Eine für die Migrationsforschung zentrale Problemstellung ist die Integration von Migrant_innen. Dabei stützt sie sich auf unterschiedliche Theorien und Begriffe. Gegenwärtig werden neben dem Konzept der Assimilation, das der Inkorporation oder die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion verwendet. Auf welche Weise Integration dabei gefasst wird, trägt wesentlich dazu bei, wie Migration und ihre Folgen wahrgenommen und welche politischen Mittel für ihre Bearbeitung gefordert werden.
Von Assimilationstheorien...
Die ersten theoretischen Erklärungsversuche der Migrationsforschung nehmen ihren Ausgang in der Auseinandersetzung mit den großen Einwanderungsbewegungen in die USA im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Das Einfügen von Zuwanderer_innen in die Aufnahmegesellschaft wurde – ganz in der Tradition sozialwissenschaftlicher Evolutionstheorien – als ein fortschreitender Prozess gefasst, an dessen Ende die vollständige Anpassung (Assimilation) steht. Später entstanden stärker ausdifferenzierte Assimilationsmodelle. Assimilation verläuft in diesen Modellen nicht mehr linear und unvermeidlich; sie ist auch abhängig von der Bereitschaft im Zuwanderungsland, die gesellschaftliche Partizipation der Migrant_innen zuzulassen.
...zum Modell des 'ethnischen Pluralismus'
Das Leitbild der Assimilation ist vor allem aufgrund seiner ethnozentristischen, homogenisierenden Grundhaltung kritisiert worden, die faktisch eine einseitige Anpassung von Migrant_innen an eine 'Kerngesellschaft' fordert. In den 1960er Jahren verloren Assimilationsmodelle, ausgelöst durch die Bürgerrechtsbewegungen, schrittweise ihre Bedeutung und wurden durch das Gegenmodell des 'ethnischen Pluralismus' verdrängt. Dieses Modell geht von einer Beibehaltung ethnischer Besonderheiten von Gruppen in modernen Gesellschaften aus. Auf diesen Konzepten beruhen integrationspolitische Ansätze, die die Anerkennung und den Schutz ethnischer und kultureller Unterschiede betonen und sich gegen einen "Druck" zur Assimilation wenden. Von einer solchen explizit multikulturellen Integrationspolitik haben inzwischen Staaten wie beispielsweise die Interner Link: Niederlande Abstand genommen. In der Migrationsforschung steht der Ansatz in der Kritik, weil er ethnische und kulturelle Gemeinschaften als homogene Gruppen versteht. Diese essentialistische Vorstellung dient z. B. auch rechtsnationalen Bewegungen als argumentative Grundlage einer ausgrenzenden Identitätspolitik.
Integrationssoziologische Ansätze der deutschsprachigen Migrationsforschung
In der deutschsprachigen Migrationsforschung wurden erstmals in den 1970er Jahren und frühen 1980er Jahren umfassende Konzepte einer Migrations- bzw. Integrationssoziologie vorgelegt. Sie griffen auf Konzeptionen der US-amerikanischen Soziologie zurück und modifizierten diese. Zu den Pionierarbeiten zählen vor allem die Veröffentlichungen von Hoffmann-Nowotny (1973) und Esser (1980).
Von Hoffmann-Nowotny stammt unter anderem die Unterschichtungsthese, die heute zum Alltagsvokabular der wissenschaftlichen oder politischen Auseinandersetzung mit Migrations- und Integrationsfragen gehört. Unterschichtung meint, dass Migrant_innen in die untersten Positionen des sozialen Schichtungsgefüges eintreten, während die 'Einheimischen' neue, höhere Positionen besetzen. Zu beobachten sind Interner Link: solche "Fahrstuhleffekte" beispielsweise am Arbeitsmarkt. Anders als die prominente Unterschichtungsthese sind Hoffmann-Nowotnys theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Migration und Integration in den Hintergrund geraten. Deutlich mehr Einfluss auf das in der deutschen Integrationspolitik herangezogene Verständnis von Integration hatte die Theorie des Mannheimer Soziologen Hartmut Esser. Essers handlungstheoretisches Modell orientiert sich an einer kognitiven Theorie des Handelns und Lernens von Individuen. Entsprechend versteht er Handlungen als rationale Entscheidungen von Akteur_innen, die ihren individuellen Nutzen maximieren wollen. Die mit Migration verbundenen Problemstellungen (wie z.B. der Erwerb von Sprachkompetenz und Bildungsqualifikationen oder die Beteiligung am primären Arbeitsmarkt) versteht er somit als individuelle Anpassungsleistung. Im Prozess der Assimilation unterscheidet Esser zwischen vier Dimensionen:
kulturelle Assimilation (Übernahme von Wissen, Fertigkeiten, Sprache),
strukturelle Assimilation (Übernahme von Rechten, Statuspositionen über Bildung und Arbeitsmarkt),
soziale Assimilation (Aufnahme sozialer Beziehungen, Netzwerke) und
emotionale Assimilation (Übernahme von Werthaltungen und Loyalitäten).
Diese vier Dimensionen stehen nach Esser in einem kausalen Zusammenhang und bestimmen den Grad der gesellschaftlichen Integration des Individuums. Die vollständige Assimilation ist dabei nicht unausweichlich; eine partielle Assimilation ist möglich. Entscheidend ist, ob sich Migrant_innen an der Herkunftsgemeinschaft (ethnische Communities) orientieren oder am Aufnahmekontext. So ergeben sich vier Möglichkeiten der Sozialintegration (siehe Tabelle). Letztlich ist nach Esser die individuelle Assimilation, also die Integration in den Aufnahmekontext bei gleichzeitiger Aufgabe der Bindungen im ethnischen Kontext, alternativlos, um die sozialen Statuspositionen der nicht-migrierten Bevölkerung zu erreichen.
Nach wie vor gilt Essers Theorie als der prominenteste Versuch, die US-amerikanischen Assimilationstheorien in die deutsche Migrationsforschung zu übertragen und weiterzuentwickeln. Zahlreiche Forschungsprojekte orientieren sich bis heute an seinem Modell und ziehen die vier Dimensionen der individuellen Assimilation (kulturelle, strukturelle, soziale und identifikative Assimilation) für ihre Untersuchungen heran. Auch die deutsche Integrationspolitik greift auf diese Vorstellung von Integration zurück. Dies gilt insbesondere für das seit den 2000er Jahren auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene im Aufbau begriffene Interner Link: Integrationsmonitoring, das einen Überblick zum Stand der Integration von Migrant_innen und damit eine Planungsgrundlage für politische Entscheidungsprozesse liefern soll. Dabei wird Esser selbst kaum als Referenz benannt und der heute tabuisierte Begriff der Assimilation schlicht durch den der Integration ersetzt. Vor diesem Hintergrund bleibt Assimilation nach wie vor ein wirkmächtiges Konzept der Integrationspolitik. Migrationsforscher_innen haben zahlreiche Einwände gegen Essers Theorie erhoben. So kritisieren sie, dass Probleme der Integration als mangelnde Anpassung der Migrant_innen verhandelt werden, denen im Esserschen Verständnis die Bringschuld für die soziale Integration zufällt. Strukturelle Ungleichheiten, Diskriminierungen oder subtile Mechanismen der Exklusion durch dominante mittelschichtsorientierte Normalitätsvorstellungen würden hingegen vernachlässigt. Stattdessen stelle Essers Integrationstheorie individuelle Orientierungen der Zugewanderten in den Vordergrund und gehe davon aus, dass diese als rational Handelnde ihre individuellen Möglichkeiten als 'Entweder-Oder'-Entscheidungen (Segmentation oder Assimilation) treffen. Multiple Inklusionen (siehe Tabelle) der Migrant_innen seien Essers Theorie zufolge nahezu ausgeschlossen. In einer modernen pluralistischen Gesellschaft könne, so die Kritik, jedoch nicht von normsetzenden Werten oder einer Leitkultur ausgegangen werden, an die sich Zugewanderte stufenweise anpassen. Nur wenige Wissenschaftler_innen kritisieren Esser jedoch von einem explizit theoretischen Standpunkt aus.
Transnationale Ansätze
Eine neue Perspektive haben transnationale Ansätze in die Migrationsforschung eingeführt. Traditionell wird in der Migrationsforschung Zuwanderung aus der Perspektive der Eingliederung der Migrant_innen betrachtet. Die Transnationalismusforschung kritisiert seit den 1990er Jahren vor allem die Assimilationstheorie sowie den in der Migrationsforschung vorherrschenden "methodologischen Nationalismus", d. h. ihre nationalstaatliche Prägung. Ausgangspunkt für diese neue Perspektive ist die Beobachtung, dass sich die Muster internationaler Wanderungsbewegungen unter dem Einfluss des globalen Kapitalismus deutlich verändert haben. Neben der Beschleunigung von Migrationsprozessen lässt sich eine zunehmende Externer Link: Differenzierung der Migrationsformen feststellen. Grenzüberschreitende Wanderungen sind dabei immer weniger als einmalige Wohnsitzverlagerung anzusehen. Interner Link: Transmigrant_innen lassen sich in einem anderen Land nieder und erhalten gleichzeitig aktiv Verbindungen zum Herkunftsland aufrecht. Damit verlagert sich die transnationale Forschungsperspektive auf verdichtete, relativ stabile und kontinuierliche grenzüberschreitende Interner Link: Netzwerke, die zu einer wichtigen 'Brücke' zwischen Herkunfts- und Zuwanderungskontext werden. Einmal in Gang gesetzte Migrationen lassen sich daher auch nicht einfach abstellen – trotz der auf Kontrolle der Mobilität abzielenden Migrationspolitiken. Sie legen vielmehr Pfade für weitere Migrationen.
Aufrechterhalten und verstärkt werden die sozialen Netzwerke der Migrant_innen durch beschleunigte Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten. Mit der Eingebundenheit in zwei oder mehr Gesellschaften entstehen sogenannte "pluri-lokale" Sozialräume. Zwar sind diese Räume auch von nationalstaatlichen Strukturen geprägt (z. B. die nationalen Gesetze), die Lebensführung von Transmigrant_innen ist aber mehr oder weniger dauerhaft länderübergreifend orientiert.
Angesichts der Transnationalisierung der Migration wird von dieser Forschungsrichtung ein neues Verständnis von Integration im Sinne eines dynamischen Teilhabemodells für notwendig erachtet. Alternativ zu den Begriffen Assimilation und Integration schlägt der Soziologe und Migrationsforscher Ludger Pries den Begriff Inkorporation vor "als ergebnisoffenen Prozess der ökonomischen, kulturellen, politischen und sozialen Verflechtungen von Migranten auf der lokalen, regionalen, nationalen und transnationalen Ebene". Die Kombination verschiedener Orientierungen begünstigt Interner Link: fluide und multiple Identitäten oder sogenannte Bindestrich-Identitäten, die durch Auswahl von Elementen und ihrer Vermischung zu etwas Neuem zusammengeführt werden können. Dabei wird von einigen Vertreter_innen beider Richtungen, der Assimilationstheorie wie des Transnationalismus, zuweilen übersehen, dass Menschen in der modernen Gesellschaft, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, multiple Identitäten ausbilden. Menschen identifizieren sich mit ihrem Wohnort, einer beruflichen Stellung, ihrer Geschlechts-, Generations- und Klassenzugehörigkeit, ihrer Religion, Ethnizität und/oder Nationalität.
Kritiker der Transnationalismusforschung wenden ein, dass es sich hier weniger um eine ausgearbeitete Theorie handelt, als vielmehr um eine bestimmte Forschungsperspektive. Michael Bommes weist darauf hin, dass auch in dieser Perspektive der Nationalstaat der Bezugsrahmen bleibt. Denn transnationale Migrant_innen müssen sich sowohl an die Erwartungen des Herkunftskontextes als auch der Organisationen im Zuwanderungsland kontextspezifisch anpassen, um dort Zugang zu finden. Assimilation findet also statt.
Systemtheoretischer Ansatz zur Erklärung von Integration
Gestützt auf die soziologische Systemtheorie und die darin ausgeführte Theorie der funktionalen Differenzierung (nach Niklas Luhmann) schlägt Michael Bommes vor, Migration und ihre Folgen unter den Gesichtspunkten der Inklusion/Exklusion zu betrachten und nicht als Problemstellung der sozialen Integration. Die Systemtheorie versteht moderne Gesellschaften nicht als organische Ganzheiten. Innerhalb der modernen Interner Link: Gesellschaft bilden sich vielmehr einzelne autonome Teilsysteme (u.a. Wirtschaft, Recht, Politik, Erziehung) heraus, die als Funktionssysteme bezeichnet werden. Das Individuum gehört nicht nur einem Teilsystem an, sondern ist gleichzeitig und lebensphasenspezifisch in verschiedene Teilsysteme inkludiert bzw. exkludiert, in denen es verschiedene soziale Rollen einnimmt. Der Begriff der Inklusion wird daher dem Begriff der Integration vorgezogen, da in systemtheoretischer Perspektive kein Individuum in 'die Gesellschaft' als solche integriert ist. Die Frage der Inklusion (und entsprechend der Exklusion) überlässt die Gesellschaft ihren Funktionssystemen: So regelt sich z. B. die Teilnahme am Erziehungssystem über Schulen, Schulabschlüsse und Zeugnisse. Personen sind nicht von vornherein in die Funktionssysteme einbezogen, sie müssen den Zugang entlang der spezifischen Bedingungen der Teilsysteme erst finden (so wird der Zugang zu Gymnasien z.B. über eine Bildungsempfehlung, die den Schüler_innen von ihren Lehrer_innen ausgestellt wird, erst möglich). Dies stellt an alle Individuen – nicht nur Migranten_innen – große Anforderungen. Ob dabei ihre Kompetenzen Anerkennung finden, hängt auch von den jeweiligen Bedingungen und Barrieren ab, auf die sie in Organisationen treffen. Denn über Organisationen erhalten Individuen erst die Möglichkeit der Inklusion in die verschiedenen Teilsysteme. So werden auch Phänomene sozialer Ungleichheiten über Organisationen vermittelt (wie z. B. der erschwerte Zugang von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu betrieblichen Ausbildungsstellen). Ungleiche Inklusionschancen ergeben sich u.a. dadurch, dass Staaten die Bedingungen für die Zuwanderung und den Aufenthalt von Ausländer_innen festlegen. Damit einher gehen stets auch Möglichkeiten und Verbote der Teilnahme an Funktionssystemen und ihren Organisationen. So dürfen Asylsuchende beispielsweise in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland nicht arbeiten. Die Zuordnung zu einer bestimmten Migrationskategorie (ob nun Fluchtmigrant_in oder hochqualifizierte/r Arbeitsmigrant_in) steigert oder verringert also die Möglichkeiten der Inklusion.
Da die Integration von Individuen in diesem Ansatz nicht als vollständiger Einschluss in die Gesellschaft betrachtet wird, ermöglicht die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion differenzierte Beschreibungen von Inklusionsbedingungen (in den Arbeitsmarkt, in das Bildungssystem, in das politische System usw.). Die "kritische Migrationsforschung" verkennt diese Forschungslogik, wenn sie dem systemtheoretischen Ansatz von Bommes vorhält, die strukturellen Anforderungen der Teilsysteme zu bekräftigen, statt sie machtkritisch zu hinterfragen. Leichte Anklänge an systemtheoretische Ansätze finden sich immer dann, wenn Integration als gleichberechtigte Teilhabe in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens definiert wird, wie z.B. durch den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) oder die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Dabei werden jedoch die Begriffe der Teilhabe und Integration nicht differenziert an theoretische Grundannahmen rückgebunden. Beide Begriffe landen vielmehr in einen Topf, wenn von "gesellschaftlicher Teilhabe" als "Grundvoraussetzung für gelingende Integration" die Rede ist, die empirisch über die Teilhabe zu messen sei.
Fazit und Ausblick
Assimilation, Multikulturalismus, Inkorporation und Inklusion fungieren als analytische Begriffe, um Integration theoretisch zu fassen. Sie weisen zugleich eine mehr oder minder große Nähe zu den Problembeschreibungen (z.B. Segregation, Integrationsdefizite, kulturelle Differenz) auf, die von verschiedenen Akteur_innen in der Politik (und der Praxis) vorgenommen werden. Der Umgang mit Migration und ihren Folgen ist nicht einfach da; Problembeschreibungen müssen von den davon jeweils betroffenen Organisationen – wie z.B. Verwaltungen – erst definiert werden.
Wissenschaftliche Konzeptualisierungen von Integration sind schon immer in politische Problembeschreibungen eingeflossen. Umgekehrt orientiert sich die Migrationsforschung an der dominanten politischen Konzeptualisierung von Integration, die gewissen 'Moden' unterliegt. Die politischen Beschreibungen von Integration weisen heute zwei Bedeutungsebenen auf: Thematisierung von Migration
als Problem nicht-integrierter Migrant_innen oder
gleichberechtigte ökonomische, soziale, politische und kulturelle Teilhabe.
Konkrete Integrationskonzeptionen konzentrieren sich jedoch oftmals auf die Forderung nach individuellen Anpassungsleistungen, die von Migrant_innen erwartet werden. Es liegt also ein Integrationsverständnis zugrunde, das sich eng an die Assimilationstheorie anlehnt. Vor diesem Hintergrund plädieren Wissenschaftler_innen der "kritischen Migrationsforschung" dafür, den Integrationsbegriff ganz abzuschaffen. So berechtigt die Kritik am Integrationsbegriff als Teil der Konstruktion einer (problematisierenden und kulturalisierenden) Erwartungshaltung ist, hilft generell ein Streit um Begriffe der gesellschaftspolitischen Diskussion wenig und sollte hinter ihrer angemessenen theoretischen Fassung und Verwendung zurückstehen.
Mehr zum Thema