Demokratiekrise und demokratische Resilienz
Der Tenor der Debatte in westlichen Demokratien ist eindeutig: Der Demokratie geht es schlecht, so lautet das Credo, welches von Wissenschaftlern und Journalisten gleichermaßen postuliert wird. Diese Unzufriedenheit manifestiert sich offensichtlich auch auf Seiten der Bürger. Angeführt werden in diesem Zusammenhang Daten der Politischen Kulturforschung. Demnach hat etwa das Vertrauen in Parteien und Parlamente erheblich abgenommen. Auch die Beteiligung an Wahlen geht zurück. Über 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systemalternative, auf den kurzzeitig ein naives "End-of-History-Denken"
Das wohl prominenteste Beispiel hierfür bildet Colin Crouchs Buch "Postdemokratie".
Man könnte Crouchs Diagnose natürlich auch mit klassischen Elitentheorien begründen: Folgt man Gaetano Mosca, so sichert die herrschende Klasse ihre Macht durch die Fähigkeit zur Organisation.
Soweit diese zugegebenermaßen recht vordergründige Krisendiagnose. Crouchs These von der Abwärtsentwicklung der Demokratie lässt viele positive Aspekte gänzlich außer Acht. Man denke etwa an die Etablierung der Anliegen der Frauenbewegung, der Umweltbewegung, von Homosexuellen oder von ethnischen Minoritäten. Auch Crouchs Lösungsvorschlag ist recht einfallslos. Er plädiert für stärkeren sozialen Protest. Institutionelle Reformperspektiven nennt er nicht. Gerade hierin besteht aber eine Stärke der Demokratie gegenüber der Diktatur. Demokratien verfügen über eine starke institutionelle Resilienz.
Der Begriff der "demokratischen Resilienz" bezeichnet die Anpassungsfähigkeit demokratischer Institutionen an neue Herausforderungen, darüber hinaus aber auch die Möglichkeit, neue Verfahren in die bestehende Demokratie zu integrieren. Demokratische Resilienz bedeutet, dass die Demokratie sich ändern und anpassen kann, ohne ihren Status als Demokratie in Frage zu stellen.
Folgt man nun wieder dem allgemeinen Tenor der Debatte, so ist es recht offensichtlich, wie die Demokratie reformiert werden sollte. Idealtypisch lässt sich diese Reformperspektive zum Beispiel in den Schriften des amerikanischen Politikwissenschaftlers Russell J. Dalton nachlesen.
Zwei Erwägungen bzw. Indizien lassen aber erste Zweifel an der Formel "Mehr Partizipation gleich mehr Demokratie" aufkommen: Zum Ersten ist im Bereich der politischen Theorie eine Renaissance des Repräsentationsprinzips zu verzeichnen. Dafür stehen etwa die Arbeiten von Jane Mansbridge, Nadia Urbinati, Michael Saward oder Bernhard Manin.
Ob neue Partizipationsformen die Demokratie heute stärken oder schwächen, soll im Folgenden anhand von drei unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten überprüft werden. Erörtert werden Schlichtungsverfahren, die direkte Demokratie in Form von Volksabstimmungen und die neuen Möglichkeiten der Onlinedemokratie. Um die These vorwegzunehmen: Diese Verfahren werden häufig überschätzt. Außerdem besteht die Gefahr, dass sie nicht als herrschaftskritisches, sondern als herrschaftsstabilisierendes Element eingesetzt werden. Der Glaube, die Krise der Demokratie allein mit neuen Partizipationsformen überwinden zu können, ist naiv. Das zeigt die folgende Betrachtung der drei Partizipationsformen.
1. Schlichtungsverfahren
Vor allem auf der lokalen Ebene gelten Schlichtungsverfahren mit Bürgerbeteiligung als hervorragendes Instrument zur Verbesserung der demokratischen Qualität von Entscheidungen. Solche Verfahren stehen für die sogenannte "kooperative Demokratie".
Die Befürworter solcher Verfahren beziehen sich gern auf die politische Theorie von Jürgen Habermas. Habermas glaubt, dass der politische Prozess qua Deliberation weitgehend rationalisiert werden könne. Kämen alle relevanten Argumente in einer herrschaftsfreien Debatte gleichermaßen zu Wort, sei eine Verständigung über beste Politikergebnisse möglich, so Jürgen Habermas. Er spricht in diesem Zusammenhang von der Generierung von "Wahrheit" und von der Durchsetzung "verallgemeinerungsfähiger Interessen".
Diese Zusammenfassung der Grundidee, die Habermas seit den 60er-Jahren in einem beeindruckenden Werk vertritt, ist natürlich stark verkürzt. Trotzdem werden schon hier die Defizite der deliberativ-rationalen Demokratietheorie und daran angelehnter Schlichtungsverfahren deutlich. Eine optimale Problemlösung kann es im Bereich der Politik nicht geben. Im Gegensatz zur Technik zeichnet sich das Politische durch Wert- und Interessendifferenzen aus. Wer glaubt, Politikergebnisse könnten alle Beteiligten gleichermaßen zufriedenstellen, negiert den Pluralismus. Dieser Pluralismus von individuellen Werten, Wertehierarchien und Interessen ist aber ein unhintergehbares demokratisches Axiom. Insofern steht Habermas' Rationalisierungsideal in der Tradition des utopischen Demokratieentwurfs Jean-Jacques Rousseaus.
Aus dem Gesagten folgt, dass Schlichtungsverfahren zwar zur Moderation und Mäßigung beitragen können, nicht jedoch zu allseits akzeptierten Ergebnissen. In Deutschland wurden Schlichtungsverfahren beispielsweise beim Ausbau des
Frankfurter Flughafens und beim Umbau des Stuttgarter Bahnhofs eingesetzt. Beide Projekte blieben auch danach umstritten.
Nun wäre aber zweifellos schon die argumentative Mäßigung ein brauchbares Ergebnis von Schlichtungen. Man muss die Ziele ja nicht zu hoch veranschlagen. Dem stehen dann aber in der Praxis Probleme entgegen, die mit der institutionellen Ausgestaltung von Schlichtungsprozessen zusammenhängen. In den allermeisten Fällen finden solche Verfahren erst Anwendung, wenn ein Streit bereits entbrannt ist, also zu spät. Meist gibt es keine gesetzlichen Regeln über den Ablauf und die Verbindlichkeit der Schlichtung. Außerdem werden Mediationsverfahren oft von der jeweiligen Exekutive und Verwaltung strukturiert. Die Türen für eine administrative Einflussnahme sind also weit geöffnet.
Besonders problematisch ist die Bestellung eines prominenten Schlichters. Dessen Machtpotential ist mitunter immens. Im Falle des Stuttgarter Bahnhofs wurde der ehemalige Spitzenpolitiker Heiner Geißler zum Schlichter bestellt. Geißler pries das Verfahren als beispielhaft für neue Formen der unmittelbaren Demokratie.
Heiner Geißler vor der Präsentation des sogenannten Stresstests für den geplanten Tiefbahnhof in Stuttgart ("Stuttgart 21"), 29. Juli 2011 (© picture-alliance/dpa)
Heiner Geißler vor der Präsentation des sogenannten Stresstests für den geplanten Tiefbahnhof in Stuttgart ("Stuttgart 21"), 29. Juli 2011 (© picture-alliance/dpa)
In Wirklichkeit hatte die Person Geißler einen sehr hohen Einfluss auf das Verfahren. Seinen abschließenden Kompromissvorschlag hatte er zusammen mit einem Schweizer Ingenieurbüro entworfen – und nicht mit den Beteiligten des Schlichtungsverfahrens.
2. Direkte Demokratie
Mit anderen Problemen behaftet ist die direkte Demokratie in Form von Sachplebisziten. In Deutschland wird seit langem die Einführung von Plebisziten auf Bundesebene gefordert. Man kennt sie hier bislang nur auf kommunaler Ebene und in den einzelnen Bundesländern.
Gegner des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 halten am Samstag (16.10.2010) in Stuttgart auf dem Schlossplatz während einer Demonstration grüne Luftballons mit der Aufschrift "Kein Stuttgart 21" und dem Protestslogan "Oben bleiben" in den Händen. (© picture-alliance/dpa, Daniel Maurer)
Gegner des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 halten am Samstag (16.10.2010) in Stuttgart auf dem Schlossplatz während einer Demonstration grüne Luftballons mit der Aufschrift "Kein Stuttgart 21" und dem Protestslogan "Oben bleiben" in den Händen. (© picture-alliance/dpa, Daniel Maurer)
Indes zeigt eine differenzierte Betrachtung, dass auch die direkte Demokratie kein Allheilmittel darstellt. So sehen Kritiker in der direkten Demokratie traditionell ein Einfallstor für Demagogie und Populismus. Gewichtiger dürfte aber ein zweiter Kritikpunkt sein: Bei der direkten Demokratie wird über eine geschlossene Frage entschieden. Die Art und der Zeitpunkt der Fragestellung erlangen somit eine wichtige, das Ergebnis determinierende Bedeutung. Gesteigert wird also nicht nur der Einfluss der Bürger, sondern auch der Einfluss der Fragesteller.
Ein dritter Kritikpunkt an der direkten Demokratie ergibt sich aus dem Vergleich zur repräsentativen Demokratie. Die direkte Demokratie kennt keinen Kompromiss. Sie entfaltet deshalb kaum mäßigende Wirkung. Demgegenüber fördert die repräsentative Demokratie ein Wechselspiel von Repräsentanten und Repräsentierten – zumindest, wenn Parteien und Parlamente als Institutionen intakt sind. Die moderierende Wirkung, die ein funktionierendes Wechselspiel von Repräsentanten und Repräsentierten gewährleisten kann, ist mit der direkten Demokratie kaum zu erreichen.
Ein vierter und letzter Kritikpunkt an der direkten Demokratie wird nur selten genannt, ist aber empirisch relativ gut belegt. Minderheiten und sozial Schwache werden durch Sachplebiszite tendenziell benachteiligt. Für die Schweiz hat eine Forschergruppe um Adrian Vatter herausgefunden, dass vor allem schlecht integrierte Minderheiten von Verfahren der direkten Demokratie negativ betroffen sind.
In Zürich wird ein Plakat für die Annahme der Schweizer Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" geklebt, Oktober 2009 (© Ullsteinbild/Ex-Press; Miriam Kuenzli)
In Zürich wird ein Plakat für die Annahme der Schweizer Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" geklebt, Oktober 2009 (© Ullsteinbild/Ex-Press; Miriam Kuenzli)
Das jüngste Beispiel bildet das dortige Minarettverbot. Sozial schwache Milieus wiederum neigen dazu, Plebiszite zu meiden, selbst wenn es um für sie wichtige Fragen geht. So konnte im Jahr 2010 eine Schulreform zur besseren Integration schwächerer Schüler in Hamburg mit den Mitteln des Plebiszits gestoppt werden. Die Wahlbeteiligung lag bei ca. 40 Prozent, und insbesondere Menschen aus ärmeren Quartieren blieben der Wahl fern.
3. Onlinedemokratie
Noch stärkere Hoffnungen als mit der direkten Demokratie und mit lokalen Schlichtungsverfahren sind mit Verfahren der Onlinedemokratie verknüpft. Im Einzelnen sind es fünf Versprechen bzw. Ideale, welche die digitale Demokratie so attraktiv machen: Durch den barrierefreien Zugang erhofft man sich erstens die Umsetzung des Gleichheitsideals in der Demokratie. Damit wäre die Differenz von Herrschenden und Beherrschten zumindest partiell aufgehoben. Das zweite Versprechen besteht in der Verwirklichung des Partizipationsideals. Jeder kann sich demnach von überall und jederzeit beteiligen. Außerdem postulieren die Verfechter der digitalen Demokratie das Informationsideal. Demnach ermöglicht das Internet die Bereitstellung aller relevanten Informationen für alle. Viertens steht die digitale Demokratie für das Responsivitätsideal. Mit den neuen technischen Mitteln soll die kommunikative Ankopplung der Repräsentanten an die Repräsentierten wieder gelingen. Fünftens schließlich vertreten auch Verfechter der digitalen Demokratie das Rationalitätsideal im Anschluss an Jürgen Habermas. Ähnlich wie bei Schlichtungsverfahren erhofft man sich rationale und beste Lösungen, denen alle aufgrund argumentativer Einsicht zustimmen können.
Ist der Versuch der konsensuellen Rationalisierung des politischen Prozesses aus tiefster Überzeugung oben bereits abgelehnt worden, so müssen auch die anderen vier Versprechen der digitalen Demokratie stark relativiert werden. Hier seien nur die wichtigsten Einwände kurz erörtert:
Es ist so, dass die Beteiligungsraten bei Verfahren der digitalen Demokratie sehr gering sind. Die Partizipationsform ist insofern selbstreferentiell, als vor allem "Netzthemen" eine erstaunliche Mobilisierungsfähigkeit im Internet ausüben. Häufig sind Versuche der digitalen Demokratie jedoch dadurch gekennzeichnet, dass kaum jemand partizipiert.
Laptop eines "Piraten", aufgenommen auf der Berliner Landesmitgliederversammlung der Piratenpartei, 15. September 2012 (© Ullsteinbild/Boness/IPON)
Laptop eines "Piraten", aufgenommen auf der Berliner Landesmitgliederversammlung der Piratenpartei, 15. September 2012 (© Ullsteinbild/Boness/IPON)
Damit erhalten gut organisierte Lobbygruppen einen zusätzlichen Einflusskanal, vor allem dann, wenn keine Pflicht zur Diskussion mit Klarnamen besteht. Darüber hinaus ist die argumentative Diskussion über Sachfragen im Internet relativ anspruchsvoll. Hier gilt dann die Faustregel, dass die soziale Disparität der Beteiligung mit dem argumentativen Anspruch steigt. Bildungsferne Schichten werden folglich bei der digitalen Demokratie benachteiligt. Zudem steht die Partizipationsform für eine gewisse, anonyme Distanz zum jeweils behandelten Sachverhalt. Der Politikwissenschaftler Ingolfur Blühdorn vertritt die These, dass das heutige Protestverhalten primär symbolischer Natur sei.
Neben den genannten Aspekten ist ein letzter Kritikpunkt relevant, der nur selten diskutiert wird. Zumeist sind Verfahren der digitalen Demokratie an die Exekutive oder die Verwaltung angebunden. Parteien und Parlamente bleiben in der Regel außen vor. Es handelt sich in der Praxis dann um geschickt verpackte Publicity-Veranstaltungen unter dem wohlklingenden Emblem der Bürgerbeteiligung. Die Partizipationsform krankt oft daran, dass keine Diskussion über Alternativen stattfindet, sondern allein exekutive Vorschläge thematisiert werden. Ohne Opposition aber ergibt Demokratie keinen Sinn. Diese Opposition kann sich jedoch nicht allein aus einer stark vordeterminierten digitalen Partizipation ergeben. Opposition ist in ihrer Entstehung auch auf das Handeln oppositioneller Repräsentanten angewiesen. In der politischen Theorie spricht man davon, dass Repräsentanten die repräsentierten Gruppen mit konfigurieren. Repräsentation bringt das Repräsentierte mit hervor.
Fazit
Zusammenfassend ergibt sich also ein recht skeptisches Resümee. Neue Partizipationsformen führen nicht automatisch zu einer besseren Demokratie. Im Gegenteil: Der Einsatz dieser Partizipationsformen kann dazu führen, den Einfluss von Exekutiven, gut organisierten Lobbies und wirtschaftlich starken Bevölkerungsgruppen zu erhöhen.
Auf der theoretischen Ebene lässt sich dieses Urteil mit zwei Klassikern der Demokratietheorie begründen. In seiner "Ökonomischen Theorie der Demokratie" kommt Anthony Downs zu dem Schluss, dass die Demokratie im Normalfall den ärmeren Bevölkerungsschichten diene. Diese sind ja schließlich in der Mehrheit. Der Effekt wird nach Downs jedoch konterkariert, wenn die Politik von den Bürgern als zu komplex wahrgenommen wird, es also eine große Unsicherheit über die Funktionsweise und die Wirkung der eigenen Wahlentscheidung gibt.
Wer dem normativen Ideal der emanzipatorischen Demokratie anhängt, wird sich damit nicht zufrieden geben können. Die Grenzen zwischen liberaler Oligarchie und Fremdbestimmung sind schließlich fließend – man denke nur an die Demokratie der Europäischen Union, an die aktuelle Entwicklung in Ungarn oder an das Italien Silvio Berlusconis. Neue Partizipationsformen sind jedoch kein Königsweg zur besseren Demokratie. Sie stehen allzu oft eher für mehr Komplexität und Intransparenz als für mehr Demokratie. Demnach können diese Partizipationsformen zwar einen positiven Beitrag zur Demokratie leisten. Sie sollten aber an die Grunderfordernisse des Repräsentationsprozesses angepasst werden, anstatt diese zu unterlaufen. Partizipationsformen sind dann sinnvoll, wenn sie die positiven und demokratiefördernden Eigenschaften des Repräsentativsystems stützen.
Repräsentative Demokratie ist zu begreifen als geordnetes, argumentatives Wechselspiel von Regierung und Opposition auf der einen und Repräsentierten auf der anderen Seite. Als zentrale Institution der Demokratie ist das Parlament nicht ersetzbar. Die Hierarchie zwischen der parlamentarisch-parteipolitischen Repräsentation und anderen Beteiligungsformen muss also gegeben sein. Wer einer rein zivilgesellschaftlichen Demokratie anhängt, vergisst, dass diese gesellschaftliche Ungleichheiten auf den Bereich der Politik überträgt.
Die repräsentative Demokratie verlangt insbesondere, dass ein transparentes Gegenüber von Regierung und Opposition erkennbar bleibt. Nur so bleiben politische Alternativen transparent, die die pluralistische Demokratie auszeichnen. Neue Partizipationsformen können diese Transparenz und Wahlfreiheit zwischen Alternativen durchaus stärken. So sollten etwa Verfahren der digitalen Demokratie immer an das Parlament und nicht an die Exekutive angeschlossen werden. Hierzu bedarf es auch keiner neuen Institutionen. Es genügt etwa die Durchführung des Öffentlichkeitsprinzips. Repräsentation ist ohne Öffentlichkeit nicht vorstellbar. Daraus ergibt sich, dass zum Beispiel alle relevanten parlamentarischen Ausschusssitzungen live im Netz übertragen und kommentierbar gemacht werden sollten. Der Vorschlag ist vielleicht radikaler als die derzeit diskutierten Demokratieplacebos, fügt sich aber problemlos in die Funktionslogik des parlamentarischen Systems ein. Der argumentative Streit um Alternativen würde dadurch gestärkt.
Was die direkte Demokratie betrifft, so handelt es sich dabei durchaus um ein wirksames Instrument zur Durchbrechung von Machtkartellen. Verfahren der direkten Demokratie sollten aber primär als Vetoinstrument institutionalisiert werden, mit dem die Bürger eine Entscheidung ans Parlament zurückgeben können. Das bürgerschaftliche Veto könnte in Situationen, in denen die Bürger einen breiten Konsens der Politik nicht akzeptieren, zu einer Erneuerung der Debatte und zum Aufzeigen neuer Alternativen beitragen.
Schließlich gilt Ähnliches für Verfahren der kooperativen Demokratie zwischen Repräsentanten und Bürgern, die hier am Beispiel von Schlichtungsverfahren diskutiert worden sind. Sie brauchen eine klare gesetzliche Grundlage, müssen im Politikprozess recht früh eingesetzt werden und sollten immer an das Parlament als zentrale Institution angebunden sein. Eine exekutive Dominanz bei diesen Verfahren hingegen fördert auf lange Sicht das Gefühl der Fremdbestimmung unter den Bürgern.
Die zentrale Frage in der Demokratie ist wohl, wer die Macht in Händen hält. Aus den vorstehenden Ausführungen ist ersichtlich, dass die Einführung neuer Partizipationsformen nicht unbedingt eine Steigerung der "Bürgermacht" zur Folge hat. Es sind traditionell vor allem realistische Demokratietheoretiker, die auf den Wert repräsentativer Verantwortlichkeit abstellen. Am eindringlichsten machen dies vielleicht Giovanni Sartori und Elmer Eric Schattschneider.
(Der Beitrag basiert auf einem Vortrag d. Vf. auf der Konferenz "Democrazia e Comunicazione" der Partito Democratico am 21.9.2012 in Cortona.)