Die Jahreswende 2012/2013 war der Zeitpunkt, zu dem von der Spitze der katholischen Kirche Worte der Kritik, sogar der Verdammung des Gender geäußert wurden, d. h. der "neuen Philosophie der Sexualität", wie es Papst Benedikt XVI. seinerzeit genannt hat. Diese Worte äußerte er vor Weihnachten 2012 bei seiner traditionellen Ansprache an die Kardinäle und Bischöfe. Die besondere Kritik des Papstes riefen der Terminus Gender und die Gender-Perspektive deshalb hervor, weil sie die Aufmerksamkeit auf die gesellschaftliche und kulturelle Prägung des Geschlechtes richten, was nach Ansicht des Papstes der von den Katholiken geteilten Auffassung widerspricht, die Geschlecht als "ursprüngliches Faktum der Natur" behandelt und nicht als Identität, die in einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext geschaffen wird. Der Papst stellte fest, dass Gender, d. h. derjenige Zugang zum Geschlecht, der auf dessen soziale und kulturelle Prägung verweist, im Widerspruch zur Lehre der katholischen Kirche stehe, die die Tatsache der Erschaffung des Menschen durch Gott betont: "Dort, wo die Freiheit des Tuns zur Freiheit sich selbst zu erschaffen wird, kommt es unvermeidlich zur Negierung des Schöpfers selbst." Der Papst muss dieses Problem für ungewöhnlich wichtig gehalten haben, denn noch einen Monat vor seinem Rücktritt sagte er: "Die Kirche wiederholt ihr großes 'Ja' zur Würde und Schönheit der Ehe als treuem und fruchtbarem Ausdruck des Bundes zwischen Mann und Frau und ihr 'Nein' zu solchen Philosophien wie 'Gender'."
Diese Botschaft traf auf unterschiedliche Reaktionen der Episkopate und einzelner Bischöfe in verschiedenen Ländern. Der spanische Episkopat erarbeitete einen langen und detaillierten Brief in ähnlichem Ton – er verurteilte Gender und sah darin die Verursachung von gesellschaftlichen Veränderungen und aller Art gesellschaftlichen Übeln, darunter der Sexualisierung der Kultur, dem Verfall der Familie, der demographischen Krise, dem Wandel der Männlichkeit und wesentlichen kulturellen Veränderungen. Der polnische Episkopat bereitete einen Hirtenbrief für den Sonntag der Heiligen Familie [das ist der erste Sonntag nach Weihnachten, Anm. d. Übers.] 2013 vor, in dem er vor dem "Bösen" warnte, das, wie es hieß, mit der "Genderideologie" verbunden sei. In dem Brief wurde festgestellt, dass die Wurzeln der "Genderideologie" im Marxismus und Neomarxismus lägen, darüber hinaus "vertritt sie Grundsätze, die mit der Realität und einer integralen Auffassung der Natur des Menschen vollkommen im Widerspruch stehen". Weitere Warnungen vor Gender bezogen sich auf die Möglichkeiten der – wie es hieß – freien Wahl des Geschlechtes und der sexuellen Orientierung sowie auf die Gründung "eines neuen Typs von Familie, aufgebaut beispielsweise auf Beziehungen homosexuellen Charakters". Der Brief enthält darüber hinaus einen Appell: "Wir appellieren auch an die Institutionen, die für die polnische Bildung verantwortlich sind, dass sie nicht dem Druck weniger, aber sehr lautstarker Milieus unterliegen, die über nicht geringe Geldmittel verfügen und im Namen der modernen Erziehung Experimente mit Kindern und mit der Jugend durchführen. Wir rufen die Bildungsinstitutionen auf, dass sie sich für die Unterstützung der integralen Vision des Menschen engagieren."
Der Brief traf auf sehr unterschiedliche Reaktionen in der katholischen Kirche selbst. Gewöhnlich werden solche Briefe in der Kirche verlesen – in diesem Falle zeigte sich, dass viele Bischöfe Vorbehalte hatten. Es wurde daher eine kürzere Version erstellt und darüber hinaus unterstrichen, dass die Entscheidung über das Verlesen des Briefes den Diözesanbischöfen obliege. Manche von ihnen haben schlichtweg nicht empfohlen, ihn zu verlesen, überließen aber "seinen Inhalt zur seelsorgerlichen Nutzung". Der Brief der Bischöfe rief in Polen große Aufregung hervor. Manche Priester unternahmen einen Angriff auf die "Genderideologie". Kritisiert wurden insbesondere Kindergärten, in denen die Erziehung zur Gleichstellung der Geschlechter praktiziert wird. Konservative Stadt- und Kreisräte forcierten in manchen Stadt- und Kreisräten einen Beschluss gegen die "Genderideologie". In vielen kirchlichen oder kirchennahen Einrichtungen wurden Treffen organisiert, die vor der "Genderideologie" warnten. Die "Bibel" der Gender-Gegner wurden die Arbeiten zweier Kritikerinnen des Gender, und zwar der deutschen Soziologin Dr. Gabriele Kuby und Marquerite A. Peeters (Brüssel). Frau Kuby nahm an vielen Treffen zum Thema persönlich teil, und die Arbeiten beider Autorinnen wurden ins Polnische übersetzt. Ihre Argumente nutzten Priester, die sich auf öffentliche Auftritte in Sachen Genderbekämpfung sozusagen spezialisiert haben.
Es fanden sich auch Politiker, die aus der Bekämpfung der "Genderideologie" versuchten, politisches Kapital zu schlagen: Beispielsweise rief die von politischer Marginalisierung nach den kommenden Wahlen bedrohte Abgeordnete Beata Kempa die Parlamentarische Gruppe "Stopp der Genderideologie!" ins Leben. Zwar sind zahlreiche der 139 Parlamentarischen Gruppen eher Interessengruppen, die sich zum Beispiel mit der Förderung von Rasenhockey befassen, aber es gibt auch solche, die einen sehr viel ernsthafteren Charakter haben, wie die Parlamentarische Gruppe für Angelegenheiten von Menschen mit Behinderungen. Die Parlamentarische Gruppe "Stopp der Genderideologie!" hat ein eindeutig politisches Ziel, sie ist der Versuch, politisch in Erscheinung zu treten dank einer markanten Botschaft, die mit der aktuellen Botschaft der Kirche, insbesondere einiger katholischer Priester, übereinstimmt. An die Spitze der Gruppe stellte sich eine Abgeordnete, die im ganzen Land Treffen mit Einwohnern organisiert, auf denen vor der "Genderideologie" gewarnt wird.
Auf der anderen Seite gab es Proteste gegen den Brief der Bischöfe und generell gegen die Gefahren, die dieser Brief und die ganze "Antigender-Aktion" bedeuteten. Der Protest und die Kritik gingen in zwei Hauptrichtungen: Bedroht sei die Freiheit der Wissenschaft und Forschung und bedroht sei die Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere die Erziehung zur Gleichberechtigung. Den schärfsten offenen Brief angesichts der angenommenen Bedrohungen für die Wissenschaft durch den Brief der Bischöfe veröffentlichten Anfang Januar 2014 Professoren der Sozialwissenschaften. Hier hieß es u. a.: "Die Kirche, die die Verdienste der Sozialwissenschaften in Frage stellt und in epistemologische und methodologische wissenschaftliche Auseinandersetzungen – bewusst oder unbewusst – eingreift, schafft eine Gefahr für die Freiheit wissenschaftlicher Forschung. Das weckt unsere Beunruhigung und unseren Einspruch. Der Dialog zwischen der Ordnung des Glaubens und der Ordnung des Verstandes erfordert gegenseitige Achtung und die Anerkennung der Autonomie von beiden." Der Brief wurde sowohl von Professoren, die sich mit Gender Studies beschäftigen, unterzeichnet als auch von denen aus anderen Bereichen, die in dieser Vorgehensweise der Kirche eine größere Gefahr für die Wissenschaft sehen.
Ein weiterer offener Brief, ebenfalls von vielen Wissenschaftlern unterschrieben, wurde an Ministerpräsident Donald Tusk gerichtet. Man wandte sich an ihn zwecks Erläuterung "der Haltung der Regierung der Republik Polen angesichts der gesellschaftliche Beunruhigung auslösenden Kampagne gegen die 'Genderideologie' im Zusammenhang mit den Verpflichtungen Polens, die Gleichheitspolitik umzusetzen". Hingewiesen wurde auf die Tatsache, dass die Sprache dieser Kampagne als Hasssprache bezeichnet werden könne und dass eine solche Art Kampagne Angriffe auf Wissenschaftler, Sozialpolitiker, Multiplikatoren, Lehrer und andere Personen, die Gleichheitsprogramme durchführen, nach sich ziehen können. "In dieser Situation wenden wir uns an Sie als Ministerpräsidenten mit der Bitte, den Standpunkt der Regierung in Sachen Gleichheitspolitik zu erläutern", hieß es im Brief.
Einen Brief mit einer ganz anderen Intention richtete der konservative Senator Kazimierz Jaworski an die Ministerin für Wissenschaft und Hochschulwesen. Er fragte, ob das Ministerium "die sogenannten Gender Studies tatsächlich für Wissenschaft hält oder nur für eine weltanschauliche Infizierung polnischer Hochschulen mit einer kulturell destruktiven Ideologie". In der Antwort erläuterte Ministerin Lena Kolarska-Bobińska, dass die Gender Studies " sich auf gesellschaftliche und kulturelle und nicht biologische Erscheinungen beziehen. Eine Barriere gegen eine Ideologisierung der Wissenschaft stellen die Methodologie, die Überprüfbarkeit der aufgestellten Thesen und die Bewertung durch unabhängige wissenschaftliche Kreise dar". Sie erklärte auch, dass das Ministerium für Wissenschaft und Hochschulwesen die Politik der Gleichberechtigung der Geschlechter unterstütze und weiter unterstützen werde, wozu auch europäische operative Programme gehörten, und unterstrich, dass die Zurückweisung der Prinzipien der Gleichberechtigung der Geschlechter es den polnischen Wissenschaftlern unmöglich machen würde, EU-Mittel zu nutzen.
Sowohl der Brief der Bischöfe selbst als auch die Reaktion auf denselben erregten also in Polen großes Aufsehen. Debatten und Meinungsstreit hörten über viele Wochen nicht auf. Treffen, Diskussionen, Seminare und Vorträge zum Thema Gender wurden in katholischen Kirchen und von Organisationen von Geschäftsfrauen organisiert, im Sitz des Episkopats und im Parlament, in Hochschulen und Schulen, in protestantischen Kirchen und im Rahmen wissenschaftlicher Konferenzen. Daher stellt sich die Frage, warum die Auseinandersetzung gerade in Polen eine so scharfe Form angenommen hat – schließlich ist Polen nicht das einzige Land, in dem die Katholiken die Mehrheit stellen. In anderen Ländern kam es allerdings nicht zu einem derartigen Echo und Meinungsstreit. Für den Versuch einer Antwort muss der vielschichtige Kontext der Debatte nachgezeichnet werden, wozu die Rechte der Frauen und der Einfluss der Systemtransformation auf dieselben, die Frauenbewegung und ihre Aktivierung in den letzten Jahren und schließlich die katholische Kirche in Polen mitsamt ihrer sich verändernden Haltung und ihren inneren Differenzierungen gehören.
Die Rechte der Frauen und der Einfluss der Systemtransformation in Polen
Experten, die die Entwicklung der Frauenrechte in Polen seit dem Beginn der Transformation analysiert haben, gab das Problem des backlash zu denken, der aufgetreten war, bevor noch ein bedeutender Fortschritt in diesem Bereich eingetreten ist (Fuszara 1991). Dieses Problem ergibt sich zu einem gewissen Grade daraus, dass wir den Fortschritt im Bereich der Frauenrechte als linearen betrachten, in der Überzeugung, dass die einmal erlangten Rechte nicht verloren werden können. Sicherlich deshalb haben Frauen in Polen und in vielen anderen postkommunistischen Ländern die Regelungen, die hier vor 1989 eingeführt worden waren, wie zum Beispiel die staatliche Finanzierung von Kinderkrippen und Kindergärten, das Recht auf Abtreibung und die Erwerbsarbeit für Frauen, nicht als Errungenschaften auf dem Feld der Frauenrechte behandelt, sondern als gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, über die niemand diskutiert und die man den Frauen nicht nehmen kann. Nach 1989 zeigte sich jedoch, dass es anders ist; viele Erfolge im Bereich der Gleichberechtigung wurden in Frage gestellt und in einer Weise uminterpretiert, die erlaubte, sie rückgängig zu machen. Es sei daran erinnert, dass die grundlegenden Unterschiede in der rechtlichen Situation von Frauen und Männern in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg sozusagen "von heute auf morgen" mit der Einführung des neuen Systems verschwanden (Zielińska 2002). Informationen darüber, dass in manchen Ländern Westeuropas noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg getrennte Gehaltstabellen für Männer (höhere Gehälter) und Frauen (niedrigere Gehälter) bestanden, dass Frauen in der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich nicht ohne Einverständnis des Ehemannes ein Bankkonto eröffnen oder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen konnten und erst solche Rechte erkämpfen mussten, haben viele Polinnen eher als Propaganda gegen den Kapitalismus denn als Information über die Wirklichkeit aufgefasst. In Polen dagegen, ähnlich wie in anderen Ländern dieser Region, wurden Programme zur beruflichen Aktivierung von Frauen ins Leben gerufen, Krippen und Kindergärten finanziert, der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter in der Verfassung verankert, der Schutz für arbeitende Mütter eingeführt sowie eine rechtliche Regulierung, die den recht freien Zugang zu Abtreibung ermöglicht. Die erlangten Rechte wurden von den Polinnen als Selbstverständlichkeit betrachtet, die allenfalls eine Verbesserung erforderte, aber bestimmt nicht eine Infragestellung. Daher wurde mit großer Verwunderung die Tatsache aufgenommen, dass eines der ersten Reformprojekte im Jahr 1989 der Versuch war, ein Verbot der Abtreibung einzuführen; dieses Projekt stieß im Übrigen auf massenhafte Proteste. Verwirrung rief auch die Tatsache hervor, dass das Projekt von der katholischen Kirche forciert wurde, die in der Phase des kommunistischen Systems die Opposition in Polen stark unterstützt, ihr Schutz gegeben und häufig ihre Sicherheit garantiert hatte.
Es musste einige Zeit vergehen, bis man begann, die Veränderungen im Bereich der Frauenrechte als Teil des neoliberalen Transformationsprojektes zu interpretieren. Aus verschiedenen Gründen beinhaltete dieses Projekt auch die Rückkehr des traditionellen Musters von Weiblichkeit und Männlichkeit und der Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Die Gründe für diese Rückkehr waren komplex: Zum einen wurden die Errungenschaften im Bereich der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Situation der Frauen als Teil der "kommunistischen Ideologie" dargestellt und vorgeschlagen, sich ihrer zusammen mit dem "alten System" zu entledigen. Der andere Grund war, dass in Polen das Modell des ökonomischen Liberalismus in extremer Form umgesetzt wurde und dabei die fiskalischen Argumente als die wichtigsten offenbar wurden. Durch die Auflösung von Krippen und Kindergärten konnte man sparen und die Kinderbetreuung in Gänze der Familie übertragen, was in der Praxis bedeutete, dass sich die Frauen kümmerten. Seltener wurde das Argument der "Funktionalität" in Bezug auf die zu Hause bleibenden Frauen angeführt, es tauchte aber auch in den Aussagen extremer Liberaler auf: Dadurch, dass sie vom Arbeitsmarkt abgezogen würden, verringere sich die Arbeitslosigkeit und gleichzeitig werde die Betreuung von Kindern und anderen abhängigen Personen privatisiert. "Der antifeministische und gegen Frauen gerichtete Zug der Transformation war ein Teil der neoliberalen Veränderungen […] in Bausch und Bogen wurden alle Elemente des Sozialstaates und folglich auch die Rechte der Frauen abgelehnt" (Graff 2013, S. 12). In den Aussagen mancher Politiker tauchte auch ein ideologisches Lob für die konservative Weltordnung auf, in der, entsprechend den Grundsätzen der Funktionalisten, die Familie dann am besten ihre Funktion für sich selbst und für die Gesellschaft erfüllt, wenn die Frauen zu Hause bleiben und sich um die Familie kümmern, während die Männer berufstätig sind und sich in der "öffentlichen" Sphäre verwirklichen.
Auf längere Sicht war die schlichte Zurückweisung der Frauenrechte allerdings nicht möglich. Als Antwort auf diesen konservativ-neoliberalen Diskurs entstanden relativ viele Frauen-Nichtregierungsorganisationen in Polen, die die Frauenrechte verteidigten, und später kam den Frauen und dem Grundsatz der Gleichstellung der Geschlechter der Beitritt Polens zur Europäischen Union zu Hilfe. Während der Diskussion über die Implementierung des EU-Rechtes veränderte sich die Interpretation mancher Ideen: Die Analyse parlamentarischer Diskussionen ergab, dass das, was früher als "feministisches" Projekt kritisiert worden war, in der Debatte über die Umsetzung der EU-Direktiven als Teil der langen polnischen pro Gleichberechtigungstradition anerkannt wurde, zu der gehört, dass Frauen das Wahlrecht bereits relativ früh erhalten haben, nämlich im Jahr 1918 (Fuszara 2007).
Es mussten allerdings zwanzig Jahre vergehen, bis die Debatte über und der Druck zugunsten der Einführung der Geschlechtergleichstellung und frauenfreundlicher Lösungen in Polen eine andere Qualität annahmen und Wirkkraft erlangten. Das Phänomen, was damals begann, ist der Frauenkongress (Kongres Kobiet). Zunächst sollte er eine Gelegenheit für Frauen sein, zwanzig Jahre Transformation zu würdigen. Den Anstoß dazu gab die Frustration von Frauen, die sich ihres symbolischen Ausschlusses bewusst geworden waren, der darin bestand, dass zwar zahlreiche Seminare, Symposien und andere Formen angeboten worden waren, um den 20. Jahrestag der Transformation in Polen zu begehen, dass aber bei diesen Veranstaltungen die aktive Rolle der Redner, Zeitzeugen und Geehrten fast ausschließlich Männer gespielt hatten. Den Frauen dagegen war die Rolle der Zuhörerinnen der männlichen Narrativs zugewiesen worden. Die als Zuhörerinnen eingeladenen Frauen wiesen diese Rolle nicht nur zurück, sondern beschlossen auch, eigene Veranstaltungen zu organisieren – zunächst deutlich bescheideneren Ausmaßes, mit der Zeit aber entstand die Idee, ein gesamtnationales Ereignis zu organisieren, das an die Frauenzusammenkünfte im 19. und 20. Jahrhundert auf polnischem Gebiet anknüpfte. Der Frauenkongress wurde von Frauen aus vielen unterschiedlichen Milieus organisiert, die vorher nicht zusammengearbeitet hatten. Teilnehmerinnen waren Feministinnen und Frauen, die in der polnischen Frauenbewegung aktiv waren, Geschäftsfrauen und Hausfrauen, Schauspielerinnen, Regisseurinnen, Journalistinnen und Schriftstellerinnen sowie Professorinnen und Frauen, die in der Europa-, Landes- oder Lokalpolitik aktiv waren. Zum I. Kongress im Jahr 2009 kamen über 4.000 Frauen, und die Zahl der Teilnehmerinnen nahm bei jedem weiteren zu. Beim letzten, im Jahr 2013, nahmen zirka 9.000 Frauen teil. Dieser Kongress ist nicht nur deshalb ein Phänomen, weil so viele Frauen aus sehr unterschiedlichen Kreisen an ihm teilnehmen, sondern auch wegen seines ausdifferenzierten Charakters und seiner mannigfaltigen Aktivitäten: Er ist zugleich Frauenbewegung und wissenschaftliche Konferenz, Schulung und Lobbying, er tritt als zentrales Format als jährlicher Kongresses in Warschau in Erscheinung und in lokalen Ausprägungen im täglichen Handeln und in Form von regionalen Kongressen, er ist gleichzeitig Diskussion und Handlung. Aus ihm ging ein "Schattenkabinett" mit "Ministerinnen" hervor, die für Frauenrechte und frauenfreundliche soziale und rechtliche Lösungen eintreten und die jedes Jahr vom Ministerpräsidenten zu einem Treffen eingeladen werden, um aktuelle Angelegenheiten zu besprechen, an deren Verwirklichung der Frauenkongress interessiert ist. Während der letzten vier Frauenkongresse nahm der Ministerpräsident zu konkreten Fragen und Forderungen Stellung, manche seiner Antworten stießen auf die Zustimmung des Saales, andere auf laut geäußerte Unzufriedenheit.
Die Liste der Forderungen eines jeden Kongresses ist sehr lang, aber eine der Hauptforderungen war die auf dem I. Kongress angenommene Forderung nach Einführung der Parität auf den Wahllisten. Die Teilnehmerinnen waren der Überzeugung, dass die Präsenz von Frauen in politischen Gremien die grundlegende Bedingung für die Unterstützung der Gleichberechtigung ist. Dies war nicht das erste Projekt dieser Art in Polen. Seit Mitte der 1990er Jahre waren mehrere Gesetzesentwürfe zum gleichen Status von Frauen und Männern an das Parlament gerichtet worden, die auch die Einführung eines Quotensystems vorsahen. Es war jedoch nie gelungen, eines dieser Gesetzesprojekte zu verabschieden. Dieses Mal bezog sich das Projekt aber nur auf die Parität auf den Wahllisten. Auch die Strategie seiner Einführung war eine andere. Der Frauenkongress entschied sich für den Versuch, ein "Bürgergesetzesprojekt" einzubringen, was bedeutete, dass mindestens 100.000 Unterschriften zur Unterstützung gesammelt werden mussten. Dieses Vorgehen war insofern sehr riskant, als der Frauenkongress über kein flächendeckendes Netzwerk verfügte, das notwendig für die Durchführung solcher Aktivitäten war – meistens werden "Bürgerprojekte" von Komitees, die mit der katholischen Kirche, politischen Parteien oder Gewerkschaften verbunden sind, eingereicht, die auf ein ausgebautes Netzwerk zurückgreifen können, – daher war das Ergebnis dieser Aktion schwer vorherzusehen. Die Unterschriften wurden überall gesammelt, in Einkaufszentren, Theatern, Hochschulen, Museen, am Arbeitsplatz und auf der Straße. Häufig wuchs die Aktion zu einer Debatte über die Gleichstellung aus, sie war also auch eine Art der Verbreitung der Idee der Gleichberechtigung der Geschlechter. Sie erhielt große Unterstützung von Personen aus unterschiedlichen meinungsbildenden Kreisen – von Journalisten, die sich ihr anschlossen, indem sie darüber berichteten oder sogar Unterschriften sammelten, von Schauspielerinnen, die kostenlos für die Unterstützung des Projektes warben, von Managern von Einkaufszentren, die ihre Zustimmung gaben, dass dort Unterschriften gesammelt werden durften. Die Aktion endete mit einem Erfolg – zum festgesetzten Termin waren über 150.000 Unterschriften gesammelt worden. Im Laufe der Arbeiten im Parlament legten die Abgeordneten die Parität auf eine Quote von 35 Prozent fest, und in dieser Form wurde dank der starken Unterstützung der regierenden Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), die das Projekt nicht nur unterstützte und ihren Koalitionspartner davon überzeugte, sondern auch Parteidisziplin bei der Abstimmung durchsetzte, die Quote verabschiedet. Aktuell wird daran gearbeitet, dass die bestehende Quote in Parität geändert wird und um das System der alternierenden Besetzungen der Wahllisten ergänzt wird.
Ein Brief des Frauenkongresses an den Papst und seine Folgen
Der Frauenkongress konnte natürlich nicht gleichgültig gegenüber den Attacken auf die "Genderideologie" bleiben, ist dies doch auch eine Angriff auf die Gleichstellung der Geschlechter und damit auch auf die Forderungen des Frauenkongresses und seine Erfolge. Die lauteste und gleichzeitig kontroverseste Reaktion war, dass ein Brief an den jetzigen Papst Franziskus geschickt wurde. "Wir, Frauen, die dem Frauenkongress angehören, der größten sozialen Bürgerbewegung in Polen, schreiben an Seine Heiligkeit, da wir über den präzedenzlosen Angriff auf die Rechte der Frauen und die Ideale der Gleichstellung, der von manchen hohen Würdenträgern der Katholischen Kirche in Polen organisiert wird, empört sind", hieß es im Brief. Erinnert wurde u. a. an den "Brief an die Frauen" von Papst Johannes Paul II., in dem er von seiner Bewunderung "für die Frauen, die für die grundlegenden sozialen, ökonomischen und politischen Rechte gekämpft haben", schrieb, umso mehr, als "ihr triftiges Engagement als Verstoß, als Zeichen des Fehlens von Weiblichkeit und sogar als Sünde erachtet wurde" (Brief an die Frauen/List do Kobiet, 6). Hinzugefügt wurde die Aussage Johannes Pauls II.: "Eine drängende Angelegenheit ist, in allen Länder die tatsächliche Gleichberechtigung der Rechte der Person zu erlangen, d. h. gleiche Löhne für die gleiche Arbeit, Fürsorge für arbeitende Mütter, die Möglichkeit des beruflichen Aufstiegs, die Gleichstellung der Ehepartner." (Brief an die Frauen/List do Kobiet, 4). Der Brief des Frauenkongresses endete mit der Frage: "Was soll man tun, um die Welle des Hasses gegenüber den Anhängern und Anhängerinnen der Gleichstellung und Gerechtigkeit in Polen zu stoppen?" (www.kongreskobiet.pl).
Die Reaktionen auf den Brief waren heftig. Rechtskonservative Kreise, insbesondere diejenigen, die der katholischen Kirche nahe stehen, brachten vor allem ihre Entrüstung und ihr Misstrauen zum Ausdruck. Es wurde versucht, den Brief herunterzuspielen oder sogar lächerlich zu machen, man gab sich überzeugt, dass der Papst keinen Brief von Feministinnen lesen werde. Aber es zeigte sich auch deutliche Unruhe. Die Gesellschaft Fides et Ratio warnte den Papst in einem eigenen Brief, dass der Frauenkongress nur einen geringen Prozentsatz der polnischen Frauen repräsentiere, die außerdem nicht gläubig seien. Ihren Widerspruch gegen den Brief des Frauenkongresses brachten die Polnische Föderation der Bewegungen für den Schutz des Lebens und rechte Abgeordnete beiderlei Geschlechtes zum Ausdruck.
Der Brief spaltete auch das feministische Milieu. Auf der einen Seite standen die Feministinnen, die die Idee, sich an den Papst zu wenden und die Möglichkeit, mit den Katholikinnen eine Verständigung auszuhandeln, verwarfen: "Ich bin eine absolute Gegnerin davon, so zu tun, als ob wir gemeinsame Werte, als ob wir eine gemeinsame Basis hätten. Wir, eine emanzipatorische Bewegung in Polen, und der Vatikan. Was ist die Grundlage, einen solchen Brief in der Annahme zu schreiben, dass wir irgendwelche gemeinsamen Werte haben?", fragte Dr. Bożena Umińska-Keff. Eine andere Meinung präsentierte eine andere bekannte Feministin, Dr. Agnieszka Graff. Sie war der Meinung, dass die Suche nach Möglichkeiten gemeinsamen Handelns unerlässlich sei: "[…] die These, dass der Abgrund zwischen dem Katholizismus und dem Feminismus eine grundsätzliche Kluft ist, ist für den Feminismus eine selbstmörderische Denkungsart. […] Ich bin eine Feministin, die eine Massenbewegung der Frauen in Polen will. Mich interessiert ein Feminismus als eine Nischenbewegung in wissenschaftlichen Institutionen nicht – um den geht es nicht. Deshalb ist der Kathofeminismus für mich nicht eine Aneignung, sondern eine Chance." (www.genderstudies.pl).
Zur Verwunderung und deutlichen Unzufriedenheit konservativer Kreise wurden die Unterzeichnerinnen des Briefes zu einem Gespräch mit dem apostolischen Nuntius in Polen eingeladen. Der Nuntius versicherte, dass der Papst den Brief nicht nur gelesen hat, sondern dass er für ihn auch ein Impuls sei zu überlegen, was man ändern könne. "Wenn man zusammenfassen wollte, was uns der Nuntius in einer Stunde Gesprächs übermittelte, dann kann man es so sagen: Frauen haben die gleichen Rechte und die katholische Kirche wird alles dafür tun, dass Frauen gut behandelt werden, dass sie ihre Rechte nutzen, dass die Rechte der Frauen gewahrt werden", informierte die Vorsitzende der Gesellschaft Frauenkongress, Dorota Warakomska (www.kongreskobiet.pl).
In der letzten Zeit sind die Attacken der katholischen Kirche in Polen auf Gender deutlich schwächer geworden. Dies kann natürliche viele Ursachen haben, u. a., dass der Standpunkt von Papst Franziskus beim Thema Gender, ähnlich wie in vielen anderen Bereichen, anders zu sein scheint als der von Papst Benedikt XVI.; zumindest ist seine Absicht deutlich, Frauen aus unterschiedlichen Milieus nicht in Gegnerschaft zueinander zu bringen. Es ist also eine Veränderung an der Spitze der hierarchisch strukturierten katholischen Kirche eingetreten, und die Reaktion auf den Brief des Frauenkongresses, der zur Suche nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit aufruft, wurde den polnischen Priestern kommuniziert.
Was uns die Geschichte lehrt
Aus der hier dargestellten Geschichte des Konfliktes über Gender resultieren einige Ergebnisse. Vor allem wird die Notwendigkeit bestätigt, eine starke Frauenbewegung aufzubauen. Ohne ihre Entwicklung und ihre Aktivität lassen sich weder die Gleichstellung der Geschlechter erkämpfen noch die erkämpften Errungenschaften verteidigen. Die Frauenbewegung muss jedoch mit dem kulturellen Kontext rechnen, in dem sie handelt – und diesen Kontext stellt in Polen der starke Einfluss der katholischen Kirche dar, die aufgrund dessen, dass sie dem kommunistischen Einfluss widerstand und eine Zuflucht für die Opposition war, in Polen außerordentlichen Einfluss auch politischer Art erlangt hat. Aber auch die Kirche muss mit dem Kontext rechnen, in dem sie handelt. Die polnische Gesellschaft verändert sich – insbesondere in den großen Städten besuchen immer weniger Menschen die Kirche. Unlängst haben Gläubige die sehr politische Predigt eines Priesters unterbrochen. Die Kirche, die in Polen immer sehr differenziert war, differenziert sich immer weiter aus. Sie hat einen konservativen Flügel, der sich für die Bekämpfung der "Genderideologie" engagiert. Dessen Vertreter, Priester Dr. hab. Dariusz Oko, sagte: "Die Atheisten, die Gott zurückweisen, brauchen etwas anderes – sie haben den Genderismus. Man muss verstehen, dass dies der heutige Marxismus ist. Atheisten, Menschen, die oftmals die Kirche hassen, sind die größten Anhänger des Genderismus" (www.wpolityce.pl). Die Kirche hat aber auch einen deutlich fortschrittlicheren Flügel, der in dieser Diskussion von Priester Professor Alfred Wierzbicki präsentiert wird. In der Beilage zur Tageszeitung Gazeta Wyborcza, die anlässlich des Frauentages am 8. März unter dem Titel "Gender" herausgegeben wurde, schrieb er in seinem Artikel "Maria, Mutter des Gender": "Wie konnten wir die Gender-Botschaft des Evangeliums vergessen? Weil die Kirche eine Institution wurde, in der die Macht von Männern ausgeübt wurde und zwar in der gleichen Weise, wie Männer in Staaten Macht ausüben. […] Warum fürchtet sich die Kirche vor Frauen? […] Aus Angst vor Machtverlust. Aber das wichtigste Problem ist, dass wir in gesellschaftlichen Strukturen leben, die jahrhundertelang den Frauen die untergeordnete Rolle zuwiesen. Niemand würde über Gender sprechen, wenn die Gleichberechtigung von Männern und Frauen eine Tatsache wäre. Aber das ist sie nicht. Die Würde der Frauen wird bis heute nicht geachtet und das nicht nur in traditionellen Gesellschaften. Es bedarf daher erzieherischer Methoden wie Gender oder Parität, um die Menschen zu überzeugen, dass die Rollen, die traditionell als Männerrollen gelten, erfolgreich von Frauen gespielt werden können".
Es verändert sich die Gesellschaft, es verändert sich die Kirche in Polen, aber manche Veränderungen sind von extrem Konservativen schwer zu akzeptieren. Frauen organisieren sich immer effektiver und erkämpfen einen immer größeren Bereich der Gleichberechtigung der Geschlechter. Jedoch zeigt der Angriff auf Gender, dass die Rechte der Frauen nicht für immer erkämpft worden sind. Frauen sind immer daran beteiligt, sie zu verteidigen.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Bibliographie
Fuszara, Małgorzata (1991): Will Abortion Issues Give Birth to Feminism in Poland? In: Women’s Issues in Social Policy. Hrsg. v. M. Maclean und D. Groves, New York, London: Routledge.
Fuszara, Małgorzata (2007): Kobiety w polityce. Warszawa: TRIO.
Graff, Agnieszka (2013): Backlash nad Wisłą: reakcja przed akcją? Wstęp do wydania polskiego. In: Susan Faludi: Reakcja. Warszawa: Wydawnictwo Czarna Owca.
Zielińska, Eleonora (2002): Sytuacja kobiet w Polsce w świetle zmian legislacyjnych okresu transformacji. In: Kobiety w Polsce na przełomie wieków. Nowy kontrakt płci? Hrsg. v. M. Fuszara, Warszawa: Instytut Spraw Publicznych.