1. Einleitung und Fragestellung
Im Zuge der Diskussion über die vermutlich zehn Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" ("NSU") wird oftmals von einer neuen Qualität rechtsradikaler
Die Analyse steht dabei vor der Schwierigkeit, dass zahlreiche Umstände der Taten noch ungeklärt sind. Dies betrifft unter anderem die Rolle von Beate Zschäpe. War sie an den Taten unmittelbar beteiligt, oder war sie lediglich eine Helferin von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos? Ebenfalls steht noch nicht fest, welche Taten der "NSU" verübt hat. Mit ziemlicher Sicherheit ist davon auszugehen, dass er neun Migranten und eine Polizistin ermordete, ein Nagelbombenattentat in einer Kölner Einkaufsstraße und einige Banküberfälle durchführte. Ob es weitere Taten oder Anschlagsversuche gab, ermittelt die Polizei noch. Zudem gibt es bislang keine von den Behörden veröffentlichten Erkenntnisse darüber, inwieweit die bisher entdeckten Helfer des "NSU" von den Gewalttaten wussten. Dies alles wären Aspekte, die für die Beantwortung der erkenntnisleitenden Frage eine Rolle spielen. Insofern sind die Schlussfolgerungen als vorläufig anzusehen.
2. Gewalt in der rechtsradikalen Ideologie
Von einer rechtsradikalen Ideologie zu sprechen, ist insofern problematisch, als es sich eher um eine Ideologieströmung mit zahlreichen Unterströmungen handelt, welche jeweils andere Akzente setzen. Ungeachtet dieser Ausdifferenzierungen lässt sich Rechtsradikalismus im Kern als eine Ideologie der Ungleichwertigkeit der Menschen charakterisieren. Das heißt, Rechtsradikale ordnen Menschen bestimmten Gruppen zu. Je nach Gruppenzuordnung schreiben sie den Menschen dann unterschiedliche Wertigkeiten zu, wobei sie manchen Gruppen jegliche Menschenwürde absprechen. Zwei zentrale Elemente der rechtsradikalen Ideologie, die daraus resultieren, sind die Verabsolutierung der eigenen Gruppe als homogenes Kollektiv sowie ein Freund-Feind-Denken.
Den Zusammenhang zwischen diesen beiden Elementen stellte der Staatsrechtler Carl Schmitt bereits in seiner 1928 veröffentlichten Schrift "Der Begriff des Politischen", deren Ideen immer noch großen Einfluss auf die rechtsradikale Bewegung ausüben, folgendermaßen dar: Als politische Subjekte gelten nur Kollektive wie das Volk oder die Nation. Diese Kollektive müssten homogen sein. Andersartigkeit zu akzeptieren hätte eine Schwächung des Kollektivs zur Folge, weswegen es seine Existenzberechtigung verlöre. Somit spielen die Menschenwürde und daraus abgeleitete Minderheitenrechte bei ihm keine Rolle. Politik besteht für Schmitt darin, dass man zwischen Freund und Feind unterscheidet. Die aus dieser Sichtweise zwischen den Kollektiven resultierenden Konflikte werden stets als Ernstfall gesehen, in denen man ständig um das eigene Überleben kämpft. Deswegen können Konflikte nicht unter der Voraussetzung der Anerkennung des Anderen geregelt werden.
Aus der Verabsolutierung des homogenen Kollektivs und dem Freund-Feind-Denken resultiert innergesellschaftlich eine Feindschaft gegen alles Fremde. Dazu dämonisieren Rechtsradikale den Fremden und delegitimieren seine Menschenrechte. In letzter Konsequenz sprechen sie den Fremden die Menschenwürde ab. Was aber fremd sei, wird von Rechtsradikalen relativ willkürlich konstruiert. In erster Linie bezieht sich das auf Migranten oder Nachkommen von Migranten. Je nach rechtsradikaler Strömung wird noch zwischen unterschiedlichen Migrantengruppen differenziert. Das Freund-Feind-Denken bezieht sich jedoch nicht nur auf Fremde. Im militanten Rechtsradikalismus gelten auch Polizisten als Feinde, weil sie Vertreter des zu bekämpfenden Systems seien. Die Intensität der Feindschaft kann überdies variieren. Sie reicht von der Unterstellung von negativen Attributen über die Vorenthaltung von Rechten bis hin zur Ausübung von Gewalt. Letzteres kann auch die Vernichtung des Fremden beinhalten. Dieses Vernichtungsdenken prägte insbesondere den Nationalsozialismus.
Im zeitgenössischen Rechtsradikalismus ist der Vernichtungsgedanke nicht mehr so dominant, gehört aber in Teilen der rechtsradikalen Bewegung weiterhin zum Kernbestand. Dies wird ideologisch verdünnt, aber ästhetisch aktualisiert vor allem über den Rechtsrock inzwischen an jugendliche Sympathisanten vermittelt. So textete die Neonazi-Rockband "Gigi und die braunen Stadtmusikanten" auf der 2010 erschienen CD mit dem Titel "Adolf Hitler lebt!" das Lied "Döner Killer". Dieses nimmt offenkundig auf die Mordserie Bezug.
3. Rechtsradikale Strömungen und ihr Verhältnis zur Gewalt
Dass die rechtsradikale Ideologie mehr als ein folgenloses Gedankenspiel ist, sondern in der politischen Kultur durchaus verankert ist, zeigen zahlreiche Einstellungsforschungen. Eine besondere Brisanz enthält das Ideologem der Fremdenfeindlichkeit. Denn entsprechende Einstellungen findet man nicht nur am rechten Rand der Gesellschaft. Nach den Studien von Oliver Decker besitzen rund ein Viertel der Deutschen fremdenfeindliche Einstellungen. Dieser Wert blieb bei fünf Datenerhebungen seit 2002 relativ konstant. In Ostdeutschland lag der Anteil bei der letzten Erhebung 2010 sogar bei 35 Prozent.
Im Folgenden soll hier zwischen vier rechtsradikalen Strömungen differenziert werden: NPD, Neonazis, Skinheads und Rechtspopulisten. Jedoch gibt es in der Praxis insbesondere zwischen den ersten drei genannten Strömungen personelle, ideologische und strukturelle Überschneidungen, deren Ausmaß im Zeitverlauf und je nach Region wiederum stark variiert. Bei der Betrachtung des Verhältnisses von Rechtsradikalen zur Gewalt ist zu berücksichtigen, dass der bundesdeutsche Staat als wehrhafte Demokratie konzipiert wurde und ihm dabei eine Reihe von repressiven Mitteln zugestanden wurden, um gegen Feinde der Demokratie vorzugehen können. Die meisten Rechtsradikalen versuchen deshalb in ihrer öffentlichen Darstellung den staatlichen Behörden keine Anlässe für Repressalien zu geben, und distanzieren sich opportunistisch von Gewalt als politischem Mittel, obgleich sie sie ideologisch innerhalb der Bewegung befürworten.
Besonders auffällig ist diese Diskrepanz bei der NPD. In einer Argumentationshilfe der NPD für ihre Mandatsträger und Kandidaten schreibt die Parteiführung, dass auf eine Frage, wie die Partei zur Gewaltfrage stehe, die Antwort laute: "Die NPD hat das Gewaltmonopol des Staates zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt und lehnt Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab."
Das Foto aus der Ostthüringischen Zeitung zeigt die Neonazis Uwe Böhnhardt (l.) und Uwe Mundlos (r.). (© picture-alliance/dpa)
Das Foto aus der Ostthüringischen Zeitung zeigt die Neonazis Uwe Böhnhardt (l.) und Uwe Mundlos (r.). (© picture-alliance/dpa)
Der inzwischen verhaftete Ralf Wohlleben war zu Beginn der 2000er Jahre sogar stellvertretender Vorsitzender des NPD-Landesverbandes Thüringen.
Ähnlich stellt sich das Verhältnis zur Gewalt im Neonazismus dar. Auch hier ist Gewalt Bestandteil der Ideologie und wird ausschließlich aus taktischen Gründen abgelehnt. So rufen deren Akteure kaum offen zur Gewaltanwendung auf, um der Polizei keine unnötigen Anlässe für repressive Maßnahmen zu geben. Rechtsradikale Gewalttaten werden von der Szene relativiert, verharmlost oder als Inszenierung der Presse oder des Staates dargestellt, mit denen "das System" die Repression von Rechtsradikalen rechtfertigen wolle.
Die Subkultur der Skinheads ist durch eine nicht versteckte Gewaltbereitschaft geprägt. Hierbei wird Gewalt aber weniger ideologisch begründet, sondern als Teil ihres Lebensstils erklärt. Exzessiver Alkoholkonsum und ein ausgeprägter archaischer Männlichkeitskult sind wesentliche Bestandteile dieser Subkultur und fördern gewalttätiges Verhalten. In der rechtsradikalen Variante dieser Subkultur richtet sich die Gewalt gegen deren spezifische Feinbilder: Migranten, Linke, Homosexuelle, Obdachlose, etc.
Der rechtspopulistische Strang im deutschen Rechtsradikalismus, zum Beispiel die "Republikaner" oder die "Pro-Bewegung", versucht sich im politischen Spektrum als grundgesetztreue rechte Alternative zur CDU/CSU mit mäßigem Erfolg zu profilieren. Einher mit einem bürgerlichen Auftreten geht die Absage an Gewalt als politischem Mittel. Die Rechtspopulisten setzen eher darauf, als Wahlparteien zu reüssieren oder die Diskurse der politischen Mitte zu beeinflussen.
4. Rechtsradikale Gewalttaten in der Bundesrepublik Deutschland
In der Bundesrepublik begann gegen Ende der 1980er-Jahre die dritte Welle des Rechtsradikalismus
Als das SED-Regime zusammenbrach, engagierten sich umgehend führende westdeutsche Neonazis mit dem charismatischen Michael Kühnen, um die rechtsradikale Bewegung im Osten zu stärken und die Spielräume zu nutzen, die sich in dieser Transitionssphase ergaben.
Rechtsextremisten fliehen vor einem Tränengasangriff der Polizei, die versucht, die rassistischen Übergriffe auf eine Ausländerunterkunft in Rostock-Lichtenhagen zu beenden, 24. August 1992 (© picture-alliance/AP, Thomas Haentzschel)
Rechtsextremisten fliehen vor einem Tränengasangriff der Polizei, die versucht, die rassistischen Übergriffe auf eine Ausländerunterkunft in Rostock-Lichtenhagen zu beenden, 24. August 1992 (© picture-alliance/AP, Thomas Haentzschel)
Ein Jahr später zündeten in Rostock-Lichtenhagen Rechtsradikale, von einem grölenden Mob aus der Umgebung verbal unterstützt, ein Flüchtlingsheim an. Nur durch glückliche Umstände kam keiner der Flüchtlinge ums Leben.
Wie viele Menschen Rechtsradikale seit der Wiedervereinigung ermordet haben, ist umstritten. Die Bundesregierung spricht von 47 getöteten Opfern seit 1990. Die Amadeu-Antonio-Stiftung hingegen zählt für denselben Zeitraum die weitaus höhere Anzahl von 182 getöteten Opfern.
Immerhin lässt sich mit den Angaben des Bundesinnenministeriums zu rechtsextremen Straftaten die Entwicklungstendenz aufzeigen. Da das BMI ab 2001 ein neues Definitionssystem für politische motivierte Straftaten einführte, mit dem die entsprechenden Daten nunmehr erfasst werden, sind die Zahlenangaben bis zum Jahr 2000 nicht mit den neueren Statistiken zu vergleichen.
Empirische Untersuchungen zu fremdenfeindlichen Gewalttaten konnten ein gewisses Handlungsmuster herausarbeiten. Demnach verübten in über zwei Drittel der Fälle Kleingruppen die Taten, die Opfer waren bei drei von vier Taten einzelne Personen, in der Mehrzahl (60 Prozent) kannten sich Opfer und Täter vor der Tat nicht. Den Tatverlauf fassen die Forscher pointiert zusammen: "Getroffen – gesoffen – gedroschen"
Bezüglich der Tatverdächtigen bzw. Täter untersuchte eine Studie
5. Rechtsterrorismus
Über diese situativen Gewaltphänomene hinaus war bereits in den 1980er-Jahren auch Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik präsent. Terrorismus zeichnet sich dadurch aus, dass nicht-staatliche Akteure Gewalttaten nicht um ihrer selbst verüben, sondern als "Kommunikationsstrategie"
5.1 Rechtsterrorismus in Deutschland
Ein Großteil der deutschen Rechtsterroristen erfuhr seine Ausbildung in der Wehrsportgruppe Hoffmann. Diese paramilitärische rechtsradikale Organisation übte ab Mitte der 1970er-Jahren den Partisanenkampf in den fränkischen Wäldern und wurde 1980 vom Bundesinnenministerium verboten. Mitglied war zeitweise Gundolf Köhler, der beim folgenschwersten
Gedenktafel für die Opfer des rechtsextremistischen Bombenanschlags auf das Münchener Oktoberfest, aufgenommen am 30. Jahrestag des Attentats am 26. September 2010 (© ddp/AP, Matthias Schrader)
Gedenktafel für die Opfer des rechtsextremistischen Bombenanschlags auf das Münchener Oktoberfest, aufgenommen am 30. Jahrestag des Attentats am 26. September 2010 (© ddp/AP, Matthias Schrader)
Anschlag in Deutschland auf dem Münchener Oktoberfest 1980 eine Bombe zündete, die zwölf Menschen und ihn selbst tötete. Im gleichen Jahr ermordete Uwe Behrendt, ebenfalls ein früheres Mitglied der Wehrsportgruppe, aus offenkundig antisemitischen Motiven den jüdischen Verleger Shlomo Levi und dessen Lebensgefährtin. Es gab aber nicht nur Einzeltäter, sondern ebenso rechtsterroristische Organisationen. So verübten im Jahr 1980 die vom Rechtsanwalt Manfred Roeder gegründeten "Deutschen Aktionsgruppen" mehrere Brand- und Sprengstoffanschläge vor allem gegen Unterkünfte von Asylbewerbern, in deren Folge zwei Vietnamesen starben. Des Weiteren gründete das ehemalige Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann Odfried Hepp mit Walther Kexel eine gut organisierte, konspirativ arbeitende und ideologisch gefestigte terroristische Gruppierung, die sich gewissermaßen die "RAF" und die "Revolutionären Zellen" zum Vorbild nahmen. Die Gruppe führte mehrere Anschläge auf US-Soldaten und deren Angehörige in Deutschland durch, bei denen einige Opfer schwer verletzt wurden.
In den 1990er-Jahren zogen einige militante Rechtsradikale Terrorismus zwar in Betracht, es gab aber keine ausgeprägten terroristischen Strukturen wie im vorangegangenen Jahrzehnt.
5.2 Rechtsterrorismus international
International gab es durchaus einige rechtsterroristische Anschläge mit enormer öffentlicher Resonanz. Den schwerwiegendsten Anschlag führte Timothy McVeigh in Oklahoma City durch, als er das dortige FBI-Gebäude in die Luft sprengte und dabei 168 Menschen tötete und über 800 verletzte. Der in rechtsextremen Organisationen des "Militia Movement" in den USA aktive McVeigh folgte bei seinem Anschlag in den Grundzügen dem vom US-amerikanischen Rechtsradikalen William Pierce verfassten Roman "The Turner Diaries", der eine Blaupause für eine gewalttätige Übernahme des Staates darstellt, die mit rechtsterroristischen Anschlägen beginnt.
Großbritannien erschütterte 1999 eine Serie von drei Anschlägen. Innerhalb von wenigen Tagen ließ David Copeland in einem von Schwarzen und in einem von Asiaten bewohnten Stadtteil sowie vor einer Schwulenkneipe Nagelbomben explodieren. Drei Menschen starben und zahlreiche wurden schwer verletzt. Der Einzeltäter gehörte zum Umfeld von "Combat 18", einer rechtsradikalen Gruppe, die bereits in den Jahren vorher Briefbombenanschläge durchführte.
In Österreich führte der Einzeltäter Franz Fuchs zwischen 1993 und 1996 28 Bombenanschläge durch, hauptsächlich mit Briefbomben. Er tötete vier Menschen und verletzte zahlreiche weitere Personen zum Teil schwer. Bei den Opfern handelt es sich um Migranten und um Personen des öffentlichen Lebens, die sich für eine Integration von Migranten einsetzten. In seinen Bekennerschreiben sprach der Attentäter davon, dass hinter den Anschlägen die Gruppierung "Salzburger Eidgenossenschaft – Bajuwarische Befreiungsarmee" stehe. Zudem brachte er seinen völkischen Rassismus und seine fremdenfeindlichen Einstellungen zum Ausdruck. Die Gerichtsverhandlung versuchte der Terrorist als Bühne zur Verbreitung seines Anliegens zu nutzen.
In Europa hat der Doppelanschlag von Anders Behring Breivik in Oslo und auf der Insel Utøya enorme Resonanz erfahren. Der Attentäter tötete 77 Menschen, vor allem Jugendliche. Hinzu kamen zahlreiche Verletzte. Auch er handelte durch ein rechtsradikales Weltbild motiviert. Demnach seien seine Anschläge eine Form der Verteidigung Norwegens gegen eine angebliche "Überfremdung" durch Muslime sowie gegen eine Verschwörung durch die "Kulturmarxisten".
Titelblatt des Manifestes "2083" von Anders Breivik (© n24.de)
Titelblatt des Manifestes "2083" von Anders Breivik (© n24.de)
Um seine Botschaft zu verbreiten, hatte Breivik unmittelbar vor seinen Taten eine über 1.500-seitige Schrift versandt, in der er mit eigenen und übernommenen Texten seine Weltsicht darlegt. Zudem nutzt er die Bühne des Prozesses gegen ihn, um Öffentlichkeit für sein Anliegen herzustellen.
5.3 Rechtsterroristische Strategien
In der deutschen rechtsradikalen Bewegung finden sowohl die zeitgeschichtlichen als auch internationalen rechtsterroristischen Beispiele Beachtung. Zudem findet man gelegentlich symbolische Bezüge auf die Organisation "Werwolf", die Heinrich Himmler in der Endphase des Nationalsozialismus im September 1944 gründete. Die Organisation sollte gegen die in deutsche Gebiete einmarschierenden Alliierten einen Guerilla-Krieg beginnen. Als Mittel des Kampfes waren vor allem Sabotageakte durch Kleingruppen gegen die Alliierten und Anschläge gegen Kollaborateure vorgesehen. Im März 1945 radikalisierte Joseph Goebbels das Konzept und verkündete in einer vom Radio übertragenen Rede, dass jeder jede Gelegenheit nutzen müsse, die Besatzer zu töten, auch wenn man dabei selbst sein Leben verlöre. Allerdings fanden sich kaum Freiwillige, die sich den Werwölfen anschließen wollten. In Folge dessen blieb es auch bei einigen wenigen Attentaten. Trotzdem entfaltete die Idee eine psychologische Wirkung, da die US-Amerikaner durchaus besorgt vor fanatisierten Attentätern waren.
In der Neonazi-Szene gibt es vielfach lobende Erwähnungen der Organisation "Werwolf". Unter anderen griff die Schrift "Eine Bewegung in Waffen" die Idee des Rechtsterrorismus auf. Insbesondere der 1991 erschienene zweite Band mit dem Untertitel "Strategie und revolutionärer Kleinkrieg" bezieht sich explizit darauf: "Die zweite Aufgabe des illegalen Armes der Bewegung ist in der Durchführung von Werwolfaktionen zu sehen".
Ein weiteres in der Szene verbreitetes Konzept heißt "Leaderless Resistance". Der US-amerikanische militante Rechtsradikale Louis R. Beam jr. veröffentlichte es 1992 in seiner Zeitschrift "The Seditionist". Er plädiert strategisch für einen Terrorismus, der flexibel auf wandelnde Gelegenheitsstrukturen reagiert: "Like the fog which forms when conditions are right, and disappears when they are not, so must the resistance to tyranny be." Beam schlägt damit eine Strategie vor, die auch bei staatlichem Verfolgungsdruck der Bewegung Handlungsspielräume verschafft. Das zentrale Organisationselement ist die von Individuen oder kleinen Gruppen gebildete "Phantom Cell". Diese Zellen sollen unabhängig voneinander operieren, weder einer übergeordneten Organisationseinheit noch einem Führer berichten und auch keine Anweisungen entgegen nehmen. Die Aktionsfähigkeit liegt in der Verantwortung der Zellen, deren Mitglieder sich die nötigen Fertigkeiten und Fähigkeiten anzueignen haben, damit sie selbst entscheiden können, auf welche Weise sie auf bestimmte Ereignisse reagieren. Das Konzept des Leaderless Resistance wurde auch von deutschen Neonazis rezipiert. So rief die Szenezeitschrift "Blood & Honour, Division Deutschland" 1996 dazu auf, dieser Anleitung zum Terrorismus für Jedermann zu folgen.
6. Der "NSU": (Dis-)Kontinuität der Gewalt?
Angesichts des bislang dargestellten Verhältnisses von Rechtsradikalismus und Gewalt lautet die Frage, inwiefern die Mordserie des "NSU" eine Kontinuität bzw. eine Diskontinuität rechtsradikaler Gewalt darstellt. Der Tatverlauf ist ungewöhnlich. Rechtsradikale Gewalttaten sind meist "heiße" Taten, die aus aggressiver Stimmung heraus geschehen. Rechtsradikale begehen sie spontan oder nur mit kurzfristiger, eher grober Planung. Eine Tötung der Opfer nehmen die Täter zwar in Kauf, streben diese aber in der Regel nicht ausdrücklich an. Die Attentate des "NSU" aber waren "kalte" Taten. Die Täter planten die Morde langfristig und systematisch. Sie wählten bewusst die Opfer aus und versuchten, möglichst wenige Spuren zu hinterlassen. Die Taten geschahen bis auf eine in den westlichen Bundesländern, also weit entfernt von Thüringen und Sachsen, woher die Mitglieder des "NSU" stammten und wo sie sich nach ihrem Untertauchen vermutlich versteckten. Auch der Tathergang, mit einer Pistole auf das Opfer zu schießen, weicht vom Muster rechtsradikaler Gewalt deutlich ab. In der Regel töten Rechtsradikale durch Schlag- oder Stichwaffen oder treten mit Springerstiefeln ihre Opfer zu Tode. Das Nagelbombenattentat in Köln stellt eine Besonderheit der Anschlagsserie dar. Es war zwar ebenfalls systematisch geplant und auf die Ermordung von Menschen ausgelegt, zielte jedoch nicht auf einen bestimmten Menschen, sondern auf Migranten allgemein. Denn der Ort des Attentats ist eine beliebte Geschäftsstraße von türkischstämmigen Migranten. Das einzige Beispiel für ein solches Attentat ist der Anschlag Gundolf Köhlers auf das Münchener Oktoberfest 1980, bei dem der rechtsradikale Täter auch eine Bombe mit Nägeln zündete. Eine weitere Besonderheit des "NSU"-Taten ist die Tötung der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn. Hier ist noch ungeklärt, ob es sich um einen geplanten Mord handelt oder ob die Täter sich in der Situation spontan zur Gewalt entschlossen, um sich einer Polizeikontrolle zu entziehen. Ein geplanter Polizistenmord durch Rechtsradikale ist in Deutschland ohne Beispiel. Der Fall des Polizistenmörders Kay Diesner zeigt aber, dass flüchtige rechtsradikale Gewalttäter auch die Tötung von Polizisten in Kauf nehmen.
In der Öffentlichkeit wurde die Mordserie oftmals als Rechtsterrorismus bezeichnet. In sozialwissenschaftlicher Perspektive trifft der Begriff Terrorismus aber nicht zu. Denn ein Wesensmerkmal von Terrorismus ist die kommunikative Komponente, die die Konstruktion der Wirklichkeit beeinflussen soll. Gewalt ist demnach nur das Mittel zum Zweck, um Angst zu verbreiten, die Legitimation des Staates als Hüter der öffentlichen Ordnung zu untergraben und die eigene Gruppe als stark darzustellen. Einige Beobachter des Rechtsradikalismus meinen, dass dies dem "NSU" durchaus gelungen sei. So argumentiert der Journalist Patrick Gensing: "Die Tat ist die Botschaft".
DVD der "NSU". (© picture-alliance/dpa)
DVD der "NSU". (© picture-alliance/dpa)
Videos des "NSU", in dem die Täter ihre Morde in einem Comicfilm präsentieren, spricht wiederum eigentlich dafür, dass die Rechtsradikalen die Absicht besaßen, ihre Gewalttaten zu kommunizieren. Offen bleibt aber bislang, warum sie das Video über mehrere Jahre nicht veröffentlichten. Erst nach dem Selbstmord und der eher zufälligen Aufdeckung der fremdenfeindlichen Hintergründe der Mordserie ging das Video einigen Journalisten und Politikern zu. Die kommunikative Wirkung des rechtsradikalen Hintergrunds der Gewalttaten war nun aber begrenzt, da die Mörder bereits tot waren und damit die Bedrohung wegfiel. Zudem lagen die Taten bereits einige Jahre zurück.
Strategisch entspricht das Verhalten des "NSU" durchaus den kursierenden rechtsterroristischen Strategiepapieren, wonach man kleine, möglichst abgeschottet arbeitende Zellen bilden solle. Der Generalbundesanwalt ermittelt zwar gegen eine Reihe von Rechtsradikalen wegen Unterstützung des "NSU", allerdings haben die betreffenden Personen dem Mördertrio "lediglich" geholfen, indem sie eine Waffe besorgten, die Wohnung zeitweise zur Verfügung stellten oder ein Auto anmieteten. Bislang gibt es keine Hinweise, dass neben Zschäpe weitere Personen kontinuierlich in die Aktivitäten von Mundlos und Böhnhardt eingebunden waren. Finanziell war der "NSU" durch seine Banküberfälle, bei denen seine Mitglieder insgesamt über 600.000 Euro erbeuteten, autark und konnte sich dadurch das Leben im Untergrund leisten. Die relativ starke Abschottung der Gruppe hatte zwar den Preis, auf ein öffentliches Bekenntnis zu den Taten zu verzichten, erschwerte den Behörden freilich die Strafverfolgung.
Die Auswahl der Opfer durch den "NSU" steht in der Kontinuität rechtsradikaler Gewalt. Migranten sind die größte Opfergruppe. Bei den situativen Taten werden die Opfer aus dieser Gruppe relativ beliebig ausgewählt. Terroristen suchen für ihre Anschläge jedoch symbolische Ziele aus, um die psychologische Wirkung zu maximieren. Das sind entweder prominente Personen oder Orte bzw. Gebäude, an denen viele Personen getroffen werden. Der "NSU" führte die Anschläge aber gegen den migrantischen Jedermann durch, meist ein Kleingewerbe betreibende Männer mittleren Alters. Dass es hauptsächlich türkischstämmige Migranten betraf, dürfte einerseits der Tatsache geschuldet sein, dass diese die größte Migrantengruppe in Deutschland darstellen, und zum anderen dem Umstand, dass diese Gruppe ein häufiges Opfer fremdenfeindlicher Kampagnen darstellt. Mit Ausnahme der erschossenen Polizistin, bei der die Faktenlage noch unklar ist, bestand zwischen Tätern und Opfern keine persönliche Beziehung. Die nicht prominenten Opfer sind ein Indiz dafür, dass es dem "NSU" nicht um Terrorismus ging, also nicht darum, Gewalt als Mittel einzusetzen, um Angst zu verbreiten. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass die Täter aus rassistisch motivierter Mordlust heraus handelten.
Die Täter entsprechen in sozialstruktureller Hinsicht annähernd dem Profil rechtsradikaler Gewalttäter. Uwe Mundlos war bei dem ersten Mord 27 Jahre, Uwe Böhnhardt 22 und Beate Zschäpe 25 Jahre alt. Damit lag die Gruppe im Durchschnitt geringfügig über dem typischen Alter fremdenfeindlicher Gewalttäter. Dass mit Zschäpe eine Frau zu der Zelle gehörte, ist keine Besonderheit. Denn auch wenn Frauen oftmals Gewalttaten nicht selbst ausführen, unterstützen sie die männlichen Täter in psycho-sozialer Hinsicht bei ihren Aktivitäten. Bemerkenswert ist, dass beide Männer aus Familien mit bürgerlichem Bildungshintergrund stammen. Der Vater von Mundlos ist Professor für Informatik
7. Fazit
Es gibt in Deutschland seit den 1980er-Jahren rechtsterroristische Aktivitäten. Im Zuge der Wiedervereinigung erreichte die rechtsradikale Militanz ein dauerhaft höheres Niveau, wobei es sich hauptsächlich um spontane, "heiße" Gewalttaten handelt. In der rechtsradikalen Bewegung sind jedoch ebenfalls Ideologie, Strategien, Gewaltbereitschaft, Waffen, klandestine Strukturen und personelle Kompetenzen vorhanden, um einen Rechtsterrorismus zu begründen. Bislang sind diese verschiedenen Elemente aber nur ansatzweise zusammengekommen, weshalb die Strafverfolgungsbehörden die wenigen rechtsterroristischen Versuche relativ frühzeitig verhindern konnten.
Beim "NSU" jedoch kamen diese Elemente in einem hinreichenden Maße zusammen. Zudem bildeten die handelnden Personen anscheinend eine stabile Gruppe, sodass sie ihre Taten über einen relativ langen Zeitraum begehen konnten. Allerdings verzichteten die Täter darauf, ihre Taten in den Dienst der Propaganda zu stellen, weswegen es sich beim "NSU" und seine Aktivitäten im sozialwissenschaftlichen Sinne nicht um Terrorismus handelt. Der Verzicht auf Bekennerschreiben erschwerte der Polizei die Aufdeckung erheblich.
Auch wenn rechtsradikale Gewaltbereitschaft, die vor der Tötung der vermeintlichen Feinde nicht zurückschreckt, keine neuere Entwicklung ist, stellt die langjährige Serie von geplanten Mordanschlägen des "NSU" eine neue Eskalationsstufe dar. Während es bei den eher seltenen "kalten" vorbereiteten rechtsradikalen Gewalttaten den Tätern darum geht, Gewalt als Mittel der Propaganda einzusetzen, verzichtete der "NSU" auf ein öffentliches Bekenntnis zu den Taten. Der Vernichtungsgedanke, der der rechtsradikalen Ideologie inhärent ist, manifestiert sich im "NSU" als rassistisch motivierte Mordlust, die in langfristig geplanten Morden mündet – ein Novum in Deutschland.