Polens Integration in die europäischen Wirtschafts- und Finanzmarktstrukturen bzw. den EU-Binnenmarkt ist in den letzten zwei Dekaden sehr weit gediehen. Im Außenhandel ist Deutschland der vornehmliche Wirtschaftspartner, etwas weniger bei den Ausländischen Direktinvestitionen, im Bankensektor oder bei Finanzinvestitionen. Im Bankensektor oder bei Portfolioinvestitionen ist die internationale Integration Polens sogar stärker als bei einigen "alten" EU-Mitgliedern. Vor diesem Hintergrund ist ein Streben nach mehr wirtschaftspolitischer Eigenständigkeit partiell erklärlich, was sich in einer vorsichtigen Position beim Eurobeitritt oder der Rolle von Auslandskapital bei der Staatsfinanzierung oder in einzelnen Wirtschaftssektoren manifestiert. Jüngste politische Maßnahmen nach dem Regierungswechsel im Vorjahr bzw. deren wirtschaftspolitische Implikationen könnten sich nun negativ auf die EU-Integration und das Vertrauen der Investoren auswirken. Jüngere oder ältere Erfahrungen, etwa in Ungarn (ähnliche Interventionen) oder Österreich (politische Sanktionierung durch die EU), zeigen aber auch: Eine Überdramatisierung ist nun nicht angezeigt, die unmittelbaren ökonomischen Nachteile für Polen sollten eher gering sein. Jedoch sollten denkbare mittelbare Folgen der aktuellen wirtschaftspolitischen Ausrichtung in Polen nicht unterschätzt werden.
Handelsintegration und Ausländische Direktinvestitionen
Der Außenhandel gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), der Offenheitsgrad von Polens Wirtschaft, ist von 1990 an von 40 % auf heute 80 % gestiegen. Dies ist ein hoher Wert für eine größere Ökonomie. Der Offenheitsgrad hat – nach der Seitwärtsentwicklung der 1990er Jahre – vor allem um den EU-Beitritt (2004) herum offenkundig zugelegt. Der deutsch-polnische Handel hat besonders profitiert. Heute gehört Polen mit einem Anteil von 4,6 % zu den wichtigsten deutschen Handelspartnern, im Jahr 2000 lag der Anteil bei ca. 2 % und zu Beginn der 1990er Jahre unter 1 %. Da sich das deutsche Außenhandelsvolumen in den letzten zwei Dekaden verdoppelte, impliziert der steigende Polen-Anteil, dass das bilaterale Handelsvolumen Polen–Deutschland (in Euro gerechnet) im gleichen Zeitraum um den Faktor 3,5 bis 4 zulegen konnte. Heute beträgt der bilaterale Handelsumsatz ca. 95–100 Milliarden Euro im Jahr; im Jahr 2000 waren es 25 Milliarden Euro. Im Außenhandel ist Deutschland der dominierende Handelspartner Polens (Ex- und Importanteil von ca. 26 %, die nächstgrößeren Handelspartner haben Anteile von ca. 6 % bzw. 10 % ). In Relation zum BIP Polens ist der deutsch-polnische Handel nun ähnlich intensiv wie mit den Niederlanden oder Österreich. Beide Länder sind traditionell zentrale Handelspartner Deutschlands. Damit sind allerdings auch keine so massiven Zuwächse im deutsch-polnischen Handel mehr realistisch. Das dennoch zu beachtende besondere Gewicht der Handelsbeziehungen zeigt die Tatsache, dass Polen mit Deutschland genauso viel oder mehr handelt wie mit den fünf weiteren großen EU-Ländern – Frankreich, Italien, Niederlande, Großbritannien und Spanien – zusammen.
Der Handel Polens mit allen wichtigen EU-Partnerländern beträgt aktuell insgesamt ca. 170–180 Milliarden Euro, im Jahr 2000 waren es 50 Milliarden und zu Beginn der 1990er Jahre nur 8 Milliarden Euro. Trotz steigender Volumina sinkt der Anteil der EU-Länder in den letzten Jahren indes leicht, von 65 % in der Spitze auf 55 % im Export, von 58 % auf 50 % auf der Importseite. Dieser Trend ist nicht per se negativ bzw. zeigt nicht zwangsläufig eine geringe Intra-EU-Integration an; letztere ist gemessen am Anteil des EU-Intrahandels weiter sehr ausgeprägt. Der graduell fallende Außenhandelsanteil großer EU-Länder (bei steigenden Volumina) zeigt eher, dass Polens Wirtschaft sophistizierter wird und neue Märkte mit eigenen Produkten oder neue Lieferbeziehungen erschließt. Noch tiefer und fast einseitig im Vergleich zum Handel ist die EU-Integration Polens bei den Ausländischen Direktinvestitionen (ADI). Sieben wichtige westeuropäischen EU-Herkunftsländer stehen für 70 % aller ADI, 90 % der ADI in Polen haben ihren Ursprung in der EU. Das Gros der ADI ist in der Industrie (30 %) und im Finanzsektor konzentriert (20 %). Diese sektorale Aufteilung erklärt, warum Deutschland hier keine so prominente Rolle spielt wie beim Handel –bei den ADI im Finanzsektor ist es wenig prominent vertreten. Insgesamt ist der Anteil Deutschlands an den ADI aber aus deutscher Perspektive regional betrachtet immer noch überproportional, was sich zum Teil auch dadurch erklärt, dass Länder wie Österreich oder auch andere mitteleuropäische Nachbarländer bei den ADI in Polen eine geringere Rolle spielen als in vielen mitteleuropäischen Nachbarländern.
Konvergenz zur Eurozone und Euroeinführung
Prinzipiell erfüllt Polen gemäß offizieller Lesart (der letzte EZB-Konvergenzbericht stammt aus dem Juni 2014) die Beitrittskriterien zur Eurozone (Europäische Währungsunion – EWU). Dies gilt für die Inflation, die Staatsschuldenquote, aktuelle Budgetdefizite sowie die Zinsen auf Zloty-Staatsanleihen. Zudem liegen gemäß der makroökonomischen Überwachung der EU keine gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte vor. Des Weiteren hat sich die Polnische Nationalbank (Narodowy Bank Polski – NBP) den Ruf einer stabilitätsorientierten und im geldpolitischen Handeln umsichtigen Notenbank erarbeitet, wobei jüngste politisch induzierte Marktunsicherheiten, vor allem nach dem Regierungswechsel 2015, zu erhöhten Zloty-Kursschwankungen führten. Letztere können im Sinne einer nachhaltigen Wechselkurs-Konvergenz, auch durch die Europäische Zentralbank (EZB) bzw. EU-Kommission, kritisch gesehen werden. Gleiches gilt, wenn sich die fiskalische Position (z. B. durch erhöhte Kindergeldzahlungen, Änderungen im Rentensystem) strukturell und nachhaltig verschlechtern sollte. Auch jüngste Bestrebungen der Politik, aktiv auf die NBP einzuwirken, könnte von EU-Institutionen kritisch betrachtet werden. Der nächste turnusgemäße EZB-Konvergenzbericht, der dies gegebenenfalls thematisiert, steht im Sommer 2016 an.
Abseits ökonomischer Kriterien ist Polen weit von einem EWU-Beitritt entfernt. Lokale Gesetze, die die NBP betreffen, erfüllen nicht alle Beitrittsvoraussetzungen. Notwendige juristische Umgestaltungen (auch der Verfassung) sind im gegenwärtigen innenpolitischen Umfeld noch unwahrscheinlicher als bisher. Zudem deutet derzeit nichts darauf hin, dass man aktiv integrationspolitische Signale – etwa in Form eines EWU-Beitrittsfahrplans – setzen will. Ferner erscheint der EWU-Eintritt derzeit auch im ökonomischen Rationalitätskalkül nicht auf alle Fälle opportun. Die wirtschaftspolitische Vertiefung der EWU der letzten Jahre bedingt nun auch die Mitgliedschaft in neuen Institutionen, wie dem Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) für Banken, dem Abwicklungsregime für Großbanken und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) für Staaten. Hier gibt es noch einige auf EWU-Mitgliederebene kontrovers diskutierte Themen (z. B. eine europäische Bankeinlagensicherung), die je nach Ausgang eine rasche EWU-Mitgliedschaft für Polen wenig attraktiv machen können. Des Weiteren kann derzeit nicht abschließend geklärt werden, ob die EWU so nachhaltig gestärkt wurde, dass sie problemlos die nächste Periode globaler oder europäischer Wirtschafts- und Finanzmarktturbulenzen übersteht. Polen hingegen hat langfristig positive Erfahrungen mit einer eigenständigen Währung und einer nationalen stabilitätsorientierten Notenbank gemacht.
Banken- und Finanzmarktintegration
Die äußerst engen Außenhandelsbeziehungen mit der EU und Deutschland sowie substantielle ADI-Bestände, auch im Finanzsektor, resultieren auch in einer vertieften Integration Polens in die europäischen Banken- und Kapitalmärkte. Investitionen und Handel müssen finanziert werden, was geradewegs in einer Integration in die europäischen Banken- und Finanzmärkte resultiert bzw. Folgetransaktionen impliziert (z. B. Zins- und Währungsabsicherungsgeschäfte etc.). Die großen Bankensektoren Westeuropas mit signifikantem Polen-Geschäft (Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Spanien und Österreich) weisen derzeit ca. 170 Milliarden Euro grenzüberschreitende Forderungen (konsolidierte Bankstatistiken der Bank für Zahlungsausgleich) mit Polen-Bezug aus. Zum Vergleich: Dieselben EU-Banken weisen "nur" 80 Milliarden Euro grenzüberschreitende Forderungen mit unmittelbarem China-Bezug auf. Hongkong dazugerechnet, stehen hier immer noch "nur" 150 Milliarden. Die Forderungen der großen EU-Bankensektoren mit bedeutendem Polen-Geschäft sind in den letzten zehn bis 15 Jahre massiv angestiegen, von 15–25 Milliarden Euro um das Jahr 2000 auf 40–60 Milliarden zum EU-Beitritt (2004) und heute auf mehr als das Doppelte. Heute ist Polen für viele EU-Banken eine wichtige Forderungs- und Risikoposition, beispielsweise etwa 2–5 % aller internationalen Forderungen deutscher oder italienischer Banken (vor 15 Jahren hatte Polen im internationalen Geschäft von EU-Banken ein marginales Gewicht von 0,5–1 %). Insgesamt belaufen sich die Finanzierungen mit Polen-Bezug in internationalen Bankstatistiken aktuell sogar auf 270 Milliarden Euro, knapp 240 Milliarden davon (ca. 80 %) kommen aus EU-Ländern. Dieselben Statistiken zeigen auch: Polen hat in den letzten Jahren nicht unter einem signifikanten Abbau (deleveraging) der Auslandsbankenpositionen gelitten, obgleich viele internationale und vor allem europäische Großbanken grenzüberschreitende Geschäfte allgemein merklich reduzierten. In internationalen Statistiken und auch bei den Marktanteilen auf dem polnischen Markt nehmen deutsche Banken, im Vergleich zum Handel, indes eine weniger prominente Position ein. Sie stehen "nur" für ca. 18 % aller internationalen Polenforderungen bzw. Banken aus Ländern wie Italien, Frankreich oder Spanien – die weniger stark im Außenhandel präsent sind – weisen ähnliche hohe Finanzierungsvolumina aus. Die weniger bedeutende Position deutscher Kreditinstitute ist die Folge zahlreicher längerfristiger Trends bzw. reflektiert eine unterproportionale Beteiligung am polnischen Bankenmarkt. Deutsche Banken – mit Ausnahme der Commerzbank (mBank) – haben sich im Gegensatz zu anderen Branchen nicht in der Fläche auf dem polnischen Markt und dem dort vorherrschenden traditionellen Einlagen- und Kreditgeschäft etabliert. Zudem hat das Polen- und Osteuropageschäft im deutschen Bankensektor durch die Übernahme der Münchner HVB/Bank-Austria durch die italienische UniCredit an Relevanz bzw. strategischer Priorität verloren.
Die prominente Rolle von EU-Banken auf dem lokalen Markt hat ihre Ursache in einer im EU-Vergleich hohen Marktpenetration durch Banken mit Auslandskapital; letzteres ist der Ausdruck des hohen Finanzsektoranteils an den ADI. Banken mit Auslandskapital kontrollieren 60 % der polnischen Bankaktiva. Dieser Wert ist im EU-Vergleich hoch, obgleich kleinere mitteleuropäische Nachbarländer teils noch höhere Werte aufweisen. Das Gros der Markteintritte von Auslandsbanken erfolgte vor zehn bis 15 Jahren, zu Beginn der 2000er Jahre kontrollierten Auslandsbanken (mehrheitlich aus der EU) gar 70 % der polnischen Bankaktiva. Seitdem ist diese Quote leicht rückläufig und insofern zeichnen sich schon länger weniger aggressive Marktstrategien ausländischer Akteure ab. Dennoch haben wichtige westeuropäische Marktspieler selektiv noch in den letzten drei bis vier Jahren aktiv Zukäufe getätigt bzw. polnische Töchter von Auslandsbanken mit Schieflage im Heimatland (etwa von irischen oder griechischen Banken) übernommen. Trotz leicht sinkender Marktanteile von Auslandsbanken hat deren im EU-Schnitt immer noch hohe Bedeutung in den letzten Jahren eine zunehmend kritische Bewertung erfahren, eine "Re-Polonisierung" wurde gefordert. Sachlich betrachtet ist dies schwer nachzuvollziehen. Polen war in keinerlei Weise von einem Kapitalabzug durch westeuropäische Banken betroffen. Dennoch haben sich eine kritischere Haltung gegenüber dem Finanzsektor in der EU allgemein und Unsicherheiten in Bezug auf die Kapitalstärke westeuropäischer Banken mit Tochterbanken in Polen negativ auf die Stimmung gegenüber Auslandsbanken ausgewirkt. Angesichts dieser kritischen Haltung, eines barschen Politikgebarens gegenüber Banken im Allgemeinen und überraschend heftiger Gesetzesentwürfe und -änderungen, etwa bei der Besteuerung des Finanzsektors oder der Regulierung (z. B. eine mögliche "Zwangskonvertierung" von Fremdwährungskrediten wie in Ungarn bei Fehlen ähnlicher wirtschaftlicher und juristischer Gründe), wollen nun einige westeuropäische Marktspieler ihre Tochterbanken – vorrangig an polnische Investoren – verkaufen. Angesichts der wirtschaftspolitischen Unsicherheit und der gesunkenen Werthaltigkeit der Finanzsektor-Investitionen gestaltet sich dies schwierig, wobei jüngste Politikeingriffe nicht allein für diesen Trend verantwortlich sind. Auf dem polnischen Markt war schon länger eine Konsolidierung notwendig, operieren doch zu viele (ausländische) Kreditinstitute mit kleinen Marktanteilen und damit wenig nachhaltigen Gewinnmöglichkeiten. Das verschärfte regulatorische Umfeld für Banken in Europa im Allgemeinen und lokal hat den Konsolidierungsdruck nur erhöht.
Polen als Anlagedestination
Die solide gesamtwirtschaftliche Position und Konvergenz bei EWU-Kriterien (z. B. Inflation und Staatsschulden) erklärt, warum Polen sich in den letzten zehn Jahren als wichtige Destination für internationale und westeuropäische Anlagegelder in Staatsanleihen, auch aus Deutschland, etabliert hat. Diese Entwicklung ist beachtlich, da Polen vor der Öffnung und Liberalisierung der letzten 25 Jahre noch in den 1980er Jahren von massiven Finanzproblemen geprägt war – mit offizieller Staatspleite Anfang der 1980er Jahre. Die relative Attraktivität für internationale Anlagegelder wurde durch die erheblichen Rückschläge auf den Finanzmärkten und bei den Länderbonitätseinstufungen für große Teile der Eurozone – bei gleichzeitiger Stabilität auf dem polnischen Markt – in den letzten Jahren noch begünstigt. Bei jüngsten internationalen Emissionen des polnischen Staates in Fremdwährung (wie Euro) haben deutsche Investoren zwischen 30 und 45 % solcher Wertpapiere gezeichnet. Große Fondsgesellschaften aus Deutschland oder anderen Destinationen mit hohem Anlagebedarf des privaten Sektors oder öffentlicher Institutionen (z. B. Österreich, Schweiz, Luxemburg, Norwegen) sind wichtige Halter polnischer Staatsanleihen. Die Rolle als international anerkannter Schuldner hat es auch ermöglicht, dass Polen in den letzten Jahren seinen Anteil an Auslandsschulden bei der Staatsfinanzierung deutlich erhöht (von 25 % auf über 35 %) und sich hier extrem günstige Konditionen gesichert hat. Zudem hat die hohe internationale Nachfrage nach polnischen Anleihen es auch ermöglicht, zunehmend Zloty-Anleihen, zu günstigen Konditionen, bei Ausländern zu platzieren. Letzteres wurde auch durch die Verstaatlichung des privaten Rentensystems zunehmend wichtig, wobei bei den Gläubigern der in Zloty begebenen Staatsanleihen der Anteil von europäischen und deutschen Geldern kleiner ist als bei Anleihen in Fremdwährung, beim Außenhandel, bei den ADI oder im Bankensektor bzw. der Anteil von in Nordamerika oder Asien beheimateten Investoren deutlich höher ist. Deutsche Investoren halten nur etwa 5 % polnischer Zloty-Anleihen (Eurozonen- bzw. EU-Investoren "nur" 35–40 %), während US-Investoren oder Investoren aus Japan etwa 25 % bzw. 16 % der Zloty-Staatsanleihen besitzen. Diese international sehr breit aufgestellte Investorenherkunft zeigt exemplarisch die Stellung, die sich Polen global als solider internationaler Finanzmarkt erarbeitet hat.
Insgesamt ist der Anteil nicht-gebietsansässiger Halter von Staatsanleihen in den letzten Jahren stark angestiegen, und zwar von 36 % auf über 57 %, Zloty-Anleihen und Fremdwährungspapiere eingerechnet. Diese Quote ist im internationalen und europäischen Vergleich hoch, konnte so nur als EU-Mitglied aufgebaut werden (hier sind solche grenzüberschreitenden Investitionen bei Staatsanleihen höher als in anderen entwickelten oder aufstrebenden Länder außerhalb der EU) und ist – gerade in Zeiten globaler Marktunsicherheiten – ein Vertrauensbeweis. Allerdings ist der hohe Ausländeranteil, vor allem auch bei Zloty-Anleihen, auch die Folge der in den letzten Jahren verschärften Renditesuche internationaler Investoren. Solch spekulativ induzierter Kapitalzufluss erhöht die Verletzlichkeit bei globalen Marktschwankungen. Insofern ist es erklärbar, dass in Polen zunehmend kritische Stimmen diesbezüglich laut wurden, wobei sich ökonomisch-sachliche Argumentationen (z. B. Anfälligkeit bei globalen Schocks) mit nationalstaatlich orientierten Argumenten (Zinsen fließen "ungerechtfertigt" in Ausland ab) vermischen. Die hohe Beteiligung von Auslandskapital an der Staatsfinanzierung ist auch die Folge geringer heimischer Ersparnisse. Insofern sind Initiativen zur Steigerung der Absorptionsfähigkeit heimischer Investoren in Bezug auf polnische Staatsanleihen sinnvoll – solange sie in ein stimmiges Gesamtkonzept eingebettet sind und keine direkte Benachteiligung ausländischer Investoren implizieren.
In diesem Kontext ist es schwer zu bewerten, ob jüngste negative Äußerungen von EU-Institutionen bezüglich aktueller politischer und ökonomischer Initiativen sowie erste Herabstufungen deswegen bei internationalen Agenturen zur Bewertung der Länderkreditwürdigkeit eine bereits integrationsskeptischere Haltung weiter unterstützen oder als Warnsignal verstanden werden. Im Januar bzw. im Mai haben zwei der drei wichtigen Agenturen zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des polnischen Staates ihre Bewertung mit explizitem Verweis auf politisch-institutionelle Themen (und wirtschaftspolitische Implikationen) etwas überraschend gesenkt bzw. mit negativem Ausblick versehen – die ersten Herabstufungen der Länderbonitätsbewertung Polens seit dem Jahr 2003.
Wirtschaftsintegration und aktuelle politische Entwicklungen
Im Einklang mit einer zunehmenden Skepsis in Bezug auf die (ökonomischen) Vorteile der EU-Integration in Europa werden auch in Polen Binnenmarktaspekte kritischer betrachtet, etwa in einzelnen Sektoren oder in Bezug auf die ausländische Beteiligung bei Staatsanleihen. In der Rhetorik und bei Einzelmaßnahmen sind Parallelen zum Nachbarn Ungarn erkennbar. Auch hier haben sich teils ökonomische Argumentationen mit innenpolitisch opportunen bzw. populistisch antieuropäischen Erwägungen vermischt; teils wurden im EU-Kontext fragwürdige nationalstaatliche bzw. rein nationalökonomisch gedachte Strategien in einzelnen Wirtschaftssektoren umgesetzt (vor allem in Sektoren mit hoher Ausländerbeteiligung wie Banken oder große Einzelhändler). Allerdings haben diese (wirtschafts-)politischen Veränderungen dort (Extra-Besteuerung, Wiederverstaatlichung), im Gegensatz zu anfänglichen Befürchtungen, bis dato nicht zum drastischen Rückbau der EU-Binnenmarktintegration Ungarns geführt. Zudem war in Ungarn, als das Ziel zu einem gewissen Grad erreicht worden war (z. B. Reduktion der Ausländerbeteiligung im Bankensektor oder bei der Staatsfinanzierung), rasch eine Rückkehr zu einem gesunden Maß an ökonomischem Pragmatismus erkennbar; weniger allerdings im Politikbereich selbst. Die unmittelbaren ökonomischen Kosten der skizzierten wirtschaftspolitischen Interventionen in Ungarn waren eher gering, wobei mittelfristig und noch wirkende mittelbare Nebenwirkungen nicht geringzuschätzen sind (zunehmende wirtschaftliche und politische Machtkonzentration, steigende Bedeutung von regierungsnahen Firmen und Wirtschaftsbossen bzw. intransparenten Netzwerken, Verstrickung der Notenbank in die Staatsfinanzierung und intransparente Stiftungsfinanzierungen). Auch im Falle Österreichs war die Belegung mit de facto politischen EU-Sanktionen nach einem international skeptisch aufgenommenen Mitte-Rechts Regierungswechsel im Jahr 2000 für die Wirtschaft unmittelbar wenig folgenreich; doch wurde auch hier in dieser Periode der Grundstein für einige mittelbar schädliche Entwicklungen gelegt (z. B. überaggressive Expansion einer staatsnahen Bank, dubiose Privatisierungsgeschäfte).
Angesichts der skizzierten Beispiele Ungarn und Österreich erscheint es angezeigt, vorsichtig mit überzogen Annahmen über kurzfristig wirksame, negative ökonomische Implikationen aktueller Entwicklungen in Polen zu agieren. Zumal auch in Polen (wie in Ungarn) ein Eigeninteresse besteht, auf umfangreiche und bereits zugesagte EU-Gelder zurückgreifen zu können. Dabei ist ein direkter Vergleich mit Ungarn jedoch mit Vorsicht zu betrachten. In Ungarn hat die nationalkonservative Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán das Land nach einem wirtschaftlichen Niedergang stabilisiert, in Polen ist die Situation anders gelagert. Hier droht eine schleichende Verschlechterung von hohem Niveau. Das mittelfristige Enttäuschungspotential für Investoren in solch einer Konstellation ist höher. Und im Falle fortwährender Enttäuschungen von Investorenerwartungen droht durchaus das Risiko sich selbst verstärkender Entwicklungen. Das heißt, Kapitalabflüsse und deren Folgen könnten weitere integrationsskeptische wirtschaftspolitische Schritte nach sich ziehen, was weiteren Vertrauensverlust und erneute Kapitalabflüsse induzieren kann und schließlich noch mehr Integrationsskepsis. Solch ein Prozess kann angesichts des hohen Grades der Banken- und Finanzmarktintegration Polens sowie der doch fortgeschrittenen Sophistizierung der polnischen Finanzmärkte zu spürbaren kurzfristigen Marktverwerfungen führen, zumal, wie zuvor skizziert, auch in Polen das Risiko mittelfristig negativer mittelbarer Folgewirkungen besteht, etwa durch politisch motivierte Neubesetzungen aus gewissen Netzwerken in staatsnahen Wirtschaftsbereichen oder dubiose Reprivatisierungsgeschäfte.
Für eine aus analytischer Perspektive angezeigte Rückkehr zu mehr wirtschaftspolitischem Pragmatismus wird entscheidend sein, ob das politische und wirtschaftliche System bei der Implementierung einiger hektischer Aktionen mittelfristig über hinreichende Korrektur- und Kontrollmechanismen verfügt, um Ansätze der aktuellen Regierung im politischen Prozess hinreichend korrigieren zu können, denn die äußerst enge Integration Polens in den EU-Binnenmarkt und die internationalen Finanzmärkte hat sicherlich zum Aufschwung der polnischen Wirtschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten beigetragen. Insofern wäre eine nachhaltig den Kerngedanken des EU-Binnenmarktes entgegengesetzte nationalstaatlich orientierte Wirtschaftspolitik wenig zielführend. Ohne massive Kapitalzuflüsse und Investitionen (vor allem aus Westeuropa), die auf eine risikoadäquate Kapitalverzinsung abzielen, sowie ohne die genutzte Chance, in einem besonderen wirtschaftshistorischen Zeitfenster zur ersten EU-Osterweiterungsrunde gehört zu haben, wäre der Wohlstand Polens heute kaum auf dem aktuellen Niveau. Nachzügler beim EU-Beitritt (Rumänien, Bulgarien, Kroatien) haben es schwerer, gleiche Investitionssummen wie die Länder der Beitrittsrunde im Jahr 2004 anzuziehen. Hinzu kommt, dass es Polen geschafft hat, sich in den letzten Jahren (auch gegenüber der asiatischen Konkurrenz) als globaler und in der EU relevanter outsourcing-Standort zu etablieren. Somit ist durchaus eine sinnvolle Weiterentwicklung der EU-Binnenmarkintegration (von der "Lohnkostenarbitrage" bzw. der "verlängerten Werkbank") zu höherwertigen und zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen, mit Strahlkraft über Warschau hinaus, im Gange. Bis dato ist das Vertrauen in Polen als Wirtschaftsstandort noch nicht nachhaltig erschüttert, wie etwa das jüngste Vorhaben des deutschen Großkonzerns Daimler/Mercedes (in diesem Jahr wurde verkündet, für ein neues Motorenwerk in Polen 500–800 Millionen Euro zu investieren) oder beispielsweise Fortschritte im A.T. Kearney "Global Services Location Index" für das Jahr 2016 zeigen. In diesem Kontext gilt es nicht zu vergessen, dass Polen nicht immer gesetzter Kandidat der EU-Erweiterungsrunde des Jahres 2004 war, aber in Deutschland und gerade in der deutschen Wirtschaft einen starken Fürsprecher hatte. Auch aus breiter integrationspolitischer Perspektive sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass jüngste Finanzmarkt- bzw. Bankenkrisen in der EU bzw. EWU die langfristigen Risiken von rein national aufgestellten bzw. wenig diversifizierten Finanzsystemen mit enger Verflechtung zum eigenen Staat bei fehlender pan-europäischer Solidarität bzw. Absicherung aufgezeigt haben. Insofern kann es sich langfristig für Polen negativ auswirken, wenn die EU-Binnenmarktintegration zu sehr zurückgedreht wird.
Eine positive gesamtwirtschaftliche Sicht auf die EU-Integration Polens darf indes auch nicht berechtigte integrationspolitische und sozialpolitische Bedenken klein reden (z. B. massive soziale Ungleichheiten, das Gefühl, wenig am Außenhandelsboom zu partizipieren, bzw. Befürchtungen, vom EU-Binnenmarkt würden vor allem multinationale Firmen profitieren), die sich in der EU insgesamt und gerade auch in EU-Transformationsstaaten wie Polen in den letzten Jahren verstärkt haben. Solche Bedenken werden in Ländern wie Polen gern von bestehenden starken nationalkonservativen Bewegungen instrumentalisiert.
Die Polen-Analysen werden gemeinsam vom Deutschen Polen-Institut Darmstadt, der Bremer Forschungsstelle Osteuropa und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde herausgegeben. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veröffentlicht sie als Lizenzausgabe.