Erwachsenenbildung) stärker berücksichtigt werden, denn wir brauchen erheblich mehr Menschen mit Chinakompetenz, die keine "Chinaexperten" sind. Damit chinabezogene Themen nicht nur als Option im Lehrplan erscheinen, sondern tatsächlich im Unterricht zur Sprache kommen, benötigen Fachlehrkräfte jedoch Unterstützung. Neuere Initiativen versuchen hier anzusetzen: Die China-Schul-Akademie an der Universität Heidelberg entwickelt beispielsweise für Lehrkräfte die Zusatzqualifikation "China-Kompetenz für die Schule", und auch das Bildungsnetzwerk China plant entsprechende Projekte.

Jenseits des Fach- und Sprachunterrichts können Schulen zudem durch Kurzzeitaustausche im geschützten Rahmen die Begegnung mit dem chinesischen Kulturraum und seinen Menschen ermöglichen. Dabei sollten sie finanziell und gegebenenfalls auch personell unterstützt werden, um Schülerinnen und Schülern erste Chinaerfahrungen zu ermöglichen. Viele engagierte Pädagoginnen und Pädagogen widmen sich mit großem persönlichem Einsatz der intensiven Vorbereitung und Begleitung dieser Reisen. Dazu gehört auch die oft aufwändige, aber bereichernde Beziehungspflege mit Partnerschulen.

Für Jugendliche ergibt sich in Austauschen die Möglichkeit, eine differenzierte Wahrnehmung der chinesischen Lebenswirklichkeit zu entwickeln, die motiviert, sich weiter mit dem Land zu befassen. In jüngerer Zeit wagten allerdings pro Jahr nur um die 50 Schülerinnen und Schüler aus Deutschland einen halb- oder ganzjährigen Aufenthalt in China im Rahmen eines Individualaustausches. Dagegen sind kurze Gruppenaufenthalte von bis zu zwei Wochen mit vertrauten Begleitpersonen beliebter, wenn sie denn finanziert werden können.

Eine europäische Bildungsinitiative für Chinakompetenz

Nicht zuletzt muss Chinakompetenz im Schulbereich finanziell und ideologisch unabhängig vom chinesischen Staat aufgebaut werden. Zwar sollten sprachliche und kulturelle Angebote von chinesischer Seite im Sinne einer Kultur- und Bildungsaußenpolitik, wie sie Deutschland und viele andere Länder betreiben, als Ergänzung willkommen sein. Die "Grundausbildung" sollte jedoch in nationaler Verantwortung geschehen. Nicht nur das: In Solidarität mit den EU-Mitgliedsstaaten sollte diese Grundausstattung auf europäischer Ebene verwirklicht und finanziell unterstützt werden. Europäische Robustheit entsteht auch in dieser Hinsicht nicht (nur) in Deutschland, sondern vor allem durch Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Finanziell schwächer gestellte EU-Mitgliedsstaaten können nämlich oft nicht einmal im Hochschulbereich Lehrstühle der Sinologie oder Sprachunterricht anbieten, geschweige denn Chinesischunterricht in den Schulen.

Auch wenn eine vollständige Bestandsaufnahme der vorhandenen Chinakompetenz in Europa bislang nicht vorliegt, gibt es wohl zurzeit kein einziges europäisches Land, das in eigener staatlicher Verantwortung adäquate Bildungsangebote in Bezug auf China bereitstellen kann.

In Frankreich lernten 2019 über 46.000 Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe Chinesisch. Dies sind nur etwa 0,7 Prozent der Sekundarschüler, und dennoch sind unsere französischen Nachbarn damit europäische Spitzenreiter: In Dänemark, Estland und Italien erhalten um die 0,3 Prozent der Sekundarschüler Chinesischunterricht, während es in Deutschland nur etwa 0,1 Prozent sind. Mehrere andere EU-Mitgliedsstaaten liegen noch darunter. Wie es mit der Förderung von politischem und gesellschaftlichem Chinawissen abseits des Sprachfachs aussieht, ist dabei nicht erfasst.

Mittelfristig beeinträchtigt dieser Mangel die autonome Handlungsfähigkeit Europas im Hinblick auf China. Letztlich reicht es in dieser Frage also nicht, den Blick einzig auf Deutschland zu richten. China als globaler Akteur ist schon längst in Europa angekommen und tritt zunehmend bestimmender und selbstbewusster auf. Deshalb ist Europa auf der Suche nach einer gemeinsamen Haltung und einer "robusteren europäischen Strategie", wie der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell kürzlich betonte. Förderung von Chinakompetenz ist folglich eine Herausforderung nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa – sei es in wirtschaftlichen oder politischen Verhandlungen, Diplomatie und Informationsgewinnung oder, um Propaganda und Desinformation begegnen zu können.

Auf europäischer Ebene ist das Bewusstsein gewachsen, dass die Chinakenntnis der EU ein Upgrade benötigt, denn ohne den Aufbau eines zukunftsfähigen europaweiten Chinakompetenzsystems fehlt es auf absehbare Zeit schlichtweg an der nötigen Expertise für den Umgang mit China. Eine europäische Bildungsinitiative für Chinakompetenz als Teil der europäischen Chinastrategie kann allerdings nicht bei Normen und bindenden Strukturen ansetzen, denn Bildungspolitik ist Domäne der einzelnen Mitgliedstaaten. Die EU besitzt jedoch mit ihrem Erfolgsprogramm Erasmus+ bereits eine starke Plattform für Kooperations- und Mobilitätsmaßnahmen im Bereich von allgemeiner und beruflicher Bildung, Jugend und Sport – mit Elementen, auf denen eine Chinakompetenz-Initiative aufsetzen könnte. Auch am Schnittpunkt der europäischen Bildungs- und Forschungsräume könnte die Initiative ansetzen, ohne die Souveränität der einzelnen Länder einzuschränken.

Im Umgang mit China braucht es folglich die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten, Grenzen zu setzen und doch im Dialog zu bleiben. Diese drängende Aufgabe darf nicht nur den Spezialisten vorbehalten bleiben. Eine europäische Bildungsinitiative für Chinakompetenz kann dazu beitragen, die Kohäsion der EU zu festigen sowie die europäische Autonomie in der Auseinandersetzung mit China zu stärken. Sie kann helfen, ein komplexeres Chinaverständnis in den europäischen Gesellschaften zu verankern, bis wir über Chinakompetenz nicht mehr schreiben müssen, weil wir sie einfach haben.

hat einen Master in China-Studien und ist Forschungsassistentin in der Forschungsgruppe Asien an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Sie arbeitet unter anderem zu Themen der Chinakompetenz im Bildungsbereich im deutschen und europäischen Kontext sowie zur auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Chinas. E-Mail Link: andrea.frenzel@swp-berlin.org

ist promovierte Politikwissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Asien an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sie beschäftigt sich mit den Diskursen chinesischer Außenpolitik, Chinas globaler Konnektivitätspolitik und Fragen der Geopolitik. E-Mail Link: nadine.godehardt@swp-berlin.org