Die Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes setzt sich aus vielen Faktoren zusammen – zum Beispiel Infrastruktur, staatliche Abgaben/Förderungen, Verfügbarkeit von Rohstoffen und Fachkräften, Nähe zu spezialisierten Unternehmen und Einrichtungen, bestehende Marktverflechtungen oder auch das Image eines Standortes. In der öffentlichen Diskussion wird häufig den Lohnkosten eine große Bedeutung beim Standortwettbewerb zugesprochen. Bei einem Vergleich der Lohnkosten sollten allerdings die Lohnstückkosten betrachtet werden, da bei diesen die Lohnkosten ins Verhältnis zur Arbeitsproduktivität gesetzt werden – hohe Lohnkosten können dabei durch hohe Produktivität ausgeglichen werden. Bei einem Vergleich von 18 Staaten sind nach Angaben der Non-Profit-Organisation The Conference Board die Lohnstückkosten zwischen 1990 und 2016 vor allem in Taiwan und Schweden gesunken. Auf der anderen Seite stiegen die Lohnstückkosten am stärksten in Norwegen, Australien und dem Vereinigten Königreich.
Fakten
Ein zentrales Thema der Globalisierungsdebatte ist der Standortwettbewerb. Aber schon auf die Frage, wie die Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes zu messen ist, können verschiedene Antworten gegeben werden. Fest steht lediglich, dass bei der Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit mehrere Faktoren berücksichtigt werden müssen. Über die Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes bestimmen unter anderem die infrastrukturellen Voraussetzungen (Kommunikationsnetze, Verkehrswege, Umschlagplätze, Logistiknetzwerke, Transport- und Energiekosten etc.), die Forschungsbedingungen, das allgemeine Ausbildungsniveau, der Aufbau und die Flexibilität der staatlichen Bürokratie, staatliche Förderungen, gesetzliche Auflagen, die Steuer- und Abgabenbelastung sowie das Lohnniveau und andere Kostenfaktoren.
Traditionelle Unternehmens- und Marktverflechtungen, der Zugang und die Nähe zu großen oder neuen Märkten, natürliche Ressourcen bzw. die Verfügbarkeit von Rohstoffen, räumliche Voraussetzungen, die Einkommens- und Vermögensstruktur, politische und rechtsstaatliche Stabilität, das Image eines Standortes sowie das Vorhandensein von spezialisierten Unternehmen und Fachkräften beeinflussen ebenfalls die Investitionsentscheidungen. Und ob wiederum die Fachkräfte an einen Standort gebunden werden können, hängt neben den rein ökonomischen Voraussetzungen auch vom Wohnumfeld, der Umweltqualität, der medizinischen Versorgung, den Fürsorgeeinrichtungen sowie den Bildungs-, Erholungs-, Kultur- und Freizeitangeboten ab.
Ob und warum sich Unternehmen an einem Standort niederlassen, ist von großem Interesse für politische Entscheidungen, da die Standortwahl unmittelbare Auswirkungen auf Investitionen, Steuereinnahmen und Arbeitsplätze hat. Beispielsweise waren nach einer Veröffentlichung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) bezogen auf das gesamte Verarbeitende Gewerbe im Jahr 2012 rund 21 Prozent der Produktionskapazitäten deutscher Betriebe im Ausland angesiedelt. Das wichtigste Verlagerungsmotiv war 2012 wie in den Vorjahren die Höhe der Personalkosten (71 Prozent). Darauf folgten die Markterschließung (28 Prozent), die Kundennähe (26 Prozent), die Nähe zu bereits verlagerter Produktion (23 Prozent) sowie der Zugang zu Rohstoffen (15 Prozent).
Bei einer Bewertung der Lohnkosten sollten allerdings nicht allein die Bruttolöhne der Arbeitnehmer sondern die Lohnstückkosten verglichen werden. Zur Ermittlung der Lohnstückkosten werden die Lohnkosten ins Verhältnis zur Arbeitsproduktivität gesetzt. Die Höhe der Lohnstückkosten ist damit sowohl von der Produktivität als auch von der Höhe der gezahlten Löhne abhängig. Beispielsweise können die Lohnstückkosten eines Standortes mit niedrigen Löhnen und einer geringen Produktivität höher sein als die Lohnstückkosten eines Standortes mit hohen Löhnen und einer hohen Produktivität. Durch den Einsatz neuer Technologien, die effiziente Arbeitsorganisation, eine ausgebaute Infrastruktur und ein hohes Qualifikationsniveau der Beschäftigten wird die Arbeitsproduktivität gesteigert und somit ein Teil der höheren Lohnkosten ausgeglichen.
In den Zeiträumen 1990 bis 2002, 2002 bis 2010 sowie 2010 bis 2016 gab es in der Gruppe der hier betrachteten Staaten drei Staaten, deren Lohnstückkosten (auf Basis der jeweiligen Währung) in zwei der drei Zeiträume zweistellig zurückgingen: Taiwan (minus 17,7/31,3 Prozent), Schweden (minus 18,4/15,2 Prozent) und Japan (minus 16,2/22,9 Prozent). Während sich die Lohnstückkosten Taiwans im Zeitraum 2010 bis 2016 moderat erhöhten (plus 2,5 Prozent), stiegen die Lohnstückkosten Schwedens um 9,4 Prozent. Lediglich in Japan reduzierten sich die Lohnstückkosten zwischen 2010 und 2016 weiter – wenn auch sehr moderat (minus 1,3 Prozent). Daneben gab es mit Belgien einen weiteren Staat, in dem sich die Lohnstückkosten in allen drei Zeiträumen reduzierten (minus 1,9/7,1/7,1 Prozent).
Auf der anderen Seite gab es drei Staaten, deren Lohnstückkosten in allen drei Zeiträumen zweistellig zunahmen: Norwegen (plus 48,4/14,1/13,3 Prozent), Australien (plus 19,6/24,1/15,6 Prozent) und das Vereinigte Königreich (plus 31,9/10,2/14,3 Prozent). In drei weiteren Staaten erhöhten sich die Lohnstückkosten ebenfalls in allen drei Zeiträumen – jedoch nicht durchgehend zweistellig: Italien (plus 30,2/18,3/1,9 Prozent), Südkorea (plus 27,1/6,9/9,6 Prozent) und Kanada (plus 2,2/18,4/7,3 Prozent).
Auffällig war noch die Entwicklung in Finnland und Spanien. In Finnland gingen die Lohnstückkosten zwischen 1990 und 2002 sowie zwischen 2002 und 2010 deutlich zurück (minus 20,8/7,4 Prozent) und nahmen zwischen 2010 und 2016 ebenso deutlich zu – mit einem Plus von 16,8 Prozent stärker als in jedem anderen der hier betrachteten Staaten. In Spanien verlief die Entwicklung genau entgegengesetzt: In den ersten beiden Zeiträumen stiegen die Lohnstückkosten auffällig stark (plus 32,8/18,5 Prozent) und zwischen 2010 und 2016 waren sie rückläufig – der Rückgang fiel dabei mit 12,8 Prozent stärker aus als in jedem anderen der hier betrachteten Staaten.
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit hängt auch stark von Wechselkursänderungen ab. Um die Wechselkurse mit einzubeziehen, muss die Entwicklung der Lohnstückkosten in einer einheitlichen Währung abgebildet werden (und nicht auf Basis der jeweiligen Währung). Allerdings geht diese Darstellungsform zu Lasten der Faktoren, die die Lohnstückkosten in den einzelnen Staaten abseits der Wechselkurse beeinflussen (z.B. die Entwicklung der Produktivität).
Auf Euro-Basis stiegen beispielsweise in Deutschland die Lohnstückkosten zwischen 1990 und 2002 um 18,2 Prozent, zwischen 2002 und 2010 gingen sie um 5,5 Prozent zurück und zwischen 2010 und 2016 nahmen sie wiederum um 4,2 Prozent zu. Bei einem Vergleich der Lohnstückkosten auf US-Dollar-Basis hat sich die Wettbewerbsposition Deutschlands in allen drei Zeiträumen genau entgegengesetzt entwickelt: Zwischen 1990 und 2002 reduzierten sich die Lohnstückkosten auf US-Dollar-Basis um 8,1 Prozent und zwischen 2002 und 2010 stiegen sie um 32,9 Prozent. Schließlich gingen sie zwischen 2010 um 2016 um 12,9 Prozent zurück. Der Grund dafür sind die Ab- bzw. Aufwertungen des Euro gegenüber dem US-Dollar in den jeweiligen Zeiträumen.
Abseits der zahlreichen Faktoren, die die Kosten eines Produkts beeinflussen, ist zu bedenken, dass bei vielen Produkten die Löhne der Arbeitnehmer einen immer geringer werdenden Anteil haben und sich unternehmerischer Erfolg zunehmend auf Produktimage, Produktqualität, Kundenservice, Lieferpünktlichkeit und Innovationsfähigkeit gründet.
Dazu passen die Forschungsergebnisse, auf die das ISI hinweist, nach denen "jede vierte Produktionsverlagerung innerhalb von drei bis fünf Jahren wieder rückgängig gemacht wurde." 2012 nannten die Unternehmen Flexibilitätseinbußen am häufigsten als Grund für die Rückverlagerung (59 Prozent). Darauf folgten Qualitätsprobleme 53 Prozent), Kapazitätsauslastung (28 Prozent), zu hohe Transportkosten (25 Prozent), Probleme bei der Koordination und mit der Infrastruktur (21 und 13 Prozent) sowie Fachkräftemangel und Know-how-Verluste (13 und 11 Prozent).
Begriffe, methodische Anmerkungen oder Lesehilfen
Zur Bestimmung der Lohnstückkosten werden die Lohnkosten je Arbeitnehmer beziehungsweise je Arbeitnehmerstunde ins Verhältnis zur Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen (Personenkonzept) beziehungsweise je Erwerbstätigenstunde (Stundenkonzept) gesetzt. Die Lohnkosten setzen sich aus den Bruttolöhnen und -gehältern der Arbeitnehmer sowie den Sozialbeiträgen der Arbeitgeber zusammen.