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In neuer Geschlossenheit. "Die Linke" beschließt ihr Wahlprogramm | bpb.de

In neuer Geschlossenheit. "Die Linke" beschließt ihr Wahlprogramm Bericht über den 3. Parteitag der Partei "Die Linke" in Dresden, 14. bis 16. Juni 2013

Heinrich Bortfeldt

/ 11 Minuten zu lesen

Vom Parteitag der "Linken" in Dresden ging ein nach innen gerichtetes Signal der Geschlossenheit aus. Den beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger ist es gelungen, Ruhe in die Partei zu bringen. Dennoch steht die Partei vor großen Herausforderungen. Ein Kommentar von Heinrich Bortfeldt.

Der Fraktionsvorsitzende der Partei "Die Linke", Gregor Gysi, spricht am 15. Juni 2013 auf dem Parteitag in Dresden. (© dpa)

In Dresden fanden sich 550 Delegierte zum Wahlparteitag zusammen. Zwar begann der Parteitag mit einer Stunde Verspätung, da der Zug mit vielen Delegierten aus Berlin wegen des Hochwassers unpünktlich war. Aber alle waren froh, dass der Parteitag in Dresden überhaupt stattfinden konnte. Der Wasserpegel der Elbe war rückläufig, so dass der Parteitag nicht abgesagt werden musste.

Zudem gab es im Vorfeld auch nur begrenztes Störfeuer aus den eigenen Reihen, sodass keine größeren Auseinandersetzungen auf dem Parteitag selbst zu erwarten waren. Matthias Höhn, Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter, hatte seinen ersten Parteitag gut und ziemlich geräuschlos vorbereitet. Er hatte die Flügel befriedet und hier und da Kompromissformeln gefunden. Gleichwohl gab es 1.000 Änderungsanträge, die teilweise gebündelt durchgewunken wurden. Vorbei die Zeit der ätzenden Auseinandersetzungen. Es war schnell sichtbar, dass hier von Dresden 100 Tage vor der Bundestagswahl ein übergeordnetes Signal ausgehen sollte, nämlich Geschlossenheit zu demonstrieren. So wurde ein ordentlicher Parteitag abgehalten, der ruhig über die Bühne lief.

Überhaupt war es um "Die Linke" in den letzten Monaten ruhig geworden. So ruhig, als ob sich Mehltau über die Partei ausgebreitet hätte. Allen war noch der Parteitag von Göttingen vor genau einem Jahr in Erinnerung. Damals stand die Partei auf der Kippe, es ging um den Fortbestand einer gemeinsamen "Linken". Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende, sprach in einer dramatischen Rede von Hass und möglicher Trennung. Seitdem ist eine Ruhe in die Partei eingezogen, die einerseits Ausdruck eines kooperativeren und auch respektvolleren Umgangs miteinander ist, die andererseits aber auch trügerisch ist, denn die Konfliktlinien sind geblieben. Jetzt, so knapp vor der Bundestagswahl wird Zurückhaltung und Selbstdisziplinierung geübt. Von einer neuen Kultur im Umgang miteinander zu sprechen, wäre verfrüht.

Riexinger und Kipping haben Ruhe in die Partei gebracht

Auf dem Parteitag in Göttingen einigte man sich 2012 auf die neuen Parteivorsitzenden Katja Kipping aus dem Osten und Bernd Riexinger aus dem Westen. Beide waren Kompromisskandidaten. Es war fraglich, ob die beiden überhaupt die Autorität und die Fähigkeit besäßen, die total zerstrittene Partei wieder zusammenzuführen. Ein Jahr nach Göttingen muss man ihnen bescheinigen, dass es ihnen weitgehend gelungen ist, Ruhe in die Partei zu bringen. Das ist ein Verdienst an sich. Die Partei folgt ihnen - das war bei dem Vorgängerteam Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, die sichtlich überfordert schienen, ganz anders. Mittlerweile haben sich Kipping und Riexinger einen Freiraum und auch Respekt erarbeitet. Dies gilt insbesondere für Riexinger, der vor allem von den Ostdeutschen beargwöhnt wurde, weil er als Sprachrohr Lafontaines galt. Von diesem Negativimage hat er sich weitgehend befreit. Und, was wichtig ist, beide verstehen sich untereinander offensichtlich gut, zumindest so gut, dass sie sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Im Moment gibt es wenig Konfliktpotenzial in der Partei.

Ruhe in die Partei gebracht zu haben, ist sicherlich ein großer Verdienst. Doch seit geraumer Zeit fragen sich Parteistrategen, ob aus der Ruhe nicht eine Friedhofsruhe zu werden drohe. Strategiefragen seien die Sache von Kipping und Riexinger nicht. Kippings Lieblingsthema ist das "bedingungslose Grundeinkommen", ein Thema, das selbst in der Partei umstritten ist. Riexingers Welt ist die Gewerkschaft. Beide machen einen guten Job, aber reicht das? Die Partei stagniert in Umfragen bei 7 bis 8 Prozent. Manchem genügt das. Es ist ziemlich sicher, dass die Partei wieder in den Bundestag einziehen wird. Manche werten das als Erfolg an sich. Die Partei ist bescheiden geworden. Der Wahlerfolg von 2009, als "Die Linke" 11,9 Prozent erzielte, scheint weit weg zu sein. Aber warum, so fragen Strategen, habe man diese Euphorie, diese Aufbruchstimmung nicht nutzen können für eine feste Verankerung in den westdeutschen Kommunen, für konkrete Arbeit vor Ort, für lokale Vernetzung, für unspektakuläre Alltagsarbeit? Warum sind viele einstige Wähler im Westen mittlerweile ins Lager der Nichtwähler übergetreten oder sind zur SPD zurückgekehrt? Warum haben viele Jungparteimitglieder "Die Linke" nach einem kurzen Flirt wieder verlassen? 2009 war die Mitgliederzahl der "Linken" auf über 78.000 angewachsen. Ende 2012 waren es noch 63.761. In Gelsenkirchen hatte die Linkspartei schon mal 250 Mitglieder, jetzt sind es noch 90; zehn davon aktiv. Zehn für 250.000 Einwohner. Links findet nicht statt – in einer Stadt mit vielen sozialen Brennpunkten.

Verankerung im Westen ist misslungen

Nach der Bundestagswahl 2009 ging es mit der westdeutschen "Linken" rapide bergab. Sie ist aus den Landtagen von Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen geflogen. Bei den nächsten Landtagswahlen in Hessen droht Ähnliches. In Bayern hat "Die Linke" sowieso keine Chance. Dann wäre "Die Linke" in Westdeutschland nur noch in den Parlamenten von Hamburg, Bremen und dem Saarland vertreten. Das würde zu enorm verknappten Ressourcen, mangelnder Präsenz und auch schwindender Kampagnenfähigkeit führen. Es besteht die Gefahr, dass die Westlinke auf ein Niveau zurückgeworfen werden könnte, das nur wenig oberhalb dessen liegt, wie es vor der Vereinigung mit der ostdeutschen PDS bestand. In der Konsequenz wäre "Die Linke" eine zwar auch schwächelnde, aber immer noch starke ostdeutsche Partei mit einem desolaten westdeutschen Anhang. Warum kann "Die Linke" die Finanz- und Wirtschaftskrise für sich nicht nutzbar machen? "Die Linke" besetzt oft als erste Partei wichtige soziale Themen, dringt damit aber kaum durch. Andere Parteien hingegen, sogar die CDU, springen auf und reklamieren diese Themen dann für sich.

Worin besteht der eigentliche Wert der "Linken"? Nur darin, die anderen Parteien mit linken Forderungen auch weiter nach links zu treiben? Warum hat "Die Linke" keine machtpolitische Option? Sie ist nicht einmal Zünglein an der Waage. "Die Linke" ist auch im Westen keine wirkliche Protestpartei mehr. Als Regierungspartei will sie auf Bundesebene keine der anderen etablierten Parteien haben. Will sie sich als ewige Oppositionspartei einrichten oder hat sie noch Gestaltungsanspruch? Hat "Die Linke" adäquat auf die Veränderungen in der SPD reagiert, die als Oppositionspartei wieder nach links geschwenkt ist und den "Linken" Themen wegnimmt und diese durch mehr Realismus unterlegt? "Die Linke" tut sich schwer; ihre Kernkompetenz liegt im Sozialen. Sie konzentriert sich darauf, das wird auch honoriert. Aber wie viel Luft bleibt ihr, wenn sich die SPD, die Grünen und auch die CDU sozialer geben? Diese und ähnliche Fragen liegen auf dem Tisch. Sie harren weitgehend ihrer Beantwortung. Nach der Bundestagswahl am 22. September muss eine Analyse vorgelegt werden. Es scheint, als hoffe "Die Linke" nach der Bundestagswahl auf eine Große Koalition. Dann wäre die SPD wieder eingebunden in Regierungsverantwortung, würde sich von einigen Wahlversprechen verabschieden müssen und "Die Linke" hätte wieder mehr Freiraum, um sich als Oppositionspartei zu profilieren.

"Die Linke" plant Umverteilung

In Dresden beschlossen die Delegierten in großer Geschlossenheit bei nur fünf Gegenstimmen nach 15-stündiger Debatte das Wahlprogramm. Im Kern fordert "Die Linke" eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Den Reichen (in Deutschland gäbe es 800.000 Millionäre) soll genommen werden, um es den weniger Wohlhabenden, den Armen, aber auch dem Mittelstand zu geben. So soll der Spitzensteuersatz von 42 auf 53 Prozent angehoben werden. Für Reiche mit über einer Million Euro Jahreseinkommen will die Partei eine Steuer von 75 Prozent erheben. Erbschaften und große Vermögen sollen höher besteuert werden. Um den Mittelstand nicht zu verschrecken, soll der kleine Einfamilienhausbesitzer verschont bleiben. Man erhofft sich dadurch zusätzliche Einnahmen pro Jahr von 180 Milliarden Euro. Dieses Geld soll eingesetzt werden zur Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes von 382 auf 500 Euro sowie zu einer solidarischen Mindestrente von 1.050 Euro. Außerdem solle ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro in der Stunde mit der sukzessiven Erhöhung auf 12 Euro im Laufe der Legislaturperiode eingeführt werden. Die private Krankenversicherung soll abgeschafft und eine Bürgerversicherung für alle eingeführt werden. Im Osten sollen die Löhne und Renten an das Westniveau angepasst werden. Der soziale Wohnungsbau soll gefördert werden. Außerdem soll die Rente mit 67 zurückgenommen werden. Die Kosten der Energiewende dürfen nicht auf die Bevölkerung abgewälzt werden. Außenpolitisch soll sich die Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen zurückziehen, Rüstungsexporte sollen gestoppt werden. Hinsichtlich des Euros einigte man sich auf eine Kompromissformel, wonach die europäische Währungsunion zwar "große Konstruktionsfehler" enthalte, dessen ungeachtet "Die Linke" aber "nicht für ein Ende des Euro ein[trete]."

Die drei Hauptredner auf dem Parteitag in Dresden waren Bernd Riexinger, Katja Kipping und Gregor Gysi. Die beiden Parteivorsitzenden hielten ordentliche Reden, bekamen langen Beifall, sogar Standing Ovations. Riexinger kritisierte den Lieblingsgegner SPD. Wie könne man stolz darauf sein, Millionen Menschen in die Armut geschickt zu haben? Gemeint war die Agenda 2010. Die SPD solle sich dafür schämen. Der Partei fehle die Glaubwürdigkeit. Vor der Wahl blinke sie links, um nach der Wahl rechts abzubiegen. Als Gewerkschafter kritisierte er die bestehenden Arbeitsverhältnisse. Deutschland sei in vielen Bereichen ein Billiglohnland geworden. Leiharbeit sei moderne Sklaverei, die Rente mit 67 eine gigantische Rentenkürzung. Er forderte Gerechtigkeit durch Umverteilung.

Kipping, in Dresden aufgewachsen, hatte ein Heimspiel. Sie bekräftigte in ihrer Rede anhand persönlicher Schilderungen das Motto des Parteitages, wonach nur "Die Linke" "100 Prozent sozial" sei. Vor dem Hintergrund wachsender Ungleichheit müsse "Die Linke" den Unterschied machen. In der Tat ist es für "Die Linke" auf innenpolitischem Gebiet schwieriger geworden, den Unterschied zu machen, wenn alle anderen Parteien das Soziale und die Überwindung zunehmender Ungleichheit in der Gesellschaft für sich entdeckt haben. Wichtig in ihrer Rede war das klare Bekenntnis zum Euro. "Die Linke ist nicht für den Austritt aus dem Euro. Wir wollen kein Zurück zur D-Mark, wir wollen kein Zurück zum nationalstaatlichen Tellerrand." Sie sei froh, dass der Parteivorstand ihr und Riexinger in dieser wichtigen Frage gefolgt sei.

Lafontaine verliert an Unterstützung

Das war insofern wichtig, da Oskar Lafontaine, dessen Meinung besonders in der Finanzpolitik immer noch Gewicht hat, im Vorfeld des Parteitages den Gedanken eines gesteuerten Austritts aus der gemeinsamen Währungsunion ins Spiel gebracht hatte. Damit provozierte er zur Unzeit, im beginnenden Wahlkampf, eine Grundsatzdebatte, die die schwer erkämpfte Geschlossenheit der Partei unterwandert hätte. Darüber hinaus brachte er damit "Die Linke" in gefährliche Nähe zur neu gegründeten Partei "Alternative für Deutschland". Dass sich die beiden Parteivorsitzenden gegenüber Lafontaine durchgesetzt hatten, war vielleicht eines der stärksten Signale des Parteitages. Lafontaine wandelte durch die Kongresshalle, gab Interviews, meldete sich aber in der Debatte um den Euro nicht zu Wort. Noch schlimmer, er war gar nicht anwesend als dieser Punkt aufgerufen wurde. Ihm war klar geworden, dass seine Meinung nicht mehrheitsfähig war. Für den Parteitag war es gut, denn Lafontaine hätte stark polarisiert. Überhaupt, so scheint es, hat Lafontaine deutlich an Strahlkraft verloren. Er, der gern gerufen wird, blieb unberücksichtigt bei der Zusammenstellung der Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Selbst in seiner Hochburg, der saarländischen "Linken", kann er nicht mehr nach Gutsherrenart schalten und walten wie er will. Die Wahl der von ihm favorisierten Spitzenkandidatin Claudia Kohde-Kilsch für die Bundestagswahl endete im Debakel. Sie fiel schon im ersten Wahlgang durch. Lafontaine ist zwar immer noch ein begnadeter Wahlkämpfer, bei der Landtagswahl im Saarland vom März 2012 kam "Die Linke" auf sehr respektable 16,1 Prozent, hatte aber im Vergleich zu 2009 5,2 Prozent der Stimmen verloren.

In der Eurodebatte bekam Lafontaine Unterstützung von Sahra Wagenknecht. Sie war schon nach wenigen Worten auf Betriebstemperatur, wetterte gegen ein "Europa der Hungerlöhne", sprach von "gekaufter Politik" und machte in Griechenland "Weimarer Verhältnisse" aus. Der Kasinokapitalismus agiere wie bisher, als hätte es die Finanzkrise nicht gegeben. Diese Politik zerstöre Europa. Es sei Zeit, "Europa vor den Rettern der Banken zu retten!" Sie rief zur Gegenwehr auf und erntete den gewohnt starken Beifall. Sie vermied jedoch eine klare Aussage zu einem möglichen Euro-Ausstieg.

In der Generaldebatte hatten vornehmlich führende ostdeutsche reformorientierte Linke wie Stefan Liebig, Wulf Gallert und Cornelia Ernst für die europäische Idee geworben, und sich gegen eine Rückkehr zu Nationalismus ausgesprochen. So war der Ton vorgegeben und die Mehrheitsverhältnisse waren klar. Die Delegierten schlossen sich dem an, zumal keiner die Risiken eines Ausstiegs aus dem Euro überblicken konnte.

"Die Linke" setzt hohe Hürden für eine rot-rot-grüne Koalition

Auch Gregor Gysi ging in seiner Rede auf den Euro ein. Es war bemerkenswert, in welch großer Übereinstimmung sich Kipping, Riexinger und Gysi befanden. Nicht nur in dieser Frage, sondern in allen anderen auch. Es sei zwar legitim, so Gysi, wenn Lafontaine anders darüber denke, aber für ihn sei klar: "Wir dürfen nicht anstreben den Euro abzuschaffen." Das würde den Süden verelenden und der deutschen Exportwirtschaft enorm schaden. Zuvor hatte er in einer kurzen historischen Zeitreise den schwierigen Weg der PDS bzw. der "Linken" nachgezeichnet. Seit dem "Gewitter-Parteitag" in Göttingen habe die Partei eine gute Entwicklung genommen. Er äußerte Respekt vor der Leistung Kippings und Riexingers. Am Rande erwähnte er auch Lafontaines Leistung beim Zusammenschluss mit den Westlinken. Ohne ihn hätte es die gemeinsame "Linke" nicht gegeben. Das klang respektvoll, aber Gysi sprach von Leistungen der Vergangenheit, fast schon wie in einem Nachruf. Gysi äußerte sich ausführlich zum Thema Koalitionen. Er sagte nicht Nein zu möglichen Koalitionen mit SPD und Grünen, stellte aber hohe Hürden auf. Das konnte er auch bedenkenlos tun, denn keiner will ja mit den "Linken" eine Koalition eingehen. So war es im Grunde eine Scheindebatte. Gleichwohl forderte er den unverzüglichen Abzug aus Afghanistan, einen Stopp der Waffenexporte, eine Erhöhung des Rentenniveaus, die Abschaffung der Rente mit 67, ein gerechtes Steuersystem, angemessene Mietpreise, einen Mindestlohn, die Abschaffung der Leiharbeit, eine Gemeinschaftsschule, einen Solidarpakt III für strukturschwache Regionen in ganz Deutschland. Bewegen müssten sich die anderen, forderte er "und zwar gründlich!" Von der SPD verlangte er ausdrücklich eine Entschuldigung für die Agenda 2010.

Gysis leidenschaftliche Rede mobilisierte. Unter großem Beifall der Delegierten forderte er seine Partei auf, nicht so bescheiden zu sein, sondern ein zweistelliges Wahlergebnis anzustreben. Jede Stimme für "Die Linke" sei eine Stimme für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Gysi ist der Übervater und der brillante Redner, ohne Lafontaine konkurrenzlos. Keiner kann ihm das Wasser reichen. Zu den kleinen Machtspielchen gehörte, dass Wagenknecht, Gysis Gegenspielerin, zu spät zu seinem Vortrag kam, Eis essend vor der Bühne herumlief und demonstratives Desinteresse zeigte.

Ging ein Signal des Aufbruchs von diesem Wahlparteitag aus? Wenn, dann war es eher ein Signal nach innen, wonach die Partei relativ geschlossen dem 22. September entgegengeht. In der Außenwirkung ist das Signal eher begrenzt. "Die Linke" hat es im Moment schwer, in den Medien durchzudringen und auch in der Bevölkerung wahrgenommen zu werden. Und auf Urheberrechte bei politischen Themen zu pochen bringt auch keinen Bonus. Andere Themen wie die Flutkatastrophe überlagern alles. Immer öfter war zu hören, dass es um "Die Linke" ruhig geworden sei. Das muss nicht nur negativ interpretiert werden. Auch in der Ruhe kann Kraft liegen.

Spannend wird es nach der Bundestagswahl. Hält die Geschlossenheit weiter an oder verliert sich die Partei in neuen Grabenkämpfen? Ab dem nächsten, dem 4. Parteitag und auch beim Europaparteitag gilt die bewusste Privilegierung der Westverbände bei der Entsendung der Delegierten nicht mehr. Sie war damals ein Zugeständnis an die WASG, um die jungen Westverbände auf gleiche Augenhöhe mit der PDS zu heben. Nach einer Bereinigung der westdeutschen Mitgliederzahlen vom März 2013 ergeben sich klare, neue Mehrheitsverhältnisse von 188 Delegierten aus den Westverbänden zu 312 Delegierten (einschließlich Berlin) aus den Ostverbänden.

Zwar ist der Osten kein monolithischer Block mehr, gleichwohl könnte dies den pragmatisch und reformorientierten Ostverbänden neue Mehrheiten mit neuem Führungspersonal verschaffen, was die Politik der "Linken" durchaus in andere Bahnen lenken könnte. Werden die kleineren Westverbände dem folgen? Oder fallen sie auf DKP-Niveau zurück – inhaltlich wie zahlenmäßig? Wie immer bei den "Linken" sind viele Fragen offen.

Zitierweise: Heinricht Bortfeldt, In neuer Geschlossenheit. "Die Linke" beschließt ihr Wahlprogramm, in: Deutschland Archiv Online, 28.08.2013, Link: http://www.bpb.de/167882

Dr. phil., Historiker, Berlin.