Der Verwaltungsrat (VR), das Aufsichtsgremium der Treuhandanstalt, fand erst Ende März 1991, also einige Monate nach der Konstitution der Behörde, zu seiner endgültigen Form – also zu einem Zeitpunkt, als die ostdeutsche Wirtschaft ihren tiefsten Stand erreichte und sich überall in Ostdeutschland Massenproteste gegen die Privatisierungspolitik erhoben. Zu den 23 VR-Mitgliedern zählten auch vier Spitzenfunktionäre des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der IG Chemie-Papier-Keramik (IG CPK), der IG Metall und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG). Diese Minderheitenposition habe es den Gewerkschaften unmöglich gemacht, wie Hermann Rappe (IG CPK), Roland Issen (DAG) und Dieter Schulte (IG Metall/DGB) im Rückblick immer wieder betonten, die „große Politik“ der Treuhand zu beeinflussen.
Mitbestimmung, aber wie?
Die Verabschiedung des zweiten Treuhandgesetzes durch die Volkskammer der DDR am 17. Juni 1990 leitete, so der Tenor der Forschung, einen fundamentalen Wandel der seit März 1990 existierenden Behörde von einer Bewahrerin des „volkseigenen Vermögens“ der DDR hin zum „unternehmerischen Sondermodell“ einer Privatisierungsagentur ein.
Damit sollte auch die Treuhand zu einem Instrument der Strukturpolitik mit Wirkung über die Wiedervereinigung hinaus ausgestaltet werden. Zum Teil spiegelte sich dies bereits im Treuhandgesetz selbst wider, so etwa in Paragraph 7, der die Bildung von Treuhand-Aktiengesellschaften festlegte, in denen auch die Mitbestimmungsgesetze der Bundesrepublik Anwendung finden sollten. Zudem beauftragte die Volkskammer die Regierung, nach der Wiedervereinigung Vermögen und die Rechte der Treuhandanstalt auf die Länder zu übertragen. Ferner sollte der Vorstand der Treuhand nach Ansicht der Regierung einen strukturpolitischen Beraterkreis bilden, an dem auch Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter zu beteiligen waren.
Die westdeutschen Gewerkschaften sahen hierin eine Chance, eigene Vorstellungen zur Mitbestimmung durchzusetzen, die mit den Überlegungen der DDR-Regierung jedoch nicht unbedingt kompatibel waren. Während letztere sie eher als Berater und betriebliche Akteure in den Blick nahm, wollten erstere vor allem auf nationaler Ebene mitbestimmen. So erklärte der Bundesvorstand des DGB nur wenige Tage nach der Verabschiedung des Treuhandgesetzes „für den Fall entsprechender Bitten seitens der Regierung der DDR seine Bereitschaft, Vertreter für die Wahrnehmung von Aufgaben im Verwaltungsrat“ zu entsenden. Über diesen sollten gewerkschaftliche Erfahrungen in der Strukturpolitik in die Arbeit der Treuhand einfließen.
Wendepunkte
Im CDU/CSU-geführten Bundesfinanzministerium, dem die Treuhand nach dem 3. Oktober 1990 unterstellt wurde, war man über die Pläne der DDR-Regierung hingegen wenig erfreut. In der Errichtung der nach Branchen gegliederten Aktiengesellschaft sah man die „Gefahr von Branchenegoismus mit bekannten negativen Folgen“,
Eine wichtige Lobbyfunktion bei der Forderung gewerkschaftlicher Mitbestimmungsrechte in der Treuhand kam dem Vorsitzenden der IG CPK, Hermann Rappe, zu, der nicht nur gute Beziehungen zu Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und den Chemiearbeitgeberverbänden unterhielt, sondern auch Mitglied eines im Mai 1990 vom West-Berliner Wirtschaftssenator (und seit Juni 1990 Ost-Berliner Stadtrat für Wirtschaft) Elmar Pieroth (CDU) gebildeten Sachverständigenrates war, in dem vor allem westdeutsche Wissenschaftler und Politiker Ministerpräsident de Maizière in wirtschaftspolitischen Fragen berieten und maßgeblich am Text zum zweiten Treuhandgesetz mitarbeiteten.
Für den DGB und seine 16 Gewerkschaften geriet dieses Ereignis zum Wendepunkt. Denn obwohl Rappes „Neben- und Parallelaktivitäten“
So verstummte die Debatte über die Treuhand-Aktiengesellschaften, über deren Einfluss man ohnehin geteilter Meinung war, auch innerhalb der Gewerkschaften schnell, als der neue, seit Ende August 1990 amtierende Präsident der Treuhandanstalt Detlev-Karsten Rohwedder ankündigte, anstatt der Aktiengesellschaften regionale Niederlassungen zu bilden, für die die Mitbestimmungsregeln der Bundesrepublik jedoch nicht galten. Ungeachtet dessen nutzten Rappe und DGB-Chef Meyer die neue Situation, um die Vertretung der Gewerkschaften im Vorstand und VR nun mit noch mehr Nachdruck zu fordern.
Erfolge in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
Auch in der Treuhand selbst wirkten sozialpartnerschaftliche Handlungsmuster fort, so vor allem in der Abteilung Arbeitsmarkt und Soziales, die bislang kaum in den wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten über die Treuhand präsent ist. Sie aber bildete einen wichtigen Akteur der Privatisierungsdebatten und einen zentralen Verhandlungspartner für die Gewerkschaften. Bereits Ende August 1990, als die Zahl der Arbeitslosen in Ostdeutschland infolge der Währungsunion zwar stark angewachsen, aber noch überschaubar war, legte Peter Gemählich, der von der Bundesanstalt für Arbeit als Kontaktmann zur Treuhand entsandt worden war, umfangreiche Vorschläge für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und deren Koordinierung vor. Diese waren von der Absicht getragen, dass sich die Treuhand als „‘bisheriger Arbeitsgeber‘, auch nach außen sicht- und spürbar, in die arbeitsmarktliche Begleitung der von Freisetzung betroffenen Arbeitnehmer einschalten“ sollte.
Perspektivisch bedurfte dies jedoch einer flankierenden Übereinkunft mit den Gewerkschaften, berührte Gemählichs Konzept doch die Frage, inwiefern die Treuhand als faktischer Konzern und damit als Sozialpartner anzusehen sei. Ein anderer Konflikt trug schließlich dazu bei, diesen Weg zu ebnen. Im Dezember 1990 untersagte Treuhandpräsident Rohwedder den Betrieben die Aushandlung von Sozialplänen zur Abfindung von Entlassenen über einer Höhe von 25 Prozent eines Monatsgehalts pro Beschäftigungsjahr, nachdem intern alarmierend festgestellt worden war, dass „im nächsten Jahr ein ungeheurer Finanzbedarf auf uns zu[käme, C.R.] (bis zu 15 Mrd. DM!)“, welche auch „die Existenz der betreffenden Unternehmen gefährden“ würde.
So wurde die Verständigung mit den Gewerkschaften zu einer Notwendigkeit im Privatisierungsprozess. Aus dieser Konstellation erwuchsen zwei wichtige Vereinbarungen – die Sozialplanrichtlinie vom 13. April 1991 und die Vereinbarung über die Bildung von Trägergesellschaften zur Koordination von Beschäftigungsmaßnahmen vom 17. Juli 1991. Beide Akteure einte dabei die Absicht, eine neue Protestwelle zu vermeiden, wie sie sich im Frühjahr 1991 in Ostdeutschland formiert hatte. Als die Proteste in der zweiten Märzhälfte ihren Höhepunkt erreicht hatten, fiel Treuhandpräsident Rohwedder zu Ostern 1991 einem tödlichen Attentat zum Opfer.
Fallstricke: Treuhand und Gewerkschaften in der Region
Während sich zwischen der Treuhand und den Gewerkschaftsvorständen nach dem Attentat auf Rohwedder vielfältige Kooperationszonen ausbildeten, wurde in den Reihen der (vorwiegend westdeutschen) Gewerkschaftsfunktionäre, die den Aufbau von Organisationsstrukturen in Ostdeutschland koordinierten, Kritik gegenüber der Treuhand lauter. Strukturpolitik, die wie in Westdeutschland „an der industriellen Tradition“ der Region ansetzte und „die hier tatsächlich vorhandene berufliche Qualifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“
Gerade in Regionen, wo Gewerkschaften kaum einen Fuß in die politische Tür bekamen, wuchs die Verärgerung über die Treuhand. So etwa in Thüringen, wo der DGB-Landesbeauftragte Wolfgang Erler am 11. März 1991 seinem Unmut gegenüber dem Bundesvorstand Luft machte: „Wir müssen davon ausgehen, daß die Verwirklichung der Aufbaustäbe – personelle Besetzung – etwa 3 Monate Anlaufzeit erfordert. Bis dahin ist, wenn der Treuhand nicht das 'Handwerk' gelegt wurde, der Scherbenhaufen so groß, daß er durch die Aufbaustäbe nicht bewältigt werden kann. Sie werden sich dann überwiegend mit 'Aufräumarbeiten' beschäftigen müssen.“
Für die Gewerkschaften erwies sich die Nichtbeteiligung vor Ort als Existenzproblem, wie eine Befragung von ostdeutschen Gewerkschaftsmitgliedern und -funktionären durch die Hans-Böckler-Stiftung 1993/94 ergab. In der Wahrnehmung der Befragten hatte der DGB in Ostdeutschland den Ergebnissen zufolge „eher die Rolle inne, wirtschaftspolitische Konzepte anderer Akteure mit zu unterstützen – z.B. durch Kundgebungen, Versammlungen etc. - als bei deren Formulierung und auf der dezentralen Ebene als eigenständiger Akteur Einfluß zu nehmen.“ Lediglich Sachsen stellte hier eine Ausnahme dar, wo sich Gewerkschaften aktiv an industriepolitischen Initiativen der Landesregierung beteiligten,
Fazit
Das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und der Treuhand im ostdeutschen Transformationsprozess gestaltete sich höchst widersprüchlich. Eine historische Linie, die sich durch diese Beziehungsgeschichte zieht, ist die Persistenz der Strukturpolitik als konzeptioneller Hintergrund gewerkschaftlichen Handelns, aber auch als Erfahrungshintergrund politischer Abwägungen in der Bundespolitik. Der Pragmatismus, mit dem sich Akteure der Treuhand und Gewerkschaftsfunktionäre etwa auf dem Feld der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik begegneten, brachte zwar greifbare Erfolge mit sich. In den ostdeutschen Regionen aber, wo sich Gewerkschaften als politische Akteure erst etablieren mussten, herrschten ganz andere Umfeldbedingungen. Dort hatte man es mit Akteuren zu tun, die selbst im Aufbau begriffen waren und Gewerkschaften hierbei eher als Störfaktoren ansahen. Diese Haltung findet sich sowohl bei west- als auch ostdeutschen Politiker/innen. Trotz der Misserfolge vor Ort hielten die Gewerkschaften am strukturpolitischen Imperativ fest. Zwar gab es vereinzelt Vorschläge, neue gewerkschaftliche Handlungsfelder außerhalb der zusammenbrechenden Arbeitswelt zu erschließen, diese Vorschläge erlangten jedoch keine Handlungsrelevanz. Stattdessen zog die Treuhand als Sündenbock auch in gewerkschaftliche Diskurse ein. Dass die Gewerkschaften gerade in Ostdeutschland mitgliederarm sind, hat somit – neben dem Zusammenbruch der Industrie – auch viel damit zu tun, dass sie angesichts der Praxis des ostdeutschen Transformationsregimes keine alternativen Konzepte jenseits der eingeübten Muster der Strukturpolitik entwickelten.
Zitierweise: Christian Rau, "Die Treuhandanstalt und die Gewerkschaften: Eine widersprüchliche Beziehung", in: Deutschland Archiv, 27.04.2020, Link: www.bpb.de/308289