Besondere Einrichtungen
Wochenkrippen und Kinderwochenheime, in denen Kinder die ganze Woche über verblieben, also auch über Nacht, befanden sich in der DDR vorrangig in kommunaler oder betrieblicher und vereinzelt in konfessioneller Trägerschaft. Es gab diese Betreuungsform von 1950 bis Anfang der 1990er Jahre. Das belegen unter anderem das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau aus dem Jahr 1950 sowie die Anweisung zur Kindergartenordnung aus dem Jahr 1990 mit einem Hinweis zur Gruppengröße in Kinderwochenheimen.
Bei den Wochenkrippen und Kinderwochenheimen handelte es sich entweder um eigenständige Einrichtungen oder um Bestandteile einer Tageskrippe beziehungsweise eines Kinderheims, beispielsweise in Form von separaten Gruppen. In den späteren Jahrzehnten der DDR gab es auch sogenannte Kombi-Einrichtungen, das bedeutete zum Beispiel, dass Wochenkrippe und Kinderwochenheim an einem Standort waren.
In Wochenkrippen wurden Kinder nach Ende des Mutterschutzes in der Regel bis zum vollendeten dritten Lebensjahr betreut. Bis 1963 endete der Mutterschutz sechs Wochen nach der Geburt, bis 1972 acht Wochen, bis 1976 zwölf Wochen, danach 20 Wochen nach der Geburt.
Betreuungsplätze in Wochenkrippen und Kinderwochenheimen wurden vorrangig an alleinerziehende Mütter, Studierende oder im Schichtsystem arbeitende Eltern vergeben. In der Regel wurden die Kinder montags ab 6 Uhr morgens von den Eltern in der Einrichtung abgegeben und freitags bis 18 Uhr wieder abgeholt. Jedoch zeigen jährliche statistische Erhebungen der damaligen Zeit, dass Kinder auch an Wochenenden und Feiertagen in den Einrichtungen betreut wurden. So betrug im Jahr 1967 die Gesamtzahl der Belegungstage an arbeitsfreien Sonnabenden und an Sonn- und Feiertagen 150.261 für alle erfassten Wochenkrippen der DDR. Dies wurde auch von Betroffenen bestätigt, zum Beispiel, wenn deren Eltern im Schichtsystem mit einer sogenannten Sieben-Tage-Woche arbeiteten.
Eine Mutter erinnert sich:
„Es war damals in der DDR so, dass eine Frau, die Zwillinge hatte, keine zwei Kindergartenplätze kriegen konnte und deswegen haben sie mir das empfohlen, die Kinder in ein Wochenheim zu geben.“
Umfang der Wocheneinrichtungen
1950 existierten 30 Prozent aller vorhandenen Krippenplätze in Wochenkrippen. Das bedeutet in Zahlen: 2550 Plätze. Im Jahr 1989 fielen noch 1,6 Prozent aller bestehenden Krippenplätze auf Wochenkrippen, in Zahlen waren das 4800. Der prozentuale Anteil ging aufgrund des massiven Ausbaus von Tageskrippen zurück, jedoch gab es nach knapp 40 Jahren immer noch fast doppelt so viele Betreuungsplätze in Wochenkrippen wie zu Beginn ihrer Existenz.
Die Zahl der Kinder, die über den gesamten Zeitraum der DDR in Wochenkrippen und/oder Kinderwochenheimen betreut wurden, lässt sich aufgrund der vorliegenden Daten nur vorsichtig hochrechnen. Dies liegt auch an der damaligen unterschiedlichen Zuständigkeit der Ministerien für beide Betreuungsformen. Wochenkrippen als eine Form der Krippenbetreuung unterstanden seit 1952 dem Ministerium für Gesundheitswesen, wohingegen die Kinderwochenheime als eine Einrichtung der Vorschulerziehung in der Verantwortung des Ministeriums der Volksbildung lagen. Während für die Wochenkrippen umfangreiches Datenmaterial vorhanden ist (aufgrund der Fokussierung des Ministeriums für Gesundheitswesen auf den Gesundheitszustand der Krippenkinder und dessen Verbesserung durch hygienische und pflegerische Maßnahmen), finden sich bisher keine vergleichbaren Statistiken oder Studien für Kinderwochenheime. Legt man jedoch allein schon die Anzahl von 2550 Wochenkrippenplätzen aus dem Jahr 1950 zugrunde und multipliziert diesen Wert mit 39 Jahren bis zum Jahr 1989, ergibt sich eine Größenordnung von knapp 100.000 Plätzen. Hierbei sind sowohl die quantitative Steigerung der Plätze in den Jahren nach 1950 als auch die fehlenden Werte von Kinderwochenheimplätzen unberücksichtigt.
Der gesellschaftspolitische Bezug
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Zuständigkeit der Verwaltung in Deutschland unter den vier Siegermächten USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion aufgeteilt. Der Osten des Landes bildete die sowjetische Besatzungszone. Ziel war es, einen sozialistischen deutschen Staat nach Vorbild der Sowjetunion auf Grundlage der Werte und Normen des Kollektivismus zu schaffen. Demnach stand das Wohl der Gruppe im Vordergrund, dem die Interessen des einzelnen Menschen untergeordnet waren. 1949 gründete sich die Deutsche Demokratische Republik (DDR) auf dem Gebiet der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau wurde 1949 in der ersten Verfassung der DDR verankert. Bisherige bürgerliche Rollenverteilungen von Mann und Frau wurden aufgehoben.
Für den Wiederaufbau des Landes fehlten Arbeitskräfte, da viele Männer im Krieg gefallen waren, sich in Kriegsgefangenschaft befanden oder mit ihren Familien in weniger zerstörte Gebiete Deutschlands abwanderten. Es galt, den Frauen die Berufstätigkeit zu ermöglichen und gleichzeitig die Bevölkerungszahl der jungen Republik zu steigern. Die Kinder sollten von Beginn an zu sozialistischen Staatsbürgern erzogen werden und somit die DDR stärken. Es mussten demnach Voraussetzungen für die Doppelrolle der Frau als Mutter und Arbeitskraft geschaffen werden. Dies konnte nur durch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gelingen. Die Lösung bestand darin, ein flächendeckendes Netz an Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder während der Arbeitszeit aufzubauen. Das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau sah daher 1950 vor:
„Um die Heranziehung der Frauen zur gesellschaftlichen schöpferischen Arbeit, zur aktiven Arbeit in den Organen [...], zur politischen und kulturellen Tätigkeit [...] zu ermöglichen, sind in den nächsten fünf Jahren zu errichten: [...] Kinderkrippen mit insgesamt 40.000 Plätzen [...], Kindertagesstätten mit insgesamt 160.000 Plätzen.“
„Das Ministerium für Volksbildung hat [...] die zur Betreuung der Kinder arbeitender Frauen erforderlichen Erziehungs- und Hilfskräfte sicherzustellen.“
Der Grund für die Schaffung dieser umfangreichen Einrichtungen lag in der Notwendigkeit, die DDR-Wirtschaft anzukurbeln. Dafür war es unerlässlich, rund um die Uhr zu produzieren und Arbeitskräfte im Schichtsystem einzusetzen. Das Mutter- und Kindesschutzgesetz forderte daher:
„Die Regierung und [...] haben deshalb dem Bau und der Arbeit [...] der Kinderkrippen, der Kindertagesstätten und Kinderwochenheime ihre besondere Aufmerksamkeit zu widmen.“
„Die Öffnungszeiten der Kinderkrippen und Kindertagesstätten sind der Arbeitszeit der Frauen anzupassen.“
Die Eltern
Es gab mehrere Gründe dafür, dass Eltern bereit waren, ihr Kleinkind in eine außerfamiliäre Betreuungsform zu geben. Es muss berücksichtigt werden, dass in der vorangegangenen Zeit des Nationalsozialismus eine Erziehung propagiert worden war, die dadurch gekennzeichnet war, das eigene Kind nicht zu verwöhnen. Dies verdeutlichten die damaligen Erziehungsratgeber der Ärztin Johanna Haarer „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ sowie „Unsere kleinen Kinder“, die in einer hohen Auflage erschienen und Grundlage sogenannter Mütterkurse waren.
Eine Mutter gab in einem Interview 2017 zu ihrer damaligen Entscheidung, den Sohn in eine Wochenkrippe zu geben, an:
„Ich hatte das Studium ja schon begonnen und wollte natürlich auch, ich bin ein Mensch der Sicherheit, das Studium beenden. Ich wollte finanziell auch unabhängig sein. Und da wurde mir vom Rat des Kreises angeboten, das Kind in eine Wochenkrippe zu bringen. Ich hab’ da vorgesprochen und das wurde eigentlich ganz schnell abgehandelt.“
Der pädagogische Bezug
Wie in Kindereinrichtungen pädagogisch gearbeitet werden sollte, wurde in Form von Bestimmungen und Erziehungsplänen zentral geregelt (Tabellen 1 und 2). Diese waren für jeweils alle Formen der Krippen- oder Kindergartenbetreuung verbindlich, wie nachfolgende Festlegungen beispielhaft belegen:
„Für alle Kinderkrippen und Dauerheime für Säuglinge und Kleinkinder der DDR gilt dieses Programm für die Erziehungsarbeit als verbindliche Arbeitsgrundlage.“
„Die Kindergartenordnung gilt für alle staatlichen Kindergärten und Kinderwochenheime, Vorschulteile an Sonderschulen, Vorschulinternate und selbständige Kindergärten des Sonderschulwesens unabhängig von ihrer Unterstellung – nachfolgend Kindergarten genannt.“
Tabelle 1: Die wesentlichen Bestimmungen von 1946–1990 | ||||||
1946 | Richtlinien für den Kindergarten der sowjetischen Besatzungszone | |||||
1953 | Verordnung über die Aufgaben und Organisation der Krippen und Säuglingsheime als Einrichtungen des Gesundheitswesens | |||||
1962 | Richtlinie für die Hygiene in Krippen und Heimen für Säuglinge und Kleinkinder | |||||
1968 | Anordnung über die Sicherung einer festen Ordnung in den Einrichtungen der Vorschulerziehung – Kindergartenordnung | |||||
1973 | Anweisung Nr. 1 zur Gewährleistung der sozialistischen Erziehung, der Betreuung und des Gesundheitsschutzes der Kinder in Krippen und Heimen | |||||
1974 | Anweisung Nr. 2 zur Gewährleistung der sozialistischen Erziehung, der Betreuung und des Gesundheitsschutzes der Kinder in Krippen und Heimen | |||||
1975 | Anweisung Nr. 3 zur Gewährleistung der sozialistischen Erziehung, der Betreuung und des Gesundheitsschutzes der Kinder in Krippen und Heimen | 1976 | Verordnung über Kindereinrichtungen der Vorschulerziehung |
Neben diesen Anweisungen waren insbesondere die sogenannten Erziehungspläne wichtig:
Tabelle 2: Erziehungspläne 1956–1985 | ||||||
1956 | „Die Pflege und Erziehung unserer Kinder in Krippen und Heimen“ | |||||
1957 | „Leitfaden für die Erziehung in Krippen und Heimen“ | |||||
1958 | „Rahmenplan für die erzieherische Arbeit in Krippen und Heimen“ | |||||
1967 | „Bildungs- und Erziehungsplan für den Kindergarten“ | |||||
1973 | „Zur Arbeit mit dem Bildungs- und Erziehungsplan im Kindergarten“ | |||||
1983 | „Krippenpädagogik. Pädagogik“ | |||||
1985 | „Programm für die Erziehungsarbeit in Kinderkrippen“ | 1985 | „Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten“ |
Bis in die 1960er Jahre wurden in den Titeln der Erziehungspläne für Krippenkinder sowohl die Krippen als auch die Heime explizit aufgeführt; in den späteren Jahrzehnten findet sich diese Unterscheidung nicht mehr. Auch inhaltlich wurde zu Beginn der DDR stärker auf die Besonderheiten der einzelnen Betreuungsformen eingegangen, wie das Beispiel einer exemplarischen Tagesplanung verdeutlicht (Abbildung 1).
Für die Altersgruppe der Kindergartenkinder gab es in den 1950er Jahren eine Vertiefung der Thematik der Kinderwochenheime durch die Publikation „Heimkinder – Ein Buch für alle Erzieher in Kinderheimen, besonders in Vorschul- und Kinderwochenheimen“.
Die Erziehungspläne orientierten sich vorrangig an russischen Pädagogen und Pädagoginnen, wie Anton Semjonowitsch Makarenko, Nadeschda Konstinowna Krupskjaja oder Iwan Petrowitsch Pawlow. Ein Schwerpunkt der täglichen pädagogischen Arbeit war die Gesundheitsvorsorge mit allen entsprechenden pflegerischen und hygienischen Aufgaben. Das wesentliche Ziel der Erziehungs- und Bildungsarbeit bestand darin, dass Kind zu einer sozialistischen Persönlichkeit zu formen. Dabei stand neben der ideologischen Lehre vor allem die Selbständigkeit des Kindes im Vordergrund. So beschrieben die Autoren eines Erziehungsplans:
„Die Herausbildung der geistigen und sittlichen Qualitäten der Kinder, ihr Wissen und Können, ihre Verhaltensweisen, Einstellungen und Motive des Handelns müssen in erster Linie geeignet sein, sie in zunehmendem Maße zur selbständigen Teilnahme an der Gestaltung des Lebens im Kinderkollektiv zu befähigen.“
Auswirkungen der Betreuung in Wocheneinrichtungen
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen beruflichem Ausbildungsgrad der Eltern und Art der Unterbringung der Kinder. Quelle: Anm. 25, S. 68.
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen beruflichem Ausbildungsgrad der Eltern und Art der Unterbringung der Kinder. Quelle: Anm. 25, S. 68.
Die Medizinierin, Sozialhygienikerin und Krippenforscherin Eva Schmidt-Kolmer erforschte in der DDR in zwei Studien die Entwicklung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren hinsichtlich des Einflusses der verschiedenen Betreuungsformen Tageskrippe, Wochenkrippe und Dauerheim. Die erste Studie erfolgte von 1953 bis 1957; sie untersuchte insgesamt 1789 Kinder im Alter von wenigen Monaten bis zum vollendeten dritten Lebensjahr, davon 439 Kinder aus Wochenkrippen. Anhand von aufgestellten Entwicklungsreihen wurden die erzielten Ergebnisse der Kinder erfasst und verglichen. Als Norm wurde das früheste Auftreten typischer kindlicher Verhaltensweisen zugrunde gelegt, die auf der Grundlage von Vorversuchen mit Familien- und Tageskrippenkindern festgestellt wurden. Das Resultat der Studie ergab bei Wochenkrippenkindern im Vergleich zu Tageskrippenkindern eine Entwicklungsverzögerung in den Bereichen Bewegung und Sprache in den ersten zwei Lebensjahren; diese fiel für Heimkinder noch deutlicher aus. Nach der Auswertung der Ergebnisse wurde konstatiert, dass die Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Essen, Schlaf und Gesundheit für eine normale Entwicklung des Kindes nicht genügt. Dafür benötigt es eine verlässliche Bindung zu mindestens einem Erwachsenen.
Eine der Schlussfolgerungen Schmidt-Kolmers und eine deutliche Empfehlung lauteten:
„Eine Unterbringung in Wochenkrippen dürfte nur dann erfolgen, wenn durch die Schichtarbeit der Mutter oder anderer Familienangehöriger ein tägliches Abholen des Kindes unmöglich ist.“
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Familienstand der Eltern und Art der Unterbringung der Kinder. Quelle: Anm. 25., S. 69.
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Familienstand der Eltern und Art der Unterbringung der Kinder. Quelle: Anm. 25., S. 69.
Zwar schlugen sich die Befunde der Studie vor allem in den nachfolgenden Erziehungsplänen und in einem verstärkten Ausbau von Tageskrippen nieder, dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Anzahl der Wocheneinrichtungen in den darauffolgenden Jahren weiter anstieg und der dortige Alltag sowie die Tagesstruktur für den Aufbau einer sicheren Bindung weiterhin häufig nicht förderlich waren.
Von 1971 bis 1973 untersuchte Schmidt-Kolmer erneut insgesamt 6426 Krippenkinder aus den benannten Betreuungsformen, davon 890 Wochenkrippenkinder. Diesmal wurde zusätzlich der Einfluss der Familie beleuchtet. Dabei zeigte sich, dass in Wochenkrippen der Anteil von Säuglingen, ebenso wie der Anteil alleinerziehender oder geschiedener Mütter, deutlich höher war als in Tageskrippen. Auch unterschied sich das Bildungsniveau der Eltern in beiden Betreuungsformen wesentlich zugunsten der Tageskrippen.
Im Ergebnis stellte Schmidt-Kolmer fest: „Der Rückstand der Wochen- gegenüber den Tageskindern hat sich im Vergleich zu dem vor 10 bis 15 Jahren bestehenden auf etwa ein Drittel verringert.“